Abschnitt 2 - Eine kleine Familiengeschichte aus jenen Tagen mag hier dienen uns die Einwanderung und das Fortkommen unserer Landsleute zu vergegenwärtigen. ...

Eine kleine Familiengeschichte aus jenen Tagen mag hier dienen uns die Einwanderung und das Fortkommen unserer Landsleute zu vergegenwärtigen. In den Archiven der Stadt London liegt ein merkwürdiger Pergamentcodex aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, dessen Verfasser, der bescheiden nur in der dritten Person von sich selber redet, eine kurze Geschichte seiner Herkunft giebt. In den letzten Decennien des 12. Jahrhunderts, erzählt er, sei ein Mann, Arnold von Grevinge mit Namen, gebürtig aus der Stadt Köln, nach England gekommen nebst seiner Frau, welche Ode geheißen. Sie seien kinderlos gewesen und wären nach ihrer Landung sofort zu dem Grabe des im Jahre 1170 ermordeten und als wunderthätigen Heiligen verehrten Erzbischofs Thomas Becket nach Canterbury gewallfahrtet, um sich die Fürbitte des Märtyrers um Nachkommenschaft zu erflehen. Würde ihnen ein Sohn geschenkt, so wollten sie ihn dem Dienste Gottes weihen, er sollte Mönch werden in dem berühmten Kloster zu Canterbury, dem Thomas Becket einst vorgestanden. Arnold zog darauf nach London und ging seinem Geschäfte nach; er erhielt zwei Kinder, einen Sohn, den er zum Danke für die Erhörung seines Gebets Thomas nannte und eine Tochter Juliane. Thomas wurde nun freilich nicht Mönch; er nahm statt dessen das Kreuz und folgte im Jahre 1203 den Schaaren des Grafen Balduin von Flandern nach Konstantinopel. Bei der Einnahme des griechischen Reichs auf jenem merkwürdigen Kreuzzuge ist er verschollen. Seine Schwester Juliane aber heirathete zu London einen Landsmann, Thedmar, gebürtig aus der Stadt Bremen. Sie wurden Eltern von eilf Kindern; und daß es ihnen gut gegangen, erhellt daraus, daß ihre vier Töchter bei der Verheirathung auf das Glänzendste ausgestattet worden sind. Einer ihrer Söhne, Arnold mit Namen, ist der Verfasser des alten Pergamentbandes, den ich erwähnt habe, und außerdem ein Mann, der in seinem bewegten Zeitalter eine hervorragende Stelle in der Geschichte der Stadt London gespielt hat. Er wurde einer der 12 Aeltermänner der Stadt und bewahrte daneben in treuer und dankbarer Erinnerung an seine Abstammung den Zusammenhang mit seinen Landsleuten, die ihn ebenfalls zum Aeltermanne und Vorstande ihrer Gildhalle erwählten. Während des Kampfs der Barone mit dem Könige Heinrich III., an welchem das demokratische Element in der City eifrigen Antheil nahm, hielt er sich streng conservativ zu dem Fürsten; mehrere Male hat er von seinem bedeutenden Vermögen hohe Strafgelder bezahlen müssen, einmal schwebte sogar sein Leben in Gefahr. Er ist hernach in hohem Ansehen und hoch betagt über 90 Jahre alt gestorben. In dem ohne Frage von ihm selbst geschriebenen Buche erzählte er viel von dem römischen Könige Richard, dem er persönlich nahe gestanden zu haben scheint, und bei dem er sicher die bedeutenden Privilegien für seine Landsleute aus den deutschen Seestädten befürwortet hat; auch gedenkt er mit besonderer Theilnahme der Wahl des Grafen Rudolfs von Habsburg zum römischen Könige, durch welche das zerrüttete Deutschland dem Auslande gegenüber doch in Etwas wieder zu Ehren kam. Diese wenigen Züge aus dem Leben eines englischen Aeltermanns bremischer Abkunft gewähren uns ein Bild, in welcher Weise es fleißigen deutschen Einwanderern und ihren Nachkommen gelang auf englischem Boden heimisch und ihres Lebens froh zu werden; sie zeigen außerdem, wie in einer Familie, als Beispiel für die ganze deutsche Handelskolonie, der Kölner und der hanseatische Ursprung durch Heirath zur Versöhnung kam.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Hansische Stahlhof in London.