Die Bergarbeit und das Bergmannsleben

Ehe die Bergleute einfahren, versammeln sie sich, früher täglich, heute wöchentlich, in der Zechenstube zu einer Andacht. Die Oberharzer haben wenig kirchlichen Sinn, aber sie haben ihre eigene Frömmigkeit; wenn sie zum Fahrschacht gehen, kommen sie an einer dunkeln Kammer vorbei, in welcher zwei „Butzen“ stehen, bedeckte Tragbahren, auf denen Verwundete und Tote nach Hause gebracht werden. Keiner, der mit gesunden Gliedern einfährt, weiß, ob ihn nicht der Ausrichter im Förderkorb herausholen und „in der Butz“ zurückschicken muss: da bildet sich wohl Frömmigkeit, zumal bei den älteren, wenn sie sich auch nicht in den äußern Formen der Kirche zeigt. In der letzten Zeit scheinen die Irvingianer auf dem Oberharz Anhang zu gewinnen, die vielleicht besser auf die Gemütsstimmung der Leute eingehen können, wie die immer mehr erstarrende evangelische Landeskirche; von der früher großen Verehrung für Luther, den die Harzer als Bergmannssohn für sich besonders in Anspruch nahmen, ist heute nur mehr sehr wenig zu spüren.

Das Innere einer Grube kann man sich schematisch so vorstellen, dass ein Schacht abgeteuft ist, von welchem aus rechtwinklig auf die Lagerstätte des Erzes ein Querschlag getrieben wurde; von der Lagerstätte aus werden rechtwinklig zum Schacht die Strecken getrieben, von denen aus die Gewinnung des Erzes und die Beförderung auf „Hunden“ bis zum Schacht erfolgt. Solcher Strecken entstehen im Laufe der Zeit viele untereinander, indem man naturgemäss von oben nach unten zu geht. Die Wasser, welche sich ansammeln, fließen durch Stollen ab, das sind wagerechte Kanäle, welche in einem Tal ans Tageslicht führen. Die größten dieser Stollen sind der tiefe Georgstollen, der bei Grund mündet und 15 km weit bis zu den östlichen Clausthaler Gruben geht, und der 30 km lange Ernst-Auguststollen, dessen Mundloch bei Gittelde ist (zur Vergleichung sei angeführt, dass der St. Gotthardtunnel nur 15 km lang ist). Von der Strecke aus geht es zum „Ort“, wo der Bergmann arbeitet; früher war der Strossenbau allgemein; es wurde in terrassenförmigen Absätzen nach unten gearbeitet und der Arbeiter stand auf der zu gewinnenden Gangmasse; heute ist der umgekehrte Firstenbau allgemein, wo die treppenförmigen Absätze nach oben gehen und der Arbeiter auf dem „Bergversatz“, dem ausgehaltenen tauben Gestein, steht.


Die Art der Arbeit ist die, dass zunächst ein Bohrloch gemacht wird. Mit der linken Hand hält der Bergmann den Meißel, den er beständig dreht, mit der rechten schlägt er mit dem Fäustel; dadurch entsteht das zylindrische Bohrloch. In dieses wird nun das Sprengmaterial eingefüllt; dann wird das Loch mit Letten fest verstopft; in der Mitte hat man durch die Raumnadel einen Zugang zu dem Pulver erhalten, durch den der Schwefelfaden geführt wird. Heute bedient man sich meistens der Bohrmaschine zum Bohren, und die neuen Sprengmittel haben natürlich auch andere Methoden der Entzündung nötig gemacht. Durch den Schuss wird das Gestein losgebrochen, das vom Bergmann grob sortiert werden muss, indem er nur die erzhaltigen Stücke zur Weiterbeförderung aussucht, die übrigen in den Bergversatz wirft. Die geladenen Hunde werden dann auf der Strecke bis zum Förderschacht gebracht und in den Förderkorb entleert, der dann nach oben gehoben wird. Damit ist die Arbeit des Bergmanns zu Ende. Es beginnt nun die Tätigkeit des Pochwerks. Diese ist eine stufenweise Zerkleinerung der großen Stücke mit zwischendurchgehender Auslese des Wertlosen, erst durch Menschenhand, dann durch das Wasser. Durch den Steinbrecher werden die ganz großen „Wände“ zerkleinert; dadurch entstehen kleinere Stücke, die zum Teil wenig oder gar kein Erz enthalten; diese werden durch die Pochjungen sortiert, die schlechten als „Berg“ und die guten als „Erz“. Das Erz wird nun durch die Stempel gestampft und im Walzwerk gewalzt, bis zuletzt ein ganz feiner Sand entsteht, in welchem das metallhaltige Mineral ebenso pulverisiert ist wie das wertlose Ganggestein, mit dem es verwachsen war. Die Trennung erfolgt mit Hilfe der verschiedenen Schwere durch Wasser auf den „Herden“ und in den „Sümpfen“ ; das schwerere Mineral sinkt nach unten und das leichtere Pulver des Ganggesteins wird fortgespült; das erstere nennt man Schlieg, das zweite After.

Wenn der Schlieg aus dem Sumpf ausgeschlagen ist, so hat der Pochmann seine Arbeit getan und die Hüttenarbeit beginnt. Hier findet dann die endgültige Trennung der in dem Schlieg noch vorhandenen wertlosen Bestandteile und die Ausscheidung des Silbers aus dem Blei statt.

Wie die Hüttenarbeit von allen Bergarbeiten die ungesündeste ist, so wirkt die Hütte auch verunschönend auf die Umgebung. Der Hüttenrauch lässt keinen Pflanzenwuchs aufkommen; in der ganzen Umgebung der Hütte stehen die Berge kahl und nackt, ohne alles Grün; und der vorbeigehende Wanderer empfindet selbst den erstickenden, kitzelnden Qualm. In den letzten Jahrzehnten ist viel geschehen, um die Übelstände für die Arbeiter wie für die Umgebung zu heben, und manches ist ja in der Tat auch schon besser geworden. Wenn der Lohn der Bergleute gegen die früheren Zeiten auch sehr gestiegen ist, und zwar nicht nur als Geldbetrag, sondern auch mit Berechnung der Kaufkraft, sodass die Lebenshaltung sich sehr gehoben hat, so ist er doch immer noch niedrig im Vergleich mit dem heutigen Einkommen der Arbeiter in den Fabrikgegenden. Freilich sind weitere Erhöhungen nicht möglich, denn bei den stark gesunkenen Metallpreisen müsste der Staat den Betrieb einstellen, wenn die Unkosten sich erhöhen sollten; indessen zeigt sich, trotz der vergleichsweisen Armut, wie sichere Lebensbedingungen, geordnete Verhältnisse, altes Herkommen, gesunder Sinn und Ehrbarkeit doch auch bei geringen Mitteln ein befriedigendes Leben ermöglichen. Zwar wird heute die Anhänglichkeit an die Arbeit beim Bergmann nicht mehr so groß sein wie früher, und das Glück, das aus dem Berufsstolz kommt, und aus dem persönlichen Interesse an dem, was einer schafft, verschwindet immer mehr: zum Teil vielleicht einfach durch psychische Übertragung, indem die Anschauungen der Fabrikarbeiter, welche der Bergmann sonst tief verachtet, auch für ihn bestimmend werden.

Sehr viel zur Erhaltung der alten Gesinnung tragen die Liebhabereien und die Nebenbeschäftigungen der Arbeiter bei.

Fast jeder Bergmann treibt noch irgend eine kleine Kunst. Dieser repariert Uhren, jener tischlert, ein dritter stopft Vögel aus, ein vierter schneidet Haare, ein anderer schlossert: kurz, ein großer Teil der Handwerke wird dilettantisch betrieben. Ich erinnere mich noch unseres alten Haarschneiders; der machte seinen Rundgang bei seinen Kunden immer am Sonntag Vormittag; für den Kopf bekam er von den Bergleuten fünf, von den Beamten zehn Pfennige. Er war ein alter Invalide von 1813, fuhr aber immer noch an; den Turnus seiner Kunden wusste er auswendig und er erschien immer pünktlich zur Zeit. In einer uralten, blanken Ledertasche mit blitzenden Messingknöpfen hatte er sein wohl hundertjähriges Besteck, denn schon sein Großvater hatte Haare geschnitten; nur, wie er erzählte, in unmoderner Weise, indem er den Kunden einen Topf auf den Kopf setzte und alles fortschnitt, was an Haaren unter dem zum Vorschein kam. So etwas wollten die Leute jetzt nicht mehr und sie hätten recht, denn die Zeit wäre seitdem fortgeschritten, und eine derartige Haartracht passte wohl noch für Bockswiese oder Riefensbeek, aber nicht für Clausthal. Den stärksten Eindruck machten auf mich, wenn ich als Kind von ihm geschoren wurde, drei kristallene Fläschchen; in dem einen war Franzbranntwein; den ließ er auch den Fünfpfennig-Kunden zukommen; in dem andern waren Rosmarintropfen und Klettenwurzelöl; mit den beiden haarkräftigenden Substanzen wurden nur die Zehnpfennig-Kunden gesalbt; er stellte sie selbst her, sammelte die Kräuter dazu auch selbst und hatte da ein ganz besonderes Geheimnis, das wohl mit ihm zu Grabe gegangen ist.

Genau erinnere ich mich auch noch an den alten Habicht. Der war ein großer Liebhaber der Vögel, aber nicht, wie die meisten Harzer, der lebendigen, sondern er stopfte aus. Er hatte nicht geheiratet, weil er gefürchtet hatte, wenn er eine Frau nähme, so könnte er „es nicht machen“, nämlich soviel Arbeit und auch wohl Geld für seine Liebhaberei ausgeben. Schon seit früher Jugend hatte er immer die Vögel in ihren natürlichen Stellungen beobachtet und hatte sie denen entsprechend ausgestopft. Nun lebte er in einer befreundeten Familie und hatte da alle Wände von oben bis unten mit Glaskästen behängt, in welchen alle Arten von Vögeln, von ihm ausgestopft, standen; alle möglichen Bücher über das Leben der Vögel, von denen er irgendwie erfahren hatte, hatte er gesammelt und durchstudiert, darunter natürlich manches Unsinnige und Veraltete; aber er hatte sich doch alles in seiner Art verarbeitet und auf Grund eigener, sehr guter Beobachtungen, zurecht gemacht. Er war in Clausthal bekannt durch sein Wissen und Können, und so hatte er einmal einen Antrag bekommen an ein großes naturhistorisches Museum; aber er hing zu sehr an der niedrigen Stube mit den Glaskästen an den Wänden, an seinem Anfahren durch den grünen Fichtenwald, wo des Morgens die Vögel jubilierten, und an seiner Arbeit in der Grube.

Das Fangen der lebendigen Vögel war früher sehr verbreitet; es ist im Lauf der Zeit verboten, indem zuerst die Vogelstellerei auf dem Vogelherd, dann der Leimrutenfang untersagt wurde. Wenigstens der Leimrutenfang wird noch heute heimlich von einigen Passionierten getrieben, zum großen Ärger der Gendarmen, welche um die betreffende Zeit jeden Sonntagmorgen früh aus den Federn müssen, um einen oder mehrere Übeltäter abzufassen. Meines Erachtens ist wenigstens das Verbot des Leimrutenfanges falsch. Ganz sicher ist die Zahl der Singvögel zurückgegangen; aber die Ursache liegt allbekannt nicht an dem Fang, der jahrhundertelang betrieben wurde, ohne dass die Vögel sich verminderten, sondern daran, dass die Nistgelegenheiten sich vermindern durch beständiges Abnehmen der gemischten Bestände in den Wäldern und das Fehlen des Unterholzes. Ich selber habe als Junge noch heimlich mit einem alten Vogelfänger Leim gekocht und bin auf den Finkenfang ausgezogen, und noch heute kann ich die verschiedenen Schläge der Finken unterscheiden, wenn ich einmal wieder in meine heimatlichen Wälder komme, vom „Kleinengroben“ und „Reiterfaxier“ angefangen bis zum niedrigsten „Latscher“, dem „Zwintscherweida“. Man muss nicht etwa annehmen, dass der Fink im Bauer ein unglückliches Wesen sei, das sich immer nach der verlorenen Freiheit sehne. Es entwickelt sich ein ganz eigentümliches Verhältnis zwischen dem , Vogelnarr“ wie der Vogelliebhaber heißt, und seinen Tierchen, es findet eine wirkliche Zähmung statt und ein Zusammenleben von Tier und Mensch, wie bei andern Haustieren. Vor allem wird durch den Menschen der Schlag des Tierchens veredelt, wenigstens wenn es Anlagen zu Höherem hat. Wenn man den Eifer betrachtet, mit welchem der Lockvogel seine wilden Genossen anlockt, so möchte man fast auf den Gedanken kommen, dass die Tierchen selbst den Zustand der Gefangenschaft — man sollte eher sagen des Zusammenlebens mit den Menschen — als etwas Höheres gegenüber dem wilden Zustand betrachten. Und für den Menschen selbst ist das zarte Tierchen eine schöne und veredelnde Freude. Auf dem Herd fing man freilich so viele Vögel, dass nicht alle im Bauer gehalten werden konnten und dass der größte Teil gegessen wurde; es ist möglich, dass sich da beim Vogelfänger eine gewisse Gleichgültigkeit entwickelte, wiewohl ich noch einen alten Mann kannte, der früher auf dem Herd gefangen hatte und eine innige und poetische Liebe zu den Tieren zeigte; die Leimrutenfänger sind aber ganz gewiss alle Freunde der Tiere, und rohe Menschen wird man unter ihnen nicht finden.

Je geringfügiger die Vogelstellerei wurde, eine desto größere Bedeutung erhielt die Aufzucht der Kanarienvögel. Der Hauptort ist noch immer Andreasberg; und es kann eine solche Beschäftigung nicht leicht an einem anderen Ort schnell zu großer Bedeutung gelangen, weil die Hauptvoraussetzung für eine gute Hecke ein Stamm von vorzüglichen Schlägern ist, an denen die jungen aufgezogenen Tiere „studieren“. Diese vorzüglichen alten Schläger aber gibt ein Züchter auch um hohes Geld nicht ab; nicht bloß, dass an ihnen sein Herz hängt, sie verbürgen ihm auch die Tradition seiner Hecke. Die richtigen Züchter haben für ihre Vögel nicht ein besonderes Zimmer, sondern sie halten ihre Tiere im allgemeinen Wohnzimmer, deren Wände mit den großen Flugbauern bekleidet sind. So haben sie sie in ihren Mußestunden immer vor Augen und Ohren, merken sogleich jede Unart im Gesang und können die Störung oder den Störenfried ausschalten. So hohe Preise auch für die einzelnen Schläger bezahlt werden, die Arbeit des Züchters wird doch nicht angemessen bewertet, wenn man überhaupt die Beschäftigung Arbeit nennen will; denn die ganze freie Zeit des Mannes und viel von der Zeit der Frau muss der „Vögelei“ geopfert werden. Der Frau ist die materielle Sorge überlassen: das Reinigen der Käfige und das Füttern, vorzüglich das Ernähren derjenigen Jungen, die von entarteten Müttern nicht besorgt werden, und wo auch die Väter nicht eintreten; da wird ein Löffelchen aus einem Federkiel geschnitzt und der ewig offene Schnabel zu seinen bestimmten Stunden mit gekochtem Eigelb befriedigt. Der Mann hat sich die künstlerische Betätigung vorbehalten. Die jungen Hähnchen nehmen in der Lehrzeit sehr leicht Unarten von anderen Vögeln, fremden Geräuschen und dergleichen an; auch später ist die Zeit der Mauser immer gefährlich in dieser Richtung. Da muss sorgfältig gewacht werden, dass nicht etwa der Schlag eines wilden Vogels den Studenten zu Ohren kommt oder das Knarren einer Tür und ähnliches; es muss ihnen von den Alten der ihrer Art entsprechende Lehrmeister gegeben werden; den Alten, die schweigen sollen, wird der Käfig durch einen Wachstuchüberzug dunkel gemacht; auch ein besonders begabter Lehrling muss im Dunkeln lernen und sich den Schlag seines Meisters erst lange durch den Kopf gehen lassen, ehe er selber etwas sagen darf. So muss der Vogelzüchter beständig seine Käfige an andere Orte bringen, einen verdecken und einen hell machen.

Weit näher zum Erwerb wie zur Liebhaberei steht die Viehzucht des Bergmannes, wiewohl man hier auch nie vergessen darf, dass es sich nicht um bloße Arbeit handelt, sondern ähnlich wie bei den kleinen Leuten auf dem Lande bei der Aufzucht des Schweins auch um eine Freude.

Es versteht sich, dass der Besitz von Wiesen oder ihre Pacht und eine, wenn auch kleine Kuhwirtschaft, nur den Wohlhabenderen unter den Bergleuten möglich ist; denn auch ein eigenes Haus mit Viehstall ist ja Voraussetzung. Zwar wird von den Lobrednern der alten Zeit geklagt, dass jetzt keine Frau mehr in den Kuhstall gehen wolle, sondern nur immer am Fenster sitzen und stricken oder häkeln, allein die Viehzählungen ergeben doch eine Vermehrung des Viehbestandes. Immerhin ist die Viehhaltung vor allem Sache der Frau. Der Mann mäht die Wiese und führt auch das Grünfutter auf dem Schiebkarren nach Hause; aber das Heumachen und das Eintragen des Heues wird fast nur von den Frauen besorgt, und desgleichen das Misten, Füttern und Melken. Fremde erstaunen oft über die Art des Heueintragens; das Heu wird ganz hoch auf der Kiepe aufgepackt, dass die Last die gebückt keuchende Frau weit überragt und fast verdeckt, sodass man von weitem wandelnde Heubündel zu sehen glaubt. Wie auf den steilen Abhängen das Heu, so muss auch der schwerere Mist auf dem Rücken der Frauen getragen werden. Das geschieht in Butten; und da die Orte, wo die Berge am steilsten sind, meistens auch die entlegensten und in früheren Zeiten für die Bildung des Kropfes günstigsten waren, so behaupten die Frauen wohl, dass sie durch das Misttragen den Kropf bekommen.

Während der guten Jahreszeit werden die Herden ausgetrieben. Früher war der erste Austrieb, mit dem das „Ochsenstoßen“ verbunden war, eine Art Festlichkeit. In jedem Jahr bildet sich die Herde neu, teils durch das Dazukommen neu gekaufter oder aus der Rinderherde aufgerückter Kühe, teils dadurch, dass die alten Kühe ihre vorjährigen Beziehungen vergessen haben. Der Bulle ist der Herr der Herde, die sich in etwa den ersten acht Tagen dergestalt konsolidiert, dass sie nachher kein neues Mitglied mehr unter sich duldet. Der junge Bulle, der neu zu der Herde kommt, macht ihm seine Herrschaft streitig, und dieser Streit wird von den beiden ausgekämpft, sobald sie das erstemal zusammen kommen. Das ist das Ochsenstoßen. Der bei diesem Kampf Unterliegende fügt sich, gibt alle Ansprüche auf und verschwindet demütig unter der zuschauenden Kuhherde. Begreiflicherweise ist in dem Ort die höchste Spannung vor dem Austrieb, wem von den beiden der Sieg zu teil werden wird, und besonders die Jugend ist außerordentlich interessiert. An einem Frühjahrstag, als wir mit Schiefertafel und ABC-Buch zur Schule wanderten, verbreitete sich plötzlich die Nachricht unter uns, der Bürgermeister habe befohlen, dass die Septimaner frei haben sollten, um das Ochsenstoßen mit anzusehen; wir machten daraufhin alle Kehrt, mit Ausnahme des strebsamen Primus, welcher erklärte, die Schulstunde sei ihm lieber wie das Ochsenstoßen, und liefen der Herde nach bis zu der Wiese, wo die Feierlichkeit stattfand. Der Hirt war zuerst wohl etwas ungläubig hinsichtlich der Einmischung des Bürgermeisters; indessen da ihm der Vorgang naturgemäß sehr bedeutend erschien, so beruhigte er sich am Ende und gestattete uns, bei ihm zu bleiben. Es war sehr schön, und wenn wir auch nachher an einem freien Nachmittag nachsitzen mussten, so waren wir doch befriedigt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Harz