Der Henkersteg in Nürnberg

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: H. R., Erscheinungsjahr: 1926

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Nürnberg, Volksbewusstsein, Bauwerke, Kulturgut, Henker, Kunst, Handwerk,
Es ist in unserer Zeit, wenn man auch an ihr mancherlei auszusetzen haben mag, doch ein erfreuliches Zeichen gesunder Selbstbesinnung, dass die Wertschätzung der Heimat, insbesondere Schuss und Pflege der Natur- und Geschichtsdenkmale, allenthalben im deutschen Volksbewusstsein Boden gewonnen hat. Wir begreifen kaum, dass man im achtzehnten Jahrhundert von alter deutscher Kunst mit ihrer markigen Kraft und naturgewachsenen Wesensart so wenig wissen wollte, dass die klugen Stadtregenten die schlimmsten Aufräumungsversündigungen an Bauwerken aus alter Zeit verübten. Übertreibungen romantischer Altertümelei, zopfige Deutschtümelei, wie sie dann nach den Freiheitskriegen die vorangegangene Gleichgültigkeit ablösten, sind heute nicht zu befürchten, zum Glück auch nicht die Butzenscheibenseligkeit der neunziger Jahre.

***************************************************


Denn uns hat ein gewaltiges Erleben zur Besinnung auf die Schönheit unseres deutschen Landes gebracht. Aber zum rechten Erfassen des ererbten Kulturgutes müssen unsere an oberflächliches Darüberhingleiten gewöhnten Augen und Gedanken das stille, willige Verweilen lernen. Wir hasten zu viel und rasten zu wenig. So gehen alljährlich viele Tausende durch Nürnbergs Straßen, sehen sich müde und behalten kaum einen Eindruck lebendig für die Erinnerung. Und doch gibt es kaum eine deutsche Stadt, die so treu durch alle Wandlungen der Jahrhunderte und der Geschlechter hindurch den Charakter des Vatererbes bewahrt hat und einen Jo einheitlichen Eindruck der reinerhaltenen Physiognomie macht. Das Stilgefühl hat die Nürnberger nie im Stich gelassen, und so haben sie im Kern der Altstadt die unverdorbene Schönheit ihrer Heimat bewahrt. Was deutsche zähe Art und Kraft in dem aufstrebenden Bürgerstand leisteten, wie Kunst und Handwerk mit der Seele schufen, Eigenstes in Scherz und Ernst bis in die kleinste Arabeske und Verzierung spielen zu lassen verstanden, das führen im Großen und Kleinen, in Stein und Metall tausend Einzelheiten vor Augen. Pankratius Graunzer in Bierbaums Roman hat recht: nicht mauldeutsch, herzdeutsch sind die Bürger der Dürer-Stadt gewesen, sich ihrer fränkischen Sonderheit bewusst. Will man sich etwas davon zu eigen machen, muss man aus dem Strom der Eiligen austreten und die stillen Winkel aufsuchen, das Vergangene sich wahrhaft zu vergegenwärtigen. Nicht nur lichte Bilder, auch viel düstere Erinnerungen überwundener Schrecken werden lebendig. Eine der eindrucksvollsten Szenerien der Nürnberger Altstadt ist der Blick auf den Henkersteg mit dem mächtigen Wasserturm und dem hochgiebligen, behäbigen Weinstadel, der in alter Zeit ein Krankenhaus war. Der Henkerssteg ist ein Teil der Befestigungsmauer, die in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts rings um die aufblühende Stadt angelegt wurde. Abgesehen von einer Anzahl von Türmen ist sonst nicht mehr viel davon erhalten. Sie war an dieser Stelle in vier großen Schwibbogen über die Pegnitz geführt. Noch steht auf dem Inseldreieck im Knie des Flusslaufes, von hohen Bäumen und buschigem Strauchwerk zum Teil verdeckt, der kleine Rundturm mit dem quadratischen Dächlein, der die vier Bogen in zwei Paare teilte. Nur der nördliche mit dem darübergelegten, häuslich eingerichteten Wehrgang - einst die Behausung des von allen gemiedenen Henkers - ist erhalten geblieben. An die Stelle des südlichen Paares war schon Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ein hölzerner Steg getreten. Steil und finster klotzt der massive Wasserturm mit seinen kräftigen, vom Alter dunkel gefärbten Bossenquadern und den winzigen vergitterten Fenstern unter niedrigem Dach in die Höhe. Kreischender Dohlenflug flattert um das Sparrenwerk. Fast heimelig schaut daneben die zweistöckige, hölzerne Altane aus unter dem Fachwerkgiebel des uralten ehemaligen Pfleghauses. Auf gerader Balkenbrücke führt vom Turm zum Nachbarhaus ein kleiner Flügelbau. In der dämmrigen Tiefe darunter braut undurchdringliches Dunkel. Kräftige Schattenwerfen die im scharfen Winkel anstoßende Brücke und ihre breiten Wölbungen, die sich im Wasser widerspiegeln. Vom Altersbraun der Quadersteine und der Ziegeldachung hebt sich tags leuchtend ab der blaue Himmel, und nachts webt das Mondlicht Heimlichkeiten um das Gemäuer. Aus der Ferne leuchten im Sonnenglanz die Türme von St. Sebald und der runde Sinwellturm der Burg herüber. Stärker jedoch als der malerische Reiz dieses stillen Winkels wirkt noch heute der Gedanke an die Härte und Grausamkeit jener alten Zeit, an die der Henkterssteg erinnert. Das waren die rauen, noch viel knechtischen Aberglauben schleppenden Eigenschaften, die das schönheitsfrohe, tüchtige und an frommer Innerlichkeit und Gemüt reiche Geschlecht überschatteten. Schweben nicht die Seufzer der Unglücklichen, denen in der Turmgefangenschaft kein Frührot mehr Hoffnung machte, weil sie der Hand des Henkers verfallen waren, in dunkler Nacht noch heute über den leis rauschenden Wassern? Seltsam! Die Melancholie dieses Ortes hat bis auf den heutigen Tag schon gar manchen Hoffnungslosen angezogen, in den Fluten, die um diese grauen Mauern spülen, ein zuschanden gewordenes Leben versinken zu lassen. Einst waren es die starren Schranken einer harten Gesetzlichkeit, gegen die manches jugendliche Freiheitssehnen und unschuldige Schuldigwerden verstieß, heut ist es die Rache missbrauchter Freiheit, und immer ist es die uralte Erfahrung, die gerade von deutscher Innerlichkeit gemacht wurde, dass ringendes, schaffendes Leben, doch auch finstere Dämonen, wie Dürers Tod und Teufel den Ritter begleiten. Tag- und Nachtseiten des Lebens. Die jene festen Mauern bauten, soviel frohe Seele in ihr Kunstwerk legten, rangen doch mit den bösen Gesellen, kein mauldeutsches, ein herzdeutsches, ein trutzig-starkes Geschlecht. H. R.

Der Henkersteg in Nürnberg. Nach einem Gemälde von August Winkelhock

Städte, Nürnberg der Henkerstieg

Städte, Nürnberg der Henkerstieg