Verfassung.

Eine der von der Society einzusetzenden großen Kommissionen wird der Rat der Staatsjuristen sein. Diese müssen eine möglichst gute moderne Verfassung zustande bringen. Ich glaube, eine gute Verfassung soll von mäßiger Elastizität sein. In einem anderen Werke habe ich auseinandergesetzt, welche Staatsformen mir als die besten erscheinen. Ich halte die demokratische Monarchie und die aristokratische Republik für die feinsten Formen des Staates. Staatsform und Regierungsprinzip müssen in einem ausgleichenden Gegensatz zueinander stehen. Ich bin ein überzeugter Freund monarchistischer Einrichtungen, weil sie eine beständige Politik ermöglichen und das mit der Staatserhaltung verknüpfte Interesse einer geschichtlich berühmten, zum Herrschen geborenen und erzogenen Familie vorstellen. Unsere Geschichte ist jedoch so lange unterbrochen gewesen, daß wir an die Einrichtung nicht mehr anknüpfen können. Der bloße Versuch unterläge dem Fluche der Lächerlichkeit.

Die Demokratie ohne das nützliche Gegengewicht eines Monarchen ist maßlos in der Anerkennung und in der Verurteilung, führt zu Parlamentsgeschwätz und zur häßlichen Kategorie der Berufspolitiker. Auch sind die jetzigen Völker nicht geeignet für die unbeschränkte Demokratie, und ich glaube, sie werden zukünftig immer weniger dazu geeignet sein. Die reine Demokratie setzt nämlich sehr einfache Sitten voraus, und unsere Sitten werden mit dem Verkehr und mit der Kultur immer komplizierter. „Le ressort d’une démocratie est la vertu“, sagt der weise Montesquieu. Und wo findet man diese Tugend, die politische meine ich? Ich glaube nicht an unsere politische Tugend, weil wir nicht anders sind als die anderen modernen Menschen und weil uns in der Freiheit zunächst der Kamm schwellen würde. Das Referendum halte ich für unvollständig, denn in der Politik gibt es keine einfachen Fragen, die man bloß mit Ja und Nein beantworten kann. Auch sind die Massen noch ärger als die Parlamente jedem Irrglauben unterworfen, jedem kräftigen Schreier zugeneigt. Vor versammeltem Volke kann man weder äußere noch innere Politik machen.


Politik muß von oben herab gemacht werden. Im Judenstaate soll darum doch niemand geknechtet werden, denn jeder Jude kann aufsteigen, jeder wird aufsteigen wollen. So muß ein gewaltiger Zug nach oben in unser Volk kommen. Jeder einzelne wird nur glauben, sich selbst zu heben, und dabei wird die Gesamtheit gehoben. Das Aufsteigen ist in sittliche, dem Staate nützliche, der Volksidee dienende Formen zu binden.

Darum denke ich mir eine aristokratische Republik. Das entspricht auch dem ehrgeizigen Sinne unseres Volkes, der jetzt zu alberner Eitelkeit entartet ist. Manche Einrichtung Venedigs schwebt mir vor; aber alles, woran Venedig zugrunde ging, ist zu vermeiden. Wir werden aus den geschichtlichen Fehlern anderer lernen, wie aus unseren eigenen. Denn wir sind ein modernes Volk und wollen das modernste werden. Unser Volk, dem die Society das neue Land bringt, wird auch die Verfassung, die ihm die Society gibt, dankbar annehmen. Wo sich aber Widerstände zeigen, wird die Society sie brechen. Sie kann sich im Werke durch beschränkte oder böswillige Individuen nicht stören lassen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Judenstaat