Der Kampf der Juden um ihre Emanzipation in Bayern

Autor: Eckstein, Adolf Dr. (1857-1935) Rabbiner und Autor von Büchern zur Geschichte der Juden., Erscheinungsjahr: 1905
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Gleichberechtigung, Bayern, Emanzipation, Israeliten, Verfassung, Geschichte
Vorwort.

In den zahlreichen Rückblicken, welche vor einigen Jahren gelegentlich der Jahrhundertwende die Bilanz gezogen haben aus hundertjähriger Geistesarbeit auf allen Gebieten menschlichen Denkens und Leistens, um von der Stufe des Erreichten aus auf Ideale und Forderungen der Zukunft mit weckender Rede hinzuweisen, ist die Tatsache kaum berücksichtigt worden, dass das 19. Jahrhundert zwei bis drei Millionen von Bekennern israelitischen Glaubens die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Ehrenrechte hat zuteil werden lassen und sie dadurch aus der Erniedrigung früherer Zeiten erhoben hat zu gleichberechtigten Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft. Und doch ist das eine Tatsache, welche deutlicher als zahlreiche Einzelheiten für das 19. Jahrhundert ein bestimmendes Charakteristikum bildet, eine Tatsache von außerordentlicher Bedeutung in der Kulturgeschichte und eine Errungenschaft ersten Ranges, wenn man bedenkt, dass seit der Begründung des konfessionellen Staates in Europa mehr als 1500 Jahre dahinfließen, bis die Rechtsidee so dominierend geworden im Staate, dass derselbe als die eherne Säule der modernen Verfassung den Satz hinstellte: gleiches Recht für Alle ohne Rücksicht auf Glauben und Abstammung! Wer sind nun speziell in Bayern die Bannerträger und Vorkämpfer der keine konfessionelle Einschränkung und Ausschließung zulassenden Rechtsidee gewesen? Wem haben die bayerischen Israeliten ihre Emanzipation zu verdanken?

Man müsste eine Geschichte der Zivilisation schreiben, wenn man diese Frage erschöpfend beantworten wollte. Hier soll aber nur auf einen bisher unbeachtet gebliebenen Punkt hingewiesen werden, um den Zweck der nachfolgenden Schrift, die ich der Öffentlichkeit übergebe, ins rechte Licht zu setzen. Ich bin früher immer der Meinung gewesen, dass die Juden ihre durch Staatsgesetze nach so langem Harren und Dulden proklamierte Gleichberechtigung vor allen Anderen den Wortführern des bürgerlichen Freisinns und( den Verfechtern der liberalen Forderungen des Volkes zu verdanken hätten, während sie selbst hinter der Front als nur passive Zuschauer zurückgeblieben, ohne aus eigener Kraft etwas Bemerkenswertes für die Verbesserung ihrer politischen Lage getan und geleistet zu haben. Das Lesen der Akten der israelitischen Kultusgemeinde von Fürth hat mich darüber belehrt, dass zum mindesten der zweite Teil dieser Meinung ein großer Irrtum war. Selbst haben die Juden, wenigstens in Bayern, ihre Sache in die Hand genommen und haben bald mit flammenden Protesten die Vorurteile und Vorwände ihrer Gegner zurückgewiesen und bald mit ergreifendem und mutigem Appell vom Staate ihr Recht und ihre Anerkennung verlangt; selbst sind sie mit zahlreichen, die Verhältnisse beleuchtenden Schriftsätzen zur geeigneten Zeit und am geeigneten Orte, bei aller Tapferkeit der Rede mit nie verletzendem Takte, gleich entfernt von Furcht und Aufdringlichkeit, als Forderer ihrer unverjährbaren Menschenrechte vor dem Forum der Öffentlichkeit aufgetreten, in der Versammlung der Gesetzgeber, in den Kanzleien des Ministerhotels, vor den Stufen des Königsthrones. Diese fast durchweg bisher unbekannt gewesenen Schriftsätze, welche in der nachfolgenden Publikation wie einander folgende Lichtbilder der Kultur auf dem Hintergründe der Zeitgeschichte erscheinen, sind darum so wertvolle Dokumente, welche sich der Beachtung des Lesers von selbst empfehlen, weil sie uns einen Blick hinter die Kulissen gestatten und ein Bild zeigen ähnlich demjenigen, das in der bekannten Vision des Propheten Ezechiel mehr angedeutet als geschildert wird, das Bild eines unter der Berührung des Zeitgeistes aus todesähnlichem Schlafe allmählich erwachenden Heeres von Männern, die sich mit selbstbewusster Haltung auf die eigenen Füße stellen.

Beim Lesen dieser Dokumente, auf denen der Staub von vielen Jahrzehnten geruht hat, bin ich oft überrascht gewesen, schmerzlich überrascht, wie unerfreulich modern der Eindruck ist, den sie noch heute auf den Leser machen. Die Argumente, mit welchen die Großväter der jetzt lebenden Generation gekämpft und die Vorurteile ihrer Gegner ad absurdum geführt, hätten vielfach ebenso gut gestern und ehe gestern geschrieben sein können. Wann wird die Zeit des Kampfes zu Ende sein? Wann wird die bessere Zeit gekommen sein, wo die Bürger desselben Vaterlandes von keinem anderen Kampfe und Eifer bewegt sein werden, als von dem Wettkampfe und Wetteifer um die Erhaltung und Vermehrung der idealen und materiellen Güter des Friedens? Wann wird die Zeit gekommen sein, wo diese Polemiken, die Schilderung solcher Kämpfe kein anderes als ein rein geschichtliches Interesse haben werden? Wann wird endlich mit der Verwirklichung der Rechtsidee auch den Juden gegenüber ohne Rücksicht auf diejenigen, welche die Welt durch das Guckloch ihrer atavistischen Vorurteile anschauen, ganze Wahrheit und voller Ernst im Staate und in der Gesellschaft gemacht werden? Fast möchte man auf solche Fragen mit den Worten des oben angezogenen Sehers der Vorzeit antworten: „Du allein weißt es, o Herr!“

Noch möchte ich die Bemerkung anfügen, dass es meine Absicht nicht gewesen ist, eine Geschichte der Emanzipation zu verfassen. Wenn das der Fall gewesen wäre, dann hätte ich zu diesem Zwecke noch die Staatsarchive durchforscht und sowohl die bezüglichen Landtagsverhandlungen als auch die Zeitungsliteratur eingehender berücksichtigt, als es geschehen. Nur eine Vorarbeit soll diese Schrift sein für eine zukünftige Geschichte der Emanzipation der Juden in Bayern. Es ist darum in der Hauptsache nur das bisher Unbekannte und Ungedruckte mit größerer Ausführlichkeit berücksichtigt und hervorgehoben worden. Für die Überlassung der Akten, die ich zu dieser Arbeit benutzt, sei der Verwaltung der israelitischen Kultusgemeinde Fürth an dieser Stelle der gebührende Dank um Ausdruck gebracht.

Bamberg, im März 1905.
Adolf Dr. Eckstein