Gleich und gleich gesellt sich gern

Es war eine finstere unfreundliche Nacht; die Lichter des Himmels waren erloschen, das geräuschvolle Treiben des Tages verstummt und eine Leichenstille eingetreten.

Eine schlafende Stadt gleicht sehr einem Friedhofe, denn in ihren steinernen Särgen liegen die Menschen und schlafen, stehen dann auf, um sich wieder schlafen zu legen. — Schlafen — tot sein! — Ist der Schlaf etwas anderes als ein kurzer Tod? — Der Körper ist von Banden umfangen und die Seele ist im Traume geschäftig; so stirbt der Mensch täglich, so oft sich der Schlaf“ auf seine Augen senkt, so erwacht er dann immer, um wieder zu sterben und endlich — um nicht mehr zu erwachen.


Die Schwüle des vergangenen Tages hatte auf ein baldiges Gewitter schließen lassen und dieses kam wirklich herangezogen. Ein starker Luftzug strich durch die Straßen Alt-Ofens, dichte Wolken hingen tief herab und verursachten eine undurchdringliche Finsternis. Zwei Stunden vor Mitternacht schlich eine verhüllte Gestalt von Alt-Ofen herüber gegen die Wasserstadt. Sie hatte ihren Weg längs des Donauflusses genommen und an der Langsamkeit der Bewegung sah man die Vorsicht, mit welcher sie ihr Ziel verfolgte. Endlich blieb sie vor einem kleinen Häuschen stehen. Die Türe desselben war geschlossen; da erfolgte ein dreimaliges leises Klopfen, sie öffnete sich, die Gestalt trat ein und gleich hinter ihr schloss sich der Eingang. Jetzt betrat der Angekommene eine Stube, die hell erleuchtet und mit Menschen zahlreich gefüllt war. An den Wänden herum standen Tische. Gäste, der verschiedensten Gattung befanden sich an denselben. Männer und Weiber, Jünglinge und Greise, Juden und Christen, Ungarn, Deutsche und Siebenbürger. Viele der Versammelten spielten, andere tranken, wieder andere kürzten sich die Zeit mit lustigen Gesprächen, die meisten aber feilschten mit einander über verschiedene wertvolle Gegenstände, als da sind, Ringe, Kettlein, Perlen und andere Schmucksachen edlen Metalls. Dies Alles geschah ohne Lärm, Geräusch und Aufsehen. Die eingetretene Gestalt hatte sich an ein in der Ecke noch unbesetztes Tischchen gemacht und begehrte einen Krug Weines; dann verhielt sie sich ruhig und still. Es war ein Jüngling von beinahe achtzehn Jahren. Blattern hatten das vielleicht früher schöne Antlitz verunstaltet; der feine weiße Teint bestätigte diese Vermutung, die Züge aber waren grell, so wie das rote Kopfhaar, welches mit jenem im vollkommenen Einklange stand. Im Ganzen verdiente er eher den Namen eines hässlichen, als angenehmen jungen Mannes. Nach einer Weile gesellte sich noch ein anderer Gast zu ihm, der eben auch angekommen war.

„Du lasst lange auf Dich warten, Scholem“, rief ihm der Erstere entgegen, „wo bist Du geblieben, es wird ja gleich elf schlagen“.

„Du hast leicht reden“, lautete die Antwort, „Dir gibt Deine Mutter Geld, aber ich muss es mir erwerben. — Da schau mal, Pinches, ein Paar silberne Schuhschnallen“.

Der Rote nahm die Schnallen in die Hand, wog sie bedächtig, als prüfe er ihr Gewicht, dann stellte er sie wieder dem Eigentümer zurück.

„Sie sind hohl“, sprach er leichthin, „wirst nicht viel bekommen“.

„Das wollen wir sehen“, erwiderte Scholem, und rief einen Mann zum Tisch, der den Abend schon mehrere Kostbarkeiten gekauft hatte.

Nun begann der Handel. Der Käufer gab zu verstehen, wie er es nur zu gut wisse, dass die Schnallen gestohlen seien, dadurch ließ sich Scholem aber nicht irre machen.

„Ihr habt in Eurem Leben noch wenig ehrlich gekauft“, warf er dem Andern vor, „drum nehmt nur die Schnallen um den angebotenen Preis: Ihr wisst, Ihr habt einen guten Kunden an mir, kommende Woche sollt Ihr einen schönen Schmuck bekommen, aber nur nicht handeln müsst Ihr, sonst gehe ich Euch weiter“.

Nach langem Feilschen endlich, wurden sie einig, der Käufer zahlte aus und die Talmudisten waren an ihrem Tische wieder ungestört.

„So, mein lieber Pinches“, sprach Scholem, nachdem er das Geld verborgen hatte, „wir zwei würfeln nicht mit einander, wir wollen uns das Geld nicht abgewinnen, aber bis wir den Schulklopfer wieder einmal eingefädelt haben, dann wollen wir uns schon verständigen“.

„Du hast recht, Scholem“, erwiderte der Andere, „dieser schändliche Holländer, der hat uns schon so viel abgewonnen, wir müssen uns einmal entschädigen. Männer wie wir, die in der Hoffnung leben, in Bälde Schwägerleute zu werden“,

„Diese Hoffnung habe ich aufgegeben“, rief Scholem seufzend.

„Wie so?“ fragte Pinches erstaunt.

„Deine Schwester beharrt in ihrem Eigensinne“.

„Kann nicht sein“, grollte der Andere, „sie muss so wahr ich ihr Bruder bin“.

„Auf diesem Wege geht es nicht“, entgegnete Scholem verzweifelnd, „denn, wenn ich mich nicht täusche, so ist jetzt noch ein Hindernis dazu gekommen, welches sich mächtig — unüberspringbar zwischen uns ausdehnt. Deine Schwester liebt einen andern“.

„Wie?“ rief der Rote, „ist es möglich, sollte die Tolle ...“

„Ereifere Dich nicht, Bruder Pinches,“ besänftigte ihn der Andere, „es führt zu nichts. Es ist bestimmt, Deine Schwester liebt — Noße Traun“.

,,Verflucht! diesen Schnorrer, diesen schändlichen Heuchler, der sich in die Gunst aller Menschen einzuschleichen weiß; nie und nimmermehr soll er mein Schwager werden, so wahr mein Vater Rabbi in Alt-Ofen ist. Ich sehe schon“, fuhr er etwas gefasster fort, „wir müssen jetzt einen ganz frischen Weg einschlagen, die Schwester muss die Deine werden.“

„Pinches“, sprach Scholem langsam, „Du weißt, Dein Vater mischt sich in diese Angelegenheiten nicht, die Mutter liebt Jentel zu sehr, als dass sie ihr einen Mann aufdringen würde, was willst Du also machen, wenn Jentel sagt, dass sie mich nicht lieben könne“.

„Das eben“, erwiderte der Sohn des Rabbi, „werde ich machen, dass sie Dich lieben wird, unvergesslich lieben, so — als wenn Du Noße Traun wärest. Komm mit, wir wollen rasch ans Werk schreiten“.

Eine halbe Stunde später traten zwei Männer in den Schulhof und blieben vor der Wohnung des Schameß stehen. Einer von ihnen trat an ein Fensterlein und klopfte leise an.

„Wer klopft?“ kreischte drinnen eine Weiberkehle.

„Frau Judeß!“ rief der Mann draußen mit verstellter Stimme, „kommt ein wenig herbei“.

„Der Böse soll alle ungeschickten Köchinnen holen“, zürnte die Gerufene drinnen, denn sie wähnte nichts Anderes, als dass man sie bei einer Verstopften Gans zu Hilfe rufe.

„Geh Judeß, mein Kind“, hörte man den schlaftrunkenen Schameß brummen, „schau wer es ist“.

„Halts Maul, Du faule Eselshaut“, kreischte die zärtliche Gattin und trat ans Fenster.

Der Mann draußen sprach einige leise Worte mit ihr.

„Schon gut“, lispelte Frau Judeß, zog sich wieder zurück, die beiden Männer gingen rückwärts gegen die Schule zu.

Eine heilige Stille herrschte um das verlassene Gotteshaus. Die Nacht war noch immer finster, aber ruhiger wie früher; der Wind hatte sich gelegt, dagegen war ein feiner Regen eingetreten, der still und geräuschlos herabrieselte. Die beiden Männer stellten sich unter den Vorsprung des Schuldaches; — kohlschwarze Nacht umgab sie, nur durch die Gitterfenster der Schule dämmerte ein matter Schein des ewigen Lichtes, welches vor dem Aron Hakodosch in einer grünfarbigen Lampe brannte.

(Aron Hakodosch ist der Zehn-Gebotskasten, welcher die im Tempel zu Jerusalem gestandene Bundeslade vorstellen soll, worin aber jetzt die Tora, (das Gesetzbuch auf einer Pergamentrolle geschrieben), aufbewahrt wird.)

Nach einer Weile hörte man ein schwaches Geräusch, wie schleichende Fußtritte schallte es immer näher.

,,Sie kommt schon“, lispelte einer der Männer. Als die Erwartete angekommen war, öffnete sie leise die Schultüre, alle Drei schlüpften hinein und lehnten dann die Pforte ans Schloss.

„Hier in der Vorhalle ist es kalt“, lispelte Judeß, denn sie hatte den Schlüssel gebracht, „lasst uns in die Schule gehen.“

Sie traten ein; der grüne Schein des ewigen Lichtes hüllte die Schule in ein mystisches Dunkel, die Ständer (hölzerne Pulte, auf welchen die Gebetbücher liegen), die vor den Sitzen standen, glichen unbeweglichen Gestalten, welche die Geheimnisse der Nacht belauschten; Leichenstille war verbreitet, jeden Laut hallten die Wände wieder.

Nun begannen die Eingetretenen mit einander zu lispeln, anfangs leise und unverständlich, dann aber immer lauter und lauter.

„Wie ich Euch sage, Frau Judeß, sprach der Eine — es war Pinches — „Ihr habt gar nichts zu befürchten. Ihr bereitet das Tränklein und für das Übrige lasst uns sorgen.“

„Das ist Alles recht“, antwortete das Weib des Schameß, „aber schon die Bereitung ist sehr gefährlich, denn es werden alle bösen Geister herauf beschworen und wenn es dabei falsch zugeht, kann ich ein Kind des Todes sein“.

„Denkt nur an die Goldgulden“, erinnerte der Andere, an dem man Scholems Stimme erkannte.

Judeß dachte eine Weile nach. „Nun meinetwegen“, rief sie dann entschlossen. „ich will Euch willfahren, aber wie ich schon gesagt, mit dem Andern will ich nichts zu tun haben; ich liefere Euch den Liebestrank und das Übrige müsst Ihr vollbringen. Jetzt lasst uns gehen und in der ersten Sliches-Nacht um die elfte Stunde erwartet mich hier, dann wollen wir den Trank bereiten“.

Alle Drei entfernten sich behutsam.

Frau Judeß schloss die Schultüre wieder und trippelte dann gegen ihre Wohnung zu, während Pinches durch ein Fenster in das Hinterstübchen stieg, wo seine Schlafstelle stand und Scholem sich auf der Straße im Dunkel der Nacht verlor.

Als Judeß in der Stube anlangte, kehrte sich der Schameß eben auf die andere Seite.

„Bist Du schon da, Judeß, mein Kind?“ fragte er schlaftrunken.

„Freilich bin ich da, Maulaffe“, keifte sie, „das Weib muss sich die ganze Nacht plagen und der Mann schläft wie ein Murmeltier“.

„Und das Weib soll gehorchen dem Manne“, zitierte der Schameß aus der Bibel.

„Und der Mann soll dem Weibe Nahrung verschaffen“, replizierte Frau Judeß.

Dies war die empfindlichste Seite des Schameß. „Nu, nu“, rief er begütigend, „wo bist Du denn nachher gewesen?“

„Bei Cheile Leder war ich, ich hätte ihr sollen einen Korn herausnehmen“.

„Wem, Cheile Leder?“ fragte der Schameß erstaunt.

„Warum nicht gar“, grollte Judeß unwillig, „ihrer fettesten Gans, die wenigstens sechs Halbe Schmalz geben wird; aber deswegen ist sie doch nicht so fett, wie die unsrigen“, setzte sie eifrig hinzu.

„Ich wollte“, brummte der Schameß in sich hinein, „Du wärst so fett wie Deine Gänse“.

„Was brummst Du dort?“ fragte sie.

„Ich habe nur gesagt“, erwiderte der Gatte, „dass nicht immer alle Gänse gleich fett sein können“.

„Und alle Ochsen auch nicht“, rief Judeß, welche diese Anspielung auf ihre Magerkeit, nur zu sehr verstanden hatte.

Am folgenden Morgen bekam der Schameß kein Frühstück, denn Frau Judeß führte in ihrem Hausregiment scharfe Manneszucht.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Fluch des Rabbi