Unter dem Kriege

Aus einem Aufsatz, Ende 1916

Ein größeres Werk von mir ,,Der Judenhass und die Juden“ war fertig abgesetzt in der Druckerei, als hereinbrach, — was vielleicht auch den Lebenspunkt der darin ausgesprochenen Gedanken erst recht dem Verständnis und Gemüt nahe bringt. Das Buch musste liegen bleiben. Europas Männerblüte der Zerstörung preisgegeben; ein Morden auf, über, unter der Erde und auf, über, unter dem Wasser; Krieg gegen die Staaten, gegen die Völker, gegen die Volkswirtschaften; Krieg gegen Kämpfer und gegen Nichtkämpfer; und wie schmeckt die Luft nach Leid! Auf eine ungeheure Art dichtet die Zeit Schicksal und Geschichte: was soll ein neues Buch?! Die da draußen, Sommer und Winter, Tag und Nacht auf den Feldern, in welchen Kämpfen, Nöten, Folterqualen! und wir Heimgebliebenen — im Rosengarten sitzen wir nicht, und, was wir erfahren, fällt auf keinen Stein. Die Welt ist verwünscht, verwandelt und zerrüttet auch in unsrem tiefen Selbst; kein Trieb will frei sich rühren und regen, nichts brennt in den Herzen als Vaterland und Krieg, — dieser Krieg, für den ein andrer Name als Krieg, ein gänzlich neues, fürchterliches Wort nötig wäre, seine zyklopische Art und Grässlichkeit zu bezeichnen; aller Krieg war Friede gegen diesen. Wir können ihn nicht ansehen, weder wie der Teufel, noch wie der Gott: nur wie Menschen, die ihn miterleben. Ob er auch in den Sternen stand, ob auch Staaten und Völker, die wohlgeopferte Generationen fordern können, dieses Krieges bedurften — nein, dieser Krieg ist noch andres als nur ein politischer Krieg, und was für Großes wir dabei übrigens erleben: wir erleben auch das Scheußlichste der ganzen Menschengeschichte; wie scheintot im Sarge liegt in uns der Geist, vernimmt alles und kann sich nicht bewegen und nicht die Zunge gebrauchen. Wieder und wieder, jeden Augenblick müssen wir uns verwahrheiten, müssen wir uns vordramatisieren das grauenvolle Geschehen in dem Blutsumpfe. Wann kommt das Ende und wie? Durch die Waffen? oder, wenn der Wahnwitz nicht weiter kann, wird man sagen: durch die Vernunft! Aber einmal kommt das Ende und der Frieden.


So zwar schwerlich, wie die vielen untauglichen Reden derer, die zum Professor taugen, wie alle die kleinen Fichtes verkündigt hatten, die in Herz und Hirn genau so klein und weise waren wie ihre Zuhörer und also gänzlich unnötig; man fühlte die Nähe von großem Unsinn, wie etwa auch bei den Reimen aus dem Füllhorn des Überflüssigen (um drei Millionen gedruckter Kriegsgedichte ist zwischen den Schlachten der Unsinn des Reiches vermehrt worden — zum Glück ist unser Schwert besser als unsere Leier!), und man rechnet beide, die Körners wie die Fichtes, mit unter die Kriegsgräuel. — So kommt es schwerlich, wie die Führer verkündigen, die da sprechen: ,,Wir sind eure Führer, also folgen wir euch!“ Am allerwenigsten so, wie sie damals zu Beginn des Krieges gemeint hatten, als sie, Branntweintrinkern gleich, täglich Siege tranken und sich daran zu Prophetenkaspars und untrüglichen Ferngläsern in die Zukunft. Es kommt besser. Noch wollen nicht die gewaltigen Dinge alle und ganz sich uns erschließen, noch stehen wir mitten in dem riesenentsetzlichsten Naturereignis, welches jemals auskam in der Menschheit, und kann unmöglich, entsprechend der Fülle des Zerstörten, auch die Größe des geschehenden Aufbaus mit Augen gemessen werden. Aber eines ist für uns Deutsche gewiss: unser Reich geht nicht unter, sondern zur Herrlichkeit voran; das Glück ist von uns nicht weggegangen. Vom Anfang an des neuen Deutschland blieb es uns zur Seite, von des großen Friedrich großem Anfang her. Sein Krieg, die Befreiungskriege, der Krieg von Siebzig und dieser Große Krieg, dieser Deutsche Krieg, sind gradan Staffeln des Aufstiegs. Deutschland ist stark geworden und stark geblieben, stark und schön. Auch seiner Schönheit halben hat's keine Not. Lässt der Wundervogel sich wieder herunter in die Ruhe, so wird auf dem zusammengelegten Gefieder auch all seine Pracht der Farben wieder hervorkommen. Zuversicht und Glück über unser deutsches Vaterland erhebt uns das Herz auch in diesem Kampf und allerrasendsten Wirbelsturm, bei aller Schwere der Gedanken um die Menschheit, bei allem für das ganze Leben uns allen gebliebenen Leid und Weh ...

Was ist das für ein ungeheurer, wahrlich nicht allein politischer Krieg? Was ist das für ein Krieg gegen — — —? Gegen den Hass!

Gegen ein vielköpfiges Ungetüm des Hasses haben wir uns zu wehren; deswegen ist es, dass wir von diesem Kriege sagen müssen: er ist nicht allein ein politischer Krieg. Von aller Welt. Deutschland gehasst; wie sehr, das kam nun an den Tag. Die Grenzen Deutschlands und die Umgebung jedes Deutschen im Auslande sind der Hass. ,,Hass nicht zu einem nur, zu zehn Kriegen gegen Deutschland haben wir,“ sagten die Russen und fühlten gleicherart alle die übrigen; der Verpflichtung, mitzumachen an unsrer Demütigung, Bestrafung, Vernichtung, bis kein deutsches Etwas mehr in der Welt zu finden sein würde, der sittlichen Verpflichtung dazu waren sich im Grunde, ganz wie die Feinde, so auch gute Freunde und Verbündete, hoffnungsinnig bewusst. Sie sagen, Deutschland, Deutschland will über alles, aber in Wirklichkeit will alles, alles über Deutschland; und wenn uns das Schicksal zerschmetterte, vor Freuden würden alle auf den Köpfen laufen. Sie sagen, es gelte nicht Krieg gegen uns, sondern einen gemeinsamen Kulturkampf: ,,Der Europäerkrieg ist das größte Geisterduell; zwei Auffassungen von Leben und Sittlichkeit stehen gegeneinander.“ Darum ist nicht nur dieser Krieg gegen uns, sondern die Überzeugung der Welt, dass wir bös und gefährlich seien, — eine Überzeugung, die auch nach dem misslungenen Versuch dieses Krieges, uns unter den Fuß zu bekommen, keineswegs so bald sich ändern wird. ,,Wenn zwanzig Jahre nach dem Friedensschluss ein Sohn dieser Deutschen uns, den Engländern, Italienern, Russen die Hand hinstreckte, schreibt der Franzose Bergerat, müsste unsere Haltung ihm sagen: Weg! Weiche auf ewig von uns! Was eure Väter taten, ist unaustilgbar... Weder Versöhnung auf dem Streitplatz, wie nach redlichem Zweikampf, noch Milderung des Hasses im Laufe der Zeit. Um die Menschheit wäre mir bang, wenn der Friede, der diesem Vernichtungskriege folgt, nicht auch Vernichtung brächte*).“ Sie hassen und sehen steif nur Hässliches; nichts so Tollböses von Deutschen, dass es nicht geglaubt wurde. Satanische Scheußlichkeiten verüben sie, ,,denen die Bosheit tierähnlicher Wesen eignet“, vergiften Brunnen, schlachten Kinder, üben Verrat, Treubruch, Hintertücke jeder Art bis zu den fürchterlichsten Graden — ein italienischer Professor, Aristide Sartorio, hat geschrieben, da sei nichts verwundersam für einen wie er, der jahrelang in Deutschland gelebt habe und das deutsche Gesetz kenne: dieses Gesetz erlaube den Deutschen z. B. Diebstahl im Auslande auch in Friedenszeiten **) . Eine andre Erklärung gab ein anderer Professor, der Russe Menschikow, indem er wissenschaftlich dartat, dass die Deutschen zu den minderwertigsten Rassen gehören und ihr Schädeltyp dem des Neandertalmenschen nahekomme. Und überall heißt es, die Deutschen wollen die Weltherrschaft an sich reißen (,,ihre finsteren Pläne einer Weltherrschaft,“ sagt Balfour, „die gefährlichsten Verschwörer gegen die Menschheit,“ sagt Lloyd George) und seien schamlos schlecht durch und durch; was beides, das Weltherrschaftsstreben wie das Schlechtsein durch und durch, aus der deutschen Literatur und aus der deutschen Seele bewiesen wird — die Deutschen sind die ,, gierigsten, von Gewissensbedenken freiesten Räuber, die je ein Auge sah“; und bei Betrachtung der Gefangenen findet man sich immer von neuem unsäglich abgestoßen von der ,,Hässlichkeit und Widerwärtigkeit der Rasse“. ,,Wir kämpfen gegen den Feind, der uns ekelt“, ,,die Welt trägt Abscheu, sich von einem Volke beherrschen zu lassen, das sie durch seinen Hochmut und seine blöde Verachtung beleidigt“, ,,wir kämpfen, um die Welt von der Schmach und Feigheit der deutschen Barbaren zu befreien“, ,,gegen den Urfeind des Menschengeschlechts“, ,,für die Rettung der Zivilisation, des Rechtes und der Freiheit des Geistes gegen die Macht der Finsternis und des Todes“. Ist das Deutschland, und ist das Deutschtum, oder sind die da, mit Luther zu reden, wahre Säue, welche der Rosen und Veilchen im Garten nicht achten, sondern ihren Rüssel nur in Mist stecken ?! — ,,Die Deutschen ermangeln der Originalität und sind — auch wissenschaftlich — nur Nachahmer und Ausbeuter der Gedanken und Erfindungen anderer“; von den deutschen Geistern spricht man nach Kräften verkleinerlich, lästerlich und kindisch, sie müssen herhalten zur Illustration für ,,die deutsche Moral“ und die deutsche Gemütlosigkeit***) — die in der Welt zerstreut lebenden Deutschen mit ihrer Moral wären Schuld an jeglichem Unglück und wären das Universalunglück der Welt (,, überall muss der Deutsche alles ausbaden“, schrieb einmal früher Karl Spitteler; in der Hetzpresse draußen war schon seit lange „der Bösewicht und die lächerliche Figur allemal ein Deutscher“) . Die Versuche, zu erklären und uns zu rechtfertigen, gaben nur neues Wasser auf die Verleumdungsmühle, wurden mit Hohn beantwortet und machten, dass man nur um so unflätiger uns beschimpfte — und wie und was beschimpfte: in Amerika wurden Nachahmungen unseres Eisernen Kreuzes verfertigt und Hunden um den Hals gehängt! — auf alles von uns Vorgebrachte lautet die Antwort: ,,Tut nichts, der Deutsche wird verbrannt!“ — kurz und treffend hat man das Wort Odium generis humani übersetzt mit: die Deutschen. Wir sind eingekreist vom Hass, die ganze Welt Hasst uns und setzt sich auf den Richtstuhl; alle sind moralischer als wir — und wir setzen uns auf den Richtstuhl und sind moralischer als alle.

*) An ähnlichem Sprechen fehlt es auch unter uns keineswegs. In der „Deutschen Revue“ , November 1916, liest man von Freiherrn v. Woinovich: ,,Keine Versöhnung, sondern für alle Zeiten: Aug um Auge, Zahn um Zahn! Die Zentralmächte dürfen die Verbrechen, deren sich die Gegner ihnen gegenüber schuldig machten, niemals vergessen, denn sie würden hierdurch die wichtigste Erfahrung in den Wind schlagen, die sie durch diesen Krieg gewonnen haben: dass sie es mit ethisch minderwertigen Völkern zu tun haben, denen gegenüber nur die Gewalt am Platze sei!“ — Und der Senat der Universität Jena hat auf Vorschlag der philosophischen Fakultät die folgende Preisaufgabe gestellt: „Der Vorwurf der Heuchelei und des ,cant' sowie der Typus des Heuchlers sind in der englischen Literatur besonders seit der Elisabethanischen Zeit nachzuweisen und in ihren geschichtlichen und psychologischen Grundlagen zu untersuchen.“ Der Senat der Universität Jena hat diese Preisaufgabe gestellt! und auf Vorschlag der philosophischen Fakultät!!

**) Das und derlei wurde bei Ausbruch des Krieges gesagt, noch bevor man daran ging, Italien von den „dreckigen Deutschen“ zu säubern, es ,, deutschenrein“ zu machen und der ,,Popolo Italiano“ geraten hatte, ,,alle noch in Italien befindlichen Deutschen an den nächsten Laternen aufzuknüpfen“; also als unser italienischer Freund und Verbündeter noch neutral war und noch nicht in den Blutrausch gegen uns gefallen, worin er anstatt des casus foederis den casus belli entdeckte — der wahrhafte Politiker Spinoza schreibt: kein Staat dürfe sich über Betrug und Treulosigkeit eines verbündeten Staates beklagen, müsste vielmehr die eigne Torheit verurteilen, wenn er nämlich sein Heil einem andern anvertraut hätte, der sein eignes Recht besitzt und dem die eigne Wohlfahrt höchstes Gesetz ist. (Pol. Traktat III, 14.) — Auch Amerikas muss besonders gedacht werden, des ebenfalls neutralen Amerikas. Von den Deutschamerikanern, die Roosevelt vaterlandslose Amphibien nennt, schreibt Hugo Münsterberg in seinem Buche ,,The peace and America“: ,,Ihre täglichen Genossen haben sich in ihre Verfolger verwandelt. Der Boden, auf dem sie ihr Heim errichtet und für den sie ihr Vaterland aufgegeben hatten, ist für sie fremdes Land geworden, da sie fühlen, dass sie ihren Nachbarn nicht länger willkommen sind. Sie müssen kämpfen gegen grausame Angriffe auf das geliebte Land ihrer Väter und Brüder, aber Tapferkeit gegenüber dem Feind ist leichter als Tapferkeit gegenüber den Neutralen. In der Schlachtlinie, wo jeder Volksgenosse auf derselben Seite ist, trägt die Eine große Begeisterung Jedermann mit sich fort und der suggestive Einfluss bildet leicht Heroen. Aber mit Worten zu fechten und mutig für seine Überzeugung einzustehen, wenn das bedeutet, von seinen Werkgenossen verschmäht zu werden, Intrigen gegen sich zu erfahren und die gesellschaftliche Stellung für Frau und Kinder zu verlieren, welche langsam durch die Arbeit eines Lebens gewonnen war, und all des kleinen. Erfolges beraubt zu werden, der durch treue Dienstleistung gewonnen wurde — das verlangt mehr Mut als die Schlachtlinie.“ Mit diesen Schilderungen Münsterbergs kommen unzählige andere überein. Aus dem Briefe eines Deutschamerikaners lesen wir in der Kölnischen Zeitung: ,,Es ist ein so grimmiger Hass gegen alles deutsche Wesen, dass man staunen muss, dass er nicht schon längst hervorgebrochen ist ... Es ist daher kein Wunder, dass Deutsche hier aus Verzweiflung Selbstmord begangen haben. Wahrlich, wir haben keinen leichten Stand. Wir kämpfen nicht mit Waffen, und man bekämpft uns nicht mit Säbeln, aber mit etwas viel Schlimmerem, mit Verleumdung und Hass.“ Viele der besten Deutschamerikaner sollen entschlossen sein, nach dem Kriege ihr neues Vaterland zu verlassen, welches eine Agitation duldet, um sie gesellschaftlich und wirtschaftlich zu boykottieren, und wo ohnehin in politischer Hinsicht „der Deutschamerikaner fast so rechtlos ist wie der Neger“. Während des Kriegsdelieriums stehen begreiflicherweise Frankreich, Russland und England obenan mit Ausbrüchen des fassungslosen Hasses und einer förmlichen Tollwut. Ein Mann wie Sir William Ramsay tröstet mit dem ,,Entsetzen der ganzen zivilisierten Welt über den moralischen Verfall der Deutschen“ und hält es auf Generationen hinaus für unmöglich, dass man wieder wissenschaftliche Verbindungen ,,mit Individuen dieses Stammes“ eingehe. Rudyard Kipling verlangt klipp und klar: ,,Die ganze deutsche Rasse muss völlig ausgetilgt werden,“ ,,Daily Mail“ schrieb: ,,Wir müssen mit Zähnen und Nägeln über Deutschland herfallen, müssen es mit seinen eignen Waffen bekämpfen und müssen all unsre Hilfsmittel anwenden, um diese Vipernbrut zu vernichten.“ „Daily Graphic“ wünscht (gleich zu Beginn des Krieges, am 20. August 19 14), dass kein Deutscher verschont bleibe: ,,schneidet ihnen die Zungen aus, stecht ihnen die Augen aus! Nieder mit ihnen allen!“ Das Stechen auf Deutsche sei noch schöner als Polo, schreibt ein englischer Offizier in den ,,Times“. Wobei wir nun zu allernächst an nichts andres zu denken haben als daran: wie schwer unter uns mit Gegenhass, besonders gegen England, gefehlt worden und wie töricht; hat man doch sogar einen einzelnen englischen Mann für das ganze Weltunglück verantwortlich machen wollen. Das ist Politik wie Theologie, die Adam die Schuld aufbürdet für alle Sünden und für das Sterben der Menschen! Und mich will fast bedünken, dass man da beide Male gerade den unschuldigsten Mann herausgefunden hat.

***) z. B. Ermete Zacconi, ein bedeutender italienischer Schauspieler: ,,Dass die deutsche Seele voller Barbarei ist, weiß heute jedes Kind. Ich fühlte das, wenn ich die Werke der größten Denker dieses Volkes auslegte. Die teutonische Seele blieb auf ihrem Grunde grausam, gierig und unmoralisch. Das Äußere kann täuschen, aber der Grund dieser Rasse ist, selbst unter Landsleuten, von endloser Selbstsucht. Ich möchte mein Urteil in wenigen Worten zusammenfassen und sagen: Die Deutschen lieben nicht. Sie glauben zu lieben und Liebe zu empfinden, aber sie sind nur Nachempfinder.“ Auch in der bildenden Kunst der Deutschen findet man ihre ,,moralische Hässlichkeit“, ihren, „moralischen Defekt“ und ihr ,,Verbrechertum“, wie z. B. in dem Geleitworte (des Professors Jean Delville) zu dem Werke ,,Belgian Art in Exile — a Representative Gallery of Modern Belgian Art (London 1916) nachzulesen: ,,Der Seelenzustand der teutonischen Rasse mit seinen dunklen immer noch lebendigen Vererbungen aus den Zeiten des barbarischen Hordenlebens verbietet es den deutschen Künstlern zumeist, jenes höhere Feingefühl, jene wunderbare Mitempfindung zu erwerben usw.“ Man geht denn auch ernsthaft daran, die Welt ,,zu emanzipieren vom deutschen Geiste“, indem man diesen mehr und mehr enthüllt. In Italien z. B. gibt man zur Verdrängung der auch dort bisher eingeführten Teubnerschen Texte, ein neues Corpus Scriptorum latinorum heraus, davon u. a. bereits Tacitus Germania erschienen mit (von Prof. Pascal) eingefügten Parallelstellen aus Cäsar, Florus, Pomponius Mela, Seneca, Vellejus Paterculus u. a., woraus klar ersichtlich, dass die Deutschen von jeher ein Volk von Räubern, Dieben, Lügnern und Wüterichen gewesen seien.


Je, was ist das ? und was klingt da mit in die Ohren? Haben wir recht gehört: über die Deutschen wird das alles gesagt, über die Deutschen? Uns will aber doch bedünken, als hätten just das gleiche die Deutschen gesagt, als hätten just die Deutschen, wie keine andern, das gleiche gesagt über — — — Wurden die Deutschen in Juden verdreht? Gehen die Juden aus? Sind ihre Seelen in die Leiber der Deutschen gefahren? Wer die deutsche Judenhassliteratur kennt, greift sich an den Kopf vor dieser Deutschenhassliteratur: da ist ja kein Unterschied; kein überhängendes Wort weder dort noch hier. Und so wird über die Deutschen gesprochen gerade jetzt, wo sie weniger den Judenhass liebevoll pflegen und nicht an der Ausbildung der Theorie arbeiten, damit auch die übrigen Völker zu versorgen. Gerade jetzt, wo es bei uns keine Parteien- und keine Konfessionen mehr gibt, die es auch nach dem Kriege nicht mehr geben wird?

Die das meinen, sind heute so dumm wie gestern, ob sie auch während des Krieges einmal Fichtes gewesen sind; sie verstehen nicht, welch einen Unterschied das macht: Während des Krieges und Nach dem Kriege, und halten ihre Denkereien und Erwartungen für Epochen der Geschichte; sie lieben das Werdende, weil sie nicht wissen, was wird, noch, was werden kann, und weil sie ihren Traum lieben; sie glauben an Besserung der Verhältnisse kurzer Hand, an Umkehrung des Gewöhnlichen, und dass die menschliche Natur aus ihren Schranken und aus ihrer Natur zu springen vermöge in das Widerspiel zu sich selbst. Am ersten August 1914, um halb sechs Uhr nachmittags, soll die menschliche Natur in dieser Weltgegend hier, in unseren deutschen Landstrecken, das gemacht haben. Sie hat es aber keineswegs gemacht; es reimt sich nicht auf Mensch und Welt, es ist gegen die Wirklichkeit, gegen die Möglichkeit, gegen die Denklichkeit. Die Urursache des Menschenhaders, der Spaltungen und Ärgernisse, die in dem oben erwähnten Werke betrachtet wird, dauert mit den Menschen weiter, denen sie in den Adern rieselt bis an den ungeschaffenen Tag; niemals ist der Hass dienstlos in der Menschheit, und geht es mit ihr aus dereinstmals, wie sie, der Sage zufolge, angehoben hat, so wird in der letzten Menschenfamilie abermals Kain seinen Bruder Abel erschlagen, und dann ist's wieder rund. Es will bis ans Ende gezankt, gestritten, die Seele gekränkt und Blut vergossen sein. Und unter uns, sobald nur die Zuchtrute weggetan, kommt wieder die Verhärtung im Üblen; es beginnt von neuem die Raufzeit der Parteien und Rotten wie vor dem Kriege*) und entdeckt sich, dass der Hass im Lande schwieg nur, weil er auf andres draußen gescheucht und abgelenkt und weil ,,Kriegszustand“ war, d. h. die Bestie im Käfig. Comment suspendu; danach (es muss nicht gleich nach dem Friedensschluss sein, aber gleich nach dem Schluss mit dem Kriegszustande!) kommt der einheimische Ferienhass, der ausgeruhte, wieder an die Reihe — das Maß, das Riesenmaß Hass, vom Anfang her den Menschen zugeteilt, weicht nicht aus seinem Orte und vermindert sich nicht; da wird nichts versehen, und da hilft nichts gegen; wir leben noch auf der alten Welt der Bewegung in sich selbst, die sich nichts nehmen und nichts geben lässt, der Welt der Veränderungen ohne Veränderung.

*) Vgl. Constantin Brunner, Die politischen Parteien und der Patriotismus, Zukunft vom 23. Mai 1914.

Denken wir denn nicht wie Neulinge, sondern als Denker dieser wirklichen Welt und sehen's an, wenn uns nicht die Augen zugekleistert sind, wie es uns ansieht (auch alle die Zeit unverwandt durch die Löcher des Burgfriedens um so gefräßiger uns anschielt, als es ein bisschen hungern muss), so kommt für die inneren Zustände im Lande alles wieder rundrichtig und sind — hoffentlich bald! — die wirtschaftlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Gegensätze wieder da und wieder die Leutchen, deren Vorteil ist, sie zu schüren, und die dabei, wie die faulen Fische, immer obenauf schwimmen und stinken müssen. Gewiss, der Geist Deutschlands kommt wieder aus seiner Erstarrung, Deutschland wird wieder schön in guten Tagen, alle seine köstlichen Kräfte des Friedens springen von frischem, und neue Lebenstriebe werden Welkes herunterstoßen. Aber auch das stärkste Faule kommt wieder obenauf; und nicht lange mehr, so duftet es auch restaurativ ganz wie vordem nach antisemitischem Bisam, und niemand anders als die verwegenen Juden tragen wieder die Schuld an den Wanzen, an der Sintflut, am Babylonischen Turm, an der Cholera und an dem Katzenkonzert der modernen Lyrik und an den übrigen ästhetischen Bescherungen. So hassen also Deutsche ganz, wie sie gehasst werden, welch ein Schauspiel in welch einem Schauspiele — in einem erbärmlichen ein noch erbärmlicheres, ein ekelhaftes Schauspiel! — und weswegen alle Welt mit dem Finger auf die Deutschen weist, deswegen weisen Deutsche mit dem Finger auf die Juden und klagen die Juden an: dass sie Kinder schlachten, Brunnen vergiften, jüdischen Gesetzen folgen, die ihnen alle Niedertracht geböten, die gierigsten, vom Gewissen freiesten Räuber und hochmütige Verächter aller übrigen Menschen sind, welche die Weltherrschaft an sich reißen wollen (was beides, das Weltherrschaftansichreißenwollen wie ,,die jüdische Moral“ mit Zitaten aus ihrer Literatur belegt wird) und dass sie ohne Originalität, nur Nachahmer und Ausbeuter fremden Geistes und eine inferiore Rasse sind. Zweifelt keinen Augenblick: auch unser Untier Rassentheorie stellt sich lebendig wieder auf seine Füße, rast umher und rennt Vernunft nieder. Gründlichst täuschen sich, die da glauben, es sei Leiche geworden auf dem Schlachtfelde und nun längst für immer eingescharrt. Freilich behielt Gewalt und Leben nur der Staatsgedanke; und wie denn auch eine nicht in Rassen sich besondernde Menschheit gar wohl möglich erscheint, der Mensch ohne den Staat aber überhaupt undenkbar ist, und wie noch immer in der Geschichte nur der Staat, noch niemals die Rasse als Gesamtwille auftrat, so bewährten auch jetzt überall Staat und Nation ihre elementare, das ganze relative Dasein der Einzelnen tragende Kraft; die Völker, Mengen nur in sich selbst, sind gegeneinander Individuen und die Rassen sind — in politischer Bedeutung — nichts; mit Gelben, Braunen, Schwarzen stehen Weiße gegen Weiße, mit Slawen und Romanen Germanen gegen Slawen und gegen ihre germanischen Vettern*) . So sei denn nun erwiesen, mit der Rassentheorie lasse sich keine Realpolitik machen? Gewiss nicht, wohl aber unsinnige Verwirrung in der Realpolitik, und — wie sollten die Menschen so schnell fahren lassen, was ihnen auf die bequemste Weise, ohne Geschichtskenntnis, noch irgend andre Kenntnis, noch allergeringste Anstrengung des Denkens zu einer Theorie! verhilft, richtig gesagt: was der allgemeinen Niedrigkeit zu einem anständigen Deckel und Namen verhilft. Denn nichts liegt ihnen ob bei der neubackenen Erkenntnis, als an ihrer alten Denkknechtschaft und Finsternis zu halten, ihrem Vorurteil und Hass zu folgen, für äffischen Geist und Bosheit sich die Ohren mit Lobwurz reiben zu lassen und wegen ihres putzig wahnwitzhaften Dünkels beschrieen und gekrönt zu werden, — die Wissenden wissen, dass Rassentheorie zu Hochmut und Hass das neue Synonym bedeutet, hauptsächlich aber die neue Liedweise, den Judenhass zu singen. Die Rassentheorie ist noch nicht hin, und lässt sich noch lange mit ihr haushalten; dass sie die ärgste Niederlage erfuhr, was bedeutet das der Gedankenlosigkeit, der Unfähigkeit zu denken und denen, die sich nicht blamieren können: vor deren so unedlem, so kurzsinnigem, so wirrgeborenem Gewissen die Vernunft und das Gute beständig blamiert sind, und die nicht über Narrheit, sondern über Wahrheit lachen? Untereinander aber können sie sich nicht blamieren; denn sie sagen den Unsinn Unsinnigen, und jeden erkannten vergessen sie über neuem, der ihnen wiederum für Weisheit gilt.

*) Gut schrieb das serbische Blatt Budutschnost über die Hilfsarmee der Entente: ,,Wir haben das seltene Glück erlebt, Zeugen einer majestätischen Bekundung slawischer Brüderlichkeit zu sein. Es kommen als Gäste unsre teuren Stammverwandten, slawische Brüder aus Algier, Kongo, Indien und Transvaal, ferner unsre Vettern, die Marokkaner, die Senegalneger und die Zulukaffern. Sie sollen die serbischen Reihen ausfüllen und mit uns unter der Fahne unsrer gemeinsamen slawischen Mutter Russland gegen die Germanen in Bulgarien und der Türkei in den heiligen Kampf ziehen. Wenn wir dann, angeführt von asiatischen und afrikanischen Helden, den Feind besiegen, so wird dies den Triumph des Christentums über den Islam bedeuten, den Triumph der weichen slawischen Seelen über den groben barbarischen Germanismus. Im Namen dieses Triumphes begrüßen wir unsre teuren Brüder, die Marokkaner, Senegalneger, Zulukaffern, Papuas und Inder, diese unermüdlichen Verteidiger des unterdrückten Slawentums und Christentums.“

O du liebes, liebes, du mein heiliges Land, zu dem die Liebe mir nicht erst neu durch den Krieg gekommen ist, nicht durch den Hass gegen welche draußen, noch durch den Hass gegen welche drinnen, nein, wahrlich nicht durch Rassentheorie — es gibt ja noch andren als Rassenhasser- und Judenknacker-Patriotismus (Hep, hep, hurrah!), der darum noch nicht auf der Stufe des Männerquartett-Patriotismus zu stehen braucht — : wenn irgendwann, dann, du Vaterland, ist heute der Tag, dich zu besinnen über den Judenhass und zu lernen, dass der Hass nicht nur und nicht immer schlimm ist für den Gehassten, sondern auch und immer für den Hassenden; denn ein Leiden ist der Hass, welches auch andere will leiden machen. Ist heute der Tag? Soll der Speer, der verletzt, auch die Heilung bringen? Heute ist ein Tag zu Besinnung und Reinigung, wo das Bekanntgewordene dir das Unbekannte erschließt, wo du selber menschlich hineingeschmeckt hast in die Art Hass, den die Gehassten nicht verstehen, zu dem sie in ihrer Selbstbeurteilung keinen Anlass entdecken; sie sehen einer den andern an, wissen sich's nicht zu deuten, und in den Schwachen, sonst gar nicht Melancholischen, findet sich eine kleine Stelle, die weh tut; ob sie auch Andern sagen: ,,Uns fehlt nichts“, aber in ihrer völligen Blindheit über den Sachverhalt fragen sie wohl gar ihren inneren Menschen: ,,Ist es wahr, sind wir die Ausnahmen, wirklich schlechter als die andern, und können wir uns selber ertragen ?“ — Heute ist ein schöner Tag — wenn nicht heute, wann denn, du Heutenicht? Worauf wartest du noch und hältst dir die Seele auf ? Willst du mit Recht noch weiterhassen, so magst du wohl auch gegen dich selber einen Stein aufheben. Du Vaterland du, du gehasstes und hassendes: nach dem Maße der Erfahrung an dir selber in diesen großen Tagen des Geschehens, der Geschichte, steht von nun an auch der Judenhass grundloser da als bisher und um ebenso viel schlechter zu verteidigen und will aufgegeben sein. Oder scheust du noch diese Gemeinschaft und Zusammenstellung Deutschenhass und Judenhass, so hör frisch auf, sie zu scheuen, und kein Mucks! fortan und beiß dir auf die Zunge, mit anderem Worte als mit dem hässlichen Worte Hassen deine hässliche Krankheit zu benennen oder von der Schuld der Juden zu sprechen; damit ist's quitt für immer, seitdem mit den gleichen Worten von der Schuld der Deutschen gesprochen wird. Eine Wage her zum Gericht — die Schuld der Juden in die eine, die Schuld der Deutschen in die andere Schale — sie weiß keinen Unterschied!

Alle andern Völker könnten denn immerhin noch weiter die Juden anklagen: die Deutschen dürfen es nicht, wenn anders sie nicht leugnen, dass sie erfahren, was sie erfahren; wenn sie nicht den gegen sie gebrauchten Worten andern Sinn geben können, als welcher von ihnen selber diesen Worten gegeben wird; wenn sie nicht sich selber aller Beschuldigungen schuldig erkennen wollen; keine Beschuldigung gegen die Juden blieb deutschen Beschuldigern, keine einzige, die nicht auch gegen sie selber ist erhoben worden. Kam auf Beschuldigen an, so müßten sämtliche Deutsche ohne Ausnahme eingebildete Juden werden. Und wären der Deutschen so wenige wie der Juden — fliehe auf die Berge, wer im deutschen Lande ist! — sie gerieten in den Zustand und gefährliche Weltstellung wie die Juden unter den Menschen und die Nachteulen unter den Vögeln; und was auch die Menschheit von ihnen empfangen hätte, alles ohne Dank, mit Stank; wär's ein Christus, er würde herumgewendet gegen sie zum Mittel der Verfolgung; kein Heldenkampf könnte ihnen nützen*) , Deutschland müsste aufhören, das Land der Deutschen zu sein — es liegt zwischen England und Russland, wie damals Palästina zwischen den Großmächten von damals — : man zerstreute die Deutschen unter die Völker — sie leben schon zum Teil in der Welt verstreut, ganz wie es damals, noch vor dem Zerfall ihrer politischen Macht, mit den Juden gewesen (daher auch, wegen der Juden überall, die sonst völlig unerklärlich geschwinde Ausbreitung des jüdischen Kulturgedankens, den wir nun Christentum nennen) — man pferchte sie in Ghetti, in Deutschengassen, und würde sie hassen, verfolgen, unterdrücken zuerst wegen dessen, ,,was ihre Väter taten“, zuletzt bloß so wegen ihrer Abstammung und Physiognomie, und würde immer ihnen allen anrechnen das Missfällige und Unangenehme des einen und andern Deutschen, was ganz gleich gegen gleich beim einen und andern Nichtdeutschen sich findet**). Und würde dereinst sehr schwer halten, sie wieder zu „emanzipieren“ und selbst die anständigeren Nichtdeutschen zurückzubringen, dass sie nicht mehr eine Weite machten zwischen ihren Gedanken von allen übrigen Menschen und von den Deutschen, und dass sie nicht länger sich beruhigten: über die Deutschen verächtlich reden, gegen die Deutschen hochher und unverschämt sich aufführen und die Deutschen um die Rechte betrügen, welche unsre Verfassung ihnen garantiert, das ist bei uns erlaubt wie in Sparta das Stehlen, und davon wird uns die Heiterkeit des Gemütes nicht verdunkelt; uns bleibt immer noch ein schön Sagen zum hässlichen Tun, wir können auf Versprechungen salva ratificatione wie auf Eiern gehen und noch gar beweisen, dass bei uns den Deutschen ein Leben bereitet ist durch alle sieben Farben der Herrlichkeit! — Nun sind aber der Deutschen in Deutschland nicht so wenige, wie damals der Juden in Judäa gewesen, und dieser Deutsche Krieg wird nicht enden wie jener Jüdische Krieg. Dieser Deutsche Krieg macht unser deutsches Vaterland stärker, als es gewesen ist. Wir kämpfen den weltgeschichtlich unendlich bedeutungsvollen Kampf zur Befestigung unserer Macht; nach seiner politischen Bedeutung geht es mit diesem Kriege um die Befestigung von Deutschlands Großmacht unter den Großmächten und um die Anerkennung Deutschlands nach seiner Eigentümlichkeit — der Dreißigjährige Krieg der konfessionelle, dieser der politische Toleranzkrieg. Wir werden stärker sein, als wir gewesen sind, schon allein durch die gewonnene Klarheit über unsre politische Stellung unter den Nationen; wir werden danach innerlich uns einrichten und uns, militärisch und wirtschaftlich, besser sichern gegen die Wirkungen des Hasses. — Schäm dich nicht, weil du gehasst wirst, Vaterland, da nichts ist und also sei auch nichts, dich zu schämen, du werdest nun gehasst von der halben oder von der ganzen Welt; aber schäm dich oder schäm dich nicht, halb oder ganz die Juden zu hassen, so bleibt wahr und immer der Mühe wert, dir oder den Fischen vorzupredigen: der Judenhass sieht dem Deutschenhass ähnlich wie ein Wasser dem andern — : dieselbe erbärmliche moralische Kritik und Klatscherei, dieselbe Entstellung des Bildes von den Gehassten, dieselbe Verleumdung ihres Geistes und Gemüts bis in den letzten tiefen Grund, dieselbe Mythologie der Verleumdung; Hass wie Hass, ein vollkommenes Duett aus der gleichen Bewegung der Gemüter.

*) Am Heldenkampf hat es auch im jüdischen Kriege, in der jüdischen Tollkühnheit gegen Roms Macht nicht gefehlt. Schlosser in seiner Weltgeschichte für das deutsche Volk schreibt: „Die Bewohner einzelner fester Plätze verteidigten ihre Stadt mit dem nämlichen Heldenmute, wie die Saguntiner im zweiten punischen Kriege oder wie die Bürger von Saragossa in der neueren Zeit. Bei der Belagerung und Eroberung von Jotapat z. B., welches von Josephus verteidigt ward, verloren nicht weniger als vierzigtausend Juden ihr Leben und nur zwölfhundert gerieten in römische Gefangenschaft . . . Dessen ungeachtet verteidigten die Juden ihre Hauptstadt mit einem Heldenmute, wie ihn wenige andre Völker bei ihrem Untergange gezeigt haben. Sogar die Römer, bei denen doch nicht wie bei uns die Rücksicht auf das Christentum und seine Schicksale einen Einfluss auf die Beurteilung dieses Kampfes ausübte, haben die Verteidigung von Jerusalem dem Kampfe der Karthager und Numantiner gleichgestellt. Der Fanatismus der Belagerten und ihre durch die Lage der Stadt begünstigte Hartnäckigkeit überstieg allen Glauben: alle Anerbietungen des römischen Feldherrn, welcher das Leben der Einwohner schonen wollte, wurden zurückgewiesen; er musste einen befestigten Berg nach dem andern, eine Mauer nach der andern erstürmen und endlich sogar die verschiedenen Räume des Tempels einzeln erobern . . . Selbst nach der Eroberung und Verbrennung des Tempels unterwarfen sich die Juden noch nicht. Die Mehrzahl derselben zog sich in die sogenannte untere Stadt zurück, und als endlich auch diese erobert und durch Feuer verwüstet war, verteidigte der Rest des Volkes noch die obere Stadt mit ihren einzelnen Burgen.“ Hegel, in seinem Leben Jesu, äußert sich ähnlich: ,,Damals, als sich ihnen ein Messias anbot, der ihre politischen Hoffnungen nicht erfüllte, hielt es das Volk der Mühe wert, dass ihr Staat noch ein Staat wäre; welchem Volke dies gleichgültig ist, ein solches wird bald aufhören, ein Volk zu sein; und kurze Zeit nachher warf es seine trägen Messiashoffnungen weg, griff zu den Waffen und, nachdem es alles getan, was höchstbegeisterter Mut leisten kann, nachdem es das grauenvollste menschliche Elend ertragen hatte, begrub es sich und seinen Staat unter den Ruinen seiner Stadt und würde in der Geschichte, in der Meinung der Nationen neben Karthaginiensern und Saguntinern, größer als die Griechen und Römer, deren Städte ihren Staat überlebten, dastehen, wenn das Gefühl dessen, was ein Volk für seine Unabhängigkeit tun kann, nicht zu fremde, und wenn wir nicht den Mut hätten, einem Volke vorschreiben zu wollen, dass es nicht seine Sache, sondern unsre Meinungen zu seiner Sache hätte machen und für diese leben und sterben sollen, für deren Behauptung wir keinen Finger rühren.“

**) Wegen der Schuld der Väter vgl. oben S. IX. Und auch die Physiognomik setzt bereits ein. Lord Headly schrieb im ,,Daily Graphic“: ,, Schon seit einiger Zeit bemerkte ich den eigenartigen sardonischen — oder vielleicht richtiger, satanischen — Ausdruck auf den Photographien von fast allen deutschen Führern, vom Kaiser bis zum letzten General. Niemand, der das Bild des Grafen Bernstorff (deutscher Botschafter in Washington) betrachtet, wird finden, dass sein Gesicht nicht klug sei, aber jeder wird es als teuflisch grausam und hart und geeignet, als Modell für seine satanische Majestät zu dienen, bezeichnen. Hindenburgs Äußeres spricht von Kraft und Unbarmherzigkeit des Charakters: es ist tierisch und hat etwas vom wilden Schwein. Vom künstlerischen Standpunkt könnte er sehr gut Beelzebub vorstellen. Der Kaiser und Falkenhayn sind beide gut aussehende Männer mit feinen und strengen Zügen, aus denen unbeugsame Willenskraft, Grausamkeit und Unbarmherzigkeit sprechen. Sie können angesehen werden als ,,gute Typen des Fürsten der Finsternis“. Dagegen hat Gallwitz ein machiavellistisches Äußeres, er würde ein Mitglied der früheren heiligen Inquisition in Spanien darstellen. Der katzenartige Typus wird durch Bülow und Mackensen vergegenwärtigt. Grausamkeit und Verräterei lassen beide erkennen, und der satanische Ausdruck fehlt nicht. Bei Bethmann-Hollweg und Lichnowsky beobachtet man in hohem Maße Unaufrichtigkeit und Falschheit . . . Man muss die englischen Generale und Admirale, sowie die Heerführer des Vierverbandes anschauen — es ist, als ob man aus den unterirdischen Höhlen in den Himmel kommt. Nicht ein Gesicht befindet sich darunter mit dem unauslöschlichen Stempel des Bösen, den die Deutschen tragen. Unsere Leute sehen nicht aus wie Vieh und Teufel. Der größte Gegensatz findet sich zwischen dem guten König Georg und seinem Sohne, dem Prince of Wales, und dem deutschen Kaiser und dem Kronprinzen. Die ersteren so vollkommen offen und ehrlich im Ausdruck, woraus ihr liebenswürdiger Charakter spricht, die andern so peinlich das gerade Gegenteil. Für das Äußere kann der Mensch nichts, aber die Augen und der Mund pflegen den innerlichen Geist, der fortwährend auf Mord und Schrecken bedacht ist, widerzuspiegeln, wie das bei Hindenburg, Gallwitz und Mackensen der Fall ist. Menschen, die andauernd teuflische Pläne mit sich herumtragen, müssen allmählich selber wie Teufel aussehen.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Judenhass und die Juden