Die Waldarbeit

Der Betrieb des Waldes hat wie der des Ackers seine bestimmte Zeit: nur rechnet man etwa 120 Jahre auf den Umtrieb des einen, während bei dem andern die Zeit von Saat zur Ernte, von Frühling bis Herbst eines einzigen Jahres liegt.

An geschützten Stellen im Walde findet der Fremde die eingehegten „Saatkampen“. Hier werden in gleichmäßig geritzten Reihen aus dem Samen die jungen Fichten gezogen. Die drei bis fünfjährigen Pflanzen werden mit dem Ballen ausgehoben und ins „Hai“ versetzt, eine abgetriebene Stelle im Wald, die wieder neu aufgeforstet werden soll; man pflanzt sie in Reihen und in etwa 1 1/2 Meter Abstand von einander. Ein solches bepflanztes Hai nennt man „Schonung“. Im ersten Jahr erkennt der Fremde nur mit Mühe die Reihen der jungen Fichten zwischen dem üppigen Grün der Kräuter und Gräser; aber die Bäumchen wachsen sehr schnell; sobald die Zweige sich zusammenschließen, werden die andern Pflanzen erstickt; mit ungefähr zehn Jahren stellt so die „Jugend“ bereits einen einheitlichen Wald kleiner Bäumchen dar, zwischen und unter denen nichts Fremdes zu bemerken ist. Nach weiteren zehn Jahren ist die „Dickung“ entstanden. Noch immer sind die Bäumchen bis unten hin grün; kein Ast ist abgestorben, kein Bäumchen vertrocknet oder herausgeschlagen. Die Zweige sind so eng und fest verschlungen, dass der Eintritt in die Dickung sehr schwierig ist; deshalb sucht hier das Wild seinen sichersten Schutz. Nunmehr beginnen die untersten Zweige abzusterben, und die erste Durchforstung beginnt, indem die schwächsten Bäumchen (welche „Stangen“ liefern) herausgeschlagen werden, damit die andern sich entwickeln können: wir haben jetzt ein „Stangenort“. In angemessenen Zeiten wird nun noch mehrmal durchforstet, bis schließlich der hohe Wald, den wir alle kennen, entsteht, der „hohe Ort“. Hat dieser sein — nicht natürliches, sondern für den Betrieb vorteilhaftestes Alter erreicht, also etwa 120 Jahre, so wird er abgetrieben, und auf dem Hai wieder eine neue Schonung angelegt.


Der eigentliche Umtrieb des Waldes erfordert demnach folgende Arbeiten: das Einsammeln der Fichtenzapfen und das Gewinnen des Samens aus ihnen; das Säen; das Verpflanzen der jungen Stämmchen, das Durchforsten der jungen Bestände und das Abschlagen des Hochwaldes. Es kommt dazu noch die Arbeit der Köhler. An den entlegensten Stellen ist die Abfuhr des Holzes nicht möglich, und es muss erst in die leichtere und daher nicht so schwer zu bewegende Kohle verwandelt werden; und manches Wurzel- und Astwerk hat nicht Wert genug, um im unverarbeiteten Zustand befördert werden zu können. Da indessen durch die Veränderung der Herstellungsweise des Eisens der Bedarf an Holzkohlen abgenommen hat, so wird heute viel von letzterem Holze nicht mehr verarbeitet, und die Zahl der Köhler ist damit sehr zurückgegangen. Immerhin verdienen die Köhler wegen ihrer merkwürdigen Lebensweise eine Erwähnung, wenn heute auch der Fremde kaum noch etwas von ihnen sehen mag.

Das Abernten der Tannenzapfen (man sagt im Harz statt Fichte immer „Tanne“) ist eine eigentümliche und gefährliche Arbeit. Die Bäume sind doch sehr hoch und glatt, die Zapfen sitzen ganz oben, wo Sonne und Luft am ungehindertsten Zugang hatten. So müssen die Arbeiter sehr mühsam mit Steigeisen und Stricken den dünnen und schwankenden Gipfel erklimmen, hier sich mit einer Hand am Stamm festhaltend, sammeln sie mit der andern die Zapfen ein. Ist ein Baum abgeerntet, so steigen sie nicht etwa herunter um den nächsten zu erklettern, sondern sie versetzen ihn in eine schwingende Bewegung und springen, wenn er dem nächsten Baum nahe genug gekommen ist, auf diesen hinüber; wer an solchem himmelhohen von letzterem Holze nicht mehr verarbeitet, und die Zahl der Köhler ist damit sehr zurückgegangen. Immerhin verdienen die Köhler wegen ihrer merkwürdigen Lebensweise eine Erwähnung, wenn heute auch der Fremde kaum noch etwas von ihnen sehen mag.

Das Abernten der Tannenzapfen (man sagt im Harz statt Fichte immer „Tanne“) ist eine eigentümliche und gefährliche Arbeit. Die Bäume sind doch sehr hoch und glatt, die Zapfen sitzen ganz oben, wo Sonne und Luft am ungehindertsten Zugang hatten. So müssen die Arbeiter sehr mühsam mit Steigeisen und Stricken den dünnen und schwankenden Gipfel erklimmen, hier sich mit einer Hand am Stamm festhaltend, sammeln sie mit der andern die Zapfen ein. Ist ein Baum abgeerntet, so steigen sie nicht etwa herunter um den nächsten zu erklettern, sondern sie versetzen ihn in eine schwingende Bewegung und springen, wenn er dem nächsten Baum nahe genug gekommen ist, auf diesen hinüber; wer an solchem himmelhohen Stamme hinaufsieht, dem mag dieses „Arbeiten in der Luft“ wohl unheimlich genug vorkommen.

Die Tannenzapfen werden nun in besonderen Darren, den „Klängeleien“ getrocknet, bis der Samen aus ihnen herausfällt. Derselbe sitzt unter den untern Schuppen, wo der Zapfen am stärksten ist; das wissen auch die Eichhörnchen genau; die vielen Zapfen, die der Wanderer ihrer untern Schuppen beraubt auf dem Boden liegen sieht, sind von diesen aufgeblättert des Samens wegen; an die Spitze rühren sie nicht, die werfen sie fort.

Die Arbeit im Saatkamp und das Verpflanzen der jungen Bäumchen wird durch die „Kulturmädchen“ besorgt, weibliche, meistens jugendliche Arbeiterinnen; alle andern Arbeiten können nur den erwachsenen männlichen Waldleuten anvertraut werden.

Die Waldarbeit ist namenlos schwer, nicht ungefährlich, und wird bis zur äußersten Ermüdungsgrenze geführt. Die Waldleute gehen gewöhnlich am Montag früh an ihre Arbeit und bleiben bis Sonnabend Nachmittag im Wald; den Sonntag verleben sie bei ihrer Familie im Hause. Ihre Tracht ist Kittel und Hose aus grauem Drell, Gamaschen, eine Mütze mit Ohrenklappen und ein Holster (rucksackähnlicher Tornister) aus Kalbsfell; dazu tragen sie auf dem Rücken die große Schrotsäge, welche von zwei Männern regiert wird, und die Äxte auf der Schulter. Die Arbeiten des Holzfällers sind das Absägen der Stämme; das Abschlagen der Zweige mit der Axt; das Zersägen der zum Brennholz bestimmten Stämme in meterlange Abschnitte; das Spalten derselben durch Keil und Axt; das Zusammenbinden der Äste zu Wasen; das Aufmaltern der Holzscheite ; das Roden der Stuken, das heißt der untern Enden der Stämme mit den Wurzeln, Zerspalten und Aufmaltern derselben. Diejenigen Stämme, welche als Gruben- oder Bauholz verwendet werden sollen, werden nur ihrer Rinde entkleidet. Die schwersten dieser Arbeiten sind das „Rücken“ oder Schleppen der Scheiter, Stuken und Stämme von den oft nur eben dem Menschen zugänglichen Orten, wo sie gefällt sind, an günstige Abfuhrstellen, und das Stukenroden. „Das Blockrücken ist der Tod unserer Jugend. Dabei erhitzen sie sich leidenschaftlich und dabei packt sie unser Todfeind, die Schwindsucht“, erzählt ein älterer Schriftsteller. Wer einmal solcher Arbeit zugesehen hat, begreift den Ausdruck „leidenschaftlich“, der jemandem, welcher nur die moderne regelmäßige Fabrikarbeit mit ihrer Pünktlichkeit und Monotonie kennt, unverständlich sein muss. Es handelt sich hier um ein Kämpfen und Überwinden, nicht um das Ausgeben von so und soviel Arbeitskraft; das erklärt auch die Liebe des Waldmanns zu seiner Arbeit, die nicht anders ist wie die eines Gelehrten für seine Studien, eines Künstlers für sein Werk. Beim Stukenroden ist es ähnlich, nur dass hier Kampf und Sieg mehr geistig ist, der Arbeiter muss untersuchen, wie er dem Stuken am besten beikommt. So leicht der obere Teil des Fichtenstammes sich spaltet, so zäh ist der untere Teil und die Wurzeln. Man versteht die Notwendigkeit, wenn man das fast beständige Schwanken der himmelhohen Stämme betrachtet. Wenn man im Frühjahr eine durch Windbruch heimgesuchte Stelle besucht, so kann man die Wurzel der Fichte genau untersuchen, denn der Wind hebt die Stämme mit der flachen Wurzelscheibe aus der Erde. Normal gehen wagerecht vom Stamm aus die „Lenden“, die nahe unter der Oberfläche bleiben, Hauptwurzeln von ovalem Durchschnitt, wohl gewöhnlich fünf bis sechs an der Zahl. Diese erstrecken sich 2 — 3 Meter fort. Sie senden dünnere Wurzeln, „Pfähle“, senkrecht in die Erde, durch welche der eigentliche Halt des Stammes erzielt wird. Ist der Boden aber nicht eben und von tiefer Krume, sondern wachsen die Bäume zwischen Felsen und Klippen, so entwickeln sich Lenden und Pfähle, wie es der Standort erfordert, zu einem wilden und krausen „Pfotenwerk“, das wie mit Krallen oftmals die Felsen umklammert. Der Stukenroder muss nun mit Brecheisen und Hacke zunächst den Boden unter den Wurzeln lockern und dann die Pfähle und die Spitzen der Lenden weghacken, so dass nur der Stumpf mit dem starken Teil der Lenden übrig bleibt. Dieser muss nun in mehrere Stücke zerspellt werden; im Oberharz wird meistens Pulver zur Hilfe genommen, wo aber die Leute nicht mit Pulver umgehen können, setzen sie Keile ein, erst kleinere und dann größere. Die Kunst ist nun, die Stelle zu finden, wo das Bohrloch gemacht und die Keile eingesetzt werden, damit der Stuken, trotz seiner Zähigkeit, splittert. Auch diese Arbeit wird mit Leidenschaft und Freude betrieben. Aus einem schönen alten Buche (Kohls Volksbilder und Naturansichten aus dem Harz) führe ich hier eine Erzählung an, die besser als was ich selber aus meinen Erinnerungen erzählen könnte, den Leser in die Welt dieser Leute einführt.

„Sieht man ihre Quälereien bei diesem haarsträubenden Stukenroden mit an, so möchte einem dünken, dass jeder ein solches Geschäft im nächsten Augenblick überdrüssig werden und so schnell als möglich fortlaufen würde. Nichtsdestoweniger gewöhnen sie sich daran, gewinnen selbst ihre Beschäftigung lieb, und es gibt sogar passionierte Stukenroder. Auf einen solchen merkwürdigen Menschen traf ich unter anderen in einem großen Kohlhai am Rande der Brockenfelder, in der Nähe des sogenannten Königskrugs, wo Kaiser Heinrich der Finkler einst eine seiner vielen Burgen gehabt haben soll, zur Seite jener wildromantischen Felsenpartie, welche unter dem Namen der „Hahnenkleeklippen“ berühmt ist. Dieser Mann hieß Berthold Winkel. Er war jetzt 73 Jahre alt. Was er mir selber von seiner Lebensgeschichte erzählte, war etwa dieses: Im Harzwalde geboren, war er in seiner Jugend ein Köhlerbube gewesen. Im Jahre 1812 musste er „ins Land“ hinaus; man hatte ihn unter die Harzschützen enrolliert und er war als Vaterlandsverteidiger mit in die Schlacht von Waterloo gezogen. In dem Feldzuge hatte er sich durch Tapferkeit so ausgezeichnet, dass sein Oberst ihm den Antrag machte, im Regiment zu bleiben. Dies schlug Winkel aber aus, weil er Heimweh nach dem Harze, seinem Walde und seinem Stukenroden verspürte. Das Kasernenleben der Soldaten kam ihm zu träge und zu wenig reizend vor. Er ging also zu seinen Hahnenkleeklippen zurück und ließ sich wieder als Stukenroder anstellen, welches Geschäft er nun seit etwas mehr als einem halben Jahrhundert mit unglaublicher Geduld und Ausdauer betrieben hat. Da er sehr sparsam, fleißig und haushälterisch lebte, so wurde er in seiner Art ein wohlhabender Mann. Er kam in den Besitz einer kleinen Wirtschaft und eines Hauses in der Nähe jener alten Burgstätte Kaiser Heinrichs, und seine Kameraden schätzten ihn auf ein paar tausend Taler. Seine Frau und Söhne, sagten sie mir, ließen es sich Wohlgefallen, und lebten viel gemächlicher als ihr Vater. Aber der alte Winkel lässt ihnen ihre Wege und geht schon bei Zeiten des Morgens in den Wald und in die Klippen hinaus um seine Stuken zu roden. Des Sonntags, wo man keine Axt anrühren darf, wird ihm die Zeit so lang, und er kann den Montag nicht erwarten, wo das Roden wieder beginnt. „Leben muss der Mensch, als wenn er morgen sterben, aber arbeiten muss er, als wenn er ewig leben sollte“, schrie mir der alte Winkel mit seiner Waldmannsstimme ins Ohr, als ich ihm wegen seines unermüdlichen Fleißes etwas Schmeichelhaftes gesagt hatte. Sein Mittagessen und trockenes Grobbrot nimmt er mit in den Wald und legt es neben sich auf einen Klotz, den er eben besiegt, ich meine, zerkeilt hat. Während beim Essen die andern schwatzen, liebäugelt Winkel schon wieder mit dem nächsten Stuken, wie ein passionierter Bibliothekar mit dem nächsten verwirrten alten schweinsledernen Büchertitel — und denkt darüber nach, wie er den angreifen will. Vor einiger Zeit flog ihm ein Splitter ins linke Auge und beraubte ihn auf demselben des Gesichts. Der Arzt wollte, er solle zu Hause bleiben und sich pflegen. Aber Winkel meinte, es wäre wohl Pflege genug, wenn er ein Tuch um sein wundes Auge binde, und ließ nicht nach, bis er Erlaubnis bekam, so „gepflegt“ am andern Morgen wieder in den Wald zu gehen. Außer seiner Augenwunde hat er auch sonst noch manche andere Verletzungen und Narben an seinem Körper davon getragen, wie dies bei einem fünfzig Jahre lang fortgesetzten Stukenroden nicht ausbleiben kann. Irgendwo ist mein alter Winkel immer verwundet und blutig.“

Ich habe die ausführliche Erzählung gebracht, weil sie einen nicht seltenen, sondern typischen Fall darstellt. Unsere heutigen Sozialpolitiker, die Vertreter der Arbeiter mit eingeschlossen, wissen von der Arbeit nur die eine und freilich scheußlichste Form, die städtische Fabrikarbeit und etwa noch die gleichfalls scheußliche, für Unternehmer oder Verleger betriebene industrielle Heimarbeit. Von dieser Form aus betrachten sie alles andere, und Vorschläge wie Gesetze gehen von dieser einseitigen Anschauung aus, bei welcher die Arbeit notwendig als ein Fluch erscheinen muss, der auf verschiedene Weise zu lindern sei: während es doch Formen gibt, wo die Arbeit ein Segen ist, und viel wichtiger, statt den Fluch zu lindern, wäre es, den Fluch in Segen zu verwandeln. Aber da müssten die Männer, denen die Verpflichtung obliegt, an solche Dinge zu denken: Beamte, Gelehrte, Parlamentarier, Journalisten — eine andere Bildung erhalten; nicht nur aus Büchern müssten sie lernen, die auch da, wo sie angeblich exakte Wissenschaft geben, in diesen ungemein schwierigen Dingen doch immer nur die alten Gedanken wiederholen und den Verstand der Lernenden so beschränken, dass sie dann nachher im Leben immer nur wieder das Gelernte sehen; sondern sie müssten aus dem Leben lernen, bevor sie zu viel Bücherwissen haben, und sie müssten nicht nur mit dem Verstand lernen, sondern auch mit dem Herzen. Es war wohl noch nie so viel guter Wille bei den Regierenden wie heute : aber weil auch noch nie so wenig natürliche Vernunft war, hat das Volk, trotz aller materiellen Fortschritte, noch nie so gelitten wie in unseren Tagen.

Wie schon erzählt, sind die Waldleute meistens nur Sonntags in ihrem Hause und leben die ganze übrige Woche im Walde. Sie richten sich deshalb bei der Hauung einen zeltartigen Unterkunftsort für die Nacht ein. Es werden junge Fichten kreisförmig und schräg nach oben gerichtet in den Boden geschlagen und mit abgeschälter Baumrinde bekleidet; die Zwischenräume werden innen mit Moos verstopft. Eine einzige niedrige Öffnung, welche verschließbar ist, dient gleichzeitig als Tür, Fenster und Rauchloch. In der Mitte brennt zwischen vier Steinen ein Feuer; die runde Außenwand entlang, sind auf breiten, niedrigen Bänken Stöcke, Haidekraut und mit Moos ausgestopfte Säcke gelegt, auf denen die Leute schlafen. An dem Feuer wird die gemeinsame Mahlzeit bereitet, die geliebte Köhlersuppe, welche einfach aus Brotscheiben, Rindstalg und heißem Wasser besteht. Statt des Rindstalgs kann man auch Butter nehmen, auch kann man ein Ei in die Suppe schlagen; dann entsteht aber ein Essen, das dem Waldmann selbst für den König gut genug dünkt; vielleicht bin ich als Harzer nicht ganz unbefangen; indessen kann ich versichern, dass ich die Köhlersuppe stets mit dem größten Vergnügen gegessen habe, und dass sie zu den Speisen gehört, welche der Mensch sich nie verekelt, sondern täglich genießen kann.

Noch viel mehr mit dem Walde verbunden wie die Holzhacker und Stukenroder sind die Köhler; sie müssen das ganze Sommerhalbjahr im Walde bleiben, denn der Meiler brennt Sonntag wie Alltag und tags wie nachts; sie haben deshalb auch noch weniger geregelte Arbeitszeit wie alle anderen Waldleute. Der Bau und die Unterhaltung des Meilers ist eine ganz besondere Kunst, die von Vater auf den Sohn vererbt und in langen Jahren angeeignet wird; es heißt, dass ein Köhler nie auslerne. Noch mehr wie die Holzhacker hängen sie mit Leidenschaft an ihrer Arbeit; und es wird erzählt, dass es nicht selten vorkomme, wenn ein Köhlermeister zu alt geworden ist, um seinen nicht nur schweren, sondern auch verantwortungsvollen Beruf noch auszuüben, und nun sein wohlverdientes „Gnadengeld“ bezieht, dass er dann sich wieder als Knecht um einen ganz geringen Lohn an einen anderen Meister verdingt für allerhand kleine Dienste, nur um wieder im Hai leben zu dürfen. Jener ältere Schriftsteller, zu dessen Zeiten die Köhlerei noch in Blüte stand, erzählt von einem achtzigjährigen Köhlermeister, der sich von der Forstbehörde die Erlaubnis erbettelte, auf einer alten, verlassenen Kohlstätte hausen zu dürfen. Dort baute er sich eine Köthe und richtete sich aus allerhand aufgelesenem Abfallholz einen kleinen Meiler zu, den er auf eigene Hand gar machte. Eines Morgens fand man ihn tot neben seinem ausgebrannten Meiler.

Wie dergestalt die Arbeit — was sie sollte — Zweck und nicht Mittel des Lebens wird und alle menschlichen Beziehungen regelt, so ergeben sich aus ihr auch allerlei Sitten, Rechte und Gewohnheiten, Feste und Freuden. Etwa war früher, zu hannoverschen Zeiten, wo öfters der König oder ein Anverwandter des „höchsten Bergherrn“ auf den Harz kam, die „Aufwartung“ eine besondere Freude der Berg- und Waldleute. Zu Ehren des Besuches formierte sich am Abend ein Zug der gesamten Belegschaften, jede Art von Arbeitern in ihrer bestimmten Tracht: die Bergleute im schwarzen Leinwandkittel, Hinterleder und Grubenlicht; vor ihnen die Beamten in der Puffjacke mit dem Häckel in der Hand; die Hüttenleute in großen Lederschürzen mit langen Fackeln; die Fuhrherrn im blauen Kittel, breitkrempigen schwarzen Hut, manchesternen Kniehosen und langen Gamaschen, die lange Peitsche in der Hand; mit diesen Peitschen knallten sie kunstreich, wenn sie vor dem Balkon des Amtshauses vorbeizogen, wobei Anfang und Ende des Knallkonzerts ihnen durch ein Licht von einem bestimmten Dachfenster aus angegeben wurde; da trugen dann die Köhler schneeweiße Kittel und weiße Leinwandgamaschen, aber Gesicht und Hände ließen sie so schwarz, wie sie bei der Arbeit waren, ja, machten sie wohl noch schwärzer in Stolz auf ihren Stand. Heute findet eine Aufwartung noch statt, wenn der Minister kommt; aber wenigstens die Berg- und Hüttenleute ziehen heute alle zwei Jahre zum Knappschaftsfest in ihrer alten Tracht auf.

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Wenn die Großstädter im Sommer ans Meer oder in die Berge reisen, so ist es nicht nur Luft und Licht, das sie suchen; den Meisten vielleicht unbewusst liegt auch ein Verlangen nach einfachen Lebensverhältnissen zugrunde, die bei den Bewohnern der aufgesuchteren Orte noch herrschen und von den Fremden für eine Weile angenommen oder wenigstens betrachtet werden. Die Fremden selbst bringen freilich wieder gerade die Unnatur der Großstadt mit sich, und was nicht durch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung zerstört wird, wird durch sie vernichtet. Möge dieses Buch wenigstens Einiges von den heute verschwindenden Zuständen den fremden Besuchern des Harzes verständlich machen: vielleicht wird das, was noch heute zu erleben ist, um so dankbarer empfunden werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Harz