8) Verhalten bei Tafel

Erhalten wir eine Einladung zur Tafel, so müssen wir pünktlich uns einfinden, wiewohl nicht zu früh, was den Kleinstädter anzeigt, aber auch nicht zu spät; denn dies würde unhöflich und wider die gute Lebensart sein. Eine heitere freundliche Miene begleite uns zu Tische und bleibe auch da beständig unsere Gefährtin. Man sei gesprächig, ohne geschwätzig zu werden, und bemühe sich, dass das, was man sagt, interessant und nicht alltäglich sei. Gegen den uns angewiesenen Platz zu viel Einwendungen machen, verbieten die Regeln des Anstandes; übrigens ließe man sich nicht sogleich und zuerst nieder, sondern warte damit so lange, bis der Vornehmste in der Gesellschaft, oder die Dame, neben welcher man sitzen soll, ihren Platz eingenommen haben.

Man lasse sich bei Tische nicht zu lange nötigen, einen Teller mit Speise, der uns gereicht wird, anzunehmen; es genügt, wenn wir den beiden etwa neben uns sitzenden Damen den Teller zuerst überlassen haben. Eine große Unartigkeit würde es von einem jüngern oder an Stande geringern Menschen sein, wenn er der Erste sein wollte, der zu essen anfängt; dies tue man nicht eher, bis Einige damit den Anfang gemacht haben.


Wird uns der Auftrag erteilt, von den dastehenden Gerichten vorzulegen, so muss dies, in gehöriger Art, bedachtsam und appetitlich geschehen; man darf sich dabei nicht übereilen, auch nicht zu viel vorlegen und muss, so viel als möglich, dabei die Regeln der Vorschneidekunst beobachten. Die Portionen sind möglichst von gleicher Größe einzurichten, so dass ein Jeder seinen Teil bekommt.

Der neben uns sitzenden Dame biete man, wenn nicht etwa durch die Dienerschaft aufgewartet wird, die herumgereichte Speise immer zuerst an, und sorge dafür, dass sie das Beste erhalte. Dies für sich selbst auszusuchen, wäre eine große Ungezogenheit. Man lange vielmehr nach dem, was gerade zur Hand liegt und lasse sich nicht einfallen, ein Stück anzustechen und wieder bei Seite zu legen, um ein anderes zu wählen.

Löffel, Messer und Gabel, wenn sie etwa durch die Speisen verunreinigt sein sollten, darf man nicht mit der Serviette oder gar mit dem Tafeltuch reinigen wollen; den Löffel lässt man nicht auf der Tafel, sondern auf dem Teller liegen, ohne ihn, wie ein Bauer, vorher durch den Mund zu ziehen; Messer und Gabel reinigt man nötigenfalls mit einem Stückchen Brot, welches, wie sich von selbst versteht, auf dem Teller liegen bleibt. Überhaupt muss man sich möglichst in Acht nehmen, diese Instrumente nicht zu sehr zu beschmutzen.

Bei dem Herumreichen von Saucieren oder dergleichen, muss man dieselben jedes Mal so zu wenden wissen, dass der Griff, die Handhabe, oder der in der Speise befindliche Löffel u. s. w. so liegt, wie sie demjenigen, welchem die Speise zugereicht wird, am besten zur Hand sind. Setzt man selbige wieder auf den Tisch, so richtet man dies so ein, dass sie dem vornehmsten Nachbar zur Hand und dabei mit den übrigen Schüsseln und Aufsätzen im Ebenmaß zu stehen kommen.

Von allen uns dargebotenen Speisen zuzulangen, würde nur Gier und Mangel an Lebensart verraten. Man esse und trinke mit Mäßigkeit; zerlege auch nicht die vorgelegten Portionen Fleisch n. dgl. mit einem Male und hastig in mundgerechte Bissen; denn dies zeigt die unanständigste Bequemlichkeit und einen gemeinen Heißhunger an. Bei dem Zerschneiden hüte man sich besonders noch, mit dem Messer nicht zu stark aufzudrücken, indem dieses dadurch stumpf und der Teller verdorben wird. Das allmähliche Zerlegen muss so leise, wie möglich, geschehen und dabei ja nicht, nach Metzgerart, das Messer an der Gabel abgestrichen und abgewischt werden.

Man hüte sich, etwa Salat, Obst, Eingemachtes u. s. w. durch einander auf seinen Teller zu legen und auf diese Weise ein übel aussehendes Quodlibet zu schaffen. Einen besondern Appetit auf ein Gericht blicken zu lassen, würde höchst unschicklich sein. Wird von ausgesuchten, seltenen Speisen etwas herumgereicht, dass zumal nicht in besonderer Menge auf der Tafel vorhanden ist, so muss man dergleichen den Damen und den Vornehmern überlassen; selbst Geringem erweiset man diese Höflichkeit.

Kommt ein Gericht vor, welches man noch nicht kennt und von dem man nie gegessen hat, so darf man sich dies nicht merken lassen, sondern tue so bekannt damit, als wäre es uns schon oft vorgekommen; dabei muss man aber unvermerkt und genau darauf achten, wie sich diejenigen dabei benehmen, welchen dergleichen Speisen nicht unbekannt sind.

In vertraulichen Zirkeln versteht es sich von selbst, dass wir essen, was uns schmeckt und dass wir uns dabei weiter keinen besondern Zwang als den antun, welchen Anstand und Wohlgezogenheit auch hier vorschreiben. Zu kleinern Gesellschaften, wo der Wirt Alles übersehen kann, lasse man sich niemals merken, dass man die eine oder die andere Speise etwa nicht gern genieße. Wir setzen durch solche Unbedachtsamkeit nur unsern Wirth in Verlegenheit und können ihn deshalb leicht um seine gute Laune bringen. An Tafeln, wo es förmlich zugeht, bitte man sich nicht leicht zwei Mal von einem Gericht aus; in größeren und ungezwungenen Gesellschaften darf man schon dreister sein und es am unbemerktesten durch den Bedienten tun.

Verlangt man überhaupt bei Tische etwas, z. B. Brot, Salz u. s. w., so wende man sich an die Aufwärter, und zwar leise, oder mittelst eines Zeichens. Man darf von keinem Gericht eher etwas fordern, als bis ältere und angesehenere Personen damit bedient worden sind.
Man lasse sich ja nicht einfallen, Jemandem mit seinem Löffel, Messer oder Gabel vorzulegen, sondern bitte sich in dergleichen Fällen frisches Speisezeug aus, wenn dieses zufällig nicht bei der Hand sein sollte — es bedarf nur eines Winkes, und der Aufwärter wird uns verstehen.

So oft uns ein Teller gereicht wird, haben wir ihn ohne Weiteres anzunehmen und dürfen ihn nicht etwa aus übel angebrachter Höflichkeit verbitten, weil der, welcher vor uns steht, vielleicht noch ziemlich ungebraucht und rein ist.

Einen Vornehmern darf man nicht auffordern, mit uns anzustoßen; dies würde einen Mangel an Hochachtung gegen ihn beweisen. Auch findet das Anstoßen nur unter vertrauten Tischgenossen, oder bei besondern Gelegenheiten und Anlässen Statt. Alsdann habe man Acht, dabei nichts von dem Getränke zu verschütten, erlaube sich auch nie (wenn es sonst nicht vielleicht allgemein in der Gesellschaft wird), die Gesundheit eines Höheren zu trinken.

Ein wohlgezogener Mensch sucht bei dem Kauen der Speisen seinen Mund so geschlossen, als möglich, zu halten, um das abscheuliche, bei rohen und ungesitteten Leuten gewöhnliche sogenannte Schmatzen, und bei dem Genuss der Suppe das so unangenehme laute Schlürfen zu vermeiden. Er wird sich auch nie erlauben, mit vollem Munde zu reden, oder gar seine Gabel als Zahnstocher zu gebrauchen.

Bei Tafel lässt sich so manche kleine zuvorkommende Höflichkeit und Aufmerksamkeit anbringen, die der Zerstreute leicht versäumt; dahin gehört z. B., dass man Wasser, Wein, Semmel, Brot u. dgl. den Damen gut und schleunig besorgt, oder demjenigen, der von einem in unserer Nähe befindlichen Gericht gern etwas genösse, aber vielleicht zu bescheiden ist, sich davon auszubitten, die Schüssel verbindlich anbietet. Überhaupt muss man besonders aufmerksam sein und auch dahin sehen, dass herumgereichte Sachen, Aufsatzteller u. s. w. wieder an ihre Stelle und in Symmetrie mit dem Ganzen kommen. Der Dame, welche vielleicht später, als wir, einen Teller erhält, müssen wir den unsrigen bieten.

Es würde unanständig sein, wollte man sich ein Urteil über die Speisen oder über die Zubereitung derselben erlauben, es müsste denn unser Wirt ein Mann sein, der die Eitelkeit hätte, seine Küche und seinen Keller gern loben zu hören.

Macht man selbst den Wirt, so liegt es uns ob, die ankommenden Gäste gehörig zu empfangen. Personen höheren Ranges geht man bis an die Treppe entgegen, weniger Vornehme empfängt man im Vorzimmer, oder auch an der Tür des Versammlungszimmers. Unbekannte Gäste muss man der Gesellschaft vorstellen, das heißt, den Anwesenden denn Rang und Namen, und wenn sie unsere Verwandte sind, auch dieses anzeigen. Der Wirt soll überall Freundlichkeit und zuvorkommende Höflichkeit zeigen, und sich stets so benehmen, dass man ihn ansehen kann, wie lieb und angenehm ihm seine Gesellschaft sei. Der Wirth hat die unerlässliche Verpflichtung, seine Gäste gut zu unterhalten, ihnen nach Möglichkeit, jedoch ohne dabei überlästig zu werden, Stoff zum Gespräch zu geben; kurz, Allen Alles zu sein. Den feinen, gebildeten Wirt werden wir nie von sich selbst reden, nie seine Speisen und Weine rühmen, oder gar von der Kostbarkeit und dem Werte seiner Gerätschaften reden hören. Wider allen guten Anstand ist es, die Gäste beständig zum Essen oder zum übermäßigen Trinken zu nötigen. Der Wirt muss mit dem Beispiele der Mäßigkeit, wiewohl ohne anscheinende Absicht, vorangehen; denn die Gäste richten sich gern nach ihm. Dabei setze man diesen immer das Beste und Seltenste auf und hüte sich, irgendwo Knickerei durchblicken zu lassen, welche den Frohsinn der Gesellschaft niederdrückt. Dass man sich selbst den letzten Platz gebe, versteht sich von selbst; auch muss der Wirt nicht eher aufstehen, als bis der Angeseheneste in der Gesellschaft den Wunsch äußert, sich zu erheben, oder bis die Dame vom Hause das Zeichen zum Ausstehen gibt.