Schlußwort.

Wie vieles ist noch unerörtert geblieben, wie viele Mängel, schädliche Flüchtigkeiten und nutzlose Wiederholungen weist noch immer diese Schrift auf, die ich mir lange wohl bedacht und oft überarbeitet habe.

Der redliche Leser, der auch verständig genug ist, im Innern der Worte zu lesen, wird sich von den Mängeln nicht abstoßen lassen. Er wird sich eher angeeifert fühlen, mit seinem Scharfsinn und seiner Kraft teilzunehmen an einem Werk, das keinem einzelnen gehört, und es zu verbessern.
Habe ich nicht selbstverständliche Dinge erklärt und wichtige Bedenken übersehen?


Einige Einwände habe ich zu widerlegen versucht; ich weiß, es gibt noch andere, viele, es gibt hohe und niedere.
Zu den hohen Einwendungen gehört es, daß in der Welt die Notlage der Juden nicht die einzige ist. — Ich meine aber, daß wir immerhin anfangen sollen, ein wenig Elend hinwegzuräumen; wäre es auch vorläufig nur unser eigenes.
Ferner kann gesagt werden, daß wir nicht neue Unterschiede zwischen die Menschen bringen sollten; keine neuen Grenzen errichten, lieber die alten verschwinden machen. — Ich meine, das sind liebenswerte Schwärmer, die so denken; aber der Staub ihrer Knochen wird schon spurlos zerblasen sein, wenn die Vaterlandsidee noch immer blühen wird. Die allgemeine Verbrüderung ist nicht einmal ein schöner Traum. Der Feind ist nötig für die höchsten Anstrengungen der Persönlichkeit.

Aber wie? Die Juden würden wohl in ihrem eigenen Staat keinen Feind mehr haben, und da sie im Wohlergehen schwach werden und schwinden, so würde das Judenvolk dann erst recht zugrunde gehen? — Ich meine, die Juden werden immer genug Feinde haben, wie jede andere Nation. Wenn sie aber auf ihrem eigenen Boden sitzen, können sie nie mehr in alle Welt zerstreut werden. Wiederholt kann die Diaspora nicht werden, solange die ganze Kultur der Welt nicht zusammenbricht. Und davor kann sich nur ein Einfältiger fürchten. Die jetzige Kultur hat Machtmittel genug, um sich zu verteidigen.

Die niederen Einwendungen sind zahllos, wie es ja auch mehr niedere Menschen gibt als hohe. Einige beschränkte Vorstellungen versuchte ich niederzuringen. Wer sich hinter die weiße Fahne mit den sieben Sternen stellen will, muß mithelfen in diesem Aufklärungs-Feldzug. Vielleicht wird der Kampf zuerst gegen manche bösen, engherzigen, beschränkten Juden geführt werden müssen.

Wird man nicht sagen, daß ich den Antisemiten Waffen liefere? Warum? Weil ich das Wahre zugebe? Weil ich nicht behaupte, daß wir lauter vortreffliche Menschen unter uns haben?

Wird man nicht sagen, daß ich einen Weg zeige, auf dem man uns schaden könnte? Das bestreite ich auf das entschiedenste. Was ich vorschlage, kann nur ausgeführt werden mit freier Zustimmung der Judenmehrheit. Es kann gegen einzelne, selbst gegen die Gruppen der jetzt mächtigsten Juden gemacht werden — aber nie und nimmermehr vom Staat aus gegen alle Juden. Man kann die gesetzliche Gleichberechtigung der Juden, wo sie einmal besteht, nicht mehr aufheben; denn schon die einleitenden Versuche würden sofort alle Juden, arm und reich, den Umsturzparteien zujagen. Schon der Beginn offizieller Ungerechtigkeiten gegen die Juden hat überall wirtschaftliche Krisen im Gefolge. Man kann also eigentlich wenig Wirksames gegen uns tun, wenn man sich nicht selbst weh tun will. Dabei wächst und wächst der Haß. Die Reichen spüren davon nicht viel. Aber unsere Armen! Man frage unsere Armen, die seit der Erneuerung des Antisemitismus furchtbarer proletarisiert wurden als je vorher.

Werden einige Wohlhabende meinen, der Druck sei noch nicht groß genug für die Auswanderung und selbst bei gewaltsamen Judenaustreibungen zeige sich, wie ungern unsere Leute gingen? Ja, weil sie nicht wissen, wohin! Weil sie nur aus einem Elend ins andere kommen. Aber wir zeigen ihnen den Weg in das Gelobte Land. Und mit der schrecklichen Macht der Gewohnheit muß die herrliche Macht der Begeisterung ringen.

Die Verfolgungen sind nicht mehr so bösartig wie im Mittelalter? Ja, aber unsere Empfindlichkeit ist gewachsen, so daß wir keine Verminderung der Leiden spüren. Die lange Verfolgung hat unsere Nerven überreizt.

Und wird man noch sagen: die Unternehmung sei hoffnungslos, selbst wenn wir das Land und die Souveränität bekommen — weil nur die Armen mitgehen werden? Gerade die brauchen wir zuerst! Nur die Desperados taugen zum Erobern.

Wird jemand sagen: Ja, wenn das möglich wäre, hätte man es schon gemacht?

Früher war es nicht möglich. Jetzt ist es möglich. Noch vor hundert, vor fünfzig Jahren wäre es eine Schwärmerei gewesen. Heute ist das alles wirklich. Die Reichen, die einen genußvollen Überblick über sämtliche technischen Errungenschaften haben, wissen sehr gut, was mit Geld alles gemacht werden kann. Und so wird es zugehen: Gerade die Armen und Einfachen, die gar nicht ahnen, welche Gewalt über die Naturkräfte der Mensch schon besitzt, werden die neue Botschaft am stärksten glauben. Denn sie haben die Hoffnung auf das Gelobte Land nicht verloren.

Da ist es, Juden! Kein Märchen, kein Betrug! Jeder kann sich davon überzeugen, denn jeder trägt ein Stück vom Gelobten Land hinüber; der in seinem Kopf, und der in seinen Armen, und jener in seinem erworbenen Gut
Nun könnte es scheinen, als wäre das eine langwierige Sache. Auch im günstigsten Falle würde der Beginn der Staatsgründung noch viele Jahre auf sich warten lassen.
Inzwischen werden die Juden auf tausend Punkten gehänselt, gekränkt, gescholten, geprügelt, geplündert und erschlagen. Nein, wenn wir auch nur beginnen, den Plan auszuführen, kommt der Antisemitismus überall und sofort zum Stillstand. Denn er ist der Friedensschluß. Wenn die Jewish Company gebildet ist, wird diese Nachricht in einem Tage nach den fernsten Punkten der Erde durch den Blitz unserer Drähte hinausgetragen worden sein.

Und augenblicklich beginnt auch die Erleichterung. Aus den Mittelständen fließen unsere überproduzierten mittleren Intelligenzen, fließen ab in unsere ersten Organisationen, bilden unsere ersten Techniker, Offiziere, Professoren, Beamten, Juristen, Ärzte. Und so geht die Sache weiter, eilig und doch ohne Erschütterung.

Man wird in den Tempeln beten für das Gelingen des Werkes. Aber in den Kirchen auch! Es ist die Lösung eines alten Druckes, unter dem alle litten.

Aber zunächst muß es licht werden in den Köpfen. Der Gedanke muß hinausfliegen bis in die letzten jammervollen Nester, wo unsere Leute wohnen. Sie werden aufwachen aus ihrem dumpfen Brüten. Denn in unser aller Leben kommt ein neuer Inhalt. Jeder braucht nur an sich selbst zu denken, und der Zug wird schon ein gewaltiger.

Und welcher Ruhm erwartet die selbstlosen Kämpfer für die Sache!

Darum glaube ich, daß ein Geschlecht wunderbarer Juden aus der Erde wachsen wird. Die Makkabäer werden wieder aufstehen.

Noch einmal sei das Wort des Anfangs wiederholt: Die Juden, die wollen, werden ihren Staat haben.

Wir sollen endlich als freie Männer auf unserer eigenen Scholle leben und in unserer eigenen Heimat ruhig sterben.
Die Welt wird durch unsere Freiheit befreit, durch unseren Reichtum bereichert und vergrößert durch unsere Größe.

Und was wir dort nur für unser eigenes Gedeihen versuchen, wirkt machtvoll und beglückend hinaus zum Wohle aller Menschen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Judenstaat