Abschnitt 9 - Aber es sieht fast aus, als hätte ich nur von Essen und Trinken zu erzählen, als hätten unsre Landsleute in England, ...

Aber es sieht fast aus, als hätte ich nur von Essen und Trinken zu erzählen, als hätten unsre Landsleute in England, deren Beschäftigung allerdings sehr materieller Natur gewesen, vorzugsweise gern solche Genüsse befördert. Doch fehlte es ihnen auch nicht ganz an Lust für andere Dinge; sie selbst deuteten in ihren Sinnsprüchen darauf hin, wie Reichthum guten Geschmack und Freude an der Kunst erzeuge und hege; sie selbst gaben ihren kunstreichen Landsleuten Gelegenheit ihre Halle mit schönen Bildern zu schmücken. Noch höhere und ernstere Gefühle hielt in ihnen ihr christlicher Glaube wach, den ja die ehrsamen Bürger der deutschen Reichs- und Hansestädte stets vielfach bethätigt haben. Gerade das abenteuernde, lebensgefährliche Seemannsleben und die riskanten Spekulationen der Kaufleute nährten, zumal in den vorreformatorischen Zeiten, eine biedere, einfache Frömmigkeit, die im fleißigen Besuche des Gottesdiensts und in Stiftungen allerlei Art ihren Ausdruck fand. Seltsam genug finden wir von einer eigenen Kapelle im Londoner Stahlhofe kaum eine Spur; die Genossenschaft war dagegen dem benachbarten Kirchspiele Allerheiligen eingepfarrt. Diese Kirche, Allerheiligen die Größere genannt, erscheint frühzeitig unter dem Namen der Seemannskirche. Obgleich sich die Nachricht, die Deutschen hätten sie gestiftet, nicht bestätigen läßt, so hingen sie doch mehrfach mit ihr zusammen. Sie unterhielten wahrscheinlich einen eignen Altar, weihten zu besonderen Festen die langen Wachskerzen und ließen an bestimmten Festtagen von ihnen gestiftete Messen lesen. Auch die Reformation hat dieses Band, das recht augenscheinlich beweist, wie innig hier von uralten Zeiten her deutsches Wesen mit englischem durchwachsen war, nicht gelockert. Freilich scheinen die Deutschen die neue, gereinigte Lehre nur langsam und vorsichtig angenommen zu haben, denn als im Jahre 1526 von dem berühmten eifrig katholischen Kanzler Sir Thomas More in Person bei ihnen Haussuchung nach den Schriften Luthers gehalten wurde, fand man nur alte und neue Testamente, Evangelien und deutsche Gebetbücher; sie selbst, alt und jung konnten noch mit gutem Gewissen am Kreuze auf dem St. Paulskirchhofe schwören, daß sich unter ihnen kein Ketzer befände. Bald darauf siegte die Reformation in England wie in den meisten zur Hanse gehörenden Städten, und die Stahlhofsgenossen wohnten von nun an dem englisch-protestantischen Gottesdienste in Allerheiligen bei. Dort besaßen sie längst mehrere Reihen alter Gestühle, die sie auch nach dem durch den großen Brand nöthig gewordenen Wiederaufbau erneuert haben. Mehrere kunstvoll in buntem Glase gemalten Fenster, in denen als Mittelpunkt der doppelköpfige Reichsadler nicht fehlt, sind ebenfalls von ihnen gestiftet. Auch nach dem Brande haben sie der Kirche ein noch heute erhaltenes und viel bewundertes Schnitzwerk aus dauerhaftem Eichenholze geschenkt, das den Chor von dem Hauptschiffe scheidet. Es ist das Werk eines Hamburger Holzschneidemeisters und stellt vielfach gewundene Säulen, Pilaster und Bögen dar. An der zum Altar führenden Pforte ist wiederum der Reichsadler angebracht, darüber erhebt sich das königliche Wappen von England. Noch im Jahre 1747 haben sich die Kirchenstühle im Besitze des Stahlhofmeisters und der übrigen Repräsentanten der Gilde befunden, obgleich seitdem das kirchliche Leben der Deutschen in London eine ganz andere Wendung genommen hatte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Hansische Stahlhof in London.