Vorrede

So - für die Hundebesitzer wäre nun litterarisch das Nötige gethan, jetzt sorgen Sie noch für unsere neugebackenen Jagdbesitzer und solche, die es werden wollen!“ so äußerte zu mir ein Freund nach Erscheinen der ersten Auflage des Werkes "Die Dressur und Führung des Gebrauchshundes“

"Ein Führer für junge Jäger?“ entgegnete ich damals; "da scheint mir eigentlich kein litterarisches Bedürfnis vorzuliegen. Sehen Sie Sich doch einmal...“ - "Jawohl,“ unterbrach mich mein Freund, "sehen Sie sich mal in der gesamten Litteratur um, ob einer der dickleibigen Bände alle die Fragen beantwortet, vor welchen ein junger Jäger steht, nachdem er glücklicher Jagdbesitzer geworden ist. Ein großer Teil unserer jagdlichen Mißstände, die unsinnig hohen Pachtpreise, die mangelhafte Aufsicht, die schlechten Grenzverhältnisse, die Unsicherheit auf gesellschaftlichen Jagden, die unheimliche Vermehrung der Jagdliebhaber etc., sind dem Mangel an Verständnis und jagdlicher Erziehung auf Seiten der in die Reihen der Revierinhaber eintretenden jungen Jäger zuzuschreiben. In dieser Richtung ist litterarisch noch gar nichts geschehen!“


Ich habe inzwischen den Rat meines erfahrenen Freundes befolgt und die Jagdlitteratur auf ihren Gehalt an für junge Jagdbesitzer verwertbarer Lebensweisheit geprüft. Das Schlußergebnis führte mich zur Überzeugung, daß er nicht nur vollkommen recht habe, sondern daß die Lücke, welche an dieser Stelle die Litteratur aufweist,. noch weit größer sei, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.

Dies rührt daher, daß die mitunter sehr umfangreichen jagdlichen Lehrbücher sich ausschließlich mit der Jagdzoologie und der Jagdausübung beschäftigen, daß sie dagegen die Bedürfnisse des jungen Jägers, der mit der Absicht umgeht - beinahe hätte ich gesagt, sich zu etablieren – nein, der sich ein eigenes Revier erwerben will oder erworben hat, gänzlich unberücksichtigt lassen. Und doch ist es von ungeheuerer Wichtigkeit, nicht allein für den werdenden oder gewordenen Revierbesitzer, sondern für die gesamte Jägerei, ihre Weiterentwicklung und Zukunft, nach welchen Grundsätzen und Anschauungen der reviererwerbende Nachwuchs zu Werke geht. Die Fälle, in welchen ein plötzlich als Jagdeigentümer auftretender junger Jäger die jagdlichen Verhältnisse einer ganzen Gegend schädigt, noch mehr aber die Fälle, in welchen er für seinen Mangel an Erfahrung teueres Lehrgeld bezahlt, sind zahllos, und sie häufen sich in demselben Maße, in welchem die modernen Jagdliebhaber gleich Pilzen aus dem Boden schießen. Wenn hier von "jungen Jägern“ die Rede ist, so meine ich natürlich nicht die durch das Alter, sondern die durch die Dauer der Jägerpraxis bestimmte Jugend; denn es ist gerade für die Neuzeit charakteristisch, daß die meisten Jagdliebhaber erst in reiferen Jahren daran denken können, eigene Jagden zu pachten.

Wenn es sich um die litterarisch zu befriedigenden Bedürfnisse junger Jagdbesitzer handelt, so habe ich hier in erster Linie im Auge die bei der Reviererwerbung zu beachtenden Regeln. Ferner das hochwichtige Verhältnis zu Jagdteilhabern und Grenznachbarn und die Jagdverwaltung; die letztere betrifft das Jagdpersonal, den Jagdschutz, die Wildhege und die Wildschäden. Von allen diesen Gegenständen findet sich in der Litteratur, abgesehen von einigen beachtenswerten Werken über Wildpflege, so gut wie nichts.

So weit war ich über den Plan des zu schaffenden Werkes im klaren; es sollte dem jungen Jäger, der ein eigenes Revier erwerben wollte oder erworben hatte und sich, als Jagdbesitzer, zwischen die angrenzenden älteren Jagdeigentümer zu drängen im Begriffe stand,. mit Rat an die Hand gehen und ihm die mangelnde Erfahrung ersetzen.

Es war aber auch bestimmt, dem jungen Berufsjäger, der mit Beaufsichtigung und Verwaltung von Jagdbezirken betraut ist, die nötigen Fingerzeige zu geben, ihm als Führer zu dienen und gewissermaßen die Aufgabe eines Lehrherrn zu erfüllen. Aus diesem Grunde hauptsächlich habe ich mich veranlaßt gesehen, aus dem Wörterschatze der waidgerechten altdeutschen Jägerei den Titel „Lehrprinz“ zu entleihen, denn dem Lehrprinzen war, zur Blütezeit des deutschen Waidwerkes, die Ausbildung und jagdliche Erziehung der angehenden Jäger anvertraut.

Daß ich dabei nach Waidmännischen Grundsätzen zu Werke gehen und keine Kirchturmspolitik treiben, sondern die Interessen des großen Ganzen, unseres vaterländischen Waidwerkes, im Auge behalten werde, darf nach meiner litterarischen Vergangenheit wohl vorausgesetzt werden. Ich glaube, daß die im vorliegenden Buche vertretenen Grundsätze, sofern sie Geltung gewinnen sollten, allen Revierinhabern gleichmäßig Nutzen bringen müssen!



Sehr bald aber überzeugte ich mich, daß ein die genannten Gegenstände behandelndes Buch ein Fragment, ein Stückwerk werden müsse. Um einen Jäger zu waidgerechtem Thun und Lassen anzuleitend genügt es nicht, ihm die Regeln vorzutragen, nach welchen der auf ein langes Jägerleben zurückblickende gebildete Waidmann sich richtet, und zwar deshalb richtet, weil ein Zuwiderhandeln ihn mit seinem ganzen Denken und Fühlen in Widerspruch setzen würde. Zu derartigem Denken und Fühlen muß der Jäger erzogen werden, und zur Erziehung reicht kein Fragment aus, sondern nur ein System.

Als Grundlage jeder Erziehung ist die Erwerbung theoretischer Kenntnisse anzusehen. Um einen jungen Jäger zu einer ernsthaften, sittlichen Auffassung des Waidwerkes zu führen, erschien mir kein Mittel geeigneter, als die Darstellung des Jagdwesens vom geschichtlichen, jagdrechtlichen und naturwissenschaftlichen Standpunkt aus.

Denn der Corpsgeist der waidgerechten Jägerei, der den Einzelnen, im Bewußtsein der Zugehörigkeit zum großen Ganzen. zur Anerkennung der waidmännischen Grundsatze veranlaßt, wird nicht eingepflanzt und groß gezogen durch das Auswendiglernen schneidiger Jägerlieder oder das Überziehen stilvoller Jagdkostüme, sondern einzig und allein durch Erwerbung positiver Kenntnisse.

Allerdings war es mit Rücksicht auf den zur Verfügung stehenden Raum unmöglich, die genannten Fächer, die Geschichte des Jagdwesens, das Jagdrecht und die Jagdzoologie anders als in Form von Grundzügen zu behandeln. Jedoch dürfte diese gedrängte Darstellung für den Zweck, den jungen Jäger im allgemeinen zu orientieren und auf vorhandene Lücken seiner Kenntnisse aufmerksam zu machen, vollkommen genügen.

Ausführlicher habe ich das Schießwesen behandelt, einmal, weil der Gebrauch der Schußwaffe naturgemäß eine hervorragende Rolle auf jagdlichem Gebiete spielt, dann aber auch, weil ich es als eine dankbare Aufgabe betrachte, den Anfänger vor den tausenderlei unnützen Erfindungen und Neuerungen zu warnen, welche in sinnverwirrender Fülle sich an ihn herandrängen und im wesentlichen keine andere Bedeutung haben, als das eines Mittels, dem geehrten Publikum das Geld aus der Tasche zu locken. Daß diese Spielereien dazu verleiten, das Wild als Probierscheibe zu benutzen, rechtfertigt ein entschiedenes Auftreten gegen die Erfindungswut der modernen Gewehrtechnik und Munitionsfabrikation noch weit mehr.

Die Regeln der Jagdausübung sind allerdings in der Jagdlitteratur nicht zu kurz gekommen. Trotzdem hielt ich es erforderlich, die Hauptjagdarten in thunlichster Ausführlichkeit darzustellen. Nach meiner Überzeugung bewegen sich viele Anleitungen für den praktischen Jagdbetrieb in der Zusammenstellung allgemeiner Regeln, untermischt mit noch allgemeineren Redensarten von "Waidgerechtigkeit“, "Wildhege“ u. s. w. Damit vermag der junge Jäger in der Praxis gar nichts anzufangen! Wenn eine theoretische Anleitung überhaupt Wert für die Praxis haben soll, so muß sie von praktischen Gesichtspunkten aus geschrieben sein, in allen Fällen auf Einzelheiten eingehen und dem jungen Jäger genau sagen, wie er sich unter bestimmten Verhältnissen zu benehmen habe. Aus diesen Detailschilderungen ergeben sich die allgemeinen Grundsätze der waidgerechten Jagdausübung von selbst, nicht aber können umgekehrt aus abstrakten Begriffen die Regeln für den praktischen Jagdbetrieb abgeleitet werden.

Gänzlich unberücksichtigt gelassen habe ich die Fährten- und Spurenkunde, weil es nach meiner Ansicht ganz unmöglich ist, auf dem Papier dem Unkundigen die Merkmale der Fährten und Spuren klar zu machen, welche das Wild im Boden hinterläßt. Schon der Umstand, daß der Tritt eines Wildes, je nach der Beschaffenheit des Bodens, sich ganz verschieden darstellt, muß zu der Überzeugung führen, daß hier allein die Belehrung des jungen Jägers in der Praxis Sinn und Wert haben kann.

Ebenso betrachte ich die Raubzeugvertilgung, für welche ja die Spurenkunde von hoher Bedeutung ist, nur in gewissen Grenzen als der theoretischen Unterweisung zugänglich.

Wenn ich mich derart von dem Wahnglauben frei zu halten gesucht habe, daß es möglich sei, alle Fächer des weiten Gebietes der Jagdkunde theoretisch zu bearbeiten, so gebe ich mich anderseits der Hoffnung hin, daß der junge Jäger, sowohl aus der Art der Darstellung, wie auch aus der Anordnung des Lehrstoffes, Nutzen ziehen, und daß das Werk, das ich der Jägerei hiermit überreiche, seinen Zweck erfüllen werde: durch geeignete Vorbildung unseres Jägerischen Nachwuchses die jagdlichen Mißstände der Neuzeit zu mildern!



Kehl am Rhein, zur Zeit der Hahnenbalz 1900.

Waidmannsheil!

Oberländer.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Lehrprinz