6) Anzug und Kleidung

Die Art, sich zu kleiden, ist eines der wesentlichsten Stücke des äußern Anstandes. Nicht selten lässt sie uns einen Blick in das Innere des Menschen tun, und oft können wir aus ihr einen richtigen Schluss auf Denkungsart und Sitten desselben ziehen.

Um sich gefällig zu kleiden, muss unser Anzug vor allen Dingen reinlich, ordentlich und geschmackvoll sein.


Schon die Sorge für unsere eigene Gesundheit und unser körperliches Wohlbefinden legt uns die Pflicht auf, Reinlichkeit und Bequemlichkeit bei unserer Kleidung zu einem vorzüglichen Augenmerk zu machen und im gleichen Grade sind wir es unsern Nebenmenschen schuldig, in unserer äußern Erscheinung Alles zu vermeiden, was ihnen missfällig oder anstößig sein könnte. Ein reinlicher Mensch macht auf jedes Auge einen angenehmen, gefälligen Eindruck. Er hält besonders viel auf reine und weiße Wäsche, wohl wissend, dass auch der schönste und reichste Anzug stets seine Wirkung verfehlt, wenn unsaubere Wäsche darunter hervorscheint.

Hiernächst ist dahin zu sehen, dass Ordnung in unserm Anzuge herrsche, dass also Nichts daran fehle und Alles dazu verwandt sei, wozu es dienen soll; dass die Kleidungsstücke der Körperform genau angemessen, mithin nicht zu weit, zu eng, zu kurz oder zu lang seien.

Aber, wenn die Kleidung ihre volle Wirkung auf Andere machen soll, muss sie auch geschmackvoll sein. Darum trägt sich der anständige Mann nach der jedesmaligen — verständigen — Mode, ohne jedoch dabei ein Modenarr zu werden; er richtet sich vielmehr nach Personen von anerkannt gebildetem Geschmack und vermeidet daher alles Auffallende und Prahlende in der Kleidung, besonders eine zu große Überladung und Verschiedenheit der Farben. Denn der Anzug darf nicht zu schreiend und prunkend, sondern muss einfach gewählt und von einem gewissen Werte sein. Übrigens kleide man sich, wo möglich, lieber zu gut, als zu schlecht, lieber zu reich, als zu ärmlich; denn die Leute in dieser Welt sehen nun einmal auf das Kleid mehr als auf den Mann und richten ihrerseits die Behandlung danach ein. Immer aber hüte man sich, auf irgend eine Weise kund zu geben, dass man sich auf seine Kleidung etwas einbilde, sie wohl gar zu loben, denn dies verrät den eitlen Narren.