Abschnitt. 3 - Es ist nicht leicht, eine gute Predigt zu machen; aber leicht ist es auch nicht, ...

Es ist nicht leicht, eine gute Predigt zu machen; aber leicht ist es auch nicht, einen guten Stiefel zu verfertigen. Zu beiden gehört Geschick, viel Geschick, und Pfuscher und Stümper sollten zum Besten ihrer Mitmenschen lieber ganz davonbleiben. Ich für mein Teil habe eine ungemeine Vorliebe für die Schuster, sowohl in der Gesamtheit bei ihren feierlichen Aufzügen wie auch in ihrer Eigenschaft als Individuen. Es ist, wie das Volk sagt, eine „spintisierende Nation“, und kein anderes Handwerk bringt so treffliche und kuriose Eigentümlichkeiten bei seinen Gildegliedern hervor. Der niedrige Arbeitstisch, der niedrige Schemel, die wassergefüllte Glaskugel, welche das Licht der kleinen Öllampe auffängt und glänzender wieder zurückwirft, der scharfe Duft des Leders und des Pechs müssen notwendigerweise eine nachhaltige Wirkung auf die menschliche Natur ausüben, und sie tun es auch mächtig. Was für originelle Käuze hat dieses vortreffliche Handwerk hervorgebracht! – eine ganze Bibliothek könnte man über „merkwürdige Schuster“ zusammenschreiben, ohne den Stoff im mindesten zu erschöpfen! Das Licht, welches durch die schwebende Glaskugel auf den Arbeitstisch fällt, ist das Reich phantastischer Geister; es füllt die Einbildungskraft während der nachdenklichen Arbeit mit wunderlichen Gestalten und Bildern und gibt den Gedanken eine Färbung, wie sie ihnen keine andere Lampe, patentiert oder nicht patentiert, verleihen kann. Auf allerlei Reime, seltsame Märlein, Wundergeschichten und lustige und traurige Weltbegebenheiten verfällt man dabei, worüber die Nachbarn sich verwundern, wenn man sie mit schwerfälliger Hand zu Papier gebracht hat, wobei die Frau lacht oder sich fürchtet, wenn man sie in der Dämmerung mit halblauter Stimme summt. Oder aber man fängt an, noch tiefer zu grübeln, und „Not“ wird uns, „zu entsinnen des Lebens Anfang“. Immer tiefer sehen wir in die leuchtende Kugel, und in dem Glase sehen wir das Universum in all seinen Gestalten und Naturen: durch die Pforten aller Himmel treten wir frei und erkennen sie mit all ihren Sternen und Elementen; höchste Ahnungen gehen uns auf und niederschreiben wir, während der Pastor Primarius Richter von der Kanzel den Pöbel gegen uns aufhetzt und der Büttel von Görlitz, der uns ins Gefängnis bringen soll, vor der Tür steht:

„Denn das ist der Ewigkeit Recht und ewig Bestehen, daß sie nur einen Willen hat. Wenn sie deren zweene hätte, so zerbräche einer den andern und wäre Streit. Sie stehet wohl in viel Kraft und Wundern; aber ihr Leben ist nur bloß allein die Liebe, aus welcher Licht und Majestät ausgehet. Alle Kreaturen im Himmel haben einen Willen, und der ist ins Herze Gottes gerichtet und gehet in Gottes Geist, wohl im centro der Vielheit, im Wachsen und Blühen, aber Gottes Geist ist das Leben in allen Dingen, centrum naturae gibt Wesen, Majestät und Kraft, und der Heilige Geist ist Führer.“
Viel sehen wir in der glänzenden Kugel, durch welche die schlechte Lampe so armes Licht wirft, daß wir dabei kaum zu Papier bringen können, was wir sahen; aber nichtsdestoweniger können wir unter das vollendete Manuskriptum schreiben:
„Geschrieben nach göttlicher Erleuchtung durch Jakob Böhme, sonsten auch Teutonicus genannt.“
Wer gegen die Schuster was hat und ihre Trefflichkeit im einzelnen wie im allgemeinen nicht nach Gebühr zu schätzen weiß, der bleibe mir vom Leibe. Wer sie gar ihres oft wunderbaren Äußeren wegen, ihrer krummen Beine, ihrer harten, schwarzen Pfoten, ihrer närrischen Nasen, ihrer ungepflegten Haarwülste halben naserümpfend verachtet, den möge man mir stehlen; ich werde keine Belohnung um seine Wiedererlangung aussetzen. Ich schätze und liebe die Schuster, und vor allen halte ich hoch den wackeren Meister Anton Unwirrsch, den Vater von Hans Jakob Nikolaus Unwirrsch. Obgleich er leider recht bald nach jenem Feierabend, an welchem ihm der längst erwünschte Sohn geboren wurde, selbst für immer Feierabend machte, so hängen doch aus seinem Leben zu viele Fäden in das des Sohnes hinein, als daß wir die Schilderung seines Seins und Wesens umgehen könnten. Der Mann stand, wie wir bereits wissen, körperlich auf nicht sehr festen Füßen; aber geistig stand er fest genug und nahm es mit manchem, der sich hoch über ihn erhaben dünkte, auf. Aus allen Reliquien seines verborgenen Daseins geht hervor, daß er die Mängel einer vernachlässigten Ausbildung nach besten Kräften nachzuholen suchte; es geht daraus hervor, daß er Wissensdrang, viel Wissensdrang hatte. Und wenngleich er niemals vollständig orthographisch schreiben lernte, so hatte er doch ein dichterisches Gemüt, wie sein berühmter Handwerksgenosse aus der „Mausfalle“ zu Nürnberg, und las, so viel er nur irgend konnte. Was er las, verstand er meistens auch; und wenn er aus manchem den Sinn nicht herausfand, welchen der Autor hineingelegt hatte, so fand er einen anderen Sinn heraus oder legte ihn hinein, der ihm ganz allein gehörte und mit welchem der Autor sehr oft zufrieden sein konnte. Obgleich er sein Handwerk liebte und es in keiner Weise versäumte, so hatte es doch keinen goldenen Boden für ihn, und er blieb ein armer Mann. Goldene Träume aber hatte seine Beschäftigung für ihn, und alle Beschäftigungen, die dergleichen geben können, sind gut und machen glücklich. Anton Unwirrsch sah die Welt von seinem Schusterstuhle fast geradeso, wie sie einst Hans Sachs gesehen hatte, doch wurde er nicht so berühmt. Er hinterließ ein eng und fein geschriebenes Büchlein, welches zuerst seine Witwe in der Tiefe ihrer Lade neben ihrem Gesangbuch, Brautkranz und einem schwarzen Kästchen, von welchem später noch die Rede sein wird, aufbewahrte gleich einem Heiligtume. Gleich einem Heiligtume überlieferte die Mutter es dem Sohne, und dieser hat ihm den Ehrenplatz in seiner Bibliothek zwischen der Bibel und dem Shakespeare gegeben, obgleich es nach Gehalt und Poesie ein wenig unter diesen beiden Schriftwerken steht.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Hungerpastor