Abschnitt. 2 - Gib n Zeichen, daß du noch beis labendige Dasein bist, Anton brummte der Meister ...

„Gib ‘n Zeichen, daß du noch beis labendige Dasein bist, Anton!“ brummte der Meister Grünebaum. „Sei ‘n Mensch und ‘n Mann, wirf die Weibsleute ‘raus, alle, bis auf – bis auf die Base Schlotterbeck dort. Denn obschonst der Deibel die Graden und die Ungraden nimmt, so ist das doch die einzigste drunter, die ‘nen Menschen wenigstens alle Stunde einmal zu Worte kommen läßt. Willst du nicht? Kannst du nicht? Darfst du nicht? Auch gut, so faß hinten meine Jacke, daß ich dich sicher aus dem Tumult bringe; komm die Treppe herauf und laß es gehen, wie es will. Also der Junge ist da? Na, gottlob! Ich dachte schon, wir hätten wieder vergeblich gelauert.“
Durch die Weiber schoben sich seitwärts die beiden Handwerksgenossen, gelangten mit Mühe auf den Hausflur und stiegen die enge, knarrende Treppe hinauf, welche in das obere Stockwerk des Hauses führte, allwo die Base Schlotterbeck ein Stübchen, eine Kammer und eine Küche gemietet hatte und wo also die Familie Unwirrsch nur noch über ein Gemach gebot, welches so mit Gegenständen von allerlei Art vollgepfropft war, daß für die beiden ehrenwerten Gildebrüder kaum noch der nötige Platz zum Niederhocken und Seelenaustausch übrigblieb. Kisten und Kasten, Kräuterbündel, Maiskolben, Lederbündel, Zwiebelbündel, Schinken, Würste, unendliche Rumpeleien waren hier mit wahrhaft genialer Geschicklichkeit neben-, unter-, über-, vor- und zwischeneinandergedrängt, -gehängt, -gestellt, -gestopft und -geworfen, und kein Wunder war’s, wenn der Schwager Grünebaum hier seinen zweiten Pantoffel verlor.
Aber die letzten Strahlen der Sonne fielen durch die beiden niedrigen Fenster in den Raum; vor den Nachbarinnen und der Frau Tiebus war man in Sicherheit. Auf zwei Kisten setzten sich die beiden Meister einander gegenüber nieder, reichten sich die Hände und schüttelten sie während wohlgezählter fünf Minuten.
„Gratulabumdum, Anton!“ sagte Nikolaus Grünebaum.
„Ich danke dir, Nikolaus!“ sagte Anton Unwirrsch.
„Vivat, er ist da! Vivat, er lebe hoch! – nochmals, ab–“ schrie aus vollem Halse der Meister Grünebaum, brach aber ab, als ihm der Schwager die Hand auf den Mund drückte.
„Nicht so laut, um Gottes Willen nicht so laut, Niklas! Die Frau liegt hier gerade unter uns und hat so schon ihre liebe Not mit den Weibern.“
Die Faust ließ der neue Onkel auf seine Knie fallen:
„Hast recht, Bruderherz; der Deibel hole die Graden und die Ungraden. Aber nun geh mal los, Alter, wie ist dir denn zumute? Allewege ganz und gar nicht wie sonsten? Hoho! Wie sieht denn die Kröte aus? Alles an die rechte Stelle? Nase, Mund, Arm und Bein? Nichts vermalhört? Alles in Ordnung: Strippen und Schäfte, Oberleder, Spann, Hacken und Sohle? Gut verpicht, vernagelt und adrett gewichst?“
„Alles, wie es sein muß, Bruderherz!“ rief der glückliche Vater, die Hände aneinander reibend. „Ein Staatsjunge! Gott segne uns in ihm. O Niklas, tausenderlei wollt ich dir sagen, aber es würgt mich zu sehr in der Kehle; alles geht rund mit mir um–“
„Laß es gehen, wie’s will; wenn die Katze vom Dach geworfen ist, muß sie sich erst besinnen“, sagte der Schwager Grünebaum, „Die Frau ist doch wohlauf?“
„Gott sei’s gedankt. Sie hat sich gehalten wie eine Heldin; keine Kaiserin hätt’s besser gemacht.“
„Sie ist eine Grünebaum“, sagte Nikolaus mit Selbstbewußtsein, „und die Grünebäume können im Notfall die Zähne zusammenbeißen. Auf was für ‘n Namen willst du den Jungen gehen lassen, Anton?“
Mit der hageren Hand fuhr der Vater des Neugeborenen über die hohe, furchenreiche Stirn und starrte einige Augenblicke durch das Fenster ins Weite. Dann sagte er:
„Getauft soll er werden auf drei Handwerksgenossen. Johannes soll er heißen wie der Poete in Nürnberg und Jakob wie der hochgelobte Philosophus von Görlitz, und wie zwei Flügel sollen ihm die beiden Namen sein, daß er damit aufsteige von der Erde zum blauen Himmel und sein Teil Licht nehme. Aber zum dritten will ich ihn Nikolaus nennen, damit er immer wisse, daß er auf der Erde einen treuen Freund und Fürsorger habe, an welchen er sich halten kann, wenn ich nicht mehr vorhanden bin.“
„Das nenn ich ‘nen Satz mit ‘nem Kopf von Sinn und Verstand und ‘nem dicken, unsinnigen Schwanz. Die Namen gib ihm, und es soll für uns alle drei Perschonen ‘ne Ehre sein; aber mit den alten, närrischen Todesschrullen bleib mir vom Leibe. Fett bist du nicht, und ‘nen Ochsen schlägst du auch gerade nicht mit der bloßen Faust nieder; aber den Pechdraht kannst du noch manch hübsches Jährlein ziehen, du alter, spintisierender Bücherhase.“
Der Meister Unwirrsch schüttelte den Kopf und brachte die Rede auf was anderes, und mancherlei sprachen die beiden Schwäger noch miteinander, bis es vollständig dunkel in der Rumpelkammer geworden war.
Es klopfe jemand an die Tür, und der Meister Grünebaum rief:
„Wer ist mich da? Weibervolk wird nicht hereingelassen!“
„Ich bin’s“, rief eine Stimme draußen.
„Wer?“
„Iche!“
„‘s ist die Base Schlotterbeck“, sagte Unwirrsch. „Schieb nur den Riegel zurück; wir haben lange genug hier oben gesessen; vielleicht darf ich die Frau noch einmal sehen.“
Brummend gehorchte der Schwager, und die Base leuchtete mit ihrer Lampe in die Kammer.
„Richtig, da sitzen sie. Na, kommt nur, ihr Helden; die Nachbarinnen sind fort. Kriecht hervor! Eure Frau, Meister Unwirrsch? Ja, die ist wohlberaten; sie schläft, und Ihr dürft sie nicht stören; aber ‘ne Neuigkeit sollt Ihr wissen und Gott danken. Drüben über der Gasse beim Juden Freudenstein ist’s heute auch so gegangen wie in diesem Hause, aber nicht ganz so. Das Kind ist da – auch ein Junge, aber ‘s Blümchen Freudenstein ist tot, und großes Wehklagen ist drüben. Lobet Gott den Herrn, Meister Unwirrsch; Ihr aber, Meister Grünebaum, macht Euch fort nach Haus. Nun, nun, Unwirrsch, steht nicht so betroffen da, der Tod tritt ein oder geht vorbei nach Gottes Befehl. Ich bin wie gerädert und will ins Bett kriechen. Gute Nacht, Gevattern.“
Die Base Schlotterbeck verschwand hinter ihrer Tür, die beiden Meister schlichen auf den Fußspitzen die Treppe hinab, und der Oheim Grünebaum hatte an diesem Abend in seiner Stammkneipe zum Roten Bock viel weniger das große Wort in Politik, Stadtangelegenheiten und anderen Angelegenheiten als sonst. Der Meister Unwirrsch lag die ganze Nacht, ohne ein Auge zuzutun; der Neugeborene schrie mächtig, und es war kein Wunder, daß diese ungewohnten Töne den Vater wach erhielten und ein wirbelndes Heer von hoffenden und sorgenden Gedanken aufstörten und in wilder Jagd durch Herz und Hirn trieben.–

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Hungerpastor