5) Komplimente

Darunter versteht man besonders diejenige kunstgerechte Bewegung oder Verbeugung des Körpers, durch welche man Andern seine Achtung bezeigen will. Auch jede Artigkeit, die man Jemandem aus irgend einem Anlass sagt, wird so benannt. Die erstere Art teilt man gewöhnlich in Komplimente, die im Gehen, Stehen, und solche, die im Sitzen gemacht werden.

Es ist Regel, allen Damen, so wie vornehmen und ältern Personen, bei dem Begegnen auf der Straße oder Spaziergängen, das Kompliment zuerst zu machen, und zwar durch eine Verbeugung mit entblößtem Haupte, deren Tiefe sich nach dem Stande und Range des Begrüßten richtet, und die fast stets mit einer passenden Grußformel verbunden ist. Die Verbeugung sei leicht und ungezwungen, sie darf aber auch eben so wenig, wie die Entblößung des Kopfes, zu schnell und hastig gemacht werden. Das Abnehmen der Kopfbedeckung muss nicht gerade auf oder nach der Seite hin geschehen, auf welcher der zu Grüßende geht; auch sehe man danach, dass dieser an unserer rechten Seite durchgehe. Übrigens bekomplimentiert man einen Vornehmern schon in einiger Entfernung und behält die Kopfbedeckung so lange in der Hand, bis derselbe vorbeigegangen ist, und wenn er uns angeredet hat, bedecken wir uns erst nach mehrmaliger Aufforderung dazu. Die höchste Unschicklichkeit würde es verraten, wenn man bei solcher Gelegenheit seinerseits den Vornehmern auffordern wollte, sich zu bedecken.
Begegnet man Personen, welchen man Achtung schuldig ist, auf Brücken, schmalen Stegen, Treppen oder Gängen, so erfordert es die gute Sitte, so lange bescheiden stehen zu bleiben, bis dieselben vorüber gegangen sind. Bei dem gemeinschaftlichen Hinauf- oder Heruntersteigen der Treppen lässt man ihnen den Vortritt. Nur bei dem Hinaufsteigen der Treppen ist es allgemein befolgter Gebrauch, vor den Damen herzugehen.


Komplimente im Sitzen dürfen nur in Gesellschaft vertrauter Freunde und Bekannte stattfinden; sie bestehen bloß in einer mäßigen Senkung des Kopfes und Beugung des Rückens.

Jedes Kompliment werde überhaupt mit freundlicher und heiterer Miene gemacht; je vornehmer aber die Person ist, welche wir begrüßen, desto mehr Ernst und Hochachtung muss einer solchen Miene beigegeben werden.