Während in Villeforts Hause die einzige Tochter mit dem Tode rang, rüstete man im Palais Danglars zur Hochzeit

Während in Villeforts Hause die einzige Tochter mit dem Tode rang, rüstete man im Palais Danglars zur Hochzeit der einzigen Tochter.

Es war ein glänzendes Fest; halb Paris war beisammen, und in den lichterfüllten Räumen drängte alles zum Brautpaar hin, das mitten im Saale unter dem Kronleuchter stand.


Eugenie, kalt, stolz und schön wie immer, war in schneeweißen Atlas gehüllt. Sie verzog keine Miene.

Andreas Antlitz dagegen strahlte vor eitel Wonne, nicht minder das seines Schwiegervaters.

Als einer der letzten erschien der Graf von Monte Christo. Auf Danglars Befragen äußerte er, die Sache mit dem letztverübten Einbruch bei ihm habe ihn soeben wieder in Anspruch genommen. »Denn, denken Sie nur,« fuhr er fort, »meine Leute haben da nachträglich ein blutiges Bündel gefunden, das dem Erstochenen gehörte, und darin lag ein Brief, an Sie adressiert.«

»An mich...?« fragte Danglars erbleichend. »Und was haben Sie damit gemacht?«

»Natürlich sofort der Polizei übergeben«, erwiderte Monte Christo lächelnd.

Danglars Miene erstarrte, doch ehe er noch ein Wort zu sagen vermochte, entstand ein furchtbarer Tumult im Vorsaal. Ein Gendarmerieoffizier, gefolgt von mehreren Gendarmen, erschien unter der Flügeltür und rief:

»Wer von Ihnen, meine Herren, nennt sich Andrea Cavalcanti?«

Grabesstille folgte diesen Worten; dann trat Danglars taumelnden Schrittes vor und fragte mit heiserer Stimme: »Was ist denn mit diesem Andrea...?«

»Er ist ein aus dem Bagno entsprungener Galeerensklave und des Raubmordes an seinem Genossen Caderousse verdächtig.«

Entsetzensschreie ertönten von allen Seiten. So sehr man aber suchte, Andrea war spurlos verschwunden.

Dann aber war's, als sei die Pest im Hause ausgebrochen; all die Treppen, Gänge und Türen reichten nicht aus, um die drängende Menschenmenge hinauszulassen.

Bald lag das festlich geschmückte Haus wie verödet. Selbst Eugenie Danglars war heimlich entflohen, um sich mit ihrer Freundin Luise nach Belgien zu begeben, wo sie sich, losgelöst von den Ihrigen, ganz der Kunst widmen wollte.

Eine Neuigkeit drang bei den Villeforts bis zu der Krankenstube Valentinens: der Abbé Busoni hatte das Haus nebenan gemietet und es unter Vorauszahlung einer großen Summe sofort bezogen. Bei der Besichtigung der Räume hatte man eine Verbindungstür vorgefunden, die zur Wohnung des Herrn von Noirtier führte. Der Abbé benutzte sie sogleich, um dem alten Herrn einen Besuch abzustatten und ihn in seinem Leid zu trösten. Herr Noirtier faßte ein sonderbares Zutrauen zu diesem Manne, der sich vorzüglich mit ihm zu verständigen wußte. So kam und ging der Abbé zu jeder Tag- und Nachtstunde bei Herrn von Noirtier aus und ein -- wie es ihm gutdünkte -- und so konnte er auch die Kranke, die Herr Noirtier nicht mehr aus seiner Wohnung bringen ließ, genau beobachten, ohne daß die Villeforts etwas davon wußten.

Da sah er denn, als alles still im Hause geworden, wie nächtlicherweile eine weißgekleidete Gestalt sich dem Bette des jungen Mädchens näherte, es leise beim Namen rief und, als keine Antwort erfolgte, schnell einige Tropfen aus einer Phiole in die Limonade fallen ließ, die auf dem Tisch stand.

Dann verschwand die Erscheinung ebenso lautlos, wie sie gekommen war.

Sogleich trat der Abbé aus seinem Versteck hervor, goß die Limonade fort und stellte ein Glas mit frischem Wasser hin, dem er seinerseits ein Präparat beimischte.

»Armes Kind,« murmelte er, »jetzt kann dich nur noch ein Gewaltstreich retten.«

Damit ging er und legte sich zur Ruhe nieder, denn seit vier Tagen hatte er kein Auge mehr geschlossen.

Am Morgen erfüllte lautes Wehklagen das ganze Haus: Valentine, die man bereits auf dem Wege zur Besserung geglaubt, war ganz plötzlich in der Nacht verstorben. Das Antlitz des armen Großvaters schien wie vor Schmerz versteinert.

Da erschien der Abbé, er ging auf den alten Herrn zu, drückte ihm fest die Hand und sah ihm bedeutsam in die Augen. Das rief eine wunderbare Wirkung bei dem Greise hervor, der nun ruhig alle Vorgänge mit stillen Blicken verfolgte.

Je ruhiger jedoch der Großvater sich zeigte, um so verzweifelter gebärdete sich der Vater. Und wie die Posaune des Jüngsten Gerichts klangen ihm die Worte des Arztes in die Ohren, der sich mit dem von Valentine benutzten Wasserglase zu schaffen machte.

»Ha! Also nicht mehr Brucin! Woll'n mal sehen, was es nun ist.«

Damit stellte er einige chemische Versuche an, wozu er alles Notwendige mitgebracht hatte.

»So so...«, sagte er dann mit der grimmigen Genugtuung eines Richters, der eine schreckliche Wahrheit erkannt hat.

In diesem Augenblick stürmte ein junger Mann ins Zimmer, ergriff Noirtiers Hand und rief:

»Vater! Vater! Sehen Sie! Was hat man aus ihr gemacht? O Valentine, Valentine!«

Schluchzend warf er sich vor dem Bett auf die Knie. Sein Schmerz war so ungestüm, so ergreifend, daß d'Avrigny sich abwandte und Villefort trotz seiner Verwunderung ihm die Hand auf die Schulter legte.

»Sie lieben meine Tochter -- ich wußte nichts davon. Jetzt aber nehmen Sie Abschied von ihr; Valentine bedarf nur noch des Priesters.«

»Sie irren, mein Herr!« schrie Morrel mit schrecklicher Stimme. »Sie bedarf vor allem eines Rächers. Und wenn der eigene Vater zu schwach ist, so werde ich für sie eintreten, so wahr ein Gott im Himmel lebt.«

»Ich stehe Herrn Morrel zur Seite«, sagte nun auch Doktor d'Avrigny mit eisiger Strenge.

Da gab der alte Noirtier dem Sohn einen Wink, daß er mit ihm allein sein wolle. Die beiden Herren gingen ins Nebenzimmer, doch dauerte es nicht lange, so rief Villefort sie wieder zurück, dessen Anblick erschreckend war.

Wenige Minuten hatten genügt, um aus diesem Manne einen Greis zu machen; trotzdem sprach er mit fester Stimme:

»Meine Herren, das Verbrechen ist aufgedeckt, und ich schwöre Ihnen, der Schuldige wird dem Richtspruche nicht entgehen. Nur bitte ich Sie, zu schweigen. Wenn die Heimgegangene zur Ruhe bestattet ist, wird das Verhängnis seinen Lauf nehmen.«

Es war ein schauerlicher Ernst, der aus diesen Worten sprach, und der alte Noirtier winkte düsteren Auges sein »Ja« dazu.

Gleich darauf trat der Abbé Busoni ein, um die Leiche zu segnen. Er betete bei ihr und hielt die Totenwache. Erst nach der Einsargung zog er sich zurück.

Am Tage darauf fand unter ungeheurem Zulauf die Beisetzung statt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Graf von Monte Christo