Der Herr von der Wewelsburg

Autor: Ueberlieferung
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Auf der Wewelsburg hausete einmal ein recht böser, harter Herr. Er plagte die Bauern bis aufs Blut, schändete ihre Töchter und Frauen und plünderte die Krämer, die mit ihren Waren auf der Landstraße daherzogen. Sein Burgkaplan, ein frommer Priester, ermahnte ihn oft, seine ruchlosen Pfade zu verlassen; er stellte ihm die Gerichte des Ewigen in den schwärzesten Farben vor – aber alles war umsonst. Die ernsten Worte des Kaplans vermochten nicht, das steinerne Herz des gestrengen Herrn zu rühren; er blieb, wie er gewesen war. Aber als einmal der Herr von der Wewelsburg eine arme, wehrlose Dirne aufgegriffen und mit Gewalt zu seinem schändlichen Willen gebracht hatte, da ließ es der Kaplan nicht mehr bei ernsten, mahnenden Worten bewenden. Er sagte dem Wüterich geradzu, daß er nicht länger in seinen unheiligen Mauern die heiligen Zeremonien verwalten, daß er überhaupt nicht länger bei einem unverbesserlichen Sünder sich aufhalten dürfe. Und darauf schickte er sich an, die Wewelsburg für immer zu verlassen. Aber der wilde Herr ließ ihn greifen und binden, indem er mit fürchterlicher Stimme rief: „Meinst du, eitler Pfaff, ich hätte nicht Mittel, mich eines lästigen Predigers zu entledigen? Meinst du, ich müsse warten in guter Geduld, bis du selbst gingest?“ Darauf ergriff er ihn und erdrosselte ihn mit eigenen Händen an den Pforten der Kapelle. Gräßlich lachend, setzte er sich dann zum schwelgerischen Bankett, mit seinen Kumpanen auf das Wohl seiner neuen Geliebten zu trinken. Unter tollem Jubel vergingen die Stunden des Tages, und noch in die Nacht hinein dauerte die sündliche Lust. Endlich taumelte der Herr von der Wewelsburg auf sein Lager. Wollüstige Träume umgaukelten sein Hirn. Da schlug die Schloßuhr Mitternacht, dumpf – langsam – ernst wie nie. Und von der Kapelle her erhob es sich stumm und nebelhaft und huschte über den gepflasterten Hof zur verschlossenen Pforte hinein. Das war der Geist des gemordeten, unbegrabenen Priesters. Durch alle die langen Gänge, an allen Türen vorüber ging er, schlich er, leise – leise. Er suchte die Gemächer des trunknen Herrn. Wie tiefes Seufzen stieg es aus ihm auf, als sich die schwere Eichentür knarrend vor ihm öffnete. Jetzt war er darin jetzt stand er am Bette. Und ein Geräusch ward laut und ein Getön und ein Wimmern und Heulen, daß es anzuhören war wie ein langer, qualvoller Kampf, wie ein Ringen zum Tode. Alle in der Burg erwachten. Aber keiner wagte nachzusehen; denn sie schauderten vor Entsetzen. Kalter Schweiß troff von ihren Schläfen. Endlich wurden die gräßlichen Klänge schwächer, immer schwächer, und als die Turmuhr eins schlug, da verhallte der letzte schwere Seufzer. Als man bei Tagesanbruch den Herrn von der Wewelsburg wecken wollte, fand man ihn mit umgedrehtem Genicke am Boden liegend. Sein Antlitz war von fürchterlicher Todesangst entstellt worden, daß die Seinen ihres Herrn Leiche kaum erkannten. – Auf dem Friedhof der Wewelsburg fand man am nämlichen Tage einen frischen Grabhügel, den niemand aufgeworfen hatte. Die Leute dachten es gleich wohl, wenn sie es sich auch gerade nicht merken ließen, daß hier der fromme Kaplan zum ewiglangen Schlafe ruhe.