Fr

Friederichs-Ruh
ist ein großes wohleingerichtetes Wirtshaus, mit einem geräumigen Garten, und wird im Sommer von Gesellschaften aller Art aus Hamburg häufig besucht. Mit diesem bilden eine Mühle — eine Tuch-Fabrik — und verschiedene Wohnungen den Ort, der eine höchst pittoreske Lage, mitten in einer großartigen waldigen Landschaft hat. Hohe Waldanhöhen ziehen sich in einem Halbkreise um denselben herum, und gegen Westen breitet sich ein reizendes Tälchen vor demselben aus, an dessen Abhang er liegt. Die Ansicht von dem Garten aus aber über dasselbe übertrifft jene noch, und ist zugleich romantisch und erquickend. Ein verborgen liegendes Plätzchen, der lieblichste Wohnsitz der Einsamkeit und der Betrachtung; — einige verschränkte Baumstämme — ein Bächlein, das, zwischen dem Gebüsche hervorschimmernd, sanft in einer Vertiefung sich hinschlängelt, eben groß genug, dem herüberhängenden Gehölze zum Spiegel zu dienen, — das Alles bildet, von dort aus gesehen, eine so anmutsvolle Szene, dass eine solche es sicher war, nach der Dichter sich sehnte, als ein schwüler Sommertag seiner Brust den sehnsüchtigen Ausruf auspresste:

„O quis me gelidis in vallibus Haemi
„Sistat, et ingenti ramorum protegat umbra!"*)


*) O könnte ich weilen im kühlen Tal des Haemus,
Beschützt vom Schatten weitausgebreiteter Zweige!

Berge im Hintergrunde würden den Reiz bis zum Unbeschreiblichen erhöhen. Indes einigen Ersatz dafür liefert der Mühlenteich, über welchen die Rieseneiche, fast selbst ein Wald, ihre malerischen Äste ausbreitet, und die ihren ehrwürdigen Stamm mit seinen Wipfeln unten im Spiegel beschauend, das Gemälde vollendet.

In der Umgegend von Friederichs-Ruh kann der Fußgänger nach allen Richtungen Spaziergänge in den Sachsen-Wald machen. Vorzüglich angenehm und als Waldgegend anziehend ist der Weg nach dem kleinen Dorfe Rothenbeck, auf dem der Wanderer an allen Seiten großartige und pittoreske Wald-Szenen antrifft, und von da nach Grande, wo eine zweite Brücke über die Bille ist. Ein zweiter Weg, dem es auch an Natur-Schönheiten, besonders hübschen Baumgruppen nicht fehlt, führt nach Escheburg. Einen dritten Weg schlugen wir den andern Morgen ein, da wir die Absicht hatten, die sogenannten Riesen-Betten, oder Hünen-Gräber, die im Sachsen-Walde liegen, zu besehen. Wir verließen Friederichs-Ruh in der Frühstunde, und gingen rechts bergan, eine Tannen-Allee hinauf, bis wir an einen Kreuz-Weg kamen. Der Weg rechts führt nach der Aumühle — gerade aus nach Escheburg — und der links, welchen wir nahmen, nach dem Wald-Dorfe Bosdorf.

Alles umher verkündigte uns das Erhabene eines Waldes; — die einzeln stehenden majestätischen Buchen — das verschiedenartige Laub der Bäume — die weite Aussicht zwischen den hohen Stämmen — kleine Herden von munteren Rehen in der Ferne. — Alles bildete ein überraschendes, ausnehmend freundliches Ganze.

Bei solchen Gelegenheiten gewährt es eine angenehme Unterhaltung, zu beobachten, wie die Morgensonne durch eine Masse von Nebelschatten zuerst nur ein mattes, abgleitendes Licht aus die Gipfel der beholzten Anhöhen wirft — wie in wenig Minuten alle diese Verwirrung verschwindet — wie nun Licht und Schatten sich zu brechen und zu trennen, und eine bestimmte Form anzunehmen beginnen, bis zuletzt die Sonne, im Osten flammend, einen neuen Strahlenglanz über den ganzen Wald ausgießt, und anstatt des sanften Lichts und Schattens, alle Farben der Natur in einem hellen, bald verschwindenden Schimmer über ihn verbreitet.

Indes nicht minder unterhaltend ist es auch, die mannichfaltigen Gestalten zu beobachten, welche die Bäume bei dieser abwechselnden Beleuchtung annehmen.
Darauf eilten wir mit frohem Mute den Weg fort, um tiefer in den Sachsen-Wald zu kommen. Derselbe unserer Begleiter, dem wir die geschichtliche Anmerkung über Reinbeck verdankten, bemerkte auch jetzt, dass die Benennung Sachsen-Wald, oder Wald der Sachsen, ein treffender Beweis von dem uralten Dasein eines sächsischen Volkes sei, — Ferner, dass „der älteste Schriftsteller, bei dem man den Namen der Sachsen findet, Ptolemäus sei, welcher später als Strabo — Mela — Plinius und Tacitus, nämlich im zweiten Jahrhunderte gelebt habe, und bei welchem es heiße, dass die kleineren Chancen bis an die Elbe, darauf aber die Sachsen auf dem Nacken der cimbrischen Halbinsel wohneten, und am Ausflusse der Elbe drei Sachsen-Inseln belegen wären."

„Im vierten und in den folgenden Jahrhunderten aber", fuhr er fort „war der Name der Sachsen unter den alten Schriftstellern ganz gebräuchlich; und nicht nur Flavius Eutropius — thut der Sachsen, und zwar in Verbindung mit den Franken, Erwähnung, (lib. 9. Oap. Li.) sondern auch Ammianus Marcellinus, (lib. 27. cap. 8. § 5.) — Hieronymus — Zosimus — und andere, nennen sie als Nachbarn der Franken, so dass also schon damals unter dem Namen — Sachsen, — der ganze sächsische, Völkerstamm begriffen worden ist."

Der Weg führt fast eine Stunde lang südöstlich und östlich durch den Wald; indem man zugleich im Rücken und vorn, und aus beiden Seiten, jedoch mit Unterbrechung, die schönste Aussicht neben sich hat. Dabei im Walde selbst die mannigfachste Abwechslung; bald geht man durch dichte Schatten säulenartiger Birken — Ellern — und Eichen, an die sich jüngere Waldung schließt, bald schlängelt sich der Fußsteig unter einzelnen 200jährigen Buchen von herrlichem Wuchs, bis man endlich auf eine Heidefläche des Waldes, malerisch umschlossen von beholzten Anhöhen, gelangt. Am Eingange in diesen Raum sieht man zuerst den zersplitterten Stamm einer alten Eiche, die vom Blitz getroffen ist, und ferner zur rechten Hand erblickt man mit ihren Totenkammern die Reihen ungeheurer, grauer Blöcke von Granitstein, aus welchem diese Art der Denkmäler der Vorzeit immer bestehen. Diejenigen unter uns, die sie nie gesehen hatten, waren voll Verwunderung über ihre riesenmäßige Größe, und über die regelmäßige Stellung, in der sie sich befinden.

Über diese Denkmäler der Vorzeit in Nord-Deutschland, deren es viele gibt, und die in der Volkssprache mit der allgemeinen Benennung — Hünen-Gräber — bezeichnet werden, möge hier etwas Näheres bemerkt werden.

Die bei weitem zahlreichste Art derselben besteht aus Hügeln, welche auf Anhöhen, freien Räumen, Flächen, abgelegenen Heiden, Bergen und in Tälern zerstreut liegen, und alle eine konische Form haben; sie sind nach Verhältnis ihrer Größe sehr symmetrisch aufgeworfen, und aus der Ferne gesehen, macht gerade dies ihre malerische Schönheit aus. Sie ragen 10 bis 20 Fuß über die Erdfläche hervor, und ihr Umfang stimmt immer genau mit ihrer Höhe überein. Ihre innere Beschaffenheit ist immer dieselbe: — in ihrer Mitte ganz unten ruht ein ungeheurer Granit-Fels auf fünf andern, die so im Kreise gesetzt sind, dass sie einen fünfeckigen Raum bilden, in welchem man immer Urnen oder Töpfe mit Asche und gebrannten Knochen angefüllt, und Gerätschaften und Waffen aller Art, von Metall und Feuerstein verfertigt, findet.

Auf dieser Heidefläche, unweit der zwei Riesenbetten oder Ehrengänge, stehen noch drei solcher Erdhügel, die geöffnet, ihres Inhalts und ihrer symmetrischen Schönheit beraubt worden sind. Hünen-Gräber dieser Art liegen im Sachsen-Walde fast in zahlloser Menge zerstreut, und viele davon sind jetzt mit herrlichen Eichen und Buchen gekrönt. Ein geheimnisvolles Dunkel umschleiert übrigens noch immer ihren eigentlichen Ursprung. Sie sind beinahe in allen Teilen der Welt, mit dem nämlichen Inhalt gefunden worden, — in Sibirien sowohl als in Irland und Wallis, — in Deutschland, Norwegen, Schweden und Dänemark, und an den Ufern des Ohio und anderer Flüsse in den Vereinigten Staaten — und in England und Schottland so gut als in der Nähe des Himalaya in Ost-Indien, und der Felsen-Gebirge Kolumbiens.

Die zweite Art dieser Hünen-Gräber ist in allen ihren Bestandteilen der ersten ganz gleich, nur dass sie ungemein viel größer sind, und viel seltener angetroffen werden. Das, bei Albersdorf unweit des Braut-Kamps in Holstein, vom Volke Heiden-Berg genannt, ist ungefähr 185 Schritte unten im Umfang, und 35 Schritte hoch.

Die dritte Art derselben, öfter ohne hinlänglichen Grund Opfer-Altäre — Opfer-Herde genannt, besteht nur aus einem Ungeheuern, rauen Granit-Block, der gewöhnlich auf fünf (denn bald sind es mehr bald weniger) anderen ruht, die so im Kreise liegen, dass ein eckiger Raum unter dem Deckel gebildet wird. Das ganze steht meistens frei und offen, zuweilen aber auch auf einer kleinen Anhöhe. Das vollständigste dieser Art in unserer Gegend ist ebenfalls bei Albersdorf auf dem sogenannten Braut-Kamp noch anzutreffen. — Ein anderer sogenannter Opfer-Herd lag noch vor einigen Jahren am Hertha-See, auf der Insel Rügen ganz unversehrt, den man, einer Volks-Sage nach, noch immer den Pfenning-Kasten nennt, weil für den Eingang in den Tempel der Hertha daraus bezahlt wurde. Von diesem ist aber der Deckel in späteren Jahren abgenommen, und der Inhalt der Toten-Kammer unter demselben, mit dem in anderen gefundenen übereinstimmend, nach Berlin geschafft. Man hat leider den Deckel nicht wieder aufsetzen lassen, weil dieses wahrscheinlich eine zu große Kraftanstrengung erfordert hatte. Um so mehr ist diese Spolierung zu bedauern, da man von dem Platze, wo dies Denkmal des Altertums liegt, den sogenannten Hertha-See überschaut, und der merkwürdige Opfer-Stein nicht fern davon liegt.

Darauf nahmen wir noch eine vierte Art von Hünen-Gräbern im Sachsen-Walde in Augenschein.

Die Riesen-Betten dieser Art halten gemeiniglich gut b« Schritt in der Lange, und 12 Schritt in der Breite. Sie sind an beiden Enden durch rauhe Granit-Blocke geschlossen, und bilden mit zwei Reihen ungeheurer Felsen derselben Steinart ein langliches Viereck. Betrachtet man sie recht, so zeigt es sich, dass bei der ersten Anlegung derselben, eine schöne Ordnung beobachtet wurde; denn die großen Steine sind sorgfältig und künstlich in schnurgerader Linie hingesetzt. Der Raum zwischen den beiden Reihen von Felsmassen ist einige Fuß höher als die Erdflache außerhalb derselben. Nahe dem östlichen Ende desselben ruht in der Mitte auf fünf anderen der große schwere Opfer-Stein. Jene ragen etwas über die Oberflache des Raums hervor, und bilden eine Toten-Kammer, ähnlich denen der einfachen Opfer-Altäre oder Hünen-Gräber. Sie sind alle ihres Inhalts schon in früherer Zeit beraubt worden, und nur die Annalisten liefern uns die Nachricht, dass derselbe mit dem der Andern überein gestimmt habe.

Das Eine dieser Riesen-Betten ist ziemlich gut erhalten, und in dieser Rücksicht merkwürdig, und höchst interessant für den Altertumsforscher, indem alle anderen Hünen-Gräber dieser Art, die man in Holstein, und auf der Insel Rügen kennt, mehr oder weniger in einer höchst traurigen Beschaffenheit sind; und, wird die Zerstörungswut, verbunden mit Habsucht, nicht durch einen Machtspruch gehemmt, so werden in einigen Jahren alle Spuren von den Grabstätten unserer Urvater, oder der Urbewohner unseres Vaterlandes gänzlich verschwinden. Vorzüglich viele dieser zuletzt beschriebenen Grabstätten findet man bei dem Dorfe Tarbeck im Angesicht des Schlachtfeldes Bornhöved in Holstein, wo mehr als zwanzig solcher ehrwürdigen Überreste des Altertums beisammen stehen; ferner auf der Insel Rügen, unweit der sogenannten Seegen-Steine, oder der Trümmer des runden, heidnischen Tempels bei Klein- Stresow nahe dem Tannen-Walde, die von riesenhafter Größe sind.

Schließlich mag noch bemerkt werden, dass Ossians Gedichte voll von Hindeutungen auf diese steinernen Grabstätten und Hünen-Gräber sind. Ein paar Auszüge aus denselben können hier zum Beweise dienen, und werden dem Leser nicht unwillkommen sein.

Aus Colna-Dona.

„Auf das Wort des Königs gingen wir hin
zum Lauf
„Des rauschenden *) Krona, — Toskar von Luta's Flur,
„Und Ossian, junge Krieger; begleitend auch
„Mit Gesang drei Barden, man trug vor uns
einher
„Gebuckelter Schilde drei, wir sollten empor
„Zum Denkmal voriger Zeit erheben den Stein." —
„Es hatte Fingal den Feind, beim bemoosten
Rand
„Des Krona zerstreut, die Fremdlinge vor sich her,
„Wie die trübe Woge des Meers, gewälzt". „Es
sank
„Von Bergen herab die Nacht, da zum Ort des
Ruhms
,,Wir kamen: — dem Hügel entriss ich eine Eiche,
„Und erweckte lodernde Glut; ich bat die Väter
„Herab zu schauen aus den Hallen der Wolke; hell
„Erschimmern sie gern im Wind, bei der Enkel
Ruhm!"
„Ich Hub aus dem Strom den Stein, umtönt von Gesang
„Der Barden, geronnen war, an dem Schlamm
des Steins,
„Das Blut von den Feinden Fingals; ich legte
darunter
„Drei Buckeln von Schilden des Feinds, indem der
Schall
„Von Ullin's nächtlichem Sang sich erhub, dann
sank. —"
„Es legt den Dolch in die Erde, Toskar, zugleich
„Des Panzers rasselnden Stahl; wir erhuben dann
„Den Wall um den Stein, und hießen ihn
zeugen einst: —"
„Du beschlammter Sohn des Stroms, der du
hoch anjetzt
„Erhoben stehest, o Stein! du sollt reden einst
„Zu den Schwachen, wann das Geschlecht von
Selma wird
„Erloschen sein." — „Es legt sich in stürmender Nacht
„Ein Wandrer neben dich hin, es ersäusle dann
„In seinen Träumen dein Moos, und es kehr'
ihm dann
„Die Zeit der Jahre zurück, die entflohen längst." —
„Dann steigen Schlachten empor vor ihm! und
es tritt
„Ins Gefild der blaugeschildeten Fürsten Fuß."
„Erdunkelnd schaut von dem Himmel herab der
Mond
„Auf des Feldes Gewirre — der Mann fahrt auf
im Licht
„Des Morgens, und sieht die Gräber der Krieger
rings;
,,Er forscht nach Kunde des Mals, und ein Greis
erzählt: —"
„Von Ossian ward erhoben der graue Stein,
„So der Häupter einer war in vergangner Zeit.'"

Nachdem wir über eine Stunde bei diesen Überresten vaterländischer Altertümer verweilt waren, teils auszuruhen, teils die reizende Lage der Hünen-Gräber recht zu betrachten, verließen wir sie dennoch ungern, und setzten unsere Fußreise fort, um Bergedorf und die romantische Umgegend von Reinbeck und der Ober-Bille zu sehen. Zu diesem Zwecke kehrten wir auf demselben Wege aus dem Walde zurück, bis wir den vorher erwähnten Kreuzweg wieder erreichten, und gingen dann gerade bei der Aumühle und dem Dorfe vorbei, bis an die Brücke über die Bille. Diese ließen wir zur rechten Hand liegen, und verfolgten den Weg gleich links, bis wir bald eines Fußsteiges rechts gewahr wurden, der uns längs dem Saume eines abschüssigen Gehölzes, mit der Bille zur Seite, dann zwischen dichten, schönen Hecken, dann durch beschattete Heine führte, wo manche herrliche Aussicht den Wanderer überraschte. Eine natürliche Quelle, welche gleich im Anfange von der Anhöhe herunter, der Bille ihr kristallklares Wasser zuschickt, erhöht die Annehmlichkeit des Weges.

Als wir aus dem kleinen Gehölz herausgekommen waren, wandte sich der Pfad plötzlich links, und brachte uns in das anspruchslose kleine Walddorf Bille-Kamp. Wenn man bei den letzten Häusern rechts vorbei ist, so geht dann der Fußsteig in derselben Richtung quer über das Feld nach Wolddorf zu. Auf diesem Wege öffnete sich uns eine neue Szene, indem die Gehölze um uns herum auf hohem Lande standen, und so einen mannichfaltigen sehr schönen Hintergrund bildeten; und noch verschönerten den Weg die Baume, die von den Anhöhen an, wo sie in Absätzen über einander emporragen, sich bis an den engen Landweg erstrecken. Ferner erhöhte das malerische des Ortes, durch den Kontrast, den sie mit den übrigen Umgebungen bildete, eine große tiefe Mergel-Grube, bei der wir vorbeikamen. Bald darauf sahen wir Wolddorf vor uns liegen, und eilten durch dasselbe bergab, indem wir nicht verfehlten, den Fußsteig, der dem letzten Hause im Dorfe vorbei, rechts quer über das Feld geht, einzuschlagen, welcher uns auf einen Landweg brachte, den wir rechts hinauf wanderten, bis wir auf eine Heide kamen. Hier ist die Gegend einsam, und nur selten verirrt der Fuß des Spaziergängers sich hierher, obgleich das Billtal, mit einem Eichenwald im Vordergrunde, sich dem Auge freundlich und einladend darstellt. Bei dem Eingange in die Heide muss man sich gleich links auf einem kleinen Fußsteige, neben dem Feldzaun halten, der bald in ein Gehölz leitet, wo ein von allen Holzarten des Waldes beschatteter Weg den Wanderer schützend aufnimmt.

Nichts in der Natur kann anmutiger sein, als dieser grüne Fußsteig durch den Wald; denn obgleich er immer gerade aus geht, so gewährt er in seinem Laufe doch alle die herrlichen Abwechslungen, welche die Natur uns in dem ursprünglichen Anstande einer Waldgegend darzubieten pflegt: — bald steigt der Wanderer in eine tiefe Schlucht hinab, die mit Moos und Schilf bedeckt ist, durch eine kaum sichtbare Quelle bewässert; bald hebt sich der Pfad steil, den beholzten Hügel hinauf, und gewährt eine weite Aussicht über eine schöne Landstrecke; bald kommt man in ein enges Tälchen, wo hellfarbige Blümchen mit dem sanften Grün des Heidelbeer-Strauches wetteifern, einen unvergleichlichen Teppich an beiden Seiten des Weges auszubreiten; bald streift der Pfad den Rand eines sähen Abhanges, an dessen Fuße sich die Bille hinwindet, und ihre blauen Wellen durch Erlen und Eschen durchblicken lässt; und, die reizende Waldszene zu vollenden, erscheint hie und da ein Kornfeld in der Ferne, oder eine buschige Wiese in der Nähe.

Wir verweilten lange auf diesem Teile unserer Fußreise, und bestiegen unermüdet jede sich uns darbietende Anhöhe, um keine neue Ansicht des Billthales verloren gehen zu lassen.

In Allem was die Natur tut, zeigt sie eine so große Weisheit, und bietet sie einen so unerschöpflichen Stoff zur Unterhaltung dar, dass der denkende Mensch sich gern der Betrachtung und Bewunderung ihrer unnachahmlichen Werke hingibt. Sie hatte uns so gefesselt; es war uns so wohl im traulichen Schatten des stillen Waldes, dass, als uns endlich der Flug der Zeit zum Weitergehen mahnte, wir uns fast gewaltsam losreißen mussten.

Wir traten aus dieser, von der Kunst der Menschen noch um berührten Gegend, in eine andere von verschiedener Gestalt. Denn kaum hatten wir den Wald hinter uns gelassen, so zeigte sich das Schloss und die Brücke zu Reinbeck; aber wir ließen beide rechts liegen, und setzten unfern Weg quer über den Fahrweg, welcher von der Brücke kommt, fort, um auf den Fußsteig, welcher sich hier rechts abwendet, nach Bergedorf zu gelangen. Wir schritten aus demselben vorwärts, indem wir uns zugleich den traurigen Heide/ Anhöhen näherten, mit ihren Tannenreihen zur linken Hand, die ihren braunen finstern Mantel vor unserm Blicke ausbreiteten. Das unangenehme des Eindrucks ward indes etwas dadurch gemildert, dass wir sie nicht plötzlich erblickten, denn schon lange hatten sie uns jede Aussicht in die Ferne von dieser Seite versperrt. Entschädigung indes gewahrte uns dafür die zur rechten Hand liegende Gegend, die uns durch ihre Schönheit an die lieblichen Naturszenen erinnerte, deren so eben unser Auge genossen hatte. Der Boden des Billtals läuft hier in mannichfachen, mit Gesträuchen bedeckten Abhängen aus, an deren Fuß die Bille hinfließt, kleine Halbinfeln verschiedener Gestalt bildend, und dem Ganzen dient der herrliche Reinbecker Wald zu einem dunkeln, feierlichen Hintergrunde, wie denn überhaupt man auf diesem Wege an der rechten Seite eine zusammenhängende Reihe landschaftlicher Szenen hat. Anfangs ist die Bille etwas entfernt; Kornfelder und Weiden liegen zwischen ihr und dem Wanderer; allein bald hatten wir sie zur Begleiterin neben uns, und ergötzten uns an allen den spielenden Mannigfaltigkeiten, welche ein kleiner Fluss bieten kann. Bald verbarg sie sich wieder hinter einem beholzten Absturz; erschien in der Ferne aufs Neue, und floss in pittoresken Windungen in ihrem kleinen Tale dahin. Eine zufällige Erhöhung an der einen Seite des Fußsteigs, mit weichem Rasen bedeckt, lockte uns zum Sitzen, und gemächlich genossen wir die anmutige Szene, welches Vergnügen noch ein paar Lerchen erhöhten, die in demselben Augenblick über der Wiese des jenseitigen Ufers schwebten, und die Luft mit ihrem melodischen Gesange erfüllten.

So unfähig wir auch sein mögen, Manches in der Natur zu erklären, das uns Menschen als unnütz oder zwecklos erscheint, so muss doch als ein von ihr stets befolgtes Gesetz anerkannt werden, dass sie keinem Wesen etwas gibt, was nicht eine nützliche und eigentümliche Bestimmung hat. So auch bei den Lerchen. Einem jeden ist wohl bekannt, dass die Klauen dieser Tierchen auffallend lang sind, und doch nicht dazu dienen sollen, den Vogel in den Stand zu setzen, seine Nahrung in der Erde zu suchen, oder bequemer auf Baumzweigen auszuruhen. Denn Naturforscher haben kürzlich die Entdeckung gemacht, dass diese unverhältnismäßige Länge der Klauen einen zweifachen Grund hat: erstens nämlich, um schnell und mit Sicherheit auf dem Grase und über dasselbe laufen zu können, und zweitens, um ihre Eier in andere Nester überzutragen, wenn das erste durch irgend einen Zufall beschädigt oder zerstört wird, wie durch die Sense des Mähers, grasendes Vieh, oder vorübergehende Menschen, was sehr leicht geschieht, da sie ihr Nest gewöhnlich auf Weiden oder Kleefeldern baut. Droht nun wirklich aus dieser oder einer andern Ursache Gefahr, do schaffen die alten Vögel, mit Hilfe ihrer langen Klauen, ihre Eier sogleich weg, nach einem andern Neste hin, wo sie mit mehr Sicherheit bleiben können. Ein Ereignis in der Natur, welches oft von Schäfern und Landleuten beobachtet ist, und durch sie bestätigt wird.

Noch eines merkwürdigen Umstandes erinnern wir uns hier hinsichtlich der Lerchen. Wenn sie nämlich mitten in ihrem Gesange die Stimme ihrer Weibchen hören, so steigen sie gleich aus der Luft herab, aber nicht an der Stelle wo ihr Nest sich befindet, sondern sie fliegen längs der Oberfläche des Feldes zu demselben hin. Es ist klar, dass sie zu dieser Vorsicht durch einen Naturtrieb bewogen werden, den ihr wohlwollender Schöpfer ihnen zur sichern Erhaltung ihrer Jungen gab; denn kämen sie immer dicht bei ihrem Neste aus der Luft herunter, so würde dieses leicht entdeckt, und sie bald ein Raub ihrer Feinde werden.

Doch nun zu unserem Wege zurück. Vor der letzten, mit jungem Tannenholze bedeckten Anhöhe links, bemerkt man, nachdem man über einen Steg gekommen ist, sowohl links als rechts einen Fußweg; der eine führt nach einigen geschmackvollen Anlagen, von wo aus sich eine schöne Aussicht über die ganzen Vierlande darbietet; der andre geht gleich rechts ab, dem Laufe der Bille nach; wir zogen es vor, diesem nachzuwandern, weil er am Fuße des hohen Landes nach einem herrlichen Haine von stattlichen Eichen führt, wo ein paar Rasensitze im Schatten der Bäume dem Fußgänger Ruhe und Erquickung gewahren. Die Waldpartien, welche man hier trifft, sind reich an Schönheiten- Ein weicher grüner Teppich dehnt sich vor dem Auge aus; die Bille beschreibt um denselben einen Bogen mit vielen Einbiegungen, wahrend ein schöner hoher Wald die Aussicht jenseits des Flusses schließt. Fröhlich wanderten wir diesen anmutigen Weg, der uns bald nach einer etwas offenen Gegend brachte, in der wir zur linken Hand eines kleinen Pfades durchs Feld gewahr wurden, der uns nach dem Bergedorfer Schießplatz führte. Dieser enthält die Vogelstange, und eine bequeme, mit Stroh bedeckte Hütte, zum Gebrauch der Bürger bei ihren jährlichen Lustbarkeiten. Die Natur hat hier vieles getan, um diese einsame Waldschlucht höchst romantisch auszustatten; man kann sie nicht betreten, ohne von ihrer einfachen Schönheit ganz entzückt zu werden. Auch hat sie einen besonderen Lusum naturae aufzuweisen, nämlich zwei hochstämmige Eichbäume, die nicht fern von einander zusammen stehen, mit nur einer Krone, da ihre Hauptstämme oben vollkommen in einander gewachsen sind. Die Wahl dieses Platzes macht dem Geschmacke der Bürger viel Ehre, und seine Umgebung erhöht ohne Zweifel in hohem Maße das Vergnügen in ihren Erholungsstunden.

Kaum hatten wir diesen anmutigen stillen Aufenthalt, durch den wir gerade hindurch gingen, wieder verlassen, und, nachdem wir den Landweg erreicht, uns rechts gewendet, als wir uns in einer hohen freien Gegend befanden. Hier erblickten wir vor uns die niedliche Landstadt Bergedorf mit ihrem Schloss und ihrer Kirche, in der Tiefe, am Ausgang des Billtals, an beiden Seiten vom hohen Lande eingeschlossen; so wie auch die ganze weite Fläche, welche Billwärder und Vierlanden bildet. Diese Aussicht ist zwar zu umfassend für einen Landschaftsmaler, aber bei heiterem Wetter für den Wanderer höchst reizend und fesselnd. Besondere Umstände, wie ein Sturm, Nebel, Gewitter in der Ferne, die auf- oder untergehende Sonne, unter denen man diese Aussicht genießen könnte, würden sicher Allem noch einen höheren Reiz verleihen. Aber auch ohnedem zeigt dieser Standpunkt dem Betrachtenden die Natur in ihrer ganzen Majestät.

Der Landweg lief nun immerfort bergab, dem Städtchen zu, und auch auf ihm erblickten wir bei jedem Schritte vorwärts nach allen Seiten, herrliche Szenen in den dazwischenliegenden Landstrecken.

Bald nachher befanden wir uns auf der Straße in
Bergedorf
selbst, indem wir auf dem Wege die Windmühle gleich linker Hand hatten liegen lassen. Wir hielten uns hier nur so lange auf, als zur gehörigen Stärkung und Erquickung unsers Körpers nötig war, wozu zwischen zwei guten Gasthöfen den Reisenden die Wahl gelassen ist, um Zeit zu erübrigen, auch die schöne Lage und zierliche Einrichtung des Schlossgartens in Augenschein zu nehmen.

Diese freundliche, nahrhafte kleine Stadt von ungefähr 300 Häusern, und 2.300 Einwohnern, mit einem Schlosse und Schlossgarten, wo jetzt der Amtsverwalter wohnt, gehörte in alten Zeiten den Herzogen zu Sachsen-Lauenburg.

„Im fünfzehnten Jahrhunderte", sagen die Annalisten, „hat der damalige Herzog Erich der Vierte zu Sachsen-Lauenburg, diese seine Besitzung an die Lübecker Obrigkeit stark verpfändet, worauf sie Junker Otto von Ritzerow zu einem Schlosshauptmann des Schlosses gemacht, und ihm eine kleine Besatzung beigegeben. Dieser war unachtsam genug, sich von einer zahlreichen Mannschaft des Herzogs überrumpeln zu lassen, und dieser nahm gewaltsam Besitz von dem Schlosse und der Stadt, ohne zuvor das Pfandgeld bezahlt zu haben. Nach diesem Vorfalle säumten die Städte Lübeck und Hamburg nicht, sondern brachten in aller Eile 80 Mann zu Pferde, und 3.000 Mann zu Fuß zusammen, griffen des Herzogs Kriegsleute an, und besetzten darauf Bergedorf, Ripenborg, nebst den ganzen Vierlanden. Als nun der Herzog Erich einsah, wie unmöglich es für ihn sei, seine Besitzungen den Städten wieder abzugewinnen, vertrug er sich mit ihnen, und überließ ihnen diesen Teil seiner Länder mit Bergedorf und dessen Schloss zu ewigen Zeiten. Dieses geschah im Jahre 1420, und noch teilen sich Lübeck und Hamburg in den Territorial-Besitz dieser Ortschaften."

„Im Jahre 1536“, melden die Annalisten ferner, „wurden die Heiligentage aus dem Kalender ausgemerzt, und nachdem Hamburg sich dem Schmalkaldischen Bunde angeschlossen hatte, ward die Reformation Luthers in Hamburg völlig begründet und befestigt. Hauptsächlich nun, um an der Stadt wegen ihres Beitritts zu jenem Bunde Rache zu nehmen, fiel im Jahre Iss4 Herzog Heinrich von Braunschweig in Bergedorf und die Vierlande ein, und nur durch ein Lösegeld von 40.000 Mark Lübisch konnten die Hamburger das Aufhören dieses Eingriffes in ihre Freiheit und ihr Eigentumsrecht erlangen."

Bergedorf liegt zwei starke Meile von Hamburg entfernt, in dem Amte gleiches Namens, wozu die Landschaften Neuengamm — Kirchwärder — Altengamm — und Curslak — so wie auch das Kirchdorf Geesthacht gehören. Sie enthalten zusammen fast 8.000 Morgen Landes, und sind ein außerordentlich gesegneter Erdstrich, von dem üppigsten Wachstum. — Weizenfelder und Gemüsegärten, — Obstanpflanzungen und Blumengarten, — Kräuter-Anlagen und Erdbeeren-Felder, — wechseln mit einander durch das ganze Land ab.

Der Hauptbetrieb der Einwohner von Bergedorf besteht in Holzhandel — Lohgerberei — Bierbrauerei — verbunden mit Ackerbau, Viehzucht und etwas Kornhandel und Krämerei. Zwei Jahrmärkte werden gehalten, einer am 2ten Mai, der andere am 5ten September.

Noch ist zu bemerken, dass im Anfange des vorigen Jahrhunderts 2 Heilquellen daselbst ziemlich bekannt waren, von denen die eine am sogenannten Jungfernstieg noch immer existiert und schwefelartige Bestandteile enthält.

Zu Pfingsten und Johannis, und zur Zeit der Erdbeeren wird Bergedorf und seine Umgebung sehr stark von Hamburg aus besucht.

So erfreulich nun aber auch die heitere Umgebung von Bergedorf und der Ort selbst auf uns wirkten, so suchte doch, da der Abend sich herannahte, unser Auge den nächsten Weg nach Hamburg. Wir traten also vom Schlossgarten aus sogleich unsere Reise zurück an, ließen die Kirche rechts und die große Wasserwühle links liegen, und kamen durch eine enge Gasse und das Bergedorfer Holsten-Tor auf eine Brücke, die hier über die eigentliche Ober-Bille geht.

„Diese Ober-Bille“, sagte einer aus unserer Gesellschaft, „hat ihre ursprüngliche Quelle zwischen den Dörfern Bullenhorst und Schönberg, im ehemaligen Herzogtum Lauenburg; aber ihre vorzüglichen Nahrungsquellen, welche sie zum Flusse bilden, sind der Lütgensee und der Großensee bei den Dörfern gleiches Namens, beide im Amte Trittau in Holstein gelegen. Nachdem nämlich die Ausflüsse dieser Seen drei Mühlen, eine bei Grünwold — eine Papiermühle — und eine bei Trittau getrieben, und sich mit einem Bach aus dem Sachsenwalde vereinigt haben, so fallen sie unweit Trittau in die Ober-Bille, welche bald darauf noch den Bach bei Witzhave aufnimmt, und indem sie malerisch weiter fließt, berührt sie in ihrem sich schlängelnden Laufe einen Teil des Sachsenwaldes, — läuft den Hof Mühlenbeck — die Aumühle — Silgk — und Reinbeck vorbei, bis Bergedorf, wo sie vermittelst eines Schleusengrabens ihren bisherigen Lauf verändert, und durch die Curslaker Schleuse in die sogenannte Dove-Elbe geleitet wird."

Während diese Bemerkung gemacht ward, verweilten wir uns auf der Brücke, wo die Gegend durch das Laden einiger Holzschiffe für den Augenblick an Lebhaftigkeit gewann; darauf betraten wir die kleine Vorstadt, und überschritten bald wieder die Grenze des Hamburger Gebietes, wo wir uns dann sofort in dem Dänischen Dorfe
Sande
befanden. Dieses ist als eine Fortsetzung des Dorfes Lohbrügge anzusehen, zu welchem auch Ladenbeck gehört. Es liegt im Amte Reinbeck, im Kirchspiel Steindeck, und besteht aus mehr als zwanzig Wohnungen jeder Art, von welchen einige mit ihren Blumengarten einen sehr freundlichen Anblick gewähren.

Hat man dieses Dorf hinter sich, so hüte der Fußgänger sich wohl, der höchst beschwerlichen und sandigen Landstraße gerade aus zu folgen, sondern ist man bei dem letzten Hause rechts vorbei, so verfolge man den Nebenweg, der in derselben Richtung führt, bis man bald zur Linken einen geraden Fußsteig durch Felder erblickt. Diesen verfolge man nur immer gerade aus, selbst über die sandigen Anhöhen, bis man die erste Bauernwohnung in Ladenbeck erreicht. Diese lasse man rechts liegen, und nehme gleich seinen Weg links, dem Hause gegenüber, quer über einen sandigen Fahrweg, wo man alsdann die Spur eines Fußsteiges deutlich wahrnimmt, der, sich etwas rechts wendend, jedoch immer gerade aus, den Wanderer bald wieder auf Felder bringt.

Das Land erhebt sich nun fast unvermerkt, und ist man erst über einige Koppeln gewandert, so gewährt die Gegend dem Blicke sehr imposante Ansichten, vorzüglich nach dem Bill-Tale hin, wo das Reinbecker Holz sich im Hintergrunde zeigt, Mit Bergedorf in der Tiefe. Der Fußsteig aber, auf den wir uns befanden, brachte uns durch verschiedene Kornfelder und Weiden wieder auf den Landweg, den wir Tags zuvor links hinunter gingen, und der uns nach Reinbeck führte. Wir überschritten ihn jetzt quer, und befanden uns nun wieder, mit Boberg zur Linken, auf der geraden Straße nach Steinbeck.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Holsteinische Tourist oder