Die Beziehungen der beiden Cavalcantis zu dem Hause Danglars wurden immer freundschaftlicher.

Die Beziehungen der beiden Cavalcantis zu dem Hause Danglars wurden immer freundschaftlicher. Der alte Major reiste indes wieder nach Italien zurück, während Andrea sich mehr und mehr der Familie des Bankiers zugehörig fühlte.

So erschien er denn eines Tages geschniegelt und gebügelt feierlichst vor dem alten Danglars und hielt um die Hand seiner Tochter an.


Der Bankier hatte dies alles wohl kommen sehen und ließ sich nun der Form halber nochmals von Andrea dessen Verhältnisse klarlegen.

»Mein Vater zahlt mir«, begann der junge Mann, »vom Tage meiner Vermählung ab eine jährliche Leibrente von Hundertfünfzigtausend Lire. Es wäre aber leicht möglich, daß er mir das ganze Kapital auf einmal herausgibt. In den Händen meines geehrten Schwiegervaters würde es sicher gute Zinsen bringen.«

Danglars vermochte seinen Jubel kaum zu unterdrücken. Nachdem sie beide noch miteinander wie zwei gerissene Geschäftsleute verhandelt, drückten die Biedermänner einander die Hand und waren einig.

»So - die Sache mit meinem lieben Schwiegervater wäre nun erledigt; jetzt aber wende ich mich an den Bankier«, sagte Andrea mit süßestem Lächeln.

»Der Bankier steht zu Diensten«, erwiderte Danglars ebenso. Darauf legte Andrea eine eigenhändig vom Grafen Monte Christo unterzeichnete Anweisung von zwanzigtausend Franken vor.

»Ist es Ihnen recht so?«

»Oh,« rief der Bankier, »bringen Sie mir eine Million Anweisungen wie diese; ich akzeptiere sie.«

Als Andrea das Geld in der Tasche hatte, machte er sich auf, Caderousse zu besuchen, der ihm ein geheimes Briefchen gesandt hatte. Die Kameradschaft mit Caderousse war ihm eine große Sorge; trotzdem konnte er es doch nicht unterlassen, bei ihrer Zusammenkunft mit seiner demnächstigen Verlobung zu prahlen und sich der Gunst des allmächtigen Grafen zu rühmen.

Caderousse fing Feuer, als er hörte, in Monte Christos Palast liege das Geld umher wie Fallobst in einem Garten. Andrea lächelte seltsam, als er das bemerkte, und beschrieb Caderousse auf dessen Wunsch ganz genau die Räumlichkeiten des Palastes, stellte sogar eine Zeichnung her, die er ihm willig überließ. Schließlich ging er mit gründlich geleerten Taschen seufzend davon.

Am nächsten Abend war Monte Christo für einige Tage nach Auteuil gefahren. Da wurde ihm ein Brief überreicht: eilig und dringend. Der Graf las:

»Heute nacht gegen zwölf Uhr wird ein Mann in Ihre Pariser Wohnung einsteigen, um Ihren Geldschrank auszuleeren.

Ein guter Freund.«

Monte Christo lächelte, soupierte ruhig weiter und verließ dann unbemerkt, nur von Ali begleitet, sein Landhaus und kam ebenso unbemerkt durch eine Geheimtür in seinem Stadtpalaste an.

Der Geldschrank befand sich im Ankleidezimmer, das neben dem Schlafzimmer Monte Christos lag. Der Graf schloß den Schrank doppelt ab, ging mit Ali ins dunkle Schlafzimmer, legte Pistolen zurecht und wartete.

Es schlug dreiviertel auf zwölf, als man ein Geräusch vernahm. Eine Fensterscheibe wurde vermittels Pechpflaster eingedrückt, und jemand stieg ins Zimmer. Der Dieb tastete sich vorsichtig bis zum Geldschrank hin, was der Graf durch ein kleines Guckfenster in der Tür genau beobachten konnte. Da legte Ali ihm die Hand auf den Arm und wies auf die Straße hinab. Dort sahen sie einen zweiten stehen, der die Vorgänge im Palast zu verfolgen schien. »So ist's recht«, dachte Monte Christo. Dann aber entfuhr ihm beinahe ein Schrei; der Dieb hatte eine Blendlaterne entzündet, daß man sein Gesicht sehen konnte.

Mit unglaublicher Geschwindigkeit warf der Graf seinen Rock ab und hüllte sich in einen langen Priestermantel. Seine vollen, schwarzen Haare versteckte er unter einer Perücke mit Tonsur, setzte sich einen dreieckigen Hut auf und öffnete die Tür.

»Ei, guten Abend, mein lieber Caderousse, was tun Sie denn hier?«

»Der Abbé Busoni!« lallte Caderousse und taumelte zurück. Dann aber zog er ein langes Messer hervor und stieß es gegen die Brust des Priesters. Das Messer jedoch prallte glatt ab; dagegen packte der Abbé den Arm des Banditen mit solcher Kraft, drehte und renkte ihn, daß der Mann aufheulend vor Schmerz zu Boden fiel. Der Graf stemmte den Fuß auf den Kopf des Verbrechers: »Ich müßte dir das Gehirn zertreten, nichtswürdiger Lump du!«

»Gnade, Gnade!« winselte Caderousse.

»Steh auf!« befahl Monte Christo, »Hier, nimm Tinte und Feder und schreibe, was ich dir diktieren werde.«

Caderousse folgte wie ein Hund und schrieb:

»Mein Herr! Der junge Mann, den Sie Ihrer Tochter zum Gatten bestimmen, ist ein Galeerensträfling, mit mir zugleich dem Bagno von Toulon entsprungen. Er war die Nummer 59, ich 58. Caderousse.«

»Nun noch die Adresse: Baron Danglars, Chaussée d'Antin.«

Caderousse tat, wie ihm geheißen, doch zitterte er an allen Gliedern.

»Jetzt mach', daß du fortkommst!« Der Graf wies auf das Fenster und blickte dem Zurückweichenden nach, bis er hinter der Mauer des Gartens wieder verschwunden war. Da klangen jammervolle Hilferufe an sein Ohr, Monte Christo eilte mit Ali hinab.

Da fanden sie Caderousse, aus tiefen Wunden blutend, an der Mauer liegen. Der Graf richtete den Sterbenden hoch. Der röchelte und stieß mühsam die Worte hervor: »Herr Abbé, ich sterbe, ermordet von dem Korsen Benedetto, meinem Kettengenossen in Toulon, Nr. 59.«

Kaum hatte er das gesagt, so fiel sein Kopf hintenüber: er war tot.

»Das ist der erste«, murmelte der Graf vor sich hin.

»Gottes Rache läßt lange auf sich warten, dann steigt sie um so furchtbarer vom Himmel hernieder.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Graf von Monte Christo