Wenige Tage darauf wurde die Verlobung Dantes' mit der schönen Mercedes feierlich begangen.

Wenige Tage darauf wurde die Verlobung Dantes' mit der schönen Mercedes feierlich begangen. Das Brautpaar, strahlend in seinem Glück, saß inmitten einer Schar von guten Freunden, Bekannten und Verwandten. Caderousse, Danglars und Fernand hatte man auch geladen. Durch Herrn Morrels Erscheinen aber hatte das junge Paar sich ganz besonders beehrt gefühlt.

Man aß und trank, schwatzte und lachte. Die allgemeine Fröhlichkeit hatte ihren Höhepunkt erreicht. Nur Fernand und Danglars verhielten sich auffallend still, Caderousse dagegen freute sich mit den Glücklichen; er schien die Vorgänge vom Tage vorher vollkommen vergessen zu haben.


Plötzlich ertönten drei laute Schläge. Erstaunt blickte alles zur Tür.

»Im Namen des Gesetzes!« schnarrte eine Stimme, der niemand antwortete.

Die Tür ging auf, und ein Kommissar, mit seiner Schärpe umgürtet, trat in den Saal, ihm folgten vier bewaffnete Soldaten, von einem Korporal geführt.

»Was gibt es?« fragte der Reeder, der den Kommissar kannte, »hier liegt doch sicher ein Irrtum vor.«

»Wenn da ein Irrtum im Spiele ist, Herr Morrel,« entgegnete der Kommissar, »so seien Sie überzeugt, daß er sogleich wieder gutgemacht wird. Indes bin ich der Überbringer eines Haftbefehls, und obschon ich meinem Auftrage mit Bedauern nachkomme, muß ich ihn doch pünktlich vollziehen. Wer von Ihnen, meine Herren, ist Edmond Dantes?«

Die Blicke aller wandten sich dem jungen Mann zu, der, zwar heftig bewegt, aber doch seine Würde bewahrend, einen Schritt vortrat und sagte: »Ich bin es, mein Herr, was wünschen Sie von mir?«

»Edmond Dantes!« erwiderte der Kommissar. »Ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes.«

»Sie verhaften mich?« sagte Edmond mit einem leichten Erblassen. »Warum verhaften Sie mich?«

»Ich weiß das nicht, mein Herr, aber in Ihrem ersten Verhör wird es Ihnen kundwerden.«

Herr Morrel sah ein, daß sich im Augenblick nichts tun ließ, der alte Dantes aber stürzte dem Kommissar entgegen, es gibt eben Dinge, die das Herz eines Vaters oder einer Mutter nie zu begreifen vermag. Er bat und beschwor den Beamten, und seine Verzweiflung war so groß, daß sie den Kommissar rührte.

»Mein Herr,« sagte er, »beruhigen Sie sich, vielleicht hat Ihr Herr Sohn nur eine Sanitätsförmlichkeit außer acht gelassen; hat man von ihm die Auskunft erhalten, die man verlangt, so wird er wieder in Freiheit gesetzt.«

»Sei ruhig, meine Mercedes, sei ruhig, Vater! Es muß sich ja alles aufklären«, sagte Dantes, küßte die Geliebte und drückte den Seinen die Hand. Dann stieg er hinter dem Kommissar, von Soldaten umgeben, die Treppe hinab. Ein Wagen mit geöffnetem Schlage erwartete ihn an der Tür, er stieg ein, und ihm folgten zwei Soldaten mit dem Kommissar. Der Schlag wurde geschlossen, und der Wagen rollte gegen Marseille hin.

»Edmond! Edmond!« rief Mercedes und stürzte nach der Balustrade.

Der Gefangene vernahm noch diesen letzten Schrei, der wie ein Schluchzen aus zerrissenem Herzen klang; er neigte seinen Kopf über den Schlag hinaus und rief: »Vertraue mir, Mercedes!« Dann verschwand er an einer Ecke des Fort Saint-Nicolas.

Eine namenlose Bestürzung hatte sich der ganzen Gesellschaft bemächtigt.

»So geht es nicht,« sagte Herr Morrel, »die Ungewißheit foltert mich. Ich will den ersten besten Wagen nehmen, um selbst nach Marseille zu fahren und zu sehen, was vorliegt.«

»Ach ja, tun Sie das, und kommen Sie bald zurück«, schluchzte Mercedes.

Als auch Herr Morrel gegangen war, blieben der Vater Dantes' und Mercedes für sich allein. Die Gäste standen beieinander und tuschelten. Da begegneten sich die Blicke der beiden Verlassenen. Sie fühlten ihre Zusammengehörigkeit in dieser Stunde der Verzweiflung doppelt und sanken sich laut weinend in die Arme.

Endlich kam Herr Morrel zurück. Mercedes und der alte Vater liefen ihm entgegen.

»Meine Lieben,« sagte der Schiffsherr bedrückt, »die Sache ist ernster, als man dachte.«

»Edmond ist unschuldig, Herr Morrel! Er ist unschuldig!« schrie Mercedes außer sich.

»Davon bin auch ich überzeugt«, sagte der gütige Mann.

»Wessen beschuldigt man ihn?« fragte mit trockener Kehle der alte Dantes.

»Ein Agent der bonapartistischen Partei zu sein.«

Mercedes schrie laut auf; der Greis aber brach zusammen.

»Was hast du getan, du Lump?« drang Caderousse keuchend auf Danglars ein. »Sofort geh' ich und sage alles.«

»Untersteh dich!« fauchte Danglars ihn an. »Wer sagt dir, daß Dantes nicht wirklich schuldig sei? Das Schiff hat die Insel Elba berührt, er ist dort ausgestiegen und einen Tag lang in Porto-Ferrajo geblieben. Fände man bei ihm einen Brief, der ihn bloßstellte, würden auch diejenigen für mitschuldig gelten, die ihn unterstützten.«

Caderousse begriff mit dem Instinkt der Selbstsucht die ganze Richtigkeit dieses Schlusses. Er blickte Danglars mit Augen voll Schmerz und Verachtung an, und für einen Schritt, den er vorwärts getan, wich er zwei Schritte zurück.

»Warten wir also«, murmelte er.

»Ja, warten wir,« sagte Danglars; »ist er unschuldig, so wird man ihn in Freiheit setzen, ist er aber schuldig, so wäre es unnütz, sich für einen Verschworenen bloßzustellen.«


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Graf von Monte Christo