Der Käsperle von Gomaringen

Autor: Ueberlieferung
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Der Käsperle oder Kaspar war einst Vogt zu Gomaringen bei Tübingen. Er soll die Gemeinde und Felder betrogen haben, nun muß er seit seinem Tode geistweis umgehen. Er spukt in einem Hause, das man die Aunaut nennt. Dort erschien er in einer weißen Zipfelkappe, mit weißen Strümpfen und Schnallenschuhen, die Pfeife im Mund, und klopfte und polterte im Haus, daß schließlich niemand mehr darin wohnen wollte. Besonders unruhig wurde er, wenn ein Kind im Hause geboren wurde. Dann nahm er öfters der Mutter das Kind weg und legte es unter ihr Bett, tat ihm aber sonst nichts zu leide. In der Weihnachtszeit trieb er es besonders stark. Da lief er oft in der Viehkrippe hin und her, daß das Vieh vor Angst brüllte; darüber lachte er dann immer aus vollem Hals. Zuweilen band er das Vieh verkehrt an oder band zwei Stück an einen einzigen Strick; auch fiel es ihm dann und wann ein, den Knechten, wenn sie Futter schneiden wollten, Heu und Stroh aus dem Schneidestuhl herauszuziehen. Wenn er es aber zu toll trieb, rief ihm der Hausherr etwa zu: »Jetzt aber bist du still!« Dann war wohl eine Weile Ruhe; aber bald trieb es der Käsperle so arg wie zuvor. Auch liebte er es, gelegentlich den Leuten seine große Schnupftabaksdose hinzuhalten, sie aber dann schnell zurückzuziehen, ehe man eine Prise nehmen konnte.

Endlich ließ man die Aunaut abbrechen. Lose Leute spotteten über den Käsperle, daß er jetzt allein und unbedacht zurückbleiben müsse. Allein, als der letzte Wagen mit Holz abfuhr, setzte sich der Käsperle oben drauf. Dadurch wurde der Wagen so schwer, daß er sich unter der Last bog und brechen wollte. Auch wagte niemand, den Wagen abzuladen, ehe der Käsperle abgestiegen war. So wie aber das Holz in das neue Haus hineingebracht war, stellte sich auch der Käsperle wieder ein und trieb darin sein Wesen gerade so wie einst in der Aunaut. Endlich hat man sein Grab geöffnet und ihn darin unverwest in seinem Blut liegend gefunden. Darauf hat man ihn zum zweiten Male begraben; seitdem hat er Ruhe.