Der Holzhandel in Memel.

Das seit alter Zeit weltberühmte Memeler Holzgeschäft hat große Veränderungen erlitten. Die einst berühmten großen Memeler Stämme existieren heute nicht mehr oder fast nicht mehr, denn das russische Holz ist in der Dimension außerordentlich zurückgegangen. Man zeigt jetzt Stämme von 25 m Länge und 25 — 30 cm Zopfstärke als Seltenheit, während sie früher ein laufender Handelsartikel waren. Diese wenigen starken Hölzer stammen aus der Gregend von Minsk (Stolpsi). Selbst wenn aber solch stark dimensioniertes Holz vorhanden ist, wird es in Memel nicht mehr zu Balken verarbeitet, sondern auf Bloche von 4,5 m Länge zerschnitten und zur Erzeugung von Schnittware für die Rheinlande verwendet, weil der Absatz dieser starken Memeler Balken hauptsächlich durch die Konkurrenz des Pitchpineholzes in England und Frankreich unmöglich geworden ist und anderseits die Bretterpreise in Deutschland infolge des Zolles außerordentlich hoch gestiegen sind. Es ist daher rentabler, Schnittware statt Balken zu erzeugen. Dieses Geschäft in beliebig langer Schnittware hat sich erst seit den Achtzigerjahren entwickelt, während früher alles lang abging. Dagegen sind schwache Hölzer, welche man früher in Memel gar nicht bezog, jetzt ein hervorragender Artikel geworden. Selbst Gipfelhölzer (Polskrapkis) kommen jetzt in großen Mengen aus Russland und werden sowohl in Memel wie in Königsberg, und zwar gewöhnlich zu Gerüst-, Bergbau- und Rahmenhölzern, verschnitten. Diese Polskrapkis besitzen 6 — 6,5 m Länge und 5 — 7 Zoll Zopfstärke. Neuerdings kommen auch Grubenhölzer in Traften.

Einen Holzimport zu Wasser bergwärts, wie er in der Statistik des Wasserstraßenverkehres ausgewiesen ist, gibt es in Memel nicht. Zweifellos ist das jenes Holz, welches aus dem Haff kommt.


Als unverkaufte Ware kommt nach Memel eigentlich nur Eichenstabholz, alles andere Holz befindet sich — wie dies auch aus der früheren Schilderung des Holzverkehrs hervorgeht — schon ab Russland oder doch ab Tilsit in festen Händen.

Der Import aus Russland hat infolge der Kriege und der Revolution der letzten Jahre nicht abgenommen. Nur die Kosten des Wassertransportes hatten sich zeitweilig erhöht, welchen Schaden aber die russischen Händler trugen, denn die deutschen Käufer übernehmen — wie schon erwähnt — franko Schmalleningken, Tilsit, Ruß oder Lappienen, je nachdem das Holz weiter gehandelt wird.

In der nachstehenden Tabelle sind die Hauptsortimente des Memeler Holzhandels und deren Ausfuhrsquantitäten in den Jahren 1903 — 1906 dargestellt. Die üblichen unrichtigen Bezeichnungen der Holzarten wurden berichtigt.

Tabelle 02. Memeler Holzausfuhr in den Jahren 1903 — 1906.

1) Lokal fälschlich Fichte genannt. — 2) Lokal fälschlich Tanne genannt, doch etwas Tanne beigemengt enthaltend. — 3) 1 Load = 50 engl. Kubikfuß = 1,4 m3. — 4) 1 Normal-Sleeper ist 8 11/12 engl. Fuß lang, 10 Zoll stark und 10 Zoll breit: 1 Normal-Schweller ist 9 rheinländ. Fuß (2,7 Meter) lang, 6 Zoll (16 cm) stark und 10 Zoll (26 cm) breit; andere Dimensionen von Sleeper und Schwellen werden hierauf reduziert.

Tabelle 03. Sortiment und Mengen in den Jahren 1903, 1904, 1905, 1906.

*) Ein „Rumpf besteht aus 3 Lagen, deren Breite gleich ist der Stablänge. Normallänge 27 Zoll rheinländ., andere Längen werden hierauf reduziert.

Im Schwellenhandel werden unterschieden Sleeperblocks und Schwellen. Erstere sind 10/10“ stark, 8' 11“ lang. Der größte Teil derselben geht in diesen Dimensionen nach England weiter und wird erst dort auf zwei Sleeper — sogenannte Halfen-Sleeper — gespalten. Ein Teil derselben wird aber auch in Memel so aufgearbeitet, um für die Schiffe das nötige Stauholz zu liefern. Die eigentlichen Schwellen sind hingegen 6/10“ stark, besitzen aber dieselbe Länge. Der Hauptunterschied der beiden Sortimente liegt darin, daß bei der Schwelle das Herz eingeschlossen sein kann, während beim Sleeper immer das Herz gespalten ist. Außerdem werden Sleeper nur aus Kiefernholz, die Schwellen aus Kiefernund Eichenholz hergestellt.

Schwellen und Sleeper kommen in ganzen Flößen an, und zwar wird die unterste Lage des Sleeperfloßes mit Stangen genagelt imd darüber eine obere Lage lose aufgelegt. Die meisten dieser Sleeper stammen aus Wolhynien. Schwellen und Sleeper werden in Memel in Kreuzstoßform im Wasser aufgestapelt und erreichen die Stapel je nach der Tiefe des Wassers bis zu 20 Lagen.

Die Sleeper werden nach dem Deckenmaß und nicht nach der Qualität sortiert, da sie ohnedies durchaus gesund sein müssen. Auf Dimension und Gesundheit wird streng gesehen. Die üblichen Dimensionsklassen sind:

...I. Sorte 9 Zoll Spiegel oder Deckenmaß
..II. Sorte 8 Zoll Spiegel oder Deckenmaß
III. Sorte 7 Zoll Spiegel oder Deckenmaß
IV. Sorte 6 Zoll Spiegel oder Deckenmaß

In der Regel werden die ersten drei Sorten unsortiert im Mischungsverhältnis von 50:30:20 geliefert; die vierte Sorte wird stets für sich gehandelt.

Eichenstäbe (Faßhölzer) werden nach England und Schottland, zum geringen Teile auch nach Frankreich und Spanien (Oporto) versendet. Die aus Russland stammenden Stäbe werden erst in Memel sortiert und bei dieser Durchsortierung, bei welcher nur die zweite Bracke herausgenommen wird, bildet man sich das Urteil über die Qualität und den Preis. Im Fassholz wird unterschieden: Krön- oder erstes Sortiment, Brack oder zweites Sortiment, zweite Brack oder drittes Sortiment.

Der Ausdruck „Piepenstäbe“, welcher im Fassholzhandel sehr stark üblich ist, stammt von Piepe, d. i. eine besondere Art von Weinfässern in England.

Das Fassholz wird ab Memel nur in geraden Stäben geliefert. Wegen des hohen Materialpreises ist es übrigens jetzt auch schon in England üblich geworden, das Fassholz aufzuspalten und zu biegen und es nicht mehr auszuhauen.

Das russische Eichenholz ist bedeutend engringiger und weitaus nicht so locker gebaut wie das österreichische. Auf den Lägerplätzen wird es sehr eng geschichtet und mit Brettern abgedeckt aufgekastet, damit es möglichst wenig reiße.

Die Usancen und Maße des Fassdaubenholzes sind außerordentlich kompliziert und nur für die praktisch damit Beschäftigten so recht erfassbar. Im großen und ganzen imterscheidet man beim Fassholz vier Gruppen: Vollmaßiges, mindestens 23/4“ dick, 5 1/2—6“ breit, Schwaches 10/4—5“ breit, Böttcher 8/4“ dick, 4“ breit und Blamiser 6//4“ dick, 3“ breit.

Als „Blamiser“ bezeichnet man also die Stäbe unter 4 Zoll Breite und 2 Zoll Dicke. Dieses Sortiment wird weniger nach England, mehr nach dem deutschen Inland abgesetzt. Stäbe unter 38 Zoll Länge werden als Böden bezeichnet. Der Preis stellte sich im Herbste 1906 auf 175 bis 180 M. pro reduziertes Schock = 60 Stück vollmaßige Piepen. Der Reduktionsfaktor der einzelnen Sorten auf normale Piepenstäbe ist usancenmäßig festgestellt.

Auf die Usancen des Memeler Faßholzhandels soll hier nicht weiter eingegangen werden, da sie in Druck gelegt und somit leicht erhältlich sind.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Holzhandel Norddeutschlands