Der Jude. Band 1

Deutsches Sittengemälde aus der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts.
Autor: Spindler, Carl (1796-1855) deutscher Schriftsteller. Schloss sich als Schauspieler einer Theatergruppe an und zog mit dieser durch Deutschland und angrenzende Länder. Spindler war ein sehr produktiver und populärer Unterhaltungsschriftsteller seiner Zeit, Erscheinungsjahr: 1854

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Mittelalter, Historischer Roman, deutsches Sittenbild, Sittengemälde, Aberglauben, Judenhass, Judenverfolgung, Christen, Christentum, Nächstenliebe,
Gespenst der Vorwelt:
Warum rufst Du mich herauf aus meinem dunkeln Grabe?
Zauberer:
Auf das Du Zeugnis gebest von einer dunkeln Zeit.

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      O Marten! Marten!
      Der Korb muss verbrannt sein,
      Das Geld aus den Taschen,
      Der Wein aus den Flaschen,
      Die Gans vom Spieß!
      Da trink und iss!
      Wer sich vollzechen kann,
      Wird ein rechter Martinsmann!

                        Altd. Lied.
Der zwölfte November des Jahres Eintausend vierhundert und vierzehn nach des Erlösers Geburt, sah mit kaltem und duftigem Morgenantlitz in die Fensterscheiben der Herberge zum Rebstock in der Reichsstadt Worms. Der Winter hatte dem Spätherbst täppisch und zierlich zu gleich ins Amt gegriffen; denn, während Alles knisterte und knarrte, vor der früh eingebrochenen ungestümen Kälte, hatten die entlaubten Bäume weiße Wollelöckchen angesetzt, und niedliche Eisblümlein sich angewachsen am Glas und Gestein. Zwar leckte der Sonnenstrahl gierig an den über Nacht aufgeschossenen Gewächsen, aber seine Zunge war nicht mehr feurig genug, sie aufzuzehren. Im unteren Geschoss des Rebstocks kam man der matten Sonnenflamme mit glühendem Ofen zu Hilfe, allein im Oberstocke glimmte kein Funke, und der mächtige Kachelofen der hübschesten Stube des Hauses, die nach einem über der Türe angemalten buntfarbigen Blumenstrauße „die Maienstube“ genannt wurde, war eiskalt, obschon ein stattlicher Gast das Gemach bewohnte. Die Attribute der Ritterschaft: Schwert, Handschuhe, bespornte Stiefel und Federhut lagen unordentlich hin und her auf dem Boden zerstreut. Der Besitzer dieser Herrlichkeiten lag aber völlig angezogen zu Bette, beschäftigt, den verwichenen Martinsabend auszuschlafen, der ihm nicht am zuträglichsten gewesen zu sein schien. Neben ihm einen Reitermantel gewickelt, ein gar holder Knabe, dessen still lächelndes Gesicht, vom sanftesten Schlummer befangen, sehr gegen das aufgedunsene, von Trunkenheit und wüsten Träumen entstellte Antlitz des Nebenschläfers abstach. Der Letztere regte sich endlich, fuhr mit der breiten Hand über Stirn und Augen und den bereiften Bart und erwachte. Verwundert betrachtete er die Stube und seine eigene Gestalt; seine Verwunderung wurde Erstaunen, da er seinen
Bettnachbar gewahrte, und er sprang bei dessen Anblick auf, gleich als ob ihn eine Schlange gestochen. Unverständliche Worte vor sich hinbrummend, und vor Kälte zitternd, fuhr er in die Stiefel und stampfte dreimal gewaltig den Boden, dass der schlafende Knabe erschrocken auf schrie, alsbald jedoch wieder in Müdigkeit und Schlummer versank. Ein langer hagerer Mensch, in der etwas zerlumpten Kleidung eines Herrenknechts, kam zur Türe herein und fragte mit winterblauen Lippen nach dem Befehle des gestrengen Herrn.
      „Sag' an, Vollbrecht!“ fragte der Letztere: „Wie ging es denn zu, dass ich in Wamms und Krause zu Bett gekommen?“
      „Euer demütiger Knecht hat Euch selbst hineingebracht;“ erwiderte Vollbrecht mit ängstlichem Bückling: „Ihr littet gestern stark am Gebreste des heil. Martin, und so geschah es denn . . .“
      „Still!“ befahl der Herr. – „Wie komme ich aber zu dem Kind?“ fuhr er kleinlaut fort.
      „Der gestrenge Junker wolle sich nur gütig erinnern,“ – sprach Vollbrecht, ein paar Schritte ausweichend, – „wie ich Euch gestern aus der Trinkstube zum Rosengarten heimleuchtete mit dem Kienspan, den mir die rotbäckige Dorothea aufgedrungen, und wie wir im Scheibengässlein unfern von dem Eckstein, an dem das Muttergottesbild aufgerichtet, den Knaben gefunden, der da eingeschlafen war.“
      „Ganz recht; ich besinne mich nun auf Alles!“ erwiderte der Junker, und rieb sich die erstarrenden Hände. „Was treibt aber unser Wirt, dass nicht einmal Feuer angemacht wird, bei der grimmen Kälte? Sollen wir hier erfrieren?
      „Erfrieren;“ bestätigte Vollbrecht, die Türklinke zur Hand nehmend: „Erfrieren, oder uns von dannen machen; denn der Wirt will nicht länger borgen, und verlangt Zahlung unserer Zeche.“
      „Nichts Billigeres als das;“ antwortete der Herr: „aber Verlangen ist Eins; Zahlen hingegen ein Anderes. Ich habe keinen Weißpfennig mehr in der Tasche. Alles ging gestern d'rauf in Wein, Imbiss und Brettspiel. Der alte Narr muss warten.“
      Vollbrecht schüttelte den Kopf. „Ich zweifle, Herr,“ sprach er hierauf, vorsichtig die Türe öffnend. – „Der Mensch sagte mir erst vorhin, er werde nach Pferd und Zaum greifen, wenn nicht noch heute Morgen. Alles getilgt würde, was darauf gegangen ist in dieser Woche.“
      „Kreuz, Stein und Dorn!“ brach der Junker los, nach der Klinge fahrend, dass Vollbrecht, – solcher Auftritte nicht ungewohnt, sich hinter der Türe barg: „was bildet er sich ein, der Wormser Lump? Streckt er eine Kralle nach meinem Gaul aus, so haue ich sie ihm ab. Gleich soll er kommen, – gleich und auf der Stelle; ohne Säumen!“
      Vollbrecht sprang die Treppe hinab. Der Junker stülpte trotzig den Hut auf den Kopf und schritt, eine Anrede an den Herrn des Rebstocks im Sinne ordnend, ungeduldig auf und nieder. Bald erschien auch der Gerufene, das verhängnisvolle Kerbholz tragend, auf dem die ziemlich beträchtliche Schuldsumme des Gastes eingeschnitten zu sehen war.
      „Wie viel beträgt meine Zeche?“ fragte der Letztere barsch, als strotzten seine Taschen von Golde.
      „Zwanzig Turnosen, drei Pfennige für den Herrn, den Knecht und das Pferd;“ antwortete der Wirt vom Rebstock sehr freundlich.
      „Ein Bettelgeld!“ prahlte der Fremde: „obgleich die Zeche übertrieben teuer. Aber wie gesagt, ein Bettelgeld, wegen dessen Du mir keine Umstände machen wirst, guter Freund. Nicht wahr?“
      „Nicht die Geringsten;“ erwiderte der Wirt: „Ihr habt nur zu bezahlen, und meine schlechte Schenke ist wieder ganz zu Euern Diensten.“
      „Du bist harthörig, mein Freund!“ sprach der Gast mit vornehmem Augenzwinkern: „Ich hatte gestern Unglück im Spiel, und der Martinsschmauß hat mich viel gekostet. Heute kann ich Dich nicht befriedigen, aber sobald ich wiederkehre von Costnitz, soll Dein sein, was Dir gehört.“
      Der Wirt sah den Sprecher einen Augenblick an, . . zuckte die Achseln und ging nach der Türe. – „Wohin gehst Du?“ fragte ihn der Andere.
      „Ich gehe, den Stall zuzusperren;“ versetzte der Bürger kalt: „Müsst Ihr gen Costnitz, mögt ihr zu Fuße gehen. Euer Pferd bleibt hier zurück, bis mein ist, was mein gehört.“
      „Wie?“ fuhr der Gast auf: „Du ungeschliffener Wirt! weißt Du, mit wem Du also sprichst? Ich bin der Edelknecht Gerhard von Hülfshofen, und darum nicht zu Schild und Helm geboren, um mir von einem elenden Reichsstädter Schmachreden ins Angesicht sagen zu lassen.“
      „Ich kenne Euch wohl;“ erwiderte der Wirt: „Wer sollte den verwegensten Gesellen am Rheinstrome nicht kennen, den der wohlweise Rat von Frankfurt als einen Kämpfer und Turnierfechter gedungen; der zwar keinen Gegner unbezwungen lässt, aber auch keinen Becher ungeleert, keine Dirne ungeneckt, und keinen Herberger ungeprellt. Darum eben nehme ich Euren Gaul.“

Spindler, Carl (1796-1855) deutscher Schriftsteller

Spindler, Carl (1796-1855) deutscher Schriftsteller

Der Jude Band 1

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