Beim ersten Sonnenstrahl erhob sich Dantes wieder und stieg auf den höchsten Berggipfel, um Ausschau zu halten.

Beim ersten Sonnenstrahl erhob sich Dantes wieder und stieg auf den höchsten Berggipfel, um Ausschau zu halten. Alles war öde und still wie tags zuvor. Da ging er hinunter in seine Grotte, füllte sich die Taschen mit Edelsteinen, versteckte die Kiste so gut es ging mit Sand und Schutt, legte oben die Platte wieder zurecht, bedeckte auch sie mit Steinen und erwartete dann die Kameraden.

Jetzt hieß es: in die Welt hinausziehen und die Stellung einnehmen, die die größte Macht, der Reichtum, einem zu geben vermag.


Am sechsten Tage kamen die Schleichhändler zurück. Sie staunten Dantes wiederhergestellt zu sehen und bedauerten ihn um den Verlust seines Anteils an dem Prisengeld, das gerade diesmal besonders reich ausgefallen war.

Edmond blieb still und verschlossen. In Livorno verkaufte er vier der kleinsten Diamanten und bekam für jeden fünfundzwanzigtausend Franken. Tags darauf erwarb er eine ganz neue Barke, die er Jacopo übergab, hundert Piaster fügte er diesem Geschenk bei zur Erwerbung der nötigen Mannschaft. Das alles aber unter der Bedingung, daß Jacopo nach Marseille segeln sollte, um Erkundigungen einzuziehen über einen Greis Louis Dantes und über ein junges Mädchen im Katalanerdorf, das Mercedes hieß.

Jacopo sah ihn mit offenem Munde an. Da erzählte ihm Edmond, daß er nur aus Trotz Seemann geworden, weil er sich mit seiner Familie entzweit hatte. In Livorno habe er nun erfahren, daß ein Onkel ihn zum alleinigen Erben eingesetzt habe. Nun glaubte Jacopo alles zu verstehen. Die vornehme Art Dantes und sein reiches Wissen hatten ihn ja stets die andern weit überragen lassen.

Darauf nahm Edmond, da seine Dienstfrist an Bord der »jungen Amalia« verstrichen, Abschied von dem Seemann, der ihn anfangs zurückzuhalten suchte, der aber, als er die Erbschaftsgeschichte vernommen, kein Wort mehr zu sagen wagte. Am andern Tage ging Jacopo nach Marseille unter Segel; er sollte Edmond auf Monte Christo erwarten. An demselben Tage reiste Dantes ab, ohne zu sagen wohin, von der Mannschaft der »jungen Amalia« mit glänzenden Geschenken und vom Patron mit dem Versprechen Abschied nehmend, er werde von sich hören lassen. Dantes ging nach Genua.

Soeben, als er ankam, versuchte man eine kleine Jacht, die ein Engländer kaufen wollte. Der Engländer hatte den Preis auf vierzigtausend Franken festgesetzt. Dantes bot sechzigtausend Franken unter der Bedingung, daß das Fahrzeug ihm noch an demselben Tage übergeben werde. Man wurde handelseinig. Der Schiffsbaumeister bot Dantes seine Dienste, ihm eine Bemannung zu verschaffen; Dantes aber dankte ihm dafür, indem er ihm versicherte, er habe die Gewohnheit, allein zu fahren, und daß er nichts wünsche, als daß in der Kajüte ein völlig geheimer Schrank mit drei festen geheimen Schubfächern angebracht würde. Er gab die Maße an, und alles wurde aufs beste ausgeführt. Schon am folgenden Tage verließ Dantes Genua, von den Blicken vieler Neugieriger verfolgt, die den spanischen Herrn sehen wollten, der die Gewohnheit hatte, allein zu fahren. Dantes fuhr direkt nach Monte Christo. Am Ende des zweiten Tages langte er daselbst an. Das Schiff war ein ausgezeichneter Segler und hatte in fünfunddreißig Stunden die Fahrt vollbracht. Dantes hatte die Küstenlage sehr wohl erkannt, und statt am gewöhnlichen Landungsplatz vor Anker zu gehen, lief er in der kleinen Bucht ein. Er begab sich zu seinem Schatze; alles war in demselben Zustande, wie er es verlassen.

Am andern Tage abends war das ungeheure Vermögen an Bord der Jacht gebracht und in die drei Fächer des geheimen Schrankes verschlossen. Dantes wartete noch acht Tage; während dieser acht Tage ließ er seine Jacht um die Insel herumschiffen, ihre Eigenheiten belauschend, wie ein Stallmeister sein Pferd erprobt. Bald darauf kannte er alle ihre guten und üblen Eigenschaften. Am achten Tage sah Dantes ein Fahrzeug, das, alle Segel beigesetzt, auf ihn zusteuerte, und erkannte Jacopos Barke. Er gab ein Zeichen, das Jacopo beantwortete, und in zwei Stunden war die Barke neben der Jacht. Für jede der zwei von Dantes gemachten Anfragen brachte er eine traurige Antwort: Der alte Dantes war gestorben, Mercedes war verschwunden. Ruhigen Antlitzes vernahm Dantes diese zwei Botschaften. Den Tod des Vaters hatte er wohl vorausgesehen; was aber war aus Mercedes geworden?

Mit Hilfe zweier Matrosen von Jacopos Barke segelte er nun nach Marseille. Man hielt gegenüber der Stelle, wo man ihn an jenem unheilvollen Abend nach Schloß If eingeschifft hatte.

Nicht ohne heimliches Grauen sah Dantes in der Sanitätsschaluppe einen Gendarm herankommen. Dantes aber wies ihm mit jener vollkommenen Sicherheit, die er sich angewöhnt, einen englischen, in Livorno gekauften Paß und stieg ohne viel Umstände ans Land. Das erste, was Dantes, auf die Cannebière tretend, bemerkte, war einer seiner alten Matrosen vom »Pharaon«. Er ging geradezu auf den Mann los und richtete mehrere Fragen an ihn, die dieser beantwortete, ohne durch Wort oder Miene darzutun, daß er sich erinnere, ihn je gesehen zu haben.

Dantes setzte seinen Weg fort. Ans Ende der Noaillesstraße gekommen und die Allee von Meillan bemerkend, fühlte er seine Knie wanken und wäre beinahe unter die Räder eines Wagens gestürzt. Endlich gelangte er zu dem Hause, das sein Vater bewohnt hatte. Dantes lehnte sich an einen Baum und betrachtete die letzten Stockwerke dieses armen Häuschens; endlich schritt er dem Tor zu und fragte, ob nicht eine leere Wohnung zu vermieten sei. Obgleich alles besetzt war, bestand er so lange darauf, jene des fünften Stockes zu besichtigen, daß der Hausmeister hinaufstieg und die Leute, die sie bewohnten, im Namen eines Fremden ersuchte, zu erlauben, die Zimmer anzusehen.

Staunend betrachteten die Mieter, ein ganz junges Ehepaar, den Fremden, der in tiefer Ergriffenheit jeden Winkel in den Räumen betrachtete. Als sie Tränen in seinen Augen sahen, zogen sie sich achtungsvoll zurück.

Edmond fragte dann nach dem Schneider Laderousse. Der Hausmeister antwortete ihm, daß der Mann schlechte Geschäfte gemacht habe und jetzt das Wirtshaus zur Gardbrücke halte.

Dantes stieg nun hinab, fragte um die Adresse des Eigentümers des Hauses, begab sich zu ihm, ließ sich unter dem Namen Lord Wilmore melden (dies war der Name und Titel, der auf seinem Paß verzeichnet stand) und kaufte ihm jenes kleine Haus für die Summe von fünfundzwanzigtausend Franken ab. Dies waren zehntausend Franken mehr, als das Haus wert war.

An demselben Tage noch wurde den jungen Leuten im fünften Stock durch den Notar, der den Kontrakt aufgesetzt, bekanntgemacht, daß der neue Hausherr ihnen die Wahl einer Wohnung im ganzen Hause, ohne nur ihren Zins im geringsten zu vermehren, unter der Bedingung freistelle, daß sie ihm die zwei Zimmer, die sie bewohnten, abtreten. Dieses sonderbare Ereignis beschäftigte während acht Tagen alle Bewohner der Meillanstraße und gab zu tausenderlei Vermutungen Anlaß.

Ihre Verwunderung wurde noch größer, als man erfuhr, daß derselbe vornehme Herr im Katalanerdorf gewesen und bei einfachen Fischersleuten nach Personen gefragt habe, die längst gestorben oder verschwunden waren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Graf von Monte Christo