Der Holzhandel auf dem Memelstrome.

Das gesamte, am Memelstrome oder Niemen kommende Holz überschreitet die deutsch-russische Grenze bei Schmalleningken (siehe Karte). In der Binnenschifffahrtsstatistik *) wird dieser Verkehr im Jahre 1906 wie folgt angegeben:

A. Floßverkehr.
Durchgegangen zu Tal . . . 918.507 Tonnen.


B. Gesamter Holzverkehr nach Sortimenten.

Harte Stämme...........11.527 Tonnen
Harte Schnittware............5.486 Tonnen
Hartes Brennholz................856 Tonnen
Weiche Stämme ..........929.477 Tonnen
Weiche Schnittware.....178.769 Tonnen
Weiches Brennholz........22.852 Tonnen

Der Knotenpunkt des ganzen Holzhandels ist Tilsit. Hier kommt so ziemlich das gesamte aus Russland am Niemen importierte Holz zusammen, und verteilt sich von hier aus auf die Handelsplätze von Elbing bis Memel. Bezüglich des Materials soll sofort darauf aufmerksam gemacht werden, daß die alten Fehler des ostdeutschen Holzhandels in der Benennung der Hölzer auch heute noch bestehen. Man bezeichnet Weißkiefer als Fichte und die Fichte als Tanne. Selbst in den offiziellen Publikationen wird noch immer an diesen unrichtigen Benennungen festgehalten und sollte dies wohl endlich beseitigt werden. Allmählich bricht sich zu nächst die richtige Bezeichnung wenigstens für die Kiefer Bahn.

*) Die Daten über BinnenwasserstraßenVerkehr sind der offiziellen Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 184, entnommen.
Siehe auch: G. Marchet und W. F. Exner, Holzhandel und Holzindustrie der Ostseeländer. Voigt, Weimar 1876.

Nach kaufmännischer Schätzung betrug die im Jahre 1906 auf dem Memelstrome angekommene Masse 5144 Flöße mit etwa 2,1 Millionen Kubikmeter russischem und 30.000 — 35.000 Kubikmeter inländischem Holz. Das russische Holz verteilte sich ungefähr wie folgt:

Königsberg...............................648.032 m3
Elbing.........................................11.699 m3
Memel, Euß und Heydekrug....924.312 m3
Danzig.............................................700 m3
Tilsit.........................................380.237 m3
Tilsit Umgebung......................115.623 m3
Zusammen............................2,080.513 m3

Nach den Angaben des Holzmessamtes in Tilsit enthielt diese Masse an den einzelnen Sortimenten:

Kiefern Rundhölzer (starke u. schwache).....849.622 Festmeter
Fichten Rundhölzer (starke u. schwache).....413.832 Festmeter
Birken................................................................1.424 Festmeter
Eichen................................................................7.905 Festmeter
Erlen................................................................62.120 Festmeter
Eschen...............................................................5.711 Festmeter
Aspen...............................................................13.180 Festmeter
Linden.....................................................................34 Festmeter
Zelluloseholz (Fichte)....................................368.500 Festmeter
Grubenhölzer......................................................4.433 Festmeter
Telegraphenstangen............................................4.800 Festmeter
Kieferne Balken und Mauerlatten......................6.339 Festmeter
Kieferne Sleepers...........................................196.183 Festmeter
Kieferne Schwellen........................................115.148 Festmeter
Kieferne Kleinbahnschwellen............................7.128 Festmeter
Eichene Schwellen...........................................10.501 Festmeter
Eichene Rundschwellen........................................275 Festmeter
Eichene Stäbe...................................................13.378 Festmeter
Zusammen...................................................2,080.513 Festmeter

In der offiziellen Binnenschiffahrtsstatistik finden sich über den Holzverkehr am Tilsiter Hafenplatz im Jahre 1906 folgende Angaben:

A. Floßverkehr.

Durchgegangen zu Tal........903.615 Tonnen
Angekommen zu Tal...........333.939 Tonnen

B. Gesamter Holzverkehr nach Sortimenten.

........................................Durchgegangen zu Tal:
Harte Stämme.......................45.176 Tonnen
Harte Schnittware.....................-...... Tonnen
Weiche Stämme..................981.029 Tonnen
Weiche Schnittware..............34.134 Tonnen
Weiches Brennholz...............17.834 Tonnen

.....................................Angekommen zu Tal:
Harte Stämme.................26.442 Tonnen
Weiche Stämme............363.709 Tonnen
Weiche Schnittware..........7.945 Tonnen
Weiches Brennholz.........13.685 Tonnen

Nachdem der ganze Memelhandel in Tilsit konzentriert ist, wurde von der Kaufmannschaft dort ein Messamt mit beeidetem Personal eingerichtet, welches nach einer Instruktion und gegen festgesetzte Gebühren (etwa 5 Pfennig pro Stamm) die Abmaße vornimmt. Die Abmaßkosten tragen die Käufer und Verkäufer gewöhnlich zur Hälfte. Die Länge wird mit dem Stahlband gemessen, die Stärke mit der Kluppe — und zwar auf volle Zentimeter abgerundet — ermittelt. Bei Laubhölzem (Eiche, Esche, Ulme) wird auch nach Kheinischem Maß gemessen und auf ½ Zoll abgerundet. Ein Messen mit dem Kettenmaß unter Wasser, wie es in Danzig und Oderberg-Bralitz in Gebrauch steht, findet nur ausnahmsweise statt, obwohl es die russischen Händler vorziehen würden. Diese Abmaß ist für den Käufer ungünstig und unsicher, weil sich die Kette sehr leicht verhackt, so daß man den Verlust auf etwa 9 %, bei unregelmäßigem Holze sogar auf 12 % der Masse zu Ungunsten des Käufers schätzt.

Alles Holz wird schwimmend gemessen, da sich der Kauf ganz im Wasser abspielt. Selbstverständlich wird aber ein Teil des Holzes nicht erst hier, sondern schon im Winter in Russland gekauft. Technische Fehler werden — soweit sie im Wasser bemerkbar sind — beim Abmessen berücksichtigt; sollte sich erst später bei der Verwendung am Lande finden, daß z. B. faules Holz geliefert worden ist, dann werden entsprechende Abzüge gemacht, da vertragsmäßig nur gesundes Holz geliefert werden darf. Bei Fichte geht dies oft auf 4 — 50%, bei Kiefer auf 3 — 5% der Faktura. Das Messbuch wird vom Bureau des Messamtes auf Grund der Aufnahme der beeideten Vermesser ausgefertigt und danach erfolgt der Verkauf, respektive die Abrechnung.

Selbstverständlich kann das Holz auch gleich direkt an den Bestimmungsort verflößt werden. Der Kauf erfolgt aber in Russland zumeist franko Grenze und zwar wird nur jene Masse gezahlt, welche in Tilsit, Lappienen, Ruß oder in Schmalleningken gemessen wurde. Dadurch wird die ganze Gefahr der Flößerei in der russischen Strecke auf die russischen Händler überwälzt, ein Umstand, der für die Entwicklung dieses Handels außerordentlich wichtig ist.

Für Holz, welches unverkauft nach Tilsit kommt, bestehen Transitlager. Für das Transitzollkonto muss beim Passieren der Grenze in Staatspapieren oder guten Wechseln Sicherheit gestellt werden; die Regulierung der Verzollung erfolgt halbjährig. Eine schwimmende Aufbewahrung des Holzes im Hafen, so wie sie anderen Ortes üblich, ist in Tilsit leider nicht möglich, weil die Memel außerordentlich hohe Inundationswässer hat und in kürzester Zeit alles versandet sein würde. Nur die große Tilsiter Zellulosefabrik und eine Säge haben solche Häfen, aber es zeigt sich, daß diese Plätze nur sehr schwer zu halten sind. Wegen der geringen Wassertiefe können größere Seeschiffe nicht bis Tilsit kommen, sondern nur ganz kleine Segler und größere flachgehende Binnenfahrzeuge.

Das nach Königsberg bestimmte Holz geht den Memelstrom abwärts in die Gilge, passiert den „Großen Friedrichgraben“, gelangt bei Labiau in die Deime und von da durch den Pregel nach Königsberg (siehe Karte). Die Dimensionen der Flöße sind strompolizeilich auf 105 m Länge und 20 m Breite festgesetzt. Beim Passieren durch die schmale Deime müssen diese Flöße nach der Mitte geteilt werden.

Das Holz, welches von Tilsit nach Memel geflößt wird, ging früher den Memelfluss abwärts über das Kurische Haff. Die Flöße wurden in einer Länge von 12 Tafeln in zwei Lagen übereinander gelegt und auf jeder Doppeltafel wurde ein Mast mit einem großen Segel aufgestellt. So segelte das Floß mit 12 Segeln über das Haff bis nach Memel. Je nach dem Winde dauerte die Reise oft sehr lange, oft nur einen Tag, war aber besonders wegen der plötzlich eintretenden Stürme und des heftigen Wellenganges im Haff für Schifffahrt und Flößerei gefährlich. Insbesonders die sogenannte Windenburger Ecke war gefürchtet. War ein Floß zerschlagen und nach dem breiten Haff getrieben worden, so war es so gut wie verloren.

Deshalb wurde im Jahre 1870 mit den französischen Gefangenen anschließend an die Minge der König Wilhelm-Kanal (in der Karte mit K. W. K. bezeichnet) gebaut. Das Haff ist jetzt nur mehr auf eine sehr kurze Strecke und an einer schmalen Stelle zu passieren und also nicht mehr gefährlich. Im Kanal und Haff wurde früher durch Menschen, Pferde und Ochsen gezogen, jetzt stehen ausschließlich Dampfer in Verwendung, und zwar schon von Ruß ab bis Memel. Die Flöße werden auch nicht mehr übereinander aufgezogen, sondern müssen vielmehr wegen der geringeren Breite des Kanals und der Schleusen auch hier nach der Länge gespalten werden.

Die Transportkosten für die Flößerei stellen sich für einen Festkubikmeter: Von der Grenze bis Tilsit auf 60 Pf., von Tilsit bis Königsberg auf 1 M., von Tilsit nach Memel auf 50 Pf.

Nachdem der ostdeutsche Handel auf den Bezug des russischen Holzes angewiesen ist, werden selbstverständlich große Anstrengungen gemacht, um die Wasserstraße in Deutschland zu verbessern, anderseits verfolgt man mit Aufmerksamkeit das russische Projekt, den Holzabsatz von den deutschen Abnehmern unabhängig zu machen durch die Herstellung „einer Binnenwasserstraße, welche vom Niemen die Dubissa aufwärts und durch einen Kanal in die Wenta, den Windaustrom und in den Hafenort Windau führen soll.

Von inländischen Projekten sind zu erwähnen: die Verbesserung der Schifffahrt auf dem oberen Pregel, die Herstellung eines schiffbaren Kanals zwischen den Masurschen Seen, die Herstellung von Wasserlagerplätzen in Königsberg selbst und verschiedene andere. Von diesen Projekten ist der Masursche Kanal bereits durch eine Gesetzvorlage sichergestellt.

Was den Windauer Kanal anbelangt, so sind im April 1905 die Vorarbeiten für diesen Kanal tatsächlich in Angriff genommen worden. Für dieselben wurden 2 Millionen Rubel bewilligt und werden für die Erbauung des Kanals selbst 20 Millionen Rubel in Aussicht genommen. Das „Für“ und „Wider“ hinsichtlich dieses Kanals lässt sich kurz im folgenden zusammenfassen: Infolge des hohen Zolles auf Schnittware wird das Holz hauptsächlich in unaufgearbeitetem Zustande nach Deutschland ausgeführt und haben außerdem die deutschen Werke in Memel, Danzig und Königsberg den Vorteil, daß ihnen der Zoll für das bezogene Rohholz ruckerstattet wird, wenn sie das erzeugte Material nach Holland, England u. s. w. exportieren. Die deutschen Händler und Industriellen können daher nach Ansicht der russischen Anhänger des Kanalprojektes den Preis des russischen Holzes nach Belieben drücken. Letztere erklären daher, es sei geboten, durch die Herstellung des Windauer Kanals die Verarbeitung des Holzes auf russischen Sägemühlen in Windau und Kowno zu ermöglichen und dadurch den Export des Holzes in verarbeitetem Zustande einzuleiten.

Dagegen wird eingewendet, daß infolge des hohen deutschen Schutzzolles auf Schnittware dieselbe in Deutschland teurer ist als selbst in England. Die in Deutschland erzeugte Schnittware bleibt daher fast ausschließlich im Lande und das durchgehende Rundholz zahlt selbstverständlich keinesfalls einen Zoll. Eine schädigende Konkurrenz der deutschen Schnitt Warenproduktion auf den anderen Märkten (England oder Frankreich) besteht daher nur in geringem Maße.

Der Holzpreis ist tatsächlich in Riga niedriger als in Memel und Königsberg und auch im Dünagebiet niedriger als im Niemengebiet, trotz der günstigeren Bedingungen für die Ausfuhr, resp. die Flößerei auf der Düna. Wenn die erst zu gründenden Windauer Werke so wie die Memeler Werke nach England ausführen wollten und daher mit dem niedrigeren englischen Schnittwarenpreise rechnen müßten, so könnten sie selbstverständlich auch nur niedrigere Preise bezahlen als die deutschen Werke. Die neuen Werke in Kowno, Windau und Libau werden übrigens nach Herstellung des Kanals — so wie jetzt schon bestehenden — wegen der höheren Preise der Schnittware den deutschen Markt aufsuchen, haben aber dann mit dem hohen Einfuhrzoll auf Schnittware zu kämpfen. Endlich wird von den russischen Urproduzenten überhaupt bezweifelt, daß sich russische Unternehmer finden werden, welche genug Intelligenz und Kapital haben, um konkurrenzfähige Sägewerke anzulegen und zu betreiben. Deshalb behaupten sie, daß der jetzige natürliche Weg über den Niemen für die Rohproduktion der beste sei, und daß es den Bedürfnissen des Landes entsprechender wäre, wenn das für den Bau des Kanals ausgeworfene Geld für die Erbauung von Straßen und Zufuhrwegen zu den Bahnen und für die Regulierung des Niemennetzes verwendet werden würde.

Man glaubt in Königsberg und Memel überhaupt gar nicht daran, daß dieser Bau jemals ernstlich in Angriff genommen werden wird.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Holzhandel Norddeutschlands