Der Fluch des Rabbi

Sittengemälde aus dem sechzehnten Jahrhundert
Autor: Breier, Eduard (1811-1886) österreichischer Schriftsteller, Journalist, Feuilletonredakteur, Erscheinungsjahr: 1922
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Mittelalter, Historischer Roman, Sittengemälde, Liebe, Intriegen, Hass
          Wohl dem Manne, der den Weg
          der Bösen nicht wandelt.

                    Der Psalmist

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Die Sonne war im Scheiden und umfing mit ihren Strahlenarmen zum letzten Male das alte Buda; der Glanz des Tages erlosch und machte dem abendlichen Dunkel Platz, welches von den umliegenden Bergen herabzusteigen schien.

Es war an einem Freitage, die Sabbatfeier musste bald ihren Anfang nehmen, denn in der Judenstadt zu Alt-Ofen sah man die Nachkommen des alten Volkes in festlichem Gewändern gehüllt, nach ihrer Schule eilen, um mit feierlichen Gebeten den Sabbat zu begrüßen.

Ein kleiner, höckeriger Mann zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Ein dreieckiger Hut deckt sein Haupt, ein grauer abgenützter Tuchrock, ein Beinkleid unter den Knien mit Schnallen befestigt, schmutzige, durchlöcherte Strümpfe und eben solche Schuhe kleiden die übrigen Teile seines Körpers. Das faltige Antlitz verrät eine bedeutende Anzahl von Lebensjahren, ein dünnes mit gebleichten Haaren untermengtes Bärtchen bedeckt das hervorragende Kinn und zwei graue Augen flimmern unstet über die breitgedrückte Nase hinweg.

Aber weder seine Gestalt, noch seine Kleidung ziehen ihm in diesem Augenblicke unsere nähere Beachtung zu, sondern sein Treiben, sein Geschäft ist es, welches ihn vor allen Andern auszeichnet und keine unwichtige Person in unserem Gemälde werden lässt.

Wir begegnen dem Höckerigen, wie er eben mit einem hölzernen Hammer in der Hand hastigen Schrittes durch die Gassen eilt und die Einwohner eines jeden Hauses mittelst drei kräftigem Schlägen an der Tür zum Gottesdienste ruft.

Es ist also Niemand anders, als die lebendige, immerwandernde Glocke Schlome (Samuel) Holländer genannt, wohlbestellter Schulklopfer der Alt-Ofner Judengemeinde im Jahre 5291 seit Erschaffung der Welt oder 1530 nach christlicher Zeitrechnung. ...