Der Sarkophag, der Wachstein, Wilhelmsthal, der Karthäuserberg, die Hochwaldsgrotte, der Hirschstein, die Hohe Sonne, der Rennsteig

Das freundliche Lustschloss Wilhelmsthal, die Schöpfung und der Lieblingsaufenthalt Carl Augusts von Weimar, ist das Ziel unserer nächsten Wanderung. Wir verbinden dasselbe zugleich mit dem Besuche des Sarkophags, einer merkwürdigen Felsenpartie auf dem Bermer; des Wachsteins, einer riesigen Steinklippe oberhalb des Dorfes Moßbach; der Hochwaldsgrotte, einer Felsschlucht am Fuße des Hirschsteins; und der hohen Sonne, eines Vergnügungsortes am Rennsteige, dem alten, das ganze Hochgebirge überziehenden Wege. Die Entfernung des Ausfluges erfordert die Zeit eines ganzen Tages.

Der Bermer wird am bequemsten auf dem Parkwege bestiegen, der vom Badesalon aus neben Zieglers Garten die Anhöhe hinaufgeht, und oberhalb der Gartenanlagen in einen Weg mündet, der sich am Saume des Waldes die Berglehne entlang zieht. Vom Vereinigungspunkte dieser beiden Wege wenden wir uns links einige Schritte in den Wald hinein und stehen vor
              dem Sarkophage.
Eine weit geöffnete Felsengrotte, von düsteren Schwarztannen umschattet, trägt auf einer ihrer Wände einen Quarzblock, dem die Natur die unverkennbare Form eines Sarges gegeben. Ein melancholisches Plätzchen, ganz den schwermütigsten Betrachtungen geweiht. Wir kehren aus dem Walde zurück, und schreiten — bei jedem abgehenden Wege uns links haltend — an seinem Saume um den Bermer hin. Ein Gebäude, von hohen Linden umkränzt, dicht unter uns, unfern des Bades, ist das neu errichtete Belvedere, von wo aus sich eine herrliche Aussicht über Ruhla und den umgrenzenden Bergkessel bietet. Wenn wir eine schmale Buchenwaldung durchwandelt sind, und uns wiederum auf der offenen Berglehne befinden, zeigt sich uns das Städtchen noch herrlicher. Wir glauben in ein malerisches Schweizertal hinabzublicken. An der Ecke des Berges, wo seine Abdachung ins Tal sich plötzlich dem benachbarten Ringberge zukehrt, aus der Mitte eines Tannengehölzes: eine neue Aussicht — durch die Öffnung des Erbstromthals nach den Hörseelbergen hinüber. Der Weg wendet sich hier ganz links, durch das Tannengehölz fort, und an mächtigen Abgründen entlang, in deren Tiefe wir zahlreich entspringende Quellen erblicken. Nach einer Viertelstunde öffnet er sich auf die Hochwiese zwischen dem Bermer und Ringberge, führt an einer Umzäunung vorbei, und überschreitet einen kleinen Bach. Hier teilt er sich; links führt er nach dem Dorfe Etterwinden; rechts — wohin wir ihn weiter verfolgen — zieht er sich schräg über die Wiese bis an den jenseitigen Wald (den südlichen Abhang des Ringberges), und wendet sich nunmehr zur linken Hand die Anhöhe hinauf, bald aufs neue von beiden Seiten von Wiesen umgeben. Wenn wir ihn über diese Wiesen immer gerade aus verfolgen, und seitwärts abgehende Wege unberücksichtigt lassen, so bringt er uns nach kurzer Frist abermals an einen Wald, der die Höhe des Berges (des kleinen Ringberges) kränzt. Von seinem Saume blicken wir in das Tal zurück, das wir durchwandelt. Ein liebliches friedevolles Wiesental in holder Wald- und Bergumfriedung, aus welchem nur das leise Gemurmel halb im Grase versteckter Bäche zu uns heraufdringt. Der Thüringer Wald hat solche Täler, in Bergeinschnitte sich buchtend, in zahlloser Fülle: überall aber, wo wir sie betreten, senkt sich Ruhe und Seligkeit auf unser Gemüt.


Der kleine Wald ist in wenigen Minuten durchschritten; ein offener Platz, von einem hohen Zaune umgeben, liegt zu unserer Rechten. Wir gehen bis an das Ende desselben, wo die Straße, welche vom Heiligenstein heraufkommt, quer vor die unsrige hinläuft. Gerade vor uns bemerken wir einen Wegweiserarm, an einem Baume befestigt, der nach Ruhla zurückweist; links von uns, gleichfalls an einem Baume, einen zweiten, mit den Worten: „zum Wachstein“. Hierhin wenden wir uns. Ein tiefdunkler, lang hingedehnter Buchenlaubengang nimmt uns auf. Bei ihm beginnt die Stelle, welche im Volksmunde „der tote Mann“ heißt. Am Ende des Laubenganges öffnet sich abermals ein kleiner Waldplatz*). Nach rechts zu, über denselben hinblickend, sehen wir eine breite Allee durch die Bäume gehauen. Sie führt in gerader Richtung auf den Wachstein zu. An einem Baume auf dem Waldplatze, dicht neben uns, finden wir überdies einen Wegweiser, der uns noch gewisser macht. — Wir erreichen dieses nächste Ziel unseres Ausfluges nach ungefähr anderthalbstündiger langsamer Wanderung von Ruhla aus.

*) Wer den Weg von dem Laubengange aus über diesen Walbplatz in gerader Richtung fortgeht, gelangt nach Wilhelmsthal, ohne den Wachstein zu berühren auf den letzteren aber nur durch einen Umweg.

               Der Wachstein,
eine mächtige Felsenburg auf der höchsten Spitze des gleichnamigen Berges, zwischen den engen Schluchten des Hainbaches und des Moßbaches, nur von einer Seite her zugänglich, an den übrigen mit schroffen Wänden und Steinklippen tief ins Tal niedersteigend, ungefähr 1.900 Fuß über dem Meere, gewährt bei so bevorzugter Lage die entzückendste Fernsicht über die unten liegenden Wald- und Wiesengründe und die umgrenzenden Berghäupter, bis zu den Gebirgen, die in duftiger Bläue am fernsten Horizonte lagern.

Gen Südwesten (links) die gewaltigen Basaltkegel der Rhön: der Baier, der Dietrichsberg und der Ochsenkopf; darüber hinaus der Sillingswald. Nordwestlich der Meißner und der Normannstein. Im Norden der Harz, lang hingedehnt, wie ein Wolkengebirge. Östlich von ihm der Ettersberg bei Weimar. Rechts neben uns der Ringberg. Vom Wachsteine nur durch den tiefen Moßbachgrund getrennt, schließt er die weite Rundsicht, die von den näher gelegenen hervorragenden Bergen gar viele noch in ihrem Kranze fasst: den Hirschstein, den Drachenstein, die Wartburg, die Hörseelberge, den Spitzberg, den Friedenstein bei Gotha, den Seeberg, die Gleichen, die Wartberge und andere mehr. Als ob ein wildwogendes Meer plötzlich erstarrt wäre, liegen sie da die mächtigen Höhen, dort umschleiert von duftigem Blau, hier umkränzt vom frischesten Waldesgrün, und zwischen ihnen die lieblichen Wiesengründe, die traulichen Haine, die blitzenden Seen, die lachenden Dörfer! — Doch nichts in der ganzen Landschaft so zauberisch, als das Thal dicht unter uns! In seinem Kessel, von Saatengrün umwogt, das freundliche Moßbach*). An seinem Kranze, tief im Grunde links, die majestätische rötliche Felswand des Hangesteins, die, umplätschert vom Hainbach, gleich halb zertrümmertem Gemäuer lang hin an ihre Berge sich lehnt; zur Rechten, aus der Tiefe steil sich erhebend, der Ringberg, bedeckt mit Buchengrün. Das süße Tal vollendet aufs herrlichste das reizende Gemälde, das vor unsern Augen aufgerollt liegt, eins der schönsten, welches der Thüringer Wald nur bieten kann.

*) Moßbach, ein am Ufer des Moßbaches lang hingedehntes, rings von Bergen umschlossenes Eisenachisches Dorf mit ungefähr 600 Einwohnern.

Mit Recht ist daher der Wachstein ein Lieblingsaufenthalt der Bewohner umliegender Orte, die in häufigen Zügen auf seinen Gipfel pilgern.

Wenn wir ihn verlassen, kehren wir nicht denselben Weg zurück; — zur Linken des Wachsteins zieht sich ein Parkweg hinab, der uns näher nach Wilhelmsthal führt. An der Lehne des Berges, neben den Abgründen, die zum Hainbachthal hinuntersteigen, angelegt, und durch die dichten Baumwände oft in reizende Fernsichten nach dem Rhöngebirge geöffnet, bringt er uns in 20 Minuten an einen kolossalen Wegweiser, dessen fünf Arme nach verschiedenen Richtungen, und unter diesen auch nach Wilhelmsthal zeigen.

Wir können von hier ab nicht mehr fehlen, die breite Fahrstraße, zumeist im Walde und über Felsenplatten fort, führt den Berg steil hinunter. Nach einer starken halben Stunde erreicht sie eine kleine Talwiese, das Kazthal, und mündet an der selben in die Eisenach-Meininger Chaussee. Hier wenden wir uns rechts*), und erblicken nach wenigen Minuten die ersten Häuser von Wilhelmsthal im Grunde vor uns, erreichen auch bald das freundliche Gasthaus zum Auerhahn, welches, mit seinen offenen Seitenflügeln einem kleinen Landschlosse nicht unähnlich, zur Rechten der Heerstraße liegt.
               Wilhelmsthal,
ein fürstliches Lustschloss des Großherzogs von Sachsen-Weimar, im Tale der Ellna, früher Wintershausen genannt, wurde zu Anfange des vorigen Jahrhunderts vom Herzoge Johann Wilhelm von Eisenach gebaut, und von Carl August von Weimar, dem erhabenen Freunde Goethes, zu seiner jetzigen Gestalt umgeschaffen. Nach Süden zu in eine weitere Talfläche blickend, nach den übrigen Richtungen hin, an die Berge gelehnt, bildet es einen mehr lieblichen, als großartigen Naturpark, in welchem Wiesen, Seen und Baumpartien in reicher Fülle abwechseln. Kein glänzender Palast schmückt seine friedliche Waldeinsamkeit: einfache weiße Landhäuser, anscheinend regellos und doch in reinster Harmonie zu einander, sind auf dem Wiesenteppich durch die Blumenbüsche hingestreut, jedwedes zu einer andern, der fürstlichen Haushaltung entsprechenden Bestimmung. Eins von ihnen trägt ein Türmchen mit einer Uhr: es ist die Wohnung des Fürsten; ein anderes umschließt den Salon, ein drittes die Gemächer der Hofkavaliere, andere wieder die der Prinzen und Prinzessinnen, des Corps de Logis, der geringeren Dienerschaft und die Küchenräume. Ein großer See, um den sie ruhen, spiegelt dem Wanderer am jenseitigen Ufer ihr liebliches Bild wieder. Eine Rotunde von Fichten, neben ihnen, umschließt einen kunstvoll gearbeiteten Brunnen, mit einer liegenden Nymphe geschmückt. Durch die Chaussee von dem Parke getrennt, liegt das im ähnlichen Style von Herzog Wilhelm Heinrich von Eisenach erbaute, schon oben erwähnte Gasthaus, dessen Wirt Zeitschel durch gute Bedienung seiner Gaste einen Ruf erworben hat**). Aus dem Grunde gen Süden, unterhalb des Parks blicken, in Büschen versteckt, die Hütten der Gartenarbeiten, hervor. Mehre Gebäude umfasst der Ort nicht.

*) Wir kommen eine gute Strecke näher auf die Chaussee, wenn wir uns beim Eintritte in das Kazthal auf dem Fußsteige rechts über die Wiese hinwenden, nur muss es trockenes Wetter sein, weil die Wiese sonst feucht ist.

**) Was man hier bekommt, ist durchweg gut und schmackhaft bereitet, insbesondere das Mittagessen, das Couvert zu 3 Gängen für den Preis von 10 Sgr. Auch das Bier ist zu loben; weniger ansprechend und dabei teuer fanden wir den Wein.


Entzückt durchwandern wir den Park, durch die saftig grünen Wiesen, um die Blumen-Boskets, und die Spiegel der Seen hin, auf denen stolze Schwäne sich wiegen. Alles athmet Frieden und Seligkeit. Wie ruhig liegen sie da, die lieblichen Lustschlösschen auf samtnem Wiesenteppich! Wie freundlich begrüßen uns aus den blauen Wasserflächen die zitternden Schatten der rings empor ragenden Bäume und die Spiegelbilder der buchenbelaubten Berge, in deren Busen die Seen sich hineinschlingen! Wie einladend winken aus dem grünen Rasen die gelben Bänder der sauberen Kieswege zur weiteren Wanderung auf die angrenzenden Höhen! Wie zieht es uns zu diesen hinauf! Wie labt von ihnen herab die bezauberndste Aussicht den Blick!

Eine Bank auf steiler Bergwand jenseits des Sees lockt am unwiderstehlichsten uns an; sie ruht auf dem Gipfel des Karthauserberges. Um sie zu erreichen, gehen wir zum Gasthause zurück, und von dort einige Schritte auf der Chaussee nach Eisenach zu, wo sich ein Kiesweg links in die Wiese des Parks öffnet. Ihn betretend, finden wir, wiederum nach wenigen Schritten, einen zweiten Kiesweg, der uns rechts über die Wiese auf den nahen Abhang bringt, mit welchem der Berg am Ufer des Sees steil emporragt. Wir gehen im Schatten mächtiger Bäume die Anhöhe hinan. Bald treten zu unserer Rechten dicht am Wege schroffe Felsenwände, mit Farrenkräutern in malerischem Schmucke bekleidet, hervor. Der Pfad zieht sich in langer Strecke neben ihnen hin, um eine Schlucht herum, aus welcher riesige Buchen ihr majestätisches Haupt erheben, und geht endlich, wenn die Felswände sich verflachen, nach rechts hin in kurzer Biegung an diesen empor, und oberhalb der Felsen, in der Richtung, aus welcher wir hergekommen, zurück. Ein kleines Plateau öffnet sich vor uns. Wir stehen auf dem Gipfel; tief unter uns, den fast senkrechten Abhang hinab, liegt Wilhelmsthal. Welch ein paradiesischer Zauber umweht dies süße Gefilde! Die weite Wiesenfläche mit den herrlichen Baumgruppen in dem Kranze der sanftansteigenden Hügel, die fern und ferner allmählich zur Höhe der Berge emporsteigen, und mit weit geöffnetem Kessel das friedliche Tal umlagern, erst mit lebendigem Grün der üppigsten Buchen geschmückt, dann durch die schwarzdunklen Tannen in tiefere Töne, und fernhin in duftiges Blau verfließend! Und mitten in dem smaragdnen Teppich die Spiegel der Seen, die glänzenden Schlösschen, die bunten Füllungen der Blumen in holdem Gemisch! Die anmutigste Idylle, welche sinnige Gartenkunst dichtete! Ach, wenn wir hier oben rastend den trunkenen Blick hinabschweifen lassen auf den schwänedurchzogenen See, und höher hinauf über Schlösser und Wiesen, und rund um den sanften weiten Talkessel, bis zu der fernsten Berge Duft: wie selig fühlen wir nach, was hier Großes gefühlt und geschaffen worden. Der Geist des erhabenen Genius, der mit seinem fürstlichen Freunde hier süße Stunden verlebt, und die holde Schöpfung mit geschaffen, scheint als ihr Dolmetsch neben uns treten zu wollen, so reich und voll weht er von überall her uns entgegen. Dieselbe prunklose Einfachheit, gepaart mit dem reizendsten Zauber, der unwiderstehlich das Herz fesselt; dieselbe durchsichtige Klarheit, die immer in uns das rechte Verständnis; erweckt; dieselbe ruhige Leidenschaftslosigkeit, die, fremd dem heftigen Ausbruche der Gefühle, mit stetem Reiz der Grazie das Gemüt befehligt, — wie wir in Goethes Gedichten sie finden — spricht ringsum aus dem zauberischen Gefilde, auf welchem das Auge mit immer neuer Wonne ruht.

Ist gleich das ganze Land um uns nur ein großer Naturpark im holdesten Wechsel seiner Berge, Wälder, Täler, Bäche und Felsen: Plätzchen wie Wilhelmsthal bringen den Reiz dieser Natur erst immer zum vollständigsten Bewusstsein; in sie konzentriert sich unser Gedanke, wenn er in diese seligen Gefilde zurückschweift; sie leben in unserem Gedenken für ewig!

Dem schönen Bilde wehmütig den Scheidegruß zuwerfend, wandern wir weiter. Der Weg, der uns hinaufgebracht, führt uns zunächst zur Chaussee zurück, welche von hier nach Eisenach hin, zur linken Seite von Felswänden begleitet, in weiter Biegung beträchtlich aufwärts steigt. Vom Parke aus gehen wir in der Richtung nach links ungefähr 20 Minuten lang auf ihr fort*).

*) Wer sogleich vom Gasthofe aus nach der Hochwaldsgrotte gehen will, verlässt dasselbe auf einem Fußwege zwischen dem Hauptgebäude und dem rechten Seitenflügel. Derselbe bringt ihn von hier auf die oben beschriebene Wiese, auf welcher er in das Tannengehölz hineingeht, und sich dort (s. oben) mit unserm Wege vereinigt.

Der waldumkränzte Wiesenplan zu unserer Rechten liegt bald als ein tiefes Thal unter uns. Allmählich zieht sich aus ihm ein Tannengebüsch den schroffen Abhang herauf und bis dicht zu uns heran. In dieses führt von der Chaussee ein Parkweg hinein, der sich darin alsbald (von Wilhelmsthal abwärts) nach links wendet, und ziemlich steil in den Talgrund hinuntersteigt, dort einen andern Parkweg aufnehmend, der gleichfalls, aber tiefer gelegen, von Wilhelmsthal herkommt. Immer Wilhelmsthal im Rücken, treten wir nach ungefähr 200 Schritten aus dem Gehölz auf einen schmalen Wiesenplatz, hinter welchem der Wald aufs neue beginnt. An dieser Stelle spaltet sich unser Weg in zwei, die in geringer Entfernung von einander ziemlich parallel an den gegenüberstehenden Wänden einer tiefen Talschlucht in die Höhe laufen. Beide Wege führen zur Hochwaldsgrotte, zu der wir jetzt hinwandern. Der Weg zur Linken ist durch die Felswände interessant, an deren Fuße er sich hinschlängelt. Wir wählen aber, um die Grotte von ihrer imposantesten Seite zu begrüßen, den entgegengesetzten, der sich rechts durch die Buchen emporzieht. Die Felspartien des anderen Weges bleiben uns so nahe, dass wir sie dennoch durch die Wipfel der Bäume betrachten können, und sie stellen sich uns hier in pittoreskerer Form dar. Je höher wir steigen, desto tiefer gähnt die Schlucht neben uns empor. Aus ihrem Schoße ragen die Bäume wie Riesensäulen herauf, und ihre Wipfel umschleiern den Pfad mit geheimnisvollem Dunkel. Wer hier allein wandelt, muss in dem wilden Tale sich furchtbar vereinsamt fühlen. Enger und enger zieht die Schlucht sich zusammen. An der Lehne des Berges, wo wir gehen, steigen jetzt auch mächtige Felsenwände herab. Aus ihnen gähnt endlich
               die Hochwaldsgrotte
uns entgegen, ein weites, an 40 Fuß hohes und 60 Fuß breites Felsentor, welches aber keinen Durchblick gestattet, sondern mit seiner hintern Wand höhlenartig gewölbt bis zur Erde niedersinkt. Überrascht und staunend stehen wir vor der gewaltigen Öffnung. Aus dem stillen dunklen Plätzchen weht tiefer Ernst und erhabener Schauer über uns hin. Die steilen Felsen ringsum, die Schlucht, die zu seiner Seite sich in wilder Zerrissenheit in den Stein weiter bohrt, und die majestätischen Säulenhallen der Bäume, die es umragen, verleihen ihm das Gepräge der tiefsten Melancholie. Wilde Verzweiflung würde hier die geeignetste Stelle finden, sich auszuklagen. Die Nähe der Grotte an dem lieblichen Wilhelmsthal erhöht den Eindruck, den sie hervorbringt. Man erwartet nach so Freundlichem so Grauses nicht.

Über die Felsenschlucht, zur Rechten derselben, führt eine Brücke. Hinüberschreitend betrachten wir die Felspartien des anderen Weges, der von Wilhelmsthal hierher führt. Auch die Grotte selbst stellt sich hier in neuer Ansicht dar; besonders heben sich die Steintreppen, die an ihren beiden Seiten in die Höhe laufen, imposanter hervor.

Wir kehren zu ihr zurück, und wenn wir uns auf den Bänken in ihrer Wölbung kurze Rast vergönnt haben, steigen wir (der Brücke entgegengesetzt) die Stufen an ihrer linken Seite hinauf. Sie führen uns auf einem steilen Felspfade neben kolossalen Felswänden zunächst auf einen Bergvorsprung, der uns einen herrlichen Blick auf Wilhelmsthal hinunter öffnet, und von diesem bald auf den Gipfel
               des Hirschsteins.
Der umfangreiche kahle Scheitel des Berges, auf welchem nur eine mächtige Eiche gegen die Sonnenstrahlen Schutz bietet, gewährt aufs Neue eine, zwar beschränkte, doch immerhin belohnende Aussicht. Gegen Westen durch den Wald gehemmt, schweift der Blick gen Norden auf die Hörseelberge, gegen Osten zu dem Wachstein und den Wartbergen, und gegen Süden auf das Hochgebirge zwischen Ruhla, Etterwinden und Altenstein hinüber. Die näher gelegenen Berge, ein buntes Gewühl durcheinander, liegen in schönen Gruppen um und neben uns. Am überraschendsten ist der Blick auf Wilhelmsthal nieder, das so freundlich und friedlich zu uns aufschaut, und hier sich zum letzten Male uns zeigt. Wiesen und Büsche setzen seinen reizenden Park bis dicht an unsern Berg fort, der mit furchtbar steilem Abhange in die mächtige Tiefe, die Hölle genannt, zu ihnen hinunterstürzt. Über den Wald nach Nordwesten hin erblicken wir ganz nahe die Zinnen der Wartburg. Neben uns auf dem Gipfel des Berges steht eine hohe Wetterfahne, welche der Gegend weit umher die Richtung des Windes verkündet.

Zwei Wege führen von hier nach der Hohen Sonne weiter. Wir wählen den zur Rechten liegenden Fahrweg, und sind in 15 Minuten am letzten Ziele des heutigen Ausfluges. Von Wilhelmsthal bis hierher bedurften wir etwa einer Stunde Zeit.
               Die Hohe Sonne,
ein Vergnügungsort der Bewohner von Eisenach, 1 1/2 Stunde von dieser Stadt entfernt, und durch die reizendsten Promenaden, die wir später auch kennen lernen werden, mit ihr verbunden, ist ein auf dem Gipfel des Berges zwischen Eisenach und Wilhelmsthal an der Chaussee gelegenes Etablissement, welches aus einem Jagdhause und einem Wirtshause mit dazu gehörigen Garten besteht. An seiner Stelle befand sich früher ein vom Herzog Ernst August von Weimar im Jahre 1747 erbautes Jagdschloss, welches, anfangs „das hohe Kreuz“ genannt, in der Folge den jetzigen Namen erhielt, weil seine Turmspitze mit einer Sonne geschmückt war. Am Anfange des jetzigen Jahrhunderts niedergerissen, machte es den oben genannten Gebäuden Platz.

Der Ort hat an sich wenig Hervorstechendes. Nur eine Durchsicht, die im Wirtshausgarten einen Blick auf die nahe Wartburg gestattet, befriedigt die Schaulust; im Übrigen treten die Wälder ringsum bis dicht an die Häuser heran. Gleichwohl ist derselbe sehr besucht, teils weil er eine bequeme Station an der Heerstraße bietet, teils weil sich an ihn die Eingänge zu den Partien bei Wilhelmsthal und bei Eisenach anschließen. Die Lebensmittel, welche man hier kauft, sind gut und billig; insbesondere ist der Kaffee zu loben.

Auch nach Ruhla bietet sich von hier der bequemste Rückweg, zu dem wir, weil uns heute keine Seitenpartie mehr lockt, höchstens 2 kleine Stunden nötig haben. Derselbe führt in seinem größten Teile auf
               dem Rennsteige
hin. Über den ganzen langgedehnten Rücken des Thüringer Waldes führt eine alte, geheimnisvolle Straße, der Rennsteig (Rennstieg, Rennweg) genannt. Bei Hörschel an der Werra beginnend, bei Blankenstein in die Wellen der Saale hinabtauchend, steigt er über die Gipfel der höchsten Berge, in einer Ausdehnung von beinahe 50 Stunden, und fast überall in beträchtlicher Breite. Nur an wenigen bewohnten Orten streicht er vorüber, nur wenige Aussichten bieten selbst auf den höchsten Bergen von ihm sich dar. Eine Waldeinsamkeit aber umlagert ihn, die nicht süßer, nicht ahnungsreicher sein kann, denn nur der Wald ist fast überall sein Begleiter, und es ist als wäre der sich an jeder Stelle bewusst, dass er dem Wanderer auf diesem Pfade seine reichsten Zauber in Wonne und Wehmut bieten müsse, um ihm zu ersetzen, was er von den lieben Bergen sonst zu entbehren hat. Und wer es versteht, sich mit sinnigem Gemüte in des Waldes Schönheit so ganz zu vertiefen, dem wird auch Ersatz für Alles, was er hier vermisst, für den freundlichen Gruß der Menschen, für die gastliche Hütte, die sich auf betretenerem Pfade ihm öffnet, für den seligen Blick, der von freieren Höhen in die Ferne schweift; und er zieht in inniger Beglückung mit immer neuer Wonne die auf und ab wogende Straße hin.

Wer den Rennweg gegründet, ist ein längst verstummtes Geheimnis, nur die Sage versucht noch Kunde darüber zu geben. Elfhundert Jahre schon spricht man von ihm, doch kennt man seinen Ursprung nicht. Auch was sein Zweck war, liegt im Dunkel verborgen. Karl der Große wird von den Meisten als Erbauer genannt. Unmittelbar nach ihm liegt der Weg als etwas Bekanntes da, und bildete die Grenze zwischen Franken und Thüringen. Möglicherweise ist er daher als Grenzscheide errichtet worden; als alte Handelsstraße ihn anzusehen, wie Einige getan, lässt sich nicht rechtfertigen, da er weder bedeutende Handelsplätze mit einander verbunden hat, noch auch an Bequemlichkeiten genug darbietet. In späterer Zeit blieb er zumeist Grenzstraße, und auch jetzt trennt er an vielen Stellen die im Süden und Norden des Gebirges liegenden Staaten. Die alten Herrscher von Thüringen, so erzählt die Sage, sollen ihn nach jedesmaligem Regierungsantritte mit zahlreichem Gefolge in seiner ganzen Länge durchritten haben, der Welt zum Zeugnis, dass sie Besitz von der Herrschaft genommen.

Bei der Hohen Sonne kreuzt dieser Weg die Chaussee in rechten Winkeln; wir gehen auf ihm vom Gasthause links ab in der Richtung nach dem Hirschstein zu. Bald umfängt uns seine melancholische Einsamkeit, und gewährt uns herrliche Blicke in die hohen Baumwände und in die mächtigen Abgründe, die zu beiden Seiten von Zeit zu Zeit sich öffnen. Nach ungefähr 1 Stunde bringt er uns an den fünfarmigen Wegweiser, der uns beim Heruntersteigen vom Wachstein auf die Straße nach Wilhelmsthal gezeigt hatte. Ein Arm des letzteren weiset uns, auf dem Rennsteige gerade aus, nach Ruhla. Der alte Weg steigt hier auf das Hochgebirge hinauf, wir verfolgen ihn aber nicht weiter, sondern schlagen die links abführende Straße ein, welche an dem Wegweiser mit „nach Heiligenstein“ bezeichnet ist. Allmählich bergan steigend, erreichen wir bald den Waldplatz, von wo aus wir zum Wachsteine abgegangen, und treten, immer gerade ausgehend, wieder in den Buchenlaubengang ein, der uns nach einigen Minuten an den uns gleichfalls bekannten umzäunten Waldplatz bringt. Die hier an einem Baume befestigte, schon oben erwähnte Tafel weiset uns jetzt rechts ab nach Ruhla hinunter. Die Waldwiese des kleinen Ringberges ist schnell erreicht, der Gipfel des Bermer auf dem früheren Wege umgangen, und im Abendglanze vor uns liegend grüßt das freundliche Städtchen einladend zu uns herauf. Wir freuen uns nochmals des süßen Anblicks und steigen nach reichem Genusse in das liebe Tal nieder.