Der Höhenweltrekord im Freiballon - Zur Erinnerung an die höchste Freiballonfahrt

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 4. 1927
Autor: Major a. D. Ernst, Erscheinungsjahr: 1927

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Ballon, Höhenflug, Wissenschaft, Wetterforschung, Höhenforschung, Barometer, Sauerstoff
Luftmeer und Atmosphäre verhüllen auch heute noch jahrtausendalte Probleme und lassen zahlreiche Vorgänge der Natur, die täglich, ja stündlich das organische Leben auf Erden völlig beherrschen, trotz aller Forschung ungeklärt und unbekannt. Sie lassen den Menschen ständig die Allgewalt der Schöpfung und seine Machtlosigkeit fühlen. So war's von alters her, so ist's auch jetzt trotz aller Fortschritte und Kenntnisse, trotz allen Wissens und Könnens. Es ist daher verständlich, wenn sich Männer des Strebens und der Wissenschaft gleich nach dem ersten Aufstieg der Gebrüder Montgolfier und Charles' dem Freiballone anvertrauten, um sich dem Weltenraum zu nähern. Trachten doch nicht nur Wetterkunde und Luftforschung danach, ihr Element, die Luft, in allen Höhen an Ort und Stelle zu erforschen, ihre Gewalten und Gewohnheiten kennenzulernen, sie in Regeln zu zwingen, um hieraus— vorsorglich — zu Nutz und Frommen der Menschheit Prophet zu sein, wie Wind und Wetter werden, ob's regnen oder schneien wird, vielmehr vertraut sich auch der Astronom gern dem Luftfahrzeug an, um in dem Freilicht- und Freilufttheater der Natur Ereignissen und Schauspielen einige tausend Meter näher sein zu können als der gewöhnliche erdgebundene Mensch, wenn Sonnen- oder Mondfinsternis entstehen, wenn linde Sommernächte Sternschnuppenreichtum erwarten lassen oder gar, wenn gelegentlich einmal in hundert Jahren ein langer Kometenschweif in die Erdnähe kommt.

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1647 stellte der Franzose Périer auf der Spitze des Puy de Dôme, dem 1.465 Meter hohen Gipfel des südfranzösischen Hochlandes der Auvergne, den Unterschied im Barometerstand hier oben gegenüber dem des Tals fest. Bestätigt wurde seine Beobachtung erst wieder 1787 von der ersten wissenschaftlichen Forschungsexpedition des Genfer Physikprofessors de Saussure auf dem Montblanc. Charles, nach dem der erste, mit dem leichten Wasserstoffgas gefüllte Freiballon „Charlisre“ genannt wurde, erreichte am 1. Dezember 1783 bei einem Barometerstand von 500,8 Millimeter und 8,8 Grad Kälte 3.467 Meter Höhe. Die Nummer des „Hamburger Korrespondenten“ vom 20. Juli 1803 enthält die Beschreibung eines Freiballonaufstieges des Luftschiffers Robertson von Hamburg aus am 18. Juli, mit Landung bei Celle im alten, aus der Schlacht bei Fleurus bekannten französischen Militär-Kugelfesselballon „Intrépide“. Doch erwiesen sich bei genauerer Nachprüfung Robertsons Angaben als recht unzuverlässig. Robertson mag wohl damit als erster — Luftfahrerlatein erzählt haben! Der Berliner Naturforscher Jungins begann in den Jahren 1805 bis 1810 mit den deutschen wissenschaftlichen Freiballonaufstiegen, die im Herbste 1826 von James Glaisher, dem bekannten Londoner Meteorologen der Greenwicher Sternwarte, bis gegen 9.000 Meter gesteigert wurden, und zwar — beim Fehlen des erst später erfundenen Geräts für künstliche Atmung — unter schwersten körperlichen Leiden. Diese Leistung begegnet heute noch hoher Anerkennung. Nach vielfachen Versuchen unter Zufuhr von Sauerstoff stiegen am 15. April 1875 die Franzosen Tissandier, Sivel und Crocé-Spinelli im Freiballon auf mit der bestimmten Absicht, größere Höhen zu erreichen, jedenfalls aber Glaishers Leistung zu überbieten. Sie nahmen kleine Gummiballone mit verschiedenen Sauerstoff- und Luftmischungen an Bord, die sie durch Röhrenmundstücke in entsprechenden Lagen einatmen wollten. Die erreichte Höhe wird etwa 8300 Meter betragen haben. Diese wissenschaftliche Fahrt endete tragisch, denn Tissandier landete mit zwei Leichen. Vor dem starken unaufhaltsamen Fall des Freiballons hatten seine beiden Korbkameraden Sivel und Crocé-Spinelli in 8.000 Meter Höhe nicht mehr die Kraft besessen, die Mundstücke der Atmungsballone zu benutzen: sie waren erstickt. In den neunziger Jahren folgten, insbesondere in Deutschland, weitere wissenschaftliche Höhenfahrten. So erreichte am 4. Dezember 1894 der Berliner Professor Berson eine Höhe von 9.150 Meter mit Hilfe von Sauerstoff; er stellte 47,9 Grad Kälte fest, musste aber infolge aufgebrauchten Ballastvorrates zur Landung schreiten, obwohl das körperliche Befinden durchaus zufriedenstellend war. Diesen Rekord schlug der deutsche Geheimrat Prof. Dr. Süring als Führer des Freiballons „Preußen“ am 31. Juli 1901 mit Berson als Beobachter, und der Jahrestag dieses Ereignisses wiederholt sich in diesem Sommer zum fünfundzwanzigsten Male. Erreicht wurde die Höhe von 10.800 Meter, ein Weltrekord, der auch heute noch, nach einem Vierteljahrhundert, trotz aller Fortschritte in Theorie und Praxis vom Freiballon unerreicht ist. Nur das Flugzeug des französischen Fliegerleutnants Callizo erreichte am 10. Oktober 1924 in Villacoublay die Höhe von 12.066 Meter und Ende August 1926 12.600 Meter.

Der Ballon „Preußen“ hat 8.400 Kubikmeter Inhalt, sein Umfang beträgt 78 Meter, der Durchmesser 25 Meter, seine Reißbahn ist 16 Meter lang. Die Hülle wiegt 955 Kilogramm, das Netz 740 Kilogramm, Korb, Ventil, Ringe, Schleppseil und die übrigen Ausrüstungsstücke wogen zusammen 3.000 Kilogramm, so dass seine Tragkraft — er war mit Wasserstoff gefüllt — rund 6.000 Kilogramm erreichte. Theoretisch hätten annähernd achtzig Personen aufsteigen können. Die Rekordfahrt war für den 24. September 1900 vorgesehen, sie verlief aber insofern ergebnislos, als das abgerollte Schleppseil sich in der Nacht an Bäumen verankert hatte, so dass zur Landung geschritten werden musste. Ein zweiter Aufstieg am 11. Juni 1901 mit Leuchtgasfüllung von der Gasanstalt Jungfernheide Berlin führte zu einer Höhe von 7.475 Meter bei — 22 Grad niedrigster Temperatur und endete nach 9 Stunden 54 Minuten in einer Entfernung von 555 Kilometer zwischen Pirmasens und Zweibrücken in der Rheinpfalz.

Nach diesen vorbereitenden Fahrten wurde am 31. Juli 1901, also vor fünfundzwanzig Jahren, der Ballon „Preußen“ auf dem Übungsgelände des Preußischen Luftschifferbataillons am Tempelhofer Felde mit nur 5.400 Kubikmeter Wasserstoff gefüllt, und zwar nur drei Fünftel des Balloninhaltes, um das ungeschriebene Naturgesetz auszunutzen, wonach jedes Gas das Bestreben hat, sich auszudehnen, bis es auch mit all seinen kleinsten Teilchen den größten ihm zur Verfügung stehenden geschlossenen Raum ausgefüllt hat. Eine nicht vollständig mit Gas angefüllte Ballonhülle steigt also, sobald „Auftrieb“ vorhanden ist, so lange, bis das Füllgas den Gesamtinhalt ausgefüllt hat. So kam es denn, dass übereinstimmend mit den theoretischen Errechnungen nach ungefähr einer halben Stunde bereits die „Prall“höhe in 5.000 Meter ohne jegliche Ballastabgabe erreicht war. Um übrigens stets Ballast auch in den höheren Kältegraden zur Hand zu haben, waren außer Sand und Zement, der leicht gefrieren kann, Eisenfeilspäne in die Ballastsäcke gefüllt. Die erreichte Höchsthöhe betrug 10.800Meter, die Welthöchstleistungsfahrt dauerte im Ganzen 7 Stunden 35 Minuten. Die Landung erfolgte in der Nähe von Cottbus, bei Briesen.

Infolge des damals noch wenig vollkommenen Standes des Gerätes für künstliche Atmung gerieten Süring und sein Beobachter Berson in einen tiefen Schlaf. Ein mit aller Energie im höchsten Grade der Erschöpfung noch durchgeführter Ventilzug brachte den Ballon zu raschem Fall in 6.000 bis 5.500 Meter Höhe, wo die beiden Gelehrten wieder zum Leben erwachten, allerdings mit dem „Gefühle großer Mattigkeit, bleierner Schwere in den Extremitäten“, so dass jede Arbeit, selbst jegliche Bewegung trotz des in vollem Umfang wiedergekehrten Bewusstseins unmöglich war. Auch später konnten die Ablesungen an den wissenschaftlichen Instrumenten nicht wieder aufgenommen werden, wenn es auch gelungen war, die Führung des Ballons erneut in die Hand zu bekommen. Die Zuleitung des nötigen Sauerstoffes war also in diesem Falle mangelhaft. Heute sind wir durch Anwendung einer festsitzenden Maske gegen dieses Vorkommnis gewappnet.

Die erheblichen Kosten für solche wissenschaftlichen Hochfahrten in bemannten Freiballonen und die großen Mühen bei Füllung und Start konnten ohne Nachteil für die Wetter- und Luftforschung in Zukunft deshalb unterbleiben, weil der sinnende Geist große Fortschritte in selbstschreibenden Registrierapparaten für die planmäßige Höhenforschung gemacht hatte, so dass auch hier die Maschine oder der Automat den Menschen in seltener Vollkommenheit zu ersetzen vermochte. Aber auch das Flugzeug wurde infolge seiner Vervollkommnung in demselben Sinne unter weit geringerer Umständlichkeit für die Wissenschaft tätig.

Die fünfundzwanzigjährige Wiederkehr dieses für die Wissenschaft der Welt denkwürdigen Tages hat umso größere Bedeutung, als gerade Sürings reicher Schatz und seltene Erfahrung auf dem Gebiet der Höhenforschung in den praktischen Dienst des Höhenluftverkehrs gestellt wurden. Die Höhenflugpost in den höchsten Luftregionen, von Hamburg aus nach Neu York in sechzehn Stunden, ist keine Utopie. Diese höchsten Regionen, die von zehn bis zwölftausend Meter über der Erde, sind frei von atmosphärischen Störungen. Dort gibt es kein Gewitter, keine Wolken, und Winde flauen mit der Höhe zunehmend ab, so dass damit die Veranlassungen für Betriebsstörungen in der unbedingt notwendigen Regelmäßigkeit eines Verkehrsmittels fortfallen. Die übrigen Grundlagen sind gegeben: die Höhen sind im Flugzeug restlos erreicht, Geschwindigkeiten von weit mehr als 400Kilometer in der Stunde sind erzielt, die Flugdauer von sechzehn Stunden ist bereits auf einem 450-PS-Farman-Doppeldecker am 7., 8. und 9. August vorigen Jahres von den beiden französischen Fliegeroffizieren Drouhin und Landry in Etampes-Chartres mit 45 Stunden 11 Minuten Dauer weit überschritten.

Ein deutscher Forscher dieser Art, von seltener Gründlichkeit und Vollkommenheit, wie Süring, darf sich glücklich preisen, er darf an seinem Lebensabend der Krönung seines Lebenswerkes mit Zuversicht entgegensetzen, denn bald wird zur Tat, was er in seinem ganzen Leben erstrebt hat.

Menschliche Spuren im Wolkenmeer. Furchenbildung, hervorgerufen durch ein Flugzeug

Geheimrat Prof. Dr.Sürmg, der vor fünfundzwanzig Jahren mit dem Freiballon „Preußen“ die bisher nicht mehr erzielte Höhe von zehntausendachthundert Meter erreichte

Menschliche Spuren im Wolkenmeer, Furchenbildung, hervorgrufen durch ein Flugzeug

Menschliche Spuren im Wolkenmeer, Furchenbildung, hervorgrufen durch ein Flugzeug

Geheimrat Prof. Dr. Süring, der vor fünfundzwanzig Jahreb mit dem Freiballon, Preußen, die bisher nich mehr erzielte Höhe von 10.800 Meter erreichte

Geheimrat Prof. Dr. Süring, der vor fünfundzwanzig Jahreb mit dem Freiballon, Preußen, die bisher nich mehr erzielte Höhe von 10.800 Meter erreichte