Schluß

Drei Jahre waren nach den zuvor beschriebenen Vorfällen verflossen und die Pflanzer in Louisiana gerade emsig beschäftigt, die dieses Jahr vortreffliche Baumwollernte zu beenden. Unter der heißen Mittagssonne standen die Neger draußen in den schattenlosen Feldern, die weißen Flocken in leichte Schilfkörbe zu pflücken und das ihnen aufgegebene Gewicht noch vor Feierabend zusammenzubringen. Es war gerade nicht mehr, als sie arbeiten konnten, aber säumen und rasten durften sie auch nicht viel dabei, und fehlte ihnen nur ein kleiner Teil an der bestimmten Qualität, so blieb die Strafe selten aus.

Draußen im Feld arbeiteten die Neger und ritt der Aufseher umher, die verschiedenen Trupps zu überwachen, aber um das Herrenhaus her herrschte tiefe und durch nichts gestörte Stille. Die Herrschaft hielt Siesta, und es wäre keinem der Neger zu raten gewesen, auch nur durch einen Laut in der Nähe der Wohnung die heilige Ruhe zu unterbrechen.


Der breite Mississippi, durch die gerade in dieser Jahreszeit herunterkommenden Wasser der Felsengebirge genährt, war ungewöhnlich hoch, aber auch außerordentlich belebt, und keine Viertelstunde verging fast, in der nicht entweder ein Dampfer vorübergekeucht oder Flat- oder Segelboote den Strom herabgekommen wären. Aber niemand in der Plantage kümmerte sich um das, was ihnen auch überhaupt schon lange alltäglich und gleichgültig geworden war. Die Fenster waren dicht verhangen, die Jalousien geschlossen, und nur durch die offenen, auf die Veranda führenden Türen wurde der vom Strom herüberwehenden Luft der Zugang gestattet. Selbst die am Mississippi hinaufführende Straße war vollkommen menschenleer; nur eine einzige alte Frau saß im Schatten eines hochstämmigen Pecan-Baumes und überwachte eine kleine Herde an der Levée weidender Schafe.

Es war ein trauriger Anblick, die alte, zur Mumie zusammengetrocknete Frau da stumpfsinnig kauern zu sehen. In ihrer Jugend vielleicht der Liebling des Aufsehers und von schwerer Arbeit verschont, im reiferen Alter dann in das Baumwollfeld geschickt, bis auch die letzten, allenfalls noch zu verwertenden Kräfte aufgebraucht, hatte sie selbst jetzt noch keine Ruhe. Wie alt sie war, wußte sie selbst nicht mehr, blieb sich auch gleich, denn niemand kümmerte sich darum. Aber hier draußen mußte sie sitzen, den lieben langen Tag, und auf die Schafe aufpassen, die an der Levée hin ihr Futter suchten - wehe, wenn ihr eins verlorengegangen wäre! Aber die Schafe liefen auch nicht fort, und wär es nur aus Mitleid mit der armen Frau gewesen, die dann hätte hinter ihnen dreinkeuchen müssen. Ruhig pflückten sie das süße Cocogras von dem hohen Damm, und die Alte saß neben ihnen, haschte nach den Fliegen, die in ihre Nähe kamen, und drehte dann den gefangenen langsam die Köpfe ab.

Über den Strom herüber kam ein schlankes, scharf gebautes Boot gerudert. Es trieb das Wasser nicht schäumend vor sich her, sondern warf es an beiden Seiten wie abgeschnitten fort. Einem Pfeil gleich schoß es durch die Flut, und die beiden Männer darinnen, die die Ruder führten, schienen trotz der Hitze ihre Lust daran zu haben, den kleinen Klipper springen zu lassen.

Ein dritter, älterer Mann saß am Steuer und hielt sich in der stärksten Strömung, bis er der Landestelle gerade gegenüber war. Dann aber hielt er fast mitten hindurch, kaum einen halben Strich den Bug stromauf gekehrt, und mit einem Fußbreit vermochte die Strömung ihn wohl eine Strecke von hundert Fuß hindurch aus seiner Bahn zu rücken, so wacker lief das Boot.

Ein alter Neger, der ein Stück weiter oben dicht am Ufer stand, um vorbeitreibendes Holz mit einem Haken zu fangen und an Land zu holen, sah nicht mehr nach den Stämmen hin, sondern schaute bewundernd auf das schlanke, treffliche kleine Fahrzeug, bis dieses den scharfen Bug gegen die Strömung herumwarf und im nächsten Augenblick auch schon unter dem steilen Ufer längsseits und an einer vorragenden Wurzel angebunden lag.

Drei Männer stiegen hier aus, alle ihre langen amerikanischen Büchsen auf der Schulter, und schritten langsam die Levée hinauf. Nur der eine war ihnen rasch voraus, und es schien fast, als ob er ungeduldig wäre, den vor ihnen liegenden Platz recht bald zu überschauen. Oben jedoch erwartete er die beiden anderen, die eine Zeitlang schweigend neben ihm stehenblieben. Endlich sagte der ältere, der auch im Boot das Steuer geführt:

„Höre, Jack, nimm dich aber in acht und mach keine Dummheiten, oder halte dich wenigstens im schlimmsten Fall immer in der Nähe vom Boot. Sowie du das unter dir hast, bist du sicher, denn die kleine ›Sally‹ holt kein anderes ein.“

„Habt keine Angst um mich, Sir“, lachte aber der junge Mann. „Lange Jahre sind verflossen, seit wir hier am Ufer lagen, und schwerlich kennt noch einer den jungen Burschen, der damals ja kaum den Fuß an Land gesetzt. Aber wenn auch; was könnten sie mir im schlimmsten Fall beweisen? Überdies hab ich es mir nun einmal in den Kopf gesetzt, die Botschaft selber auszurichten. Ihr müßt mir meinen Willen schon lassen.“

„Daß du ein Tollkopf bist, weiß ich lange“, lachte der Alte gutmütig vor sich hin, „aber du wirst jetzt niemanden sprechen können. Das ganze weiße Volk hier, den Aufseher ausgenommen, hält um diese Zeit Siesta und läßt sich um die Welt nicht stören.“

„Was tut's?“ erwiderte sein jüngerer Begleiter. „Ich habe noch ohnedies vorher ein anderes Geschäft abzumachen. Wißt Ihr nicht, daß ich Sally eine Decke für ihren Sattel von einem der hiesigen Alligatoren versprochen? Die muß ich mir vor allem anderen erst holen, denn wer weiß, ob ich nachher noch soviel Zeit behalte.“

Der Alte schüttelte lachend den Kopf

„Du wirst dir den Schädel wohl noch einmal einrennen“, meinte er, „aber was tut's; wer nicht einmal durch Schaden klug werden will, an dem ist doch Hopfen und Malz verloren. Nun, lauf, wohin du Lust hast, wir bleiben indessen hier im Schatten liegen, und kommst du nicht zur rechten Zeit zurück, so tafeln wir ohne dich. Gewartet wird auf keinen Fall.“

Der junge Mann nickte den beiden freundlich zu und schritt dann langsam über den Fahrweg hin zur Gartentür, die beiden anderen aber stiegen wieder zum Flußrand zurück, wo sie, durch die Levée gedeckt, vom Land aus nicht gesehen werden konnten. Hier stand ein kleines Dickicht von Pecan- und Stechpalmbäumen, in deren Schatten sie sich behaglich lagerten und das weitere geduldig abzuwarten schienen. Das Boot lag dicht unter ihnen, von dem abschüssigen, aber jetzt nicht hohen Uferrand vollkommen gedeckt.

Der junge Mann hatte indes die Gartentür erreicht, die er jedoch von innen verriegelt fand, um Unberufene daraus fernzuhalten, und er mußte in den schmalen Weg hinein, der am Garten hin dem hinter dem Haus liegenden Negerdorf zuführte. Alles war hier wie ausgestorben; selbst die Alten und Kinder schienen sich vor den brennenden Sonnenstrahlen in den Schatten der Gebäude zurückgezogen zu haben. Nur ein paar Hunde und Schweine trieben sich dort faul und schläfrig herum. Der Fremde blieb stehen und schien sich nach jemandem umzuschauen, von dem er irgendeine Auskunft erhalten könne, als er einen Reiter den in die Felder führenden Weg herabsprengen sah. Es dauerte auch gar nicht lange, bis dieser, ein langer, hagerer Mann, mit einem zwar finstern, aber sonst eben nicht bösartigen Gesicht, herankam und ihn artig fragte, ob er irgend jemanden suche.

„Allerdings“, sagte der Fremde, „ich wünsche mit Mr. Beauchamps zu sprechen, wenn er gegenwärtig gerade auf der Plantage ist. Es betrifft eine Geschäftssache.“

„Dann werde ich Sie bitten müssen, ein wenig zu warten“, erwiderte der Reiter. „Mr. Beauchamps hält jetzt gerade seine Siesta und läßt sich unter keiner Bedingung in derselben stören.

„Und wann wäre die beste Zeit, ihn zu sprechen?“

„Am besten etwa in anderthalb Stunden, bei oder nach dem Kaffee. Wenn Sie sich indessen in meiner kleinen Wohnung aufhalten wollen, steht Ihnen dieselbe mit Vergnügen zu Diensten.“

„Ich danke Ihnen für Ihr freundliches Anerbieten“, sagte der Fremde, „aber ich habe mir schon lange gewünscht, einmal einen Alligator zu schießen und könnte die Zwischenzeit indessen wohl dazu benutzen. Sie haben doch deren hier in der Nähe?“

„Du guter Gott“, lachte der Reiter, „die könnten wir Ihnen beim Schock ablassen, und ich wollte nur, daß wir so viele Ballen Baumwolle jährlich zögen, wie Alligatoren hier auf unserem Grund und Boden innerhalb des Waldstreifens liegen, den Sie dort drüben sehen.“

„Sie sind der Aufseher der Pflanzung?“

„Zu dienen.“

„Und kann ich die Erlaubnis bekommen, dort hinzugehen?“

„Deren bedürfen Sie gar nicht“, sagte der Aufseher, „unsere Alligatoren stehen Ihnen mit Vergnügen zu Diensten. Wenn Sie übrigens einen Augenblick hier warten, oder nur langsam jenen Weg, den ich eben gekommen, vorangehen wollen, so werde ich Sie selber begleiten. Ich habe nur einige Aufträge zu besorgen und werde Sie bald wieder einholen. Ich muß doch dorthin zurück, und wenn Sie einen oder ein paar Alligatoren schießen, ist es mir sogar recht, denn wir können das Fett derselben jetzt vortrefflich zum Einölen unserer Baumwoll-Reinigungsmaschinen gebrauchen.“

Der Fremde war gern damit einverstanden und schritt langsam den bezeichneten Weg entlang. Rechts und links davon arbeiteten die Neger, und vor ihm dehnte sich der weite, wassergefüllte Sumpf aus, von einem Zypressen- und Sumpfeichenwald begrenzt. Ehe er übrigens das Ende der Felder erreichte, hörte er schon wieder die Hufschläge eines galoppierenden Pferds hinter sich und sah den Aufseher herankommen, der einen kleinen Negerjungen hinter sich auf dem Pferd hatte und eine lange, dreizinkige Harpune in der Hand trug.

„So“, rief er lachend, als er den Fremden überholte, während der kleine Bursche wie eine Schlange vom Pferd herunterglitt und hinter ihnen dreinlief, „nun können wir unsere Jagd beginnen. Hier ist eine Harpune, um damit, was etwa geschossen wird, aus dem Wasser zu holen, und der kleine Bursche da soll uns die Gesellschaft herbeilocken, daß sie ordentlich zum Schuß kommt.“

„Kann er bellen?“ fragte der Fremde.

„Ah! Sie sind auch nicht zum erstenmal dabei“, meinte der Aufseher, „das merk ich wohl. Nein, bellen kann er nicht, aber täuschend wie ein Ferkel quietschen, und Sie sollen einmal sehen, wie toll die Bestien darauf sind. Aber was wollten Sie mit dem Alligator anfangen? Ihn essen?“

„Nein, das nicht, obgleich mir gesagt wurde, daß die Schwänze derselben leidlich schmecken. Ich wünschte nur Haut genug für ein paar Satteldecken zu bekommen.“

„Ja, dazu sind sie vortrefflich und sehen allerliebst aus. Waren Sie schon früher in dieser Gegend?“

„Ich? Nein - ich bin zum erstenmal in Louisiana“, sagte der Fremde, während er sich abwandte, um nach einem über ihnen hinstreichenden blauen Falken zu sehen: „Nur oben am Red River habe ich einmal einen Alligator geschossen.“

„Dort gibt es Massen“, bestätigte der Aufseher, „ich war selber vier Jahre im ›roten Land‹ Overseer auf einer Plantage, und wir konnten uns dort vor ihnen manchmal kaum retten. Hier gibt es aber ebenso viele, wenn nicht noch mehr!“

„Sind Sie schon lange auf dieser Plantage?“

„Beinahe drei Jahre - seit der letzte Aufseher von einem Negerdieb erschossen wurde.“

„Ah, ich habe von der Geschichte gehört“, sagte der Fremde gleichgültig, „wurde nicht eine Frau damals geraubt?“

„Eine Frau nicht, ein junges Quadroonmädchen, die mordsmäßig hübsch gewesen sein soll. Ich bin übrigens aus der Geschichte selber nicht so recht klug geworden, denn die Neger mochte ich nicht fragen, und die Herrschaft mag nicht gern an die Geschichte erinnert werden. So viel nur hab ich gehört, daß sie das Mädchen über jenen Damm, der da vor uns liegt, nach einer Lichtung geschickt hatten, die dort ein Amerikaner angelegt. Den jungen Damen war ein kleiner Hund verlorengegangen, der sich dorthin verlaufen, und das Mädchen sollte ihn abholen. Ob sie ihn nun boshafterweise einem Alligator vorgeworfen oder ob sie Unglück damit hatte, kurz, die kleine Kröte wurde unterwegs gefressen, und das Mädchen bekam eine tüchtige Portion Schläge dafür. Dieselbe Nacht lief sie davon, wie es hieß, auf Veranlassung eines Flatbootmanns, die sich fortwährend hier an den Ufern herumtreiben, und als Mr. Hoof, der frühere Aufseher, ihnen mit einigen Leuten nachsetzte, wurde er dabei von dem Negerdieb erschossen.“

„Und haben sie das Mädchen wiederbekommen?“ fragte der Fremde.

„Oh, Gott bewahre“, brummte der Aufseher, „ja den Teufel auch, der Mississippi ist breit und der Wald dicht, und so schwer es einem Schwarzen allein werden sollte, hier herauszukommen, so läßt sich die Sache machen, wenn ein Weißer dabei ist, der als der Herr desselben gelten kann. Neger werden hier deshalb auch fortwährend gestohlen, und nur dadurch, daß wir eben außerordentlich kurze Umstände mit erwischten Dieben machen, können wir die Burschen ein klein wenig im Zaum halten.“

„Aber was tun Sie mit ihnen?“ fragte der Fremde. „Soviel ich weiß, steht Zuchthausstrafe darauf“

„Ja“, lachte der Aufseher, „wenn wir sie dem Sheriff ausliefern. Gewöhnlich aber machen wir kurzen Prozeß mit ihnen und hängen sie an den nächsten Baum . In den letzten Jahren sind drei so abgefertigt worden. Aber hier ist der Platz“, unterbrach er sich rasch, „da sehen Sie - dort geht der Damm hinüber, und hier in dem Wasser schwimmen wenigstens ein paar Tonnen Alligatorfett umher. Jetzt machen Sie sich fertig, und Ned, der Junge, mag ein paar für uns zu Gaste laden.“

Ned, ein kleiner, außerordentlich schmutziger Negerjunge, schien aber keine besondere Lust zu haben, der Aufforderung Folge zu leisten. Er sah sich mit den großen, stieren Augen rings um und blickte ängstlich nach dem Wasser hinüber.

„Aha!“ lachte der Aufseher. „Er hat sein neuliches Abenteuer noch nicht vergessen. Vor ein paar Tagen ging der Dummkopf hier allein auf den Damm, setzte sich in der Mitte hin, fing an zu quietschen und wäre beinahe von einem großen Alligator von dem Damm heruntergeholt worden. Seit der Zeit mag er nichts mehr davon wissen. Na komm, mein Bursche - häng erst mein Pferd dort drüben an und dann klettere auf die kleine Eiche dort hinauf. Da geschieht dir nichts und du kannst locken nach Herzenslust.“

Der Junge gehorchte rasch dem Befehl, und der Fremde stand indes wie träumend an dem schmalen, langen Damm. Alte Zeiten und Szenen zogen im Geist vor seiner inneren Seele vorüber, und er hörte nicht einmal, wie der kleine Bursche jetzt auf das täuschendste das Quietschen eines kleinen Ferkels aus den Ästen des niedern Baumes heraus nachahmte.

„Da kommen sie schon“, flüsterte der Aufseher da plötzlich, den Arm des neben ihm stehenden Fremden ergreifend.

„Wer?“ rief dieser, erschreckt emporfahrend.

„Wer? Nun, ein halbes Dutzend bärenmäßig großer Alligatoren“, lachte der Aufseher. „Sehen Sie nicht die dunklen Flecke, die wie Stücke schwarzgebrannten Holzes auf dem Wasser schwimmen? Das sind sie.“

„Ach ja - wahrhaftig“, sagte der Fremde, rasch gesammelt und die Büchse schußfertig aufnehmend, „und tüchtige Kerle dazu.“

„Schießen Sie - da vorn ist schon einer auf kaum zehn Schritte.“

„Halt, noch nicht. Wir wollen erst warten, bis er sich ein wenig dreht; die Kugel könnte sonst abprallen.

„Jetzt - jetzt ist die Zeit.“

Die Büchse hob sich, und wie der scharfe Strahl dem Rohr entzischte, zeigte der Alligator auch schon den aufgedrehten weißen Bauch. Der Aufseher stand indessen mit der gehobenen Harpune wurffertig am äußersten Rand des Damms, und wie der lange Bursche mit dem Schwanz im Todeskampf das Wasser peitschend näher zum Land kam, warf er ihm das mit Widerhaken versehene Eisen kräftig in den Wanst. Gleich darauf hatte er auch, von seinem Begleiter dabei unterstützt, die wütend um sich schlagende Bestie herangezogen, und der Fremde trennte ihr hier mit seinem breiten, schweren Messer den Kopf vom Rumpf.

Die übrigen waren indessen, durch den Schuß erschreckt, ein Stück zurückgeschwommen. Sobald aber der Negerbursche sein Locken wieder begann und der Fremde seine Büchse kaum geladen hatte, kehrten sie auch wieder um und kamen gierig näher.

Als sich auch der zweite nach dem Schuß überschlug, rief der Aufseher erstaunt aus:

„Sie schießen wie der helle Teufel, und ich glaube treffen auch, wohin Sie sehen. Wäre mir nicht lieb, wenn Sie einmal auf mich zielen sollten.“

„Würde auch wohl schwerlich vorkommen“, lachte der Fremde, „auf einen Alligator schießt sich's überhaupt besser wie auf einen Menschen.“

„Haben Sie's schon einmal versucht?“

„Wüßte nicht wo“, sagte der Fremde. „Im Krieg bin ich noch nicht gewesen, und bei uns im Norden gibt es keine Menschenjagden.“

„Sie leben im Norden?“ rief der Aufseher rasch und erstaunt. Der elegante, leichte Sommeranzug des Fremden wie der Panamahut, hatten ihn glauben machen, daß er es mit irgendeinem Pflanzer zu tun hätte und war vielleicht auch Ursache seiner außerordentlichen Gefälligkeit gewesen. Als er hörte, daß der Fremde aber im Norden daheim sei, fiel ihm auf einmal ein, wie es nötig wäre, daß er nach seinen Leuten sähe. Er versprach übrigens, augenblicklich einen der darin geschickten jungen Burschen herüberzuschicken, die Alligatoren abzustreifen - das konnte er keinem Weißen überlassen - wie zugleich das Fett für sich herauszunehmen.

„Wenn Sie jetzt langsam dem Haus zugehen“, sagte er dabei, „denk ich, daß Sie den Herrn wohl munter treffen. Da, Ned, nimm die Harpune und geh nach Hause. Auf Wiedersehen“, nickte er noch grüßend dem Fremden zu, und in den Sattel springend, trabte er rasch zu seinen im Feld arbeitenden Negern zurück.

Der Fremde blieb noch lange auf der Stelle, und unter der kleinen Gruppe von Bäumen hingeworfen, überschaute er sinnend und ganz in seine Gedanken versunken den Platz. Aber die Gedanken konnten keine trüben sein, denn oft lächelte er still und leise vor sich hin, und als die Sonne endlich tiefer und tiefer sank und ihn zum Aufbruch mahnte, schritt er mit fröhlichen, leichten Schritten den schmalen Weg entlang, der Pflanzung wieder zu.

Ohne sich weiter bei einem der Neger zu erkundigen, klopfte er auch bald darauf an dem Hauptgebäude an und fragte, als ihm ein junges Mulattenmädchen die Tür öffnete, nach Master Beauchamps.

„Massa ist oben“, sagte das Mädchen, „will's ihm gleich sagen, daß ihn Gentleman zu sprechen wünscht.“

„Gut, Kind“, nickte ihr der Fremde zu, „sag ihm nur, ich hätte eine Geschäftssache mit ihm abzumachen und würde seine Zeit keine Viertelstunde in Anspruch nehmen.“

Das Mädchen sprang die Treppe hinauf, und der junge Mann lehnte indessen seine Büchse in die Ecke und schritt langsam in dem mit Blumen fast gefüllten Vorsaal auf und ab. Lange brauchte er hier aber nicht zu warten, denn kaum fünf Minuten später kam das Mädchen zurück und bat ihn, ihr zu folgen. Massa sei munter und habe ihr aufgetragen, ihn hinaufzuführen.

Jack folgte ihr die breite, gebohnerte Treppe hinauf durch ein paar luftige Zimmer in das freundliche kleine Gemach, in dem die noch hin und her schwingende Hängematte verriet, daß der Herr der Wohnung sie erst vor wenigen Minuten verlassen. Mr. Beauchamps lag jetzt in einem der bequemen chinesischen Rohrstühle lang und behaglich ausgestreckt und erhob sich bei dem eintretenden Besuch nur weit genug aus seiner Stellung, dem Gast einen ähnlichen Sitz sich gegenüber anzuweisen.

„Bitte, Sir, dort stehen Zigarren“, war sein erstes Wort, „bedienen Sie sich selbst - Sie haben das Feuer dicht daneben.“

Jack grüßte ihn, nahm eine Regalia aus der offenen Kiste, entzündete sie und ließ sich dann ohne weiteres in dem ihm durch die Handbewegung angebotenen Sitz nieder.

„Sie wünschten mich zu sprechen?“

„Ja, mein Herr.“

„Mit wem habe ich das Vergnügen?“

„Henry Dodge, aus dem Staat Kentucky“, sagte der junge Mann ohne Zögern.

„Und mit was kann ich Ihnen dienen?“

„Ich komme nur im Auftrag eines Freundes“, sagte der Fremde, „der da hörte, daß ich nach dem Süden ging. Sie erlauben, daß ich ohne weiteres zur Sache komme?“

„Ich bitte darum“, erwiderte der Pflanzer, durch die Frage etwas erstaunt.

„Desto besser; das wird das Ganze außerordentlich erleichtern. Nicht wahr, Sie hatten früher eine Sklavin namens Sally, die Ihnen, glaub ich, davongelaufen ist, oder gestohlen wurde - ich weiß es nicht ganz genau.“

„Allerdings“, rief der Pflanzer, sich überrascht und erwartungsvoll in seinem Stuhl emporrichtend. „Wissen Sie etwas von ihr?“

„Allerdings“, sagte der Fremde ruhig, „ich bin ihretwegen hier gelandet.“

„Und Sie haben sie in Kentucky erwischt?“ rief der Pflanzer rasch und freudig aus, indem er die Lehnen seines Stuhls fester packte.

„Leider nicht“, erwiderte, ohne eine Miene zu verziehen und mit Achselzucken der Fremde. „Sie lebt in Kanada.“

„Teufel!“ rief der Pflanzer, mit dem Fuß aufstampfend. „Ist es nicht eine Schmach und Schande für uns, daß wir Kanada den Briten noch an unserer Grenze lassen? Daß wir dulden, wie sie, unseren Gesetzen zum Trotz, den flüchtigen Sklaven schützen und uns gewissermaßen in die Zähne lachen? Aber das muß anders werden - Kanada muß unser sein, und wenn wir nur wollten, was könnten denn die Engländer machen?“

„Es ist allerdings fatal“, sagte der Fremde, „aber für den Augenblick läßt sich doch nichts dagegen tun. Wir in Kentucky sind dabei noch viel schlimmer dran als Sie hier unten. Was war das Mädchen etwa wert?“

„Sie wäre mir nicht unter achthundert Dollar feil gewesen“, sagte Mr. Beauchamps finster, „und ich bin fest überzeugt, ich hätte auf dem New-Orleans-Markt tausend für sie bekommen.“

„Hm, dafür kauft man bei uns zwei solche Mädchen“, meinte der Fremde, „ihre Preise müssen hier enorm hinaufgetrieben sein.“

„Gar nicht“, rief der Pflanzer, „das Mädchen war fast weiß, was ihr auch jedenfalls die Flucht erleichtert hat, und New Orleans ist dafür ein vortrefflicher Markt. Sie wissen, es ist das eigentlich mehr Liebhaberei, gehört aber in manchen Gegenden mit zum guten Ton, Quadroon-Mädchen zur Aufwartung zu haben.“

„Und würden Sie jetzt noch das Mädchen verkaufen wollen?“ sagte der Fremde, indem er sein rechtes Bein über das linke schlug und die Zigarrenasche der Tür zu schnellte.

„Verkaufen?“ fragte der Pflanzer erstaunt. „Wer soll mir eine weggelaufene Sklavin abkaufen?“

„In den meisten Fällen allerdings ein schlechtes Geschäft“, lachte der Fremde, „und doch bin ich mit dem Auftrag hier, Ihnen ein Gebot darauf zu machen.“

„Sie haben sie in Kentucky eingefangen und wollen jetzt einen billigen Kauf machen?“ sagte der Pflanzer rasch und mißtrauisch.

„Lieber Herr“, erwiderte kaltblütig der Fremde, „wenn das der Fall wäre und ich wollte Sie gewissermaßen um einen Teil des Wertes betrügen, so können Sie sich wohl etwa denken, daß ich mir auch den anderen sichern würde. Ich brauchte das Mädchen dann nur einfach nach Tennessee, Carolina oder Alabama zu schicken und könnte sie dort zu vollem Wert verkaufen. Nein, sie ist wirklich in Sicherheit und brauchte sich verwünscht wenig mehr um Kaufbriefe zu kümmern, wenn ihr Mann nicht vernünftigerweise Gewissensbisse spürte.

„Ihr Mann? Ist sie verheiratet?“

„Allerdings, und noch dazu mit einem wohlhabenden weißen Farmer. Diesen lernte ich zufällig auf einer kürzlich beendeten Reise durch Kanada kennen, wo er kaum erfuhr, daß ich in einem Sklavenstaat wohne, als er mich in dieser Sache um meine Meinung fragte. Er behauptete, sich nicht wohlzufühlen, solange er nicht des Mädchens Kaufbrief erlangt habe, und da ich ihm darin natürlich nur beipflichtete und er hörte, daß ich in Kürze eine Reise nach New Orleans mache, bewog ich ihn, mir das Geschäft zu überlassen und seine Frau für ihn zu kaufen.“

„Und wieviel hat er Ihnen aufgetragen, dafür zu zahlen?“

„Ei, nun, ich taxierte sie flüchtig“, sagte der Fremde, „und hielt sie, nach unseren Preisen, etwa sechshundert Dollar wert - die Liebhaberei dabei noch eingerechnet. Ich selber würde höchstens fünf für ein so schwaches Ding zahlen. Wären Sie gesonnen, das dafür zu nehmen?“

„In welcher Gegend von Kanada lebt sie?“

„In Quebec - wenigstens in der Nähe von Quebec - nein, es ist nichts bei der Sache zu tun, sie wiederzubekommen“, sagte lächelnd der Fremde, den Grund der Frage vermutend, „und meiner Meinung nach machen Sie, unter den bestehenden Verhältnissen, immer noch ein brillantes Geschäft.“

Der Pflanzer war aufgestanden und ging mit auf den Rücken gelegten Händen und raschen Schritten im Zimmer auf und ab. Plötzlich blieb er vor dem Fremden stehen und sagte, ihn scharf ansehend:

„Wissen Sie, Mr...“

„...Dodge“, ergänzte Jack vollkommen ruhig, wieder die Asche abwerfend.

„Mr. Dodge - wissen Sie, daß mir die Sache ganz bedenklich vorkommt?“

„Das ist dasselbe mit mir gewesen“, lachte der Fremde, „und wenn ich auch gerade nichts gesagt habe, hab ich mir doch gedacht, daß jener Farmer einfach verrückt sein müsse, das Geld von Kanada aus noch zu zahlen.“

„Und wenn ich Ihnen den Kaufbrief nun nicht ausstellen will?“

„Nicht ausstellen?“ sagte Jack. „Das ist allerdings Ihre Sache. Wenn Sie jemanden wissen, der Ihnen mehr für das Mädchen oder die jetzige Frau gibt, tun Sie allerdings recht.“

Der Pflanzer biß sich auf die Lippen und schwieg - endlich fragte er:

„Haben Sie das Geld bei sich?“

„Ich bin beauftragt“, lautete die Antwort, „Ihnen sechshundert Dollar für den Kaufbrief zu zahlen, mit einer Provision von hundert Dollar für meine Mühe und für Zeitverlust, die ich bei Einsendung des Kaufbriefs von dem Farmer selbst bekomme.“

„Und wie heißt jener - Farmer?“

„Ich habe mein Ehrenwort geben müssen, seinen Namen nicht zu nennen. - Sie mögen denselben im Kaufkontrakt offenlassen. Nach allem, was ich davon gehört, ist der Mann wohl ein wenig bei der Sache kompromittiert...“

„Mein Aufseher wurde dabei erschossen“, sagte der Pflanzer.

„Sie meinen, daß vielleicht der Täter...?“ erwiderte Jack. „Hm, das wäre am Ende nicht unmöglich, aber ich muß Sie bitten, sich rasch zu entschließen. Ich erwarte das nächste stromabgehende Dampfboot und habe schon den ganzen Nachmittag versäumt, um Sie nicht in Ihrer Siesta zu stören.“

„Der Kaufbrief muß aber vom Richter unterzeichnet werden.“

„Natürlich - wohnt er weit von hier?“

„Allerdings nicht - auf der nächsten Plantage.“

„Sehr schön, dann können Sie die Sache rasch in Ordnung bringen. Wenn ich nicht irre, kommt Ihr Aufseher da eben zum Haus geritten - ah, und dort ist auch der Bursche, der meine Alligatorhaut trägt. Ich bin so frei gewesen, Ihnen einige Burschen totzuschießen.“

Der Pflanzer schien noch immer unschlüssig. Er trat ans Fenster und sah hinaus. Endlich sagte er:

„Ich will selber zum Richter hinüberreiten.

„Sehr schön - ich werde indessen unten am Strom eine Promenade machen.“

„Und möchten Sie nicht vielleicht selber mitkommen? Es würde das die Sache bedeutend vereinfachen.“

„Ich danke Ihnen“, sagte Jack, „ich habe Mühe und Aufenthalt genug damit gehabt und möchte mich nicht gern weiter bemühen, als unumgänglich nötig ist. Wenn es Ihnen recht ist und Sie überhaupt Lust haben, den Kauf abzuschließen, so seien Sie so gut und bringen Sie die Papiere dazu in Ordnung. Ich biete Ihnen sechshundert Dollar für das Mädchen und halte mein Gebot bis heut abend acht Uhr. Von da an betrachte ich mich an nichts mehr gebunden.“

Der Pflanzer schien über die so kurz angebundene Rede etwas erstaunt. Jack hatte aber, mehr nach einer Art Instinkt als Überlegung, den rechten Ton getroffen, mit dem er dem Mann gegenüber auftreten mußte. Er mußte ihm imponieren, oder er setzte sich der Gefahr aus, den schon erweckten Verdacht noch weiter zu festigen. Ohne weiteres stand er jetzt auch auf, nahm seinen vorher abgelegten Hut und wollte sich kurz empfehlen. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und eine junge Dame steckte den Kopf herein.

„Oh, Papa - entschuldige“, sagte sie mit einer flüchtigen Verbeugung gegen den Fremden, „ich glaubte, du wärest allein.“

„Bitte, komm herein“, rief Mr. Beauchamps, „Mr. Dodge von Kentucky - meine älteste Tochter Louise - wo ist Eugenie, mein Herz?“

„Draußen auf der Veranda, Papa, wir wollten dich eben zu unserem gewöhnlichen Spaziergang abholen.“

„Dann werde ich Mr. Dodge ersuchen, heute meine Stelle zu übernehmen. Ich habe ein kleines Geschäft mit dem Richter, das mich auf etwa eine halbe Stunde entfernt halten wird.“

Jack verbeugte sich, und Miß Louise rief:

„Oh, das ist prächtig! Von Kentucky müssen Sie uns viel erzählen. Dort haben sie noch solch erschreckliche Wälder, wie mir gesagt wurde, voll Bären und Panther. Nicht wahr, Kentucky liegt hoch oben im Norden, in Schnee und Eis?“

„Doch nicht so ganz weit im Norden, mein Fräulein“, lächelte Jack, „aber wenn Sie mir erlauben, begleite ich Sie, damit wir Ihr Fräulein Schwester nicht so lange warten lassen.“

Mit kurzer Verbeugung verabschiedete er sich von dem Pflanzer, der einen der kleinen zur Aufwartung bestimmten Neger nach seinem Pferd schickte, und ersuchte die junge Dame, ihn einen Augenblick zu entschuldigen, bis er seine heutige Jagdbeute, die Alligatorhaut, dem unten seiner harrenden Negerknaben abgenommen habe. Sie möge ihn im Garten unten erwarten.

Das war übrigens bald geschehen. Während Mr. Beauchamps auf dem rasch herbeigebrachten Pony an der Levée hinaufsprengte, nahm er dem Jungen die Alligatorhaut ab und trug sie selber über die Levée hinüber zu der kleinen Baumgruppe, wo seine beiden Freunde noch immer lagerten. Mit diesen wechselte er ein paar flüchtige Worte, ließ ihnen seine Büchse und ging dann in den Garten zurück, wo ihn die beiden jungen Damen schon erwarteten.

Jack war übrigens ganz der Mann, sie zu unterhalten, denn von Jugend auf an ein tätiges, abenteuerliches Leben gewöhnt, hatte er die nördlichen Staaten schon nach allen Richtungen hin durchzogen und wußte vortrefflich davon zu erzählen. Er sprach nicht allein gut, sondern verstand auch die Sitten und Gebräuche des Nordens mit solch lebendigen Farben zu schildern, daß er seine beiden Begleiterinnen vollkommen fesselte und eine Stunde ihnen in wirklich kaum geahnter Schnelle verstrich.

Unbemerkt fast wußte er ihren Spaziergang dabei aus dem Garten auf die Levée oder wenigstens die daran hinführende Straße zu lenken.

Von dem noch dort liegenden Boot, das sie überdies von der Straße aus gar nicht sehen konnten, nahm er jedoch nicht die mindeste Notiz und hielt sich nur immer in der Nähe der kleinen Baumgruppe, die er über den Damm hin erkennen konnte und an der er seine Freunde wußte.

Die Sonne sank dabei immer tiefer, die Luft hatte sich schon abgekühlt, und leichter Nebel fing an, sich auf der Oberfläche des Mississippi zu sammeln. Hier und da deckte er denselben erst wie ein weißes Gespinst, durch das man noch deutlich die darunter hinkochende Flut erkennen konnte. An anderen Stellen aber begann er schon, sich in kleinen milchigen Wolken zu sammeln, die sich dann später zu starken Schwaden verdichten und gar nicht selten zu zwanzig, dreißig Fuß Höhe in fester Nebelmasse den Strom bedecken.

Da sprengten Reiter, von einem Neger gefolgt, den Weg herab, der an der Levée niederlief, und da sie ihnen entgegengingen, dauerte es nicht lange, daß die Spaziergänger mit ihnen zusammentrafen.

„Ah, da kommt Papa!“ rief da Miß Eugenie freudig aus.

„Und wer ist der Herr, der bei ihm ist?“

„Der Richter“, erwiderte Miß Louise. „Monsieur Lacoste, ein Hausfreund von uns.“

Jack lächelte leise vor sich hin und begrüßte die beiden heransprengenden Männer, die dem ihnen folgenden Neger die Zügel ihrer Pferde zuwarfen.

„Nun, haben Sie den Kaufbrief, Mr. Beauchamps?“ sagte Jack nach kurzer Begrüßung der beiden.

„Allerdings“, erwiderte der Pflanzer, „ich - werde Sie aber vorher noch bitten, mir einige nähere Aufklärungen über das Ganze zu geben.“

„Soweit ich das imstande bin, mit dem größten Vergnügen, darf ich das Papier einmal sehen?“

Der Pflanzer zögerte, nahm es aber doch endlich heraus und übergab es dem jungen Mann zur Ansicht.

„Es ist rechtsgültig ausgestellt“, sagte er dabei, „ich - muß Sie aber doch ersuchen, mein Gast zu bleiben, bis Sie mir die Beweise bringen, daß Sally wirklich nicht mehr in der Jurisdiktion der Vereinigten Staaten zu erreichen ist.“

„Sally?“ rief Miß Louise rasch und erstaunt aus. „Was ist mit der, Vater - weiß der Herr von ihr?“

„Allerdings, mein Fräulein“, lächelte der junge Mann, indem er den flüchtig durchgesehenen Kaufbrief ohne weiteres in die eigene Tasche schob, „erlauben Sie mir, daß ich Ihnen hier vor allen Dingen die Kaufsumme einhändige!“

Er überreichte dabei dem Pflanzer ein kleines Paket zusammengewickelter Banknoten, die dieser aber noch nicht ansah, sondern in der Hand behielt und rief:

„Erst bitte ich um Ihre Beweise - unser Handel ist noch nicht gültig, bis Sie mir die gebracht haben.“

„Genügen Ihnen zwei Bürgen, die ich Ihnen stellen kann?“ fragte Jack.

„Das kommt darauf an, wer sie sind“, sagte der Richter. „Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, die ganze Sache kommt mir etwas verdächtig vor, und Sie werden keinesfalls diesen Parish [Fußnote] Parish = Landkreis wieder verlassen, bis Sie uns nicht dargetan haben, daß Sie selber mit dem damaligen Raub und besonders dem Mord des Aufsehers in keiner Verbindung standen.“

„Ich selber?“ lächelte Jack, indem er stehenblieb und den Richter ansah. Sie befanden sich gerade der kleinen Gruppe Bäume gegenüber, unter denen seine beiden Freunde lagerten und deren Wipfel über die hier wohl zehn Fuß hohe Levée herübersahen. „Sie sind unendlich freundlich, mir so etwas zuzutrauen, verehrter Herr; meine Bürgen werden Sie aber wohl eines Besseren belehren.“

„Und wer sind die?“ fragte Mr. Beauchamps.

„Männer“, sagte Jack ernst, „die Ihnen augenblicklich hier zu Diensten stehen. Hallo!“ rief er dann, sich gegen die Levée wendend. „Seid Ihr da?“

Mr. Beauchamps und der Richter wandten sich rasch und erstaunt dorthin, und die Mädchen stießen einen leisen Schrei aus, als in diesem Augenblick die kräftigen Gestalten der beiden Bootsleute, ihre Büchsen in der Hand, auf der Levée erschienen.

„Alles in Ordnung, Jack?“ rief der Alte herunter.

„Alles“, sagte Jack, ihm freundlich zunickend, „genügt Ihnen deren Bürgschaft, meine Herren?“

„Halt!“ sagte der Richter, während er seinen Hut abnahm und um den Kopf schwenkte. „Das ist eine Drohung den Gesetzen gegenüber, die Sie büßen sollen, Sir. Sie sind mein Gefangener.“

Jack lachte laut auf, ein Blick aber, den er die Straße hinaufwarf, belehrte ihn, daß von dort noch einige Reiter kamen.

„Ich bedauere“, rief er, „Ihnen die Gefälligkeit versagen zu müssen - Sally kann unmöglich so lange auf mich warten.“

„Sally?“ rief Miß Louise, die mit wachsendem Erstaunen dem allen zugesehen, während Eugenie scheu vor dem Fremden zurückwich. „Wo ist das Mädchen jetzt, und was ist mit ihr?“

„Sally, mein Fräulein“, rief da der junge Mann, „ist seit drei Jahren mein liebes Weib und läßt sich Ihnen allen herzlich empfehlen.“

„Maria und Josef!“ schrie da die junge Dame auf. „Das ist, beim Himmel, derselbe Mann, der damals verhindern wollte, sie zu peitschen.“

„Sie haben ein vortreffliches Gedächtnis, mein Fräulein“, lachte Jack, „aber jetzt muß ich wirklich fort...“

„Halt da! „ rief der Richter, indem er ihm den Weg abzuschneiden suchte. „Sie sind der Mörder des Aufsehers.“

„Halt ihn, Salomo!“ schrie auch der Pflanzer, den Schwarzen anrufend, der den Nachmittag am Fluß Holz gefangen und sich jetzt unbemerkt immer näher und näher hier herangezogen hatte. Jack aber war nicht der Mann, sich so leicht fangen zu lassen. Den jetzigen Augenblick hatte er lange vorhergesehen, und den nach ihm ausgestreckten Arm des Richters abwehrend, war er mit zwei flüchtigen Sätzen oben auf der Levée.

„Es tut mir leid“, rief er lachend zurück, in dem er auf die jetzt rasch herbeigaloppierenden Leute deutete, „daß Sie die Herren dort umsonst bemüht haben. Auf Nimmerwiedersehen!“ Und mit diesen Worten war er auch schon hinter der Levée verschwunden.

Die beiden Bootsleute hatten bei dem vermuteten Angriff auf ihren Kameraden fast unwillkürlich und gleichzeitig die Büchse im Anschlag emporgerissen, und der Richter selber wich scheu vor der drohenden Bewegung zurück. Wie sie Jack aber neben sich auf der Levée sahen, verschwanden sie ebenso rasch mit ihm hinter dem hohen Damm. Wohl hörten sie die donnernden Hufschläge auf der harten Straße herankommen, aber mit wenigen Sprüngen waren sie auch im Boot - ein Messerschnitt trennte die Schnur, die es am Lande befestigt hielt, und hinaus in den Strom schoß der scharfe Kiel.

In diesem Augenblick erschienen die Verfolger auf der Levée - aber zu spät. Der Bug des trefflich gebauten Boots war dem Strom schon zugekehrt, und pfeilschnell flog es auf seiner Bahn dahin. Einer der letztgekommenen Reiter, der Konstabler, hatte ein doppelläufiges Schrotgewehr mitgebracht und feuerte es hinter dem Boot her. Ehe er aber vom Pferd herunter- und auf die Levée hinaufkommen konnte, schlugen die Schrote schon zu kurz auf dem Wasser ein, und als das niedere Fahrzeug in dem auf dem Strom lagernden Nebel eben verschwand, sahen die Leute am Ufer noch, wie einer der Bootsleute, der aufrecht in dem kleinen Fahrzeug stand, in spöttischem Hohn den Hut nach ihnen schwenkte. Allerdings sprangen die Weißen augenblicklich nach dem nicht fern von dort an einer kleinen ausgebauten Werft befestigten Boot, die Flüchtlinge jedenfalls zu verfolgen. Die beiden Fremden, die dort so lange am Damm gelagert, hatten ihre Zeit aber trefflich genutzt und das kleine Fahrzeug, für den Augenblick wenigstens, durch eingebohrte Löcher unbrauchbar gemacht. Bis das wieder hergestellt werden konnte, waren die Flüchtigen lange aus jedem Bereich irgendeiner Gefahr, und mit bitteren Flüchen auf den Lippen kehrte der Pflanzer, von seinen Gästen begleitet, in das Haus zurück.

Hinter ihm drein aber, den Damm hinauf, kroch die Gestalt des alten Negers und schaute ihnen, nur den Kopf über die Levée hebend, vorsichtig nach, bis sie im Garten verschwunden waren und die Tür wieder hinter ihnen in das Schloß fiel.

Dann aber glitt der Alte blitzschnell zum Ufer zurück, riß den Hut vom Kopf, und ihn in der Luft herumschwenkend und dabei auf einem Bein tanzend, lachte er mit nichtsdestoweniger vorsichtig gedämpfter Stimme jubelnd vor sich hin:

„Massa Poleridge, Massa Poleridge und Sally junge Farmers Frau - weiße Manns Frau, Buckras Frau im Norden und Madam, oh, Golly - Golly - Golly!“

„Was, zum Teufel, hast du da unten zu tanzen und zu springen, he?“ rief da plötzlich eine rauhe Stimme oben von der Levée den Alten an, und als dieser bestürzt hinaufsah, schaute der Aufseher eben über den Rand des Damms herüber.

„Oh, Golly, Massa“, rief der Schwarze rasch gefaßt, „habe mir eben groß Stück Holz auf den Fuß geworfen, oh, Golly - Golly!“

„Du bist doch immer Master Ungeschickt“, rief der Weiße, „mach, daß du zum Haus kommst! Was hast du hier überhaupt noch allein herumzukriechen?“

„Gleich, Massa, gleich“, sagte der Alte, hob sich ein neben ihm liegendes schweres Stück Holz keuchend auf die Schulter und hinkte damit, hinter dem Aufseher drein, dem Negerdorf zu.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Flatbootmann