3) Höflichkeit und Artigkeit

Der Mann von Welt und gutem Ton ist höflich und artig gegen Jedermann, das heißt: er zeigt in Reden und Handeln das Bestreben, uns zu überzeugen, dass er uns unsere Achtung zu erkennen geben und unsere Verdienste oder Vorzüge auf eine angemessene Art würdigen wolle. Wo Zeit und Umstände Veranlassung bieten, zeige man in seiner Rede, in Mienen und Gebärden Artigkeit, Teilnahme, Mitgefühl und Rührung.

Das rechte Maß hierin darf nie überschritten werden. Bücke dich, aber falle nicht auf das Knie, sei höflich, aber krieche nicht und lass deine Artigkeit nicht zur Abgötterei werden. Dränge dich nicht nach oben oder zur Rechten; aber entwürdige dich auch nicht durch Lakaiendienste.


Wo nicht Pflicht und Beruf uns dringend auffordern, da vermeide man allen harten Tadel und Widerspruch: man lasse Andere bei ihrer Meinung, so lange diese unschädlich ist und Niemanden verletzt. Wird aber Ruf und Ehre irgend eines Menschen dabei gefährdet, oder der Sittlichkeit Hohn gesprochen, dann schweige der anständige Mann nicht, sondern zeige mit bescheidener Festigkeit das Übergewicht und die Würde, die ein reines Herz und ein sittlicher Charakter verleihen. Sein Tadel wird mit sanftem Ernst ausgesprochen werden; fern von gehässiger Rechthaberei, wird er nicht Alles besser wissen, Alles beurteilen wollen. Wer viel weiß, ist fast immer bescheiden; wer nur einseitiges Wissen besitzt, ist in der Regel anmaßend und absprechend, denn Jener sieht ein, wie viel ihm noch fehlt, Dieser hält sich für unfehlbar und unverbesserlich.

Eben so unrecht als unklug ist es, Schwächere und weniger Gebildete in Gesellschaft geflissentlich lächerlich zu machen. Ist ein solcher Mensch geistesarm, so hat man wenig Ehre von dem Witze, den man gegen ihn verschwendet; ist er nicht so dumm, als man glaubt, so läuft man Gefahr, der Gegenstand seines Spottes oder seiner Grobheit zu werden; ist er gutmütig und gefühlvoll, so kränkt man ihn um so tiefer; ist er tückisch und rachsüchtig, so vergisst er die Beleidigung nicht, die wir ihm zugefügt haben und er schadet uns, wo er nur kann.

Der wahrhaft edle und anständige Mann sucht vielmehr auch schüchterne und schwächere Gesellschafter in das Gespräch zu ziehen, sie aufzumuntern, ihren, wenn auch geringen Eigenschaften Gelegenheit zu geben, sich vorteilhaft zu zeigen; er ist bemüht, durch Freundlichkeit und Wohlwollen den Glauben an ihren eigenen Wert zu erwecken und zu stärken.

Die Sprache der Höflichkeit ist immer verbindlich; man sagt nichts, was irgend Jemandem Verdruss machen kannte; der Ton ist sanft und einnehmend, erweckt das Zutrauen Anderer gegen uns, und durch verständiges, sparsames Lob legt man die Anerkennung fremder Vorzüge und Verdienste an den Tag.