Der Goethe-Tempel im Darmstädter Herrengarten

Deutsche Kunst und Dekoration Jahrgang 12 Heft 9
Autor: Koch, Alexander (1860-1939) deutscher Publizist, Verleger und Reformer, Erscheinungsjahr: 1903
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Goethe-Tempel, Darmstadt, Herrengarten, Adolf Zeller, Habich, Denkmal
Wohnungskunst – Malerei – Plastik – Architektur – Gärten – Künstlerische Frauenarbeiten.
Das kleine Denkmal, dessen Enthüllung in diesen Tagen unter den ehrwürdigen Wipfeln des Darmstädter Herrengartens begangen worden ist, unterscheidet sich in mehr als einer Beziehung von den mannigfachen großen und kleinen monumentalen Anlagen, welche in Deutschland seit dessen ruhmreicher Einigung in fast überreicher Anzahl errichtet worden sind. Der Ort, an welchem es steht, sein architektonischer Aufbau und seine plastische Gestaltung, die Art, wie es sich schüchtern zu verbergen scheint in dem grünen Gerank des alten Parks: das alles ist etwas anderes, als man es sonst gewöhnt ist. Der Volksmund wird, so steht zu vermuten, von einem „Goethe-Tempel“ sprechen; und doch ist es kein „Goethe –Denkmal“. Es ist ebenso wenig ein „Merck-Denkmal“ noch auch ein Monument für Karoline Flachsland, die liebenswürdige Gattin Herders, obzwar die Bildnisse aller drei den Marmor-Sockel zieren, auf welchem sich die Bronze-Figur des Jünglings erhebt. Es ist kein Ehren-Mal für Menschen, Dinge und Geschehnisse, sondern es ist ein Erinnerungs-Mal an eine wundersame Zeit, an eine Epoche in unserem nationalem Geistes-Leben, an eine kurze Reihe schwärmerischer Jahre, die uns immer mit eigener herber Süße und Wehmut erfüllen werden: an die „Werther-Zeit“, die Jugend-Zeit der modernen Seele.

Hier hat man alles, was das kleine Bild-Werk uns sagen möchte, das uns Ludwig Habich in der von Adolf Zeller errichteten pergola-artigen Laube aufgestellt hat. Die Schöpfer des Werkes drängten sich daher auch nicht damit auf den Markt. — Der Architekt wählte eine sehr einfache, antikisierende Form: ein paar Stufen, ein paar Säulen; nach rückwärts, um der Figur Halt und Hintergrund zu geben, eine pfeilerartige Mauer, in welche der Weihe-Spruch eingelassen ist, darüber ein zierliches Holz-Gebälk als Stütze für die Ranken, seitlich ein paar geschweifte, leicht ornamentierte Ruhe-Bänke aus Sandstein: das ist alles. Die volle Wirkung wird aber erst eintreten, wenn das Ganze über und über von Schling-Gewächsen überwuchert sein wird. —

Nicht ohne „frommen Schauder“ wird man dann in grüner Dämmerung vor den Genius treten, den dieses symbolische Gehäuse umschließt. Wir haben in Deutschland nur ganz vereinzelte Bildwerke in Bronze, die neben oder gar über diesem Genius Habichs einen Rang behaupten können. Von der Reife, Sicherheit und prachtvoll gefühlten „Fleischlichkeit der Modellierung abgesehen, entzückt uns schon die köstliche Material-Wirkung der Bronze. Diese Figur, wie sie da steht, ist gar nicht anders zu denken als im Erzguss; das gibt ihr eine Selbstverständlichkeit und Echtheit, die man bei modernen Skulpturen nur selten trifft. Die farbige Behandlung der Patina ist so dunkel, dass sie bei düsterer Beleuchtung geradezu schwarz erscheint.

Auch den Medaillons kommt diese kräftige, edle Wirkung der Bronze sehr zu statten. Das des jungen Goethe an der Vorderseite ist nach einem wenig bekannten Schatten Risse entworfen, welcher sich noch im Besitze der Familie Merck befindet; daneben hat für die Einzelheiten der Schädel-Bildung die berühmte, majestätische Toten-Maske Goethes stilistische Anhalts -Punkte geliefert. Hier ist ganz der Goethe des „Werther“, des „Götz“, des gewaltigen „Prometheus“: leidenschaftlich, trotzig, überschwänglich und doch kindlich zart und arglos und mit jenem Zuge zur Selbst-Quälerei, der vielen bei Goethe so merkwürdig erscheint, und der doch der ergiebigste Quell seiner großen Lyrik geworden ist. Auch Mercks Profil (rechte Sockel-Wange) ist mit Bravour aus dem Metall herausgeholt.

00 Adolf Zeller und Prof. L. Habich – Darmstadt. Goethe-Tempel. Enthüllt 30. Juni 1903

01 Prof. L. Habich – Darmstadt. Bronze im Goethe-Tempel

Adolf Zeller und Prof. L. Habich – Darmstadt. Goethe-Tempel. Enthüllt 30. Juni 1903

Adolf Zeller und Prof. L. Habich – Darmstadt. Goethe-Tempel. Enthüllt 30. Juni 1903

Prof. L. Habich – Darmstadt. Bronze im Goethe-Tempel

Prof. L. Habich – Darmstadt. Bronze im Goethe-Tempel