Erste Fortsetzung

Seit einer Reihe von Jahren bestrebten wir uns die Ursache von der feindlichen Gesinnung der christlichen Bevölkerung gegen die Juden zu erforschen; woher es kommen mag, dass in allen Kreisen der christlichen Gesellschaft Hass, Verachtung und Vorurteil gegen die Juden herrschen. Bauern, Handwerker und Industrielle, Kaufleute und Künstler, Advokaten und Staatsbeamte, kurz alle Klassen der christlichen Gesellschaft, so verschieden ihre soziale Stellung, ihre intellektuelle Bildung und Geistesrichtung auch sein mögen – in einem Punkte stimmen sie alle überein: in Judenhass und Judenverachtung! Sa selbst die rotesten Demokraten, trotz ihrem ewigen Toben von Freiheit, Gleichheit und Menschenrechten, verstummen, wenn es sich um die Menschenrechte der Juden handelt, wenn sie nicht gar den entgegengesetzten Ton anstimmen, man denke nur Rumänien. Aber selbst jene hochherzigen Christen, welche stets für unser gutes Recht mutig in die Schranken getreten, mit Wort und Schrift dafür gekämpft und gesiegt, mussten all ihre Philosophie und all ihr Rechtsgefühl zusammennehmen, um die eingesogenen Vorurteile gegen Israels Söhne niederzukämpfen. Seit 1500 Jahren tritt uns diese Erscheinung des Judenhasses bald mehr bald minder grell entgegen, und da sie so allgemein ist, fällt es Niemanden ein nach ihrem Grunde zu forschen, als läge es in der Natur der Sache, dass der Christ den Juden hassen müsse und der Judenhass ein Attribut des Christentums wäre; was aber in Wirklichkeit nicht der Fall ist; der Judenhass ist vielmehr ein Auswuchs, eine Krankheit am Körper des Christentums. Da aber jede Krankheit, ob eine physische oder moralische, nur durch Entfernung der Ursache behoben werden kann, wollen wir auch die Ursache dieser traurigen Erscheinung ergründen, um das nötige Heilmittel mit Erfolg anwenden zu können.

Obwohl mit allen Fasern unseres Herzen dem Judentume anhängend sind wir dennoch nicht blind gegen die Gebrechen und Fehler unseres Volkes und werden uns bestreben in dieser Untersuchung einen ganz unparteiischen Standpunkt zu wahren.


Ist etwa die Ursache des Judenhaffes, weil die Juden, ein kulturfeindliches Volk, mit dem Zeitgeiste nicht fortschreitend, nicht Sinn für Kunst und Wissenschaft, für Erziehung und Bildung manifestieren?
Gewiss wäre nichts grundloser als eine derartige Beschuldigung! Die Juden, das in Europa lebende, älteste Kulturvolk, die Träger der reinen Gottesidee, für die sie gekämpft und geblutet, wie kein zweites Volk der Weltgeschichte sie waren in allen Zeiten auch für Kunst und Wissenschaften empfänglich; ja selbst in der finstern Zeit des Mittelalters, waren sie es, die die Fackel der Erleuchtung hochhaltend, Kunst und Wissenschaft gehegt und gepflegt trotz unsäglichem Drucke und blutigen Verfolgungen. Dass die Juden ihrer hohen Mission stets eingedenk und unter günstigeren Verhältnissen eifrige Pfleger von Wissenschaft und Kunst sind, auf welchen Gebieten sie würdige Repräsentanten aufzuweisen haben, braucht nicht erst gesagt zu werden; wer kennt sie nicht, die jüdischen Namen, welche am Himmel der Wissenschaft als Sterne erster und zweiter Größe glänzen! Bevor noch unser bekannter Staatsmann die Wissenschaft als Macht proklamierte, waren die Juden von dieser Wahrheit durchdrungen, ja Judentum, Fortschritt und Liberalismus sind so innig mit einander verschmolzen, dass die Ultramontanen diese Begriffe idendifizieren, jede liberale Institution nennen sie jüdisch, die Organe der liberalen Ideen schimpfen sie „Judenblätter" und das mit einigem Rechte, da das Judentum seit seinem Auftreten Freiheit, Menschenwürde und Humanität predigt; die Gleichheit vor dem Gesetz, welcher erst in unserer Zeit nach ungeheuren Kämpfen und Revolutionen im Prinzip anerkannt wurde – denn in Wirklichkeit sind wir noch weit entfernt davon; dieses Prinzip in allen Richtungen ausgeführt zu sehen, diese Gleichheit hat schon der Mosaismus vor 4000 Jahren zum Gesetz erhoben. Im 4. Buch Moses Kap. 15, V. 15-16 lesen wir: „Versammlung! Eine Satzung ist für euch und für den Fremdling, der sich aufhält, eine ewige Satzung bei euren Geschlechtern. Wie ihr, so ist der Fremdling vor dem Ewigen.“ Würde man eine Parallele zum Bildungsgrade der christlichen und jüdischen Bevölkerung ziehen, sie würde nur zu Gunsten der letzteren ausfallen; die Rohheit und Unwissenheit der ersteren wird man beim jüdischen Proletariate vergeblich suchen; 90% der jüdischen Bevölkerung ist des Schreibens und Lesens kundig, kennt wenigstens die Urgeschichte ihres Volkes und steht auf einer höheren Stufe der Bildung und Gesittung als die ihr in der Lebensstellung analoge Genossin christlicher Religion. Für diese Behauptung wollen wir auch den Beweis der Wahrheit antreten. Man vergleiche beispielweise wie die beiden Klassen ihre wöchentlichen Feiertage zubringen. Wir wiederholen, dass wir bei dieser Vergleichung nur die untersten Schichten der christlichen und jüdischen Bevölkerung ins Auge fassen, beide suchen an ihnen Ruhe und Erholung von der Woche Müh' und Arbeit; auch durch schönere Kleidung und bessere Kost zeichnen sie ihren Ruhetag aus und suchen sich durch Gebet und Predigt zu erbauen; der Christ begibt sich in die Kirche, der Jude in die Synagoge, nach geendigtem Gottesdienste kehrt dieser zu seiner Familie zurück, jener aber begibt sich ins Wirtshaus, die bessern warten bis Nachmittags, das Ersparnis der ganzen Woche wird vergeudet, zur Abwechslung kommt es zwischen den Gästen zum Wortwechsel und Streite, der sehr oft mit blutigen Köpfen und Messerstichen endigt. Besucht der Jude das Wirtshaus, bleibt er mäßig im Genuss, sucht sich durch witzige Gespräche zu unterhalten oder spricht vom Geschäfte und Handel! Ihr lächelt, jawohl, wir schildern wirkliches Leben, entwerfen keine Fantasien; Schlägereien und Messerstiche werdet ihr aber in jüdischen Kreisen nie, oder höchst selten antreffen; nun fragen wir: Auf welcher Seite ist mehr Bildung, mehr Kultur, welche Genossenschaft hat mehr Anspruch auf die Achtung der Gebildeten?!
Vielleicht findet die Antipathie der christlichen Bevölkerung gegen die jüdische darin ihren Grund, weil die Juden Raubmörder, Mordbrenner und Giftmischer sind, kurz diejenigen Verbrechen üben, welche der menschlichen Gesellschaft den größten Schaden zufügen, den größten Schrecken einflößen? Nun diese Beschuldigungen werden wohl unsere bittersten Feinde uns zu zuschreiben nicht den Mut haben. Fraget die Kriminal-Statistik aller Länder und Zeiten und Ihr werdet erfahren, wie höchst selten solche Verbrechen von Juden verübt worden. So oft ein derartiges Verbrechen verübt wird, sind die klerikalen Organe bemüht der liberalen sogenannten „Zügellosen Presse" die Verantwortlichkeit in die Schuhe zu schieben, wie grundlos aber diese Beschuldigung ist, zeigt, dass die Juden ebenfalls Leser, und nach Ansicht der Klerikalen sogar die Verfasser jener „Zügellosen Presse“ sind und dennoch kommen bei ihnen diese Verbrechen nicht vor. Freilich werden die „Kirchenzeitler“ im Chorus anstimmen: „Aber Betrüger, Diebe und Wucherer sind die Juden!“ Nur, gemach, zugestanden, diese Verbrechen kommen öfter bei den Juden vor, dies findet aber darin seinen Grund, weil sie, dank der mittelalterlichen christlichen Liebe, von Wissenschaft, Kunst und Handwerk ausgeschlossen, nur auf den Handel beschränkt waren, daher bei ihnen mehr Gelegenheit zum Betruge und Wucher vorhanden war und viele sich auf Diebstahl und Diebeshehlereien verlegten; wir wollen auch die Juden nicht für lauter Heilige ausgeben und wissen nur zu gut, dass es unter ihnen viele, sehr viele, Betrüger, Diebe, Wucherer und Schwindler gab und noch gibt, mehr als uns lieb ist, aber haben denn die Juden das Monopol auf diese Verbrechen werden dieselben nicht auch von Christen ebenfalls verübt? Brauchen sich etwa die christlichen Herren Diebe, Wucherer, Betrüger und Kautionsschwindler, was Schlauheit, Kunstfertigkeit und Verwegenheit betrifft von ihren jüdischen Rivalen zu schämen? Aber wie kann ein Volk für Handlungen, von Einzelnen seiner Glieder verübt, verantwortlich gemacht werden?
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Judenhass