Das Äußere des Hauses in Auteuil hatte nichts Glänzendes an sich, und Bertuccio durfte auf ausdrücklichen Befehl

Das Äußere des Hauses in Auteuil hatte nichts Glänzendes an sich, und Bertuccio durfte auf ausdrücklichen Befehl des Grafen daran nichts ändern. Ebenso mußte der Garten bleiben wie er war, und auch das Zimmer mit den roten Tapeten. Nichts darin durfte anders gestellt werden.

Um so mehr aber hatte Bertuccio seine Kunst bei allen übrigen Räumlichkeiten beweisen können, und es war geradezu erstaunlich, was er darin geleistet hatte.


Ein öder, leerer Hof war in ein kleines Paradies verwandelt, die Treppen und Gesimse waren in verschwenderischer Fülle mit den herrlichsten Blumen geschmückt. Kostbare Teppiche deckten den Boden, die schönsten Gemälde prangten an den Wänden, und bei allem war man mit einem Geschmack und einer Feinheit zu Werke gegangen, wie man sie bei dem Grafen überall antraf.

Bertuccio hatte mit rührender Treue an alle Eigenheiten und Neigungen seines Herrn gedacht, bis zu den geringfügigsten Kleinigkeiten. Vögel sangen in vergoldeten Käfigen. Diener liefen die Treppen auf und ab.

Das ganze Haus -- vorher ein ödes, düsteres Gebäude -- war nun eine behagliche Stätte munteren Lebens.

Der Graf kam pünktlich um fünf Uhr mit Ali an. Bertuccio führte ihn durch sämtliche Räume. Gespannt hing sein Blick an der Miene seines Gebieters. Als Monte Christo sein Schlafzimmer betrat und sah, mit welch zarter Aufmerksamkeit Bertuccio auch hier alles bedacht hatte, da legte er seinem Hofhausmeister die Hand auf die Schulter:

»Das haben Sie gut gemacht, Bertuccio.«

Über des Mannes Gesicht ging solch ein Leuchten, als wäre ihm das höchste Glück widerfahren; so groß war der Einfluß, den Monte Christo auf seine Umgebung ausübte.

Mit dem Schlage sechs Uhr ließ sich Pferdegetrappel vernehmen; es war Maximilian Morrel.

Mit einem gütigen Lächeln empfing ihn Monte Christo.

»Ich kam so früh,« begann der junge Mann voll gewinnender Offenheit, »um Sie ein wenig für mich allein zu haben.«

Es dauerte aber nicht lange, so rollten die Wagen der anderen Gäste vor die Freitreppe.

Es waren Herr und Frau Danglars. Die Frau warf einen scheuen Blick über das Haus, einen Blick, den Monte Christo allein zu deuten wußte. Da nahte sich der Bankiersgattin Herr Debray und bot ihr den Arm. So ging sie denn an seiner Seite die Freitreppe empor. Kaum hatte der Graf sie begrüßt, so meldete Baptistin: »Herr Major Bartolomeo Cavalcanti, Graf Andrea Cavalcanti!«

Mit schwarzer Atlasbinde, Majorsuniform, mit drei Sternen und fünf Kreuzen geschmückt, in der tadellosen Haltung eines alten Soldaten, so trat der Major ein, den wir bereits als zärtlichen Vater kennen. Neben ihm in nagelneuen Kleidern ging mit lächelnder Miene der Graf Andrea Cavalcanti, sein ehrerbietiger Sohn, den wir ebenfalls kennen.

»Wer sind diese Herren?« fragte Danglars den Grafen Monte Christo.

»Sie haben ja gehört, Cavalcanti.«

»Das ist ihr Name, aber sonst...«

»Ah, richtig, Sie kennen den Adel Italiens nicht; Cavalcanti ist ein Fürstenstamm.«

»Viel Geld?« fragte der Bankier.

»Fabelhaft.«

»Was treiben sie?«

»Sie versuchen, ihr Geld auszugeben, ohne es erschöpfen zu können. Sie haben überdies Anweisungen auf Ihr Haus, wie sie mir gestern abend sagten. Ich habe sie selbst aus Rücksicht für Sie eingeladen und werde sie Ihnen vorstellen.«

»Sie scheinen sehr gut Französisch zu sprechen«, sagte Danglars.

»Der Sohn wurde in einem Kollegium in Marseille erzogen. Er will sich durchaus in Paris eine Frau suchen.«

»Der Narr!« sagte Danglars achselzuckend.

Frau von Danglars sah ihren Gatten mit einem Ausdruck an, der zu einer anderen Zeit Sturm angekündigt hätte, diesmal schwieg sie, und schon zum zweiten Male.

»Herr und Frau von Villefort!« schrie Baptistin.

Beide traten ein, und Villefort war trotz seiner sonstigen Selbstbeherrschung sichtbar aufgeregt. Monte Christo fühlte, als er ihm die Hand drückte, daß sie zitterte.

»Nur die Frauen wissen sich ganz zu verstellen«, dachte Monte Christo und sah Frau von Danglars an, die dem königlichen Prokurator zulächelte und seine Frau küßte.

Nach den ersten Begrüßungen erblickte der Graf Bertuccio im kleinen anstoßenden Saal. »Was gibt es, Bertuccio?«

»Oh, Exzellenz! Die Frau, die Frau mit dem weißen Kleid und den vielen Diamanten.«

»Die blonde... Frau von Danglars?«

»Ich weiß ihren Namen nicht, aber sie ist es, sie ist es!«

»Wer -- sie?«

»Die Frau vom Garten! Die in andern Umständen war!« Bertuccio stand da mit aufgerissenem Munde, er konnte kaum reden.

»Und da! Da! Der königliche Prokurator Villefort! Es ist kein Zweifel, ich sehe ihn. Also hab' ich ihn nicht getötet?«

»Nein, er ist nicht tot, das sehen Sie wohl; anstatt ihn zwischen der sechsten und siebenten Rippe an der linken Seite zu treffen, wie Ihr es sonst zu tun pflegt, ist der Stoß entweder zu hoch oder zu niedrig gegangen, und diese Herren von der Gerechtigkeit haben ein zähes Leben.«

Da tauchte im Rahmen der großen Saaltür die Gestalt des jungen Grafen Andrea Cavalcanti auf.

Diesmal setzte Bertuccio zu einem Schrei an, der aber durch einen Blick von Monte Christo im selben Moment erstarb.

»Benedetto!« murmelte er ganz still. »Das Verhängnis waltet.«

»Es schlägt halb sieben, Bertuccio!« sprach der Graf streng. »Um diese Stunde sollte man sich nach meinem Befehl zu Tisch setzen.«

Bertuccio ging. Fünf Minuten später taten sich die Flügeltüren auf, die zum Speisezimmer führten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Graf von Monte Christo