Der Nordwesten des Thüringer Waldes oder zehn Tage in Ruhla

Gemälde aus dem Badeorte Ruhla und seine Umgebung Eisenach, Wilhelmstahl, Altenstein, Liebenstein, Inselsberg und Reinhardsbrunn
Autor: unbekannt, Erscheinungsjahr: 1854
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Thüringer Wald, Thüringen, Badeort Ruhla, Eisenach, Wilhelmstahl, Altenstein, Liebenstein, Inselsberg, Reinhardsbrunn, Reisen, Wandern, Wanderrouten, Wanderwege, Wanderungen, Reiserouten, Kurorte, Kurbetrieb, Wegweiser, Reisehandbuch
Ein Reisehandbuch und Wegweiser nebst einer Reise-Route durch die übrigen Teile des Thüringer Waldes

Den Freunden, die ich in Ruhla gefunden, als Zeichen herzlicher Erinnerung an schön durchlebte Tage gewidmet.
Inhaltsverzeichnis
  1. Abreise von Berlin
  2. Der Marktflecken Ruhla
  3. Das Leben in Ruhla; das Bad daselbst
  4. Der Ringbergstein, der Alabasterbruch bei Kittelsthal, der Heiligenstein, der Scharffenberg, der Gömichenstein
  5. Der Sarkophag, der Wachstein, Wilhelmsthal, der Karthäuserberg, die Hochwaldsgrotte, der Hirschstein, die Hohe Sonne, der Rennsteig
  6. Der Oerberstein, der Inselsberg, der Thorstein, das Felsenthal, der Übelberg, der Kickelhahnsprung, Sonnenuntergang
  7. Sonnenaufgang; Brotterode das Drusenthal, Liebenstein, die Höhle von Altenstein, Altenstein, die Luthersbuche
  8. Das Annenthal, das Marienthal, die Landgrafenschlucht, der Felsenstieg, die Wartburg, Eisenach, die Hörseelberge
  9. Der Meisenstein, das Emsethal, der Lauchagrund, die Marienhöhle, Friedrichsroda, die Schauenburg, die Tanzbuche, Reinhardsbrunn, Schnepfenthal, Waltershausen, Schloss Tenneberg
  10. Letzter Spaziergang, Abschied von Ruhla
  11. Anlage A. Bade-Reglement von Ruhla
    Anlage B. Reise-Route durch die übrigen Teile des Thüringer Waldes von Ruhla aus
            Vorwort

Die Reiselust ist ein Kind des Frühlings, und wenn er seine Schwingen regt, und Berg und Tal mit frischem Grün umkleidet, dann erwacht sie in der Brust der Menschen, und lange Scharen, ihrem Alltagsleben entrinnend, ziehen fröhlich in die Ferne hinaus. Doch oft, wenn wir die Wiederkehrenden fragen, hören wir sie schmollend einbekennen, wie es ihnen nicht gelungen, auf ihrer Wanderfahrt den geträumten Genuss zu finden. Das macht, sie verstanden es zu wenig, die wahren Bedingungen desselben, die Ausbeute für Geist und Herz, die das Reisen gewähren soll, mit der gewohnten Behaglichkeit zu verbinden, die den all zu leicht ermattenden Körper allein frisch erhält; und da sie zuweilen das Eine dem Andern zum Opfer bringen mussten, so hatte sie das unwirsch gestimmt, und die schönsten Freuden des Reisens waren ihnen verloren gegangen. Freilich lag für sie auch eine schwierige Aufgabe zu lösen vor, weil oft erst eine jahrelange Übung in dem holden Vergnügen hierin die richtige Praxis gibt, und überdies die gebräuchliche Art, in der man seine Reisen zu gestalten pflegt, keine von jenen Bedingungen gleichzeitig ganz erfüllen kann. Gebirge sind ein gewöhnliches Ziel. Meistens aber werden sie nur im raschen Fluge durcheilt, und ein dürftiges, geistloses Reisehandbuch, dessen Verfasser die beschriebenen Stellen vielleicht oft selber nicht gesehen, jagt rastlos und schablonenartig die Pilger umher; zuweilen gerade an den herrlichsten Punkten vorbei. So wird für Kopf und Herz die Ausbeute verkümmert, und von Behaglichkeit und Ruhe für den Körper ist gar nicht die Rede. Auch mich traf anfänglich ganz dasselbe Loos, und wenn ich in späterer Zeit auf meine Reisen zurückblickte, erkannte ich immer zu meinem großen Verdrusse, wie viel mir auf ihnen noch verloren gegangen war.

Da kam mir der glückliche Gedanke, ein Stückchen Erde solch zauberischen Landes einmal enger in sich abzugrenzen, und mir in ihm ein Zentrum zu wählen, das, zur flüchtigen Heimat gemacht, mir nun einen Ausgangspunkt böte, von wo aus ich die umliegenden Gegenden als einfacher Spaziergänger durchstreifen könne. Jetzt hatte ich gefunden, was ich bis dahin vermisst hatte. Ich sah die Schönheit des Landes oft und in immer wechselnder Gestalt; ich lernte seine Eigentümlichkeiten genauer kennen, und seine Sitten verstehen; am Abend aber fand ich die trauliche Häuslichkeit wieder. So schaffte mir jede Reise von nun an wahren Gewinn, und wenn mir auch die, oft nur verwirrende, Vielheit der Gegenstände fehlte, so war doch das Eindringen in ihre Tiefe von unendlich höherem Reize, und bot mir ungleich größeren Genuss.

Drum möchte ich dem Wanderlustigen einen solchen Gebirgsabschnitt, den ich in der angedeuteten Weise nur eben durchschweift habe, als anspruchslose Gabe hier darbieten. Er umfasst das große Dreieck zwischen Eisenach, Liebenstein und Reinhardsbrunn, den herrlichen, von zahllosen Pilgern reich durchströmten Nordwesten des Thüringer Waldes, der zwar keine Tropen- und Alpennatur in sich schließt, aber mit seinen Bergen und Felsen, mit seinen Tälern und Bächen doch immer ein so zauberisches Stück Gottesschöpfung ist, dass das Auge wonnetrunken auf seiner Schönheit verweilen, und das Herz, wenn es sie kostet, in Entzücken laut aufjubeln kann; und wo auch ein reicher Hintergrund, aus Sage und Geschichte gewoben, für den Geist eine hohe Befriedigung gewährt.

Als Mittelpunkt, um den Landstrich genau kennen zu lernen, hatte ich mir

            Ruhla

gewählt, den freundlichen, interessanten Marktflecken im Tale des Erbstroms, am nördlichen Abhange des Hochgebirges, beinahe sein geographisches Zentrum, und von Jedem der hervorragendsten Plätze fast gleichweit entfernt: von Eisenach 2 Stunden, von Wilhelmsthal 2 Stunden, von Altenstein 1 1/2 Stunde, von Liebenstein 2 Stunden, vom Inselsberge 3 Stunden, von Reinhardsbrunn 3 1/2 Stunde. Dort hatte ich für einige Zeit meine flüchtige Heimat aufgeschlagen, und was von Reisenden oft mit erschöpfenden Anstrengungen und namentlich unter dem Kampfe mit den widerwärtigsten Gasthaus-Kalamitäten nur mühevoll errungen wird, das bot sich mir nun in behaglichen Spaziergängen dar, die, weil sie mich nur selten erschöpften, mir eine Fülle von Genuss gewähren mussten.

Wie ich von meiner Abreise an die Tage in dem herrlichen Orte verlebt, das habe ich versucht, in den folgenden Blattern zu schildern. Sie sind das frische Ergebniss des Eindrucks, den ich empfangen habe, und mögen das Spiegelbild des Entzückens sein, von dem ich durchdrungen war. Dem Leser, der die herrlichen Berge schon kennt, mögen sie die holdesten Erinnerungen zuwehen; wem sie noch fremd sind, dem mögen sie die Ahnung der Freuden zuflüstern, die dort ihn erwarten.

Ich habe sie Gemälde genannt, da sie versuchen sollen, dem Leser die Gegenstände in ihrer scharf begrenzten Gestalt und in dem, ihnen eigentümlichen Farbenschmucke vor das Auge zu führen. Doch sollte dies keinesweges ihr alleiniger Zweck sein. Ich wünschte zugleich denjenigen, die den nordwestlichen Teil des Thüringer Waldes wie ich, von Ruhla aus kennen zu lernen beabsichtigen, einen sicheren Wegweiser in die Hand zu geben, der sie über die Verhältnisse daselbst genau unterrichtet, und ihnen den oft nur lästigen Führer entbehrlich macht. Das Werkchen versucht deshalb die Wege zu jedem der sehenswürdigen Punkte mit größter Genauigkeit vorzuzeichnen, und wer es benutzen will, der wird sich zum mindesten keines unzuverlässigen Führers bedienen. Es ist in einzelne Spaziergänge zerlegt worden, die ich Reisetage genannt habe, da ich voraussetze, dass wie mir, so jedem Reisenden, begrenzte Ausflüge, von denen er des Abends immer in sein heimatliches Stübchen zurückkehren könne, den meisten Genuss gewähren würden. In jedem derselben habe ich, je nachdem es mir zweckmäßig erschien, mehrere der interessanteren Punkte mit einander verbunden, und führe nun den Leser, wie auf einem Spaziergange, von Ort zu Ort, zu jedem die Wege bezeichnend, alsdann ihn charakterisierend, und zuletzt von seinen Merkwürdigkeiten erzählend. Ich fühle wohl, dass hierdurch eine gewisse Ungleichheit in die Schreibart des Werkes gekommen ist, da oft der Ort selbst die Äußerung des glühendsten Entzückens hervorrufen musste, und der Weg zu ihm, so herrlich er auch in der Natur ist, doch nur mit dürren kalten Worten bezeichnet werden konnte. Es war dies aber eine nicht zu vermeidende Folge des Zweckes, den ich mir vorgesetzt hatte. Der Leser möge es darum mit diesem freundlichst entschuldigen, und sich nicht abhalten lassen, die Wege dennoch zu gehen; er wird die Bestätigung des Herrlichen, das ich ihm vorführe, in eigener Anschauung finden.

Begründeter könnte mich anscheinend ein anderer Vorwurf treffen. Abweichend von den übrigen Reisebüchern, habe ich es unterlassen, dem Werkchen den üblichen Aufsatz über die Geschichte, Geographie und Statistik des von mir beschriebenen Landstrichs als Vorrede vorauszuschicken, ja sogar über Ruhla, wohin ich den Leser sogleich am ersten Tage von Berlin aus hinüberführe, habe ich bevorwortend nichts mehr, als die obigen Worte gesagt. Ich glaube mich aber dennoch einer besonderen Lücke hierdurch nicht schuldig gemacht zu haben. Abgesehen davon, dass ich eine ihrer Lage und Bedeutung nach allgemein bekannte Gegend zu schildern mir vorgesetzt hatte, musste ich oft die Erfahrung machen, dass, wie die meisten Vorreden, so vornehmlich die der Reisebücher am wenigsten gelesen würden, und es wäre doch Schade gewesen, wenn ich unter solchen Umständen erst andere Werke zur Hand genommen und mühsam aus ihnen Notizen kompiliert hätte, um einige Seiten mehr zu füllen. Dann aber kann ich bei denjenigen, welche den Thüringer Wald zum Vergnügen bereisen, auch füglich voraussetzen, dass sie von seiner Lage unterrichtet sein, und wissen werden, wodurch er seinen hohen Ruf im reichen Maße verdient. Aus diesen Gründen bin ich von dem gewöhnlichen Wege abgewichen, und habe, was mir für den Reisenden als wissenswürdig erschien, an einzelnen, mir gerade geeignet scheinenden Stellen gesondert eingestreut. Ich halte mich überzeugt, dass, wer diese Blätter durchgelesen, gleichwohl von dem Walde und seiner Beschaffenheit so viel kennen gelernt haben wird, wie ihm als Reisenden nützlich und angenehm ist.

Auch der Kosten, womit diese Ausflüge verbunden sind, habe ich näher gedacht, da die Meisten sich begreiflicher Weise gern im Voraus ihren Überschlag machen.

Endlich habe ich in zwei besonderen Anlagen das Bade-Reglement von Ruhla und eine Reise-Route für diejenigen beigefügt, welche von dort aus noch die übrigen Teile des Thüringer-Waldes besuchen wollen, weil es Manchem doch interessant sein könnte, bei der hervorstechenden Heilsamkeit dieses Bades, und der anlockenden Schönheit auch anderer Partien des Gebirges, das Nähere auch hierüber im Voraus zu erfahren.

Wer mich bei meinem Werkchen durch Auskunft und Mitteilung freundlich unterstützte, dem sage ich schließlich meinen Dank.
Berlin, den 24. November 1853.
Der Verfasser.