Der Krieg und das Wetter

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 4. 1915
Autor: Ludwig Sallentien-Wewer, Erscheinungsjahr: 1915

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Krieg, Wetter, Witterung, Hitze, Kälte, Wassermangel, Sturm, Gewitter, Blitzschläge, Nebel, Frost, Eis, Schnee, Sturm, Schneestürme, Glatteis, Regengüsse
Naturereignisse sind stärker als der Mensch, beeinflussen in gutem oder bösem Sinne alle seine Unternehmungen und haben daher auch großen Einfluss auf den Krieg. Alle die modernen wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften, die heute im Kriege verwendet werden, heben die Abhängigkeit vom Wetter nicht auf. Allerdings hat man sich insofern von den Einflüssen des Klimas und der Jahreszeit freigemacht, als die Armeen nicht mehr wie früher Winterquartiere beziehen, in denen sie monatelang ruhig sitzen, um erst zum Frühjahr wieder mit dem Kriege zu beginnen; vielmehr wird der Krieg heutzutage ohne Rücksicht auf Winter und Kälte weitergeführt. Allerdings war während des letzten russisch-japanischen Feldzuges die Kälte in der Mandschurei so schrecklich, dass sowohl die Russen wie die Japaner notgedrungen einen Stillstand der Operationen eintreten lassen mussten

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Betrachten wir nunmehr den Einfluss des Wetters auf die Kriegführung, indem wir uns besonders an geschichtlichen Beispielen den Einfluss der Witterung auf die kriegerischen Ereignisse klarzumachen suchen.

Starke, lang anhaltende Hitze ist für Menschen und Pferde im Kriege eine große Qual und bringt schwere Schädigungen. Besonders marschierende Truppen leiden unter andauernder starker Hitze; Menschen und Pferde werden vom Hitzschlage getroffen, und die Zahl der „Maroden“, das heißt derjenigen, die den Marsch nicht mehr aushalten können und zurückbleiben, wird von Tag zu Tag größer. Die Zahl der kampffähigen Truppen wird dadurch ununterbrochen verringert, außerdem leidet der Gesundheitszustand von Mensch und Pferd.

Am 23. Juni 1812 begann Napoleon seinen berühmten Feldzug gegen Russland und überschritt die russische Grenze. Am 28. Juni zog er ohne Schwertstreich in Wilna ein. Während dieser fünf Tage herrschte eine furchtbare Hitze; die Kolonnen waren in dichte Staubwolken gehüllt, Wasser war außerordentlich selten zu finden. So gut das Fuhrwesen in der französischen Armee organisiert war,
in diesen fünf Tagen brach es fast vollständig zusammen. Diese ersten Marschtage kosteten gegen zehntausend Pferde, die infolge von Überanstrengung, Hitze und Wassermangel zugrunde gingen. Schon in Wilna mussten Hunderte von Geschützen und viele Wagen zurückgelassen werden, weil es an Bespannung fehlte. Außerdem verlor die Große Armee achtzehn Tage kostbarer Zeit, weil die am Leben gebliebenen Menschen und Pferde so lange brauchten, um sich von den Strapazen der ersten
Märsche zu erholen.

Die große, andauernde Hitze führte auch dazu, dass Menschen und Pferde oft schlammiges, halbverfaultes Wasser aus Pfützen und Gräben tranken, weil jeder Tropfen heiß begehrt war. Dadurch entstanden Krankheiten, besonders die Ruhr, unter denen Napoleons Armee namentlich in Wilna zu leiden hatte. Durch die große Hitze verdarben auch die Nahrungsmittel in den Ortschaften, bei den Proviantkolonnen und in den Brotbeuteln der Soldaten, und auch das führte zu Krankheiten. Auch als die Große Armee am 16. Juli von Wilna aufbrach, litt sie weiter unter Hitze und Staub; Menschen und Pferde fielen in Menge. Dann kamen endlose Wolkenbrüche, die die Wege aufweichten und ungangbar machten. Am 28. Juli musste die Armee einen zweiten unfreiwilligen Aufenthalt von sechzehn Tagen nehmen.

Lange andauernde Regenfälle sind eben auch ein Unglück für Truppen, wenn sie auf dem Marsche sind. Nicht nur in Russland, sondern auch in den Kulturstaaten, wo es viele und gute Wege gibt, werden diese bald grundlos, und dem Laien wird unglaublich scheinen, dass in solch abgrundtiefem Schmutz nicht nur den Infanteristen die Stiefel, sondern auch den Pferden die Hufeisen stecken bleiben.

Eine kurzgefasste Kriegsgeschichte des Gardehusarenregiments berichtet über die Witterungsverhältnisse im November 1870: „Die Witterung wechselte oft, wie das ja Ende November nichts Auffallendes ist. Durch den Regen war der Boden so tief geworden, dass die Pferde, namentlich in gepflügten Äckern, bis zum Knie einsanken und die Eisen stecken ließen. Die Kavallerie, die noch mehr nördlich in der Normandie stand, klagte ganz besonders darüber und hatte infolgedessen die Wege nur selten verlassen können.“

Andauerndes Regenwetter beeinflusst schon in Friedenszeiten ungünstig die Gesundheit. Erkältungen, Gicht, Rheumatismus stellen sich ein. Um wie viel mehr leidet der Soldat, der wochenlang im Freien nicht nur kämpfen, marschieren, sondern auch schlafen muss. In solchem Wetter sind auch die Schutzmittel, die der Soldat im Biwak anzuwenden pflegt, gewöhnlich zwecklos. Das Aufstellen von Schutzwänden, die aus Latten hergestellt und mit Stroh beflochten sind, der Bau von Lagerhütten aus Laubwerk, das Errichten von Zelten, vermögen den Regen auf die Dauer nicht abzuhalten. Kälte und Feuchtigkeit verhindern den Schlaf bei Nacht. Wenn der Morgen graut, stehen die Pferde nicht selten bis über die Fesseln im Wasser; die Menschen liegen im Schmutz fast ganz versunken, werden von Kälte und Nässe durchschauert, und die kräftigsten Naturen müssen schließlich unterliegen, wenn die Kleidung viele Tage hintereinander nicht trocken wird. Durch andauernde Regengüsse werden auch Unreinigkeiten in die Brunnen geschwemmt, der Typhus stellt sich ein. Der Feldzug der Preußen und Österreicher von 1792 gegen die republikanischen Armeen Frankreichs liefert den Beweis, dass durch Regen das Schicksal eines ganzen Feldzuges entschieden werden kann.

Über diesen verregneten Feldzug entnehmen wir dem 1833 erschienenen Tagebuch eines alten preußischen Offiziers folgendes: „Das fortwährende Regenwetter war eine eigentümliche und folgenreiche Kalamität dieses Feldzugs. Schon im Lager von Verdun hatte es angefangen, und nur seltene Sonnenblicke hatten die ungewöhnlich trüben Herbsttage erhellt. Schon auf dem Offensivmarsch um die Argonnen herum hatten die Wagenzüge Mühe gehabt, nachzukommen, und von Tag zu Tag wurden die Wege grundloser. Ein kalter Sprühregen hatte den Tag der Kanonade eröffnet, und erst der Donner derselben den Himmel erheitert. In dem aufgeweichten Boden hatte das Geschütz Mühe zu manövrieren, und in dem Lager versank man. Es ist eine natürliche Folge der Durchnässung, dass man nicht Lust hat, sich zu rühren, und jedermann im Zelt oder wo er im Kot liegt, gern liegen bleibt. So hüllt sich auch der Husar vom Vorposten in seinen Mantel und sieht nicht viel, was um und neben ihm geschieht. So möchte man manche Verabsäumung, manche zu spät erhaltene Nachricht von feindlichen Bewegungen und endlich das zehntägige Stillliegen, bis man sich zuletzt zum Rückzug entschloss, auf die natürlichste Weise erklären. Den 29. und 30. September fing der Rückzug an, über Grandpré mit einem Bogen auf Dun, und daselbst über die Maas, dann den Fluss aufwärts und bei Verdun vorbei, welches mit Übereinkunft an die Franzosen zurückgegeben ward; ebenso bei Longwy, wo die Armee am 21. Oktober anlangte, und nun das Luxemburgische erreichte, nach drei Wochen langer Kette von Mühseligkeiten und Beschwerden. Der Feind hatte durchaus nicht verfolgt, nur die von Clermont abziehenden Hessen bis gegen Verdun, und die Emigranten in der Gegend von Grandpré etwas gedrängt. In dem grundlosen Wege aber waren mit fortwährendem Marsch nur kurze Strecken täglich zurückgelegt, einmal anderthalb Meilen in sechsunddreißig Stunden. Eine Menge von Menschen waren im Kot stecken geblieben und der Überrest zum größten Teil krank. Die Zahl der Streitfähigen, die bei Luxemburg ankamen, wird auf kaum zwanzigtausend Mann geschätzt, und allerdings war für den Augenblick auch der Feind nicht zu etwas Kräftigem und
Kühnem aufgelegt.“

Wie große Kälte, besonders wenn sie lange anhält, wirken kann, wissen wir alle aus den Schrecknissen, die die große französische Armee auf ihrem Rückzüge von Moskau 1812 durchzumachen hatte. Infolge der furchtbaren Kälte, allerdings auch des Nahrungsmangels und der Angriffe der Russen, schmolzen die Kampffähigen der Napoleonischen Armee, die mit hunderttausend Mann am 18. Oktober Moskau verlassen hatte, bis zum 13. November
auf vierzigtausend Mann zusammen. Von siebenunddreißigtausend Mann Kavallerie, mit denen
Napoleon über den Riemen gegangen war, waren nur noch dreitausend Berittene übrig.

Auch im Winter 1871 haben Franzosen und Deutsche durch die Kälte, die mit einer Heftigkeit auftrat, wie man sie in Frankreich seit vielen Jahrzehnten nicht mehr gewöhnt war, schwer gelitten. Die Entsatzarmee, die Paris retten wollte und sich unter General Faidherbe in der Nähe von Amiens gebildet hatte, wurde so vorzüglich geführt, dass sie den Deutschen ernstlich gefährlich wurde, besonders da letztere nur geringe Kräfte der neuen Armee entgegenstellen konnten. Aber wiederholt konnte General Faidherbe Vorteile, die er errungen hatte, nicht ausnützen, weil er es nicht wagte, seine jungen, wenig kriegsgeübten Truppen bei einer Kälte von zwanzig Grad im Freien biwakieren zu lassen. Um die Leute nur einigermaßen gegen die Kälte geschützt unterzubringen, musste er gute Positionen, die mit vieler Mühe erkämpft waren, wieder aufgeben und sich für die Nacht zurückziehen.

Wie bereits erwähnt, war 1904/05 die Kälte in der Mandschurei so groß, dass Russen und Japaner die Kämpfe für Wochen völlig einstellen mussten.

Noch andere Unannehmlichkeiten bringt die winterliche Kälte mit sich. Eine solche ist zum Beispiel das Glatteis, durch das die Kavallerie vollständig lahmgelegt und fast wehrlos gemacht wird. Selbst wenn es gelingt, den Kavalleriepferden die Eisen zu schärfen und sogenannte Schraubstollen
anzuwenden, kommen doch bei Glatteis die Reiter nicht mehr vorwärts; sie müssen absitzen und die Pferde führen, wobei die Tiere dennoch oft genug stürzen und ein Überfall durch feindliche Infanterie verhängnisvoll werden kann.

Dass bei strenger Kälte nicht nur die armen Verwundeten, die hilflos daliegen, sondern auch unverwundete Wachtposten oft erfrieren, haben die schrecklichen Vorfälle im russisch-türkischen Feldzuge im Jahre 1877 erwiesen. Im Dezember und Januar fanden die furchtbaren Kämpfe um den Schipkapass statt, und jede Nacht wurden russische und türkische Posten auf ihren Plätzen erfroren aufgefunden, fast ganz von Schnee bedeckt. Dass Schneestürme verhängnisvoll für ganze Truppenabteilungen werden können, besonders in unwirtlichem Gelände und wenn keine Unterkunft erreicht werden kann, ist begreiflich. Langdauernde Schneefälle ohne Frost erschweren das Fortkommen für alle Truppengattungen, für Menschen und Tiere, und nicht zu strenger Frost, der die Schneedecke festigt und alle Wasserläufe mit einer Eisdecke überzieht, wird von allen Truppengattungen mit Freuden begrüßt.

Vom Frühherbst an bis in den Frühling hinein beeinflusst der Nebel die Kriegführung häufig sehr unangenehm. Lagernde und marschierende Truppen sind im Nebel stark gefährdet, weil sie einerseits beständig fürchten müssen, ahnungslos auf den Feind zu stoßen, und weil anderseits Überfälle außerordentlich leicht sind, da der Gegner ungesehen herankommen kann. Nebel auf See sind für die Flottenunternehmungen sehr hinderlich, da sie die Aussicht unmöglich machen und die Schiffe der eigenen Flotte im Nebel leicht zusammenstoßen können.

Gewitter haben in früherer Zeit die Kriegführung wohl nicht so stark beeinflusst wie gegenwärtig, wo fast alle Nationen den Luftverkehr auch für den Krieg anwenden. Wohl werden sich unsere tapferen Luftschiffer, sei es in Lenkballonen oder in Flugzeugen, auch durch schwere Gewitter nicht abhalten lassen, ihren Dienst zu tun; aber es entsteht doch für alle Luftfahrzeuge durch die Gewitter große Gefahr nicht nur durch Blitzschläge, sondern auch durch die oft mit furchtbarer Wucht einsetzenden Gewitterböen, wobei der Sturm Luftschiffe und Flugzeuge mit Gewalt Hunderte von Metern aufwärts oder abwärts wirft.

Schwere anhaltende Stürme beeinflussen natürlich die Gebrauchsfähigkeit von Flugzeugen und lenkbaren Luftschiffen ungeheuer. Auf den Seekrieg haben die Stürme selbstverständlich den größten Einfluss, und anhaltender Sturm macht es Kriegsschiffen großer und kleiner Art wenn nicht unmöglich, so doch sehr schwer, überhaupt den Hafen zu verlassen und sich auf hoher See zu behaupten. Und doch sind anderseits stürmisches Wetter und die Finsternis der Nacht für kühne Handstreiche in der Marine auch wieder günstig. Überfälle durch Untersee- und Torpedoboote auf ankernde feindliche Flotten werden am leichtesten ausgeführt in pechfinsteren Sturmnächten.

Als eine günstige Fügung des Himmels haben wir es zu betrachten, dass sich die Mobilmachung und der Aufmarsch für den jetzt tobenden Weltkrieg bei so prachtvollem Wetter vollzogen hat. Die Mobilmachung und der Aufmarsch der Armeen sind dadurch außerordentlich gefördert worden. Vor allem aber ist der Gesundheitszustand der Truppen gut geblieben. Hoffen wir, dass auch im weiteren Verlauf des gewaltigsten Kampfes, den die Erde je gesehen, der Wettergott dem deutschen Heer wohlgesinnt bleiben möge.

Napoleon in Angesicht Moskaus im Jahre 1812

Napoleon in Angesicht Moskaus im Jahre 1812

Die Franzosen auf dem Rückmarsch 1813

Die Franzosen auf dem Rückmarsch 1813

Napoleon in Moskau

Napoleon in Moskau

Russische Grenadiere 1812/13

Russische Grenadiere 1812/13

Bei Borodino 7. September 1812

Bei Borodino 7. September 1812

Die Große Armee auf dem Rückzug.

Die Große Armee auf dem Rückzug.