Erste Fortsetzung

Es unterliegt keinem Zweifel, dass der Krieg 1914 eine gründliche Änderung in den Rechtsverhältnissen, die das Zusammenleben der Nationen regulieren, zur Folge haben wird. Der deutsche Sieg — und die Deutschen müssen siegen und sie werden siegen, weil es die große deutsche Sache erfordert und weil es für die Kultur Europas eine Notwendigkeit ist — der deutsche Sieg, sage ich, wird eine Befreiung der Juden und anderer Völker in den Grenzgebieten Russlands herbeiführen. Die Juden, die in kompakten Massen, als ein Volk zusammenwohnen, werden einem modernen freiheitlichen Staat angegliedert, der die Gleichberechtigung der Juden als Menschen schon längst anerkannt hat. Es wird sich also nunmehr nicht darum handeln, den Juden als Menschen gewisse Rechte zu gewähren, nein, es gilt nun, den Juden als einem Volk völkische Rechte einzuräumen. Denn es wird nicht mehr genügen, das gleiche Recht allen zu verleihen, sondern verschiedene Rechte verschiedener Nationen durch ein oberstes Reichsgesetz, das über den Nationen steht, zu bestimmen.

Dem Nationalitätsprinzip wird der große deutsche Krieg vom Jahre 1914 seine wohlverdiente Blüte verschaffen. Es wird damit ein neues Jahrhundert eröffnet. Und erst recht für die Juden.


Die östlichen Juden, die ihre Befreiung von dem großen Krieg 1914 erhoffen, bilden ein Volk — ebenso wie alle anderen Völker, die zerstreut zusammen mit anderen Völkern auf einem Gebiete unter der Herrschaft eines Staates wohnen. Das jüdische Volk zählt in den polnischen und den angrenzenden russischen Gouvernements über 5 Millionen Seelen, die auf einem Territorium von der Größe des Deutschen Reiches wohnen. Das jüdische Volk ist von anderen Völkern grundverschieden, in der Geschichte sowohl wie in seinem gegenwärtigen sozialen und kulturellen Leben. Ökonomisch haben die Juden eine eigenartige Volkswirtschaft, innerhalb deren sie eigene ökonomische Funktionen ausüben; sie vermitteln als Kaufleute und Industrielle in der Stadt und als Händler und Handwerker auf dem Lande die Industrie und den Handel zwischen der Stadt und dem Lande und erfüllen somit eine wichtige ökonomische Aufgabe. Die soziale Differenzierung des jüdischen Volkes weist Vertreter aller wirtschaftlichen Gruppen auf; an der Spitze steht der Handel mit 38,7 %, dann kommt das Gewerbe mit 35,4 %, Tagelöhner und Privatbeamte mit 6,6 %, liberale Berufe mit 5,2 %, Landwirtschaft mit 3,5 % und Verkehrswesen mit 3,9 %. Die jüdische Volkswirtschaft besitzt die durch die eigenartigen nationalen Produktionsbedingungen zu erklärenden Vorzüge und Mängel; die letzteren bekunden sich vor allem in der sozialen Erscheinung der Auswanderung, die, ökonomisch erfasst, eine Reihe von sozial-politischen Maßnahmen erfordert, welche Gegenstand einer jüdischen Sozialpolitik im Osten bilden könnten. So wird auch die jüdische Sozialpolitik des Ostens ganz anders gehandhabt werden müssen, als etwa die der Letten oder Polen. Abgesehen von einer alten Wirtschaftsform und Kultur, besitzen die Juden des Ostens eine eigenartige allgemeine Kultur, die in der reichen jüdischen Literatur, in besonderen Sitten und Gebräuchen und einer gemeinsamen Sprache ihren stärksten Ausdruck findet. Eine gemeinsame Sprache — jiddisch und hebräisch — sprechen 96 % aller östlichen Juden; so bilden sie auch sprachlich eine besondere Nation unter allen anderen Nationen des Ostens Europas. Ihre kulturellen Bedürfnisse sind vor allem auf dem Gebiete des mittleren Schulwesens und der höheren Bildung vollkommen verschieden von denjenigen der anderen Völker.

Es ist deshalb nur berechtigt, dass die Juden auch dieselben Rechte öffentlicher und wirtschaftlicher Natur bekommen, auf welche alle anderen Nationen Anspruch erheben. Das heißt, dass sie gleich allen anderen Nationen, die, ohne einen Staat zu bilden, ohne ein einheitliches Territorium zu besitzen, ohne allein und ausschließlich ein Gebiet zu beherrschen, bei der Gewährung gewisser nationaler Rechte und Befugnisse nicht umgangen werden. Man wird bei der Regelung der Verhältnisse unter den verschiedenen Nationen, die unter die Herrschaft des Deutschen Reiches kommen, für die Vollwertigkeit des jüdischen Volkes — wie ich oben allerdings nur kurz anführte — eine Reihe von unumstößlichen, unwiderlegbaren Gründen angeben können. So wird auch eine besondere rechtliche Organisation des jüdischen Lebens im Osten zu einer ökonomischen und politischen Notwendigkeit — im jüdischen wie auch im deutschen Interesse.

Und zwar aus folgendem Grunde: