Abschnitt. 4 - Beide Frauen erhoben hier die Hände, um des Himmels Segen auf den ...

Beide Frauen erhoben hier die Hände, um des Himmels Segen auf den jugendlichen Genius Hans Unwirrsch herabzuflehen; aber der Oheim fuhr fort:
„Ich denke: Grünebaum, fall vom Stuhle!, als der Herr Professor so mit einem Male vor mir steht. Solch ein Junge! Aber ein ästimabler, räsonabler, angenehmer Herr ist der Herr Professor, und so ist das Lange und Kurze von der Geschichte, daß ich von heute morgen um halber zwölfe an nichts mehr damit zu tun haben will und meine Hände mir wasche.“
„Woran Er sehr wohltut, Gevatter“, sagte die Base Schlotterbeck.
„Und so mag es denn gehen, wie’s geht, der Deibel nimmt die Graden und die Ungraden!“ schloß der Oheim.
„Niklas“, rief aber die Frau Christine ärgerlich, „ich hoffe, mein Sohn wird weder grad noch ungrad mit dem Teufel zu tun haben, und gehen lassen, wie’s geht, soll Er es auch nicht.“
„Keine Reverenzien und Übelnehmerischkeiten!“ brummte der Oheim. „Also, was ich und der Herr Professor denn sagen wollen: Junge, da ‘n Überstudierter am Ende doch auch ein Mensch bleibt, so sollst du unsertwegen deinen Willen haben. Basta, ich hab’s gesagt! Die hochlöbliche Schusterei wird doch wohl nicht ein Mirakelum an dir Lümmel vorbeilassen.“
In einem Tränenstrom machten sich die Gefühle der Mutter Luft, die Base Schlotterbeck zerfloß fast in freudiger Rührung; Hans Unwirrsch war später niemals imstande, sich und andern Rechenschaft zu geben über die Gefühle dieser Stunde. Wer aber auch jetzt vollkommen trocken und kühl blieb oder tat, war der Oheim Grünebaum. Mit seinem Schusterdaumen drückte er gemütlich den Tabak in seiner kurzen Pfeife nieder, klappte bedächtig den Deckel zu wie ein Mann, der ein gutes Werk getan hat und sich die ihm von Rechts wegen zukommende Belohnung höchstens im Hauptbuch des Himmels gutschreiben läßt.
Er mochte aber aussehen, wie er wollte, seine Macht über seinen Neffen hatte er verloren, und niemals konnte er das Eingebüßte wiedergewinnen. Seit dem Augblick, in welchem Hans Unwirrsch mit der eigenen, winzigen Hand dem Steuer seines Lebens einen so wirkungsvollen Ruck gegeben hatte, stand er dem wackern Meister mit vollberechtigtem Willen gegenüber, und des Meisters Erstarrung und Ratlosigkeit war um so grenzenloser, je größere Gleichmütigkeit er äußerlich zur Schau trug.
Die Geschicke mußten sich erfüllen, und Hans Unwirrsch betrat den Weg, welchen Anton Unwirrsch nicht gehen durfte. Am folgenden Mittag begegnete der verstorbene Meister der Base Schlotterbeck; er ging gebückt und mit gesenktem Kopfe, nach seiner Art, aber er lächelte zufrieden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Hungerpastor