Die Verfolger

Indessen hatte das fremde Boot draußen einen weiten Bogen um das Flatboot beschrieben und augenscheinlich den Strom nach irgend etwas abgesucht. Jetzt kehrte es zurück und hielt gerade auf sie zu. Deutlich konnten sie schon von Bord aus die im Mondlicht blitzenden Ruder, wenn sie aus dem Wasser gehoben wurden, erkennen, und bald war das kleine schlanke Fahrzeug ihnen so nahe, daß sie imstande waren, die darin Sitzenden zu zählen. Es waren vier Mann an den Rudern und einer am Steuer; die ersteren jedenfalls Neger, der Steuernde dagegen ein Weißer.

„Hallo, das Boot!“ rief da eine rauhe Stimme das Flatboot an.


„Hallo, das Boot!“ wiederholte fast mechanisch der alte Poleridge, der neben Bill am Steuerruder stand.

„Habt Ihr ein Kanu gesehen, das an Euch oben an jener Landspitze vorbeigerudert ist?“ wurde wieder gefragt.

„Die Stimme kommt mir bekannt vor“, brummte der Alte leise vor sich hin und rief dann laut: „Was für ein Kanu?“

„Was für ein Kanu?“ wiederholte ärgerlich der im Boot. „Nun, zum Teufel denn, ein Kanu mit einem einzelnen Mädchen drin!“

„Hm, so! Nein“, sagte der Alte ruhig.

„Nein? - Ihr müßt es gesehen haben“, rief aber die Stimme wieder. „Es kann in höchstens zwanzig Schritt an Euch vorbeigefahren sein.“

„Möglich“, erwiderte ruhig der Alte, „wir haben aber mehr zu tun, als auf das zu achten, was im Strom herumschwimmt.“

„Ich will verdammt sein“, brummte da Bill, „wenn das nicht der einäugige Halunke von der Plantage da oben ist, der seinen Niggern heut abend noch eine kleine Extrabewegung verschafft.“

„Jawohl ist er's, der - Lump“, nickte der Alte verdrießlich vor sich hin, „kommt mir aber gerade recht. Erst verdirbt er uns den Handel an Land, und dann will er auch hier noch auf dem Wasser das große Wort führen! Was der aber nur mit dem weißen Mädchen zu schaffen haben kann?“

Das Boot war indessen ganz nahe, und zwar zum Hinterteil des nur mit der Strömung niedertreibenden Flatboots gekommen, um mit den an Bord Stehenden bequemer reden zu können.

„Mr. Poleridge“, sagte da der Weiße, der am Steuer saß, „ich habe etwas mit Ihnen zu sprechen - werfen Sie uns einmal ein Tau herunter, daß ich an Bord kommen kann. -

„Tut mir leid“, sagte der Händler aber ruhig, „ich bin heut abend nicht mehr zu Hause. Wenn Sie was von mir wollen, seien Sie so gut und kommen Sie am Tag wieder.“

„Unsinn“, rief der andere ärgerlich. „Sie sind in der Zeit zwanzig Meilen den Strom hinab.“

„Mit Gottes Hilfe, ja“, erwiderte der Händler, „aber bei Nacht und Nebel läßt man nicht gern fremde Menschen an Bord.“

„Aber ich bin kein Fremder“, rief der Mann wieder, „mein Name ist Hoof - ich bin der Aufseher der Plantage, an der Sie bis heut abend gelegen haben.“

„So?“ sagte der Yankee trocken. „Wäre mir dann sehr angenehm, Ihnen noch adieu sagen zu können, denn heut abend hatt ich das wirklich schmählich vergessen.“

Der Aufseher biß die Zähne zusammen; seine Leute hatten die Ruder eingenommen und trieben dicht hinter dem Boot langsam mit ihm stromab.

„Mr. Poleridge“, sagte der Aufseher da mit ernster Stimme, „ich fürchte, Sie spielen ein gefährliches Spiel. Sie haben eine entsprungene Sklavin an Bord und wollen sie verheimlichen. Wissen Sie, daß nach unseren Gesetzen Zuchthausstrafe darauf steht?“

„Entsprungene Sklavin?“ wiederholte der Händler, doch etwas verdutzt. „Unsinn, Mann - fahrt nach Hause und legt Euch zu Bett und kommt mir hier nicht mit Euren Flausen. ich habe niemanden an Bord und steh Euch keine Rede mehr.“

„Das wollen wir sehen“, rief da der Aufseher, bei dem der Zorn die Oberhand gewann. „Sie müssen mich an Bord lassen, um mich selber zu überzeugen. Sie dürfen mir das nicht verweigern!“

„Darf ich nicht? Oh!“ lachte der Yankee. „Da könnte jeder angefahren kommen und in finsterer Nacht an Bord wollen, nach entlaufenen Niggern zu sehen. So sicher ist der Mississippi nicht, um das zu riskieren, und von müssen ist nun hier gar keine Rede.“

Der Aufseher schwieg; plötzlich aber rief er seinen Leuten zu, die Ruder wieder aufzugreifen. Mit ein paar Ruderschlägen war das Boot an der Seite des Flatboots, und der Aufseher erhob sich, den Rand desselben zu erfassen.

„Tom - reich mir einmal meine Büchse herauf!“ rief da der alte Mann mit donnernder Stimme über Deck. „Und der erste, der seinen Kopf bei mir, gegen meinen Befehl, an Bord zeigt, kann sich auch darauf verlassen, daß ich ihm das Mondlicht hindurchscheinen lasse. Wetter noch einmal, ich will doch sehen, wer Herr auf der alten ›Susy‹ ist, Ihr oder ich!“

In wenigen Augenblicken kam einer der Leute mit der Büchse angesprungen, und Mr. Hoof wagte nicht dem Verbot zu trotzen, der alte Mann hätte auch seine Drohung erfüllt und kein Gerichtshof der ganzen Welt ihn deshalb schuldig befunden. Mit einem gotteslästerlichen Fluch stieß der Aufseher sein eigenes Boot wieder ab, und die Leute setzten ihre Ruder ein. Das des einen Negers traf aber dabei auf das versenkte Kanu, und im Augenblick wurde die Aufmerksamkeit des Negertreibers dorthin gelenkt.

„Beim Teufel, sie ist an Bord!“ schrie er, laut aufjubelnd. Jetzt wollen wir sehen, ob Ihr ein Recht habt, mit Euren nordischen Abolitionistenbooten hier an den Plantagen zu landen und Neger zu stehlen. Weigert Ihr Euch noch, die Sklavin herauszugeben?“

„Neger stehlen, du faulmäuliger Halunke!“ rief aber jetzt der alte Yankee, dem es schon in den Fingern zuckte. „Nun mach aber, daß du fortkommst, soviel rate ich dir, oder ich selber tue etwas, das mich am Ende später gereuen könnte.“ Der alte Mann hob drohend die Büchse, und der Aufseher, feige überhaupt, wo er irgend Widerstand fand und nicht die Mehrzahl auf seiner Seite hatte, warf den Bug des Boots herum. Die Ruder fielen wieder ein, und das kleine Fahrzeug lag bald außer Schußweite von dem Deck des Flatboots oder der Arche, wie solche Kästen ebenfalls nicht selten genannt werden. Dem Alten ging aber das Wort ›Sklavin‹ im Kopf herum. War es nur eine List des Aufsehers, einen Vorwand zu haben, um an Bord zu kommen und dieses nach der flüchtigen Weißen zu durchstöbern, oder - es gab allerdings Sklaven, die fast so weiß waren und oft weißer als ihre Herren und doch Niggerblut in den Adern hatten. Der Zweifel wurde ihm unbehaglich, und er mußte ihm rasch ein Ende machen.

„Bill“, sagte er, sich zudem Steuernden wendend, „hab mir ein Auge auf das Boot, und wenn sie wieder herankommen, ruf mich! An Bord darf mir der Halunke bei Nacht und Nebel auf keinen Fall, und wenn ich zehn Nigger hier hätte, die seinem Sklavenzüchter gehören. Wenn er was von uns will, soll er morgen kommen, oder - an uns schreiben.“ Und mit diesen Worten verließ er, seine Büchse mit hinunternehmend, das Deck.

„Hallo, Jack! „ sagte er übrigens erstaunt, als er in seine Kajüte trat und dort den jungen Bootsmann neben der Fremden stehen sah, deren Hand er gefaßt hielt. „Weißt du, was der Lump, der Mr. Hoof, der draußen in seinem Boot bei uns war, gesagt hat?“

„Die Wahrheit, Mann“, flüsterte da die Frau.

„Alle Wetter!“ rief der Yankee erschrocken, und das Mädchen barg schaudernd ihr Antlitz in den Händen. Jack hatte aber vorgearbeitet und, auf die Gutmütigkeit der alten Dame bauend, diese wenigstens für sich gewonnen. Was kümmerten ihn die Gesetze der Sklavenhalter - hier vor sich hatte er ein armes mißhandeltes Geschöpf, ein Opfer von den Tausenden, die jährlich unter der Peitsche ihrer Henker verbluten; ihrem Schutz hatte sich die Unglückliche anvertraut, und er selber war fest entschlossen, sein Leben für sie einzusetzen. Viel kaltblütiger nahm aber der Yankee die Sache, der zu oft schon hier in Louisiana und überhaupt in den Sklavenstaaten gewesen war, um nicht ganz genau die Gefahr zu kennen, der er sich ausgesetzt, und keineswegs daran dachte, sein Eigentum und seine eigene Freiheit zu wagen, um einer entlaufenen Sklavin zu ihrer Flucht behilflich zu sein. Ruhig legte er deshalb die lange Büchse wieder auf ihren Platz, warf einen langen forschenden Blick auf das in sich zusammengebrochene Mädchen und sagte, indem er sich wieder abwandte, um die Kajüte zu verlassen:

„Ja, dann brauche ich freilich die Büchse nicht mehr das hätte ich früher wissen sollen.“

„Was willst du tun, Mann?“ rief die alte Frau, die rasch seinen Arm ergriff.

„Was ich tun will?“ wiederholte der Yankee, sie erstaunt ansehend. „Nun, das Boot wieder herbeirufen und sie ihren Leuten übergeben. Glaubst du, daß ich Lust habe, meine Ladung in der nächsten Stadt vom Sheriff verauktionieren zu sehen und selber mit den Louisiana-Zuchthäusern Bekanntschaft zu machen? - Ich müßte geradezu wahnsinnig sein.“

„Aber sieh dir das Mädchen nur erst an, Mann“, bat die Frau, der das Herz bei dem Gedanken weh tat, die Unglückliche ihren Peinigern wieder überliefert zu sehen. „Sieh“, sagte sie, die Hände der Armen von dem bleichen tränennassen Antlitz niederdrückend, „sieh das Kind, weiß wie eine Kirschblüte und mit dem lieben Gesicht meiner Schwester Lucy so ähnlich wie ein Ei dem anderen, und sieh hier“, fuhr sie fort, das Mädchen mit ihrer kräftigen Hand emporhebend, daß ihr Mann den blutgestreiften Rücken erkennen konnte, „sieh das - so haben sie das arme Kind mißhandelt und gepeitscht, eines erbärmlichen Hundes wegen, den ein Alligator gefressen hat. Sind das Menschen?“

„Hm“, sagte der Händler, „das ist allerdings schlimm - sehr schlimm, und ähnliches traue ich dem Halunken auch wohl zu, der da draußen mit seinem Boot umherrudert, aber - er hat die Gesetze einmal auf seiner Seite, und gegen den Stachel können wir nicht löcken. Hätt ich das Mädchen auf meiner Farm in Indiana, ließe sich ein Wort darüber reden, und wir fänden vielleicht Mittel und Wege, sie nach Kanada hinaufzuschaffen. Hier aber, mit meinem ganzen Vermögen beinah im Bereich ihrer Gesetze, kann ich gar nichts machen, wenn ich auch wirklich wollte. Der Lump da draußen braucht weiter nichts zu tun, als hinter uns herzurudern und morgen, wenn es Tag wird, am nächsten Städtchen zu landen und uns anzuzeigen. Nachher haben wir Sheriff und Konstabler warm vom Bäcker weg an Bord, und daß ich mich dem nicht aussetze, ich dächte, dafür würdest du mich kennen.“

„Und das Kind wolltest du wirklich ausliefern?“ sagte die Frau.

„Wenn ich vorher gewußt hätte, wie die Sachen standen, hätt ich sie gar nicht an Bord gelassen. Jetzt ist aber noch nichts verdorben. - Der Overseer wird froh sein, wenn er sein Eigentum zurückhat, und wir schwimmen ruhig weiter. Alle Sklaven kann ich doch nicht freimachen, und um mit der einen anzufangen, riskier ich nicht mein Hab und Gut und meinen Hals. Rede nicht weiter, denn du weißt, es hilft dir nichts.“

„Dann laß sie wenigstens ihr Boot nehmen und irgendwo an Land gehen!“ bat die Frau.

„Damit werden wir aber die Schufte nicht los“, brummte der Mann. „Entweder entdecken sie das Kanu mit dem hellen Kleid darin, und dann kann sie ihnen nicht entgehen, oder sie fahren hinter mir drein und machen mir dann Gott weiß was für Umstände im nächsten Ort.“

„Liefert mich aus“, sagte da plötzlich das Mädchen selber mit leiser, aber entschlossener Stimme. „Ich fühle, daß ich kein Recht habe, Euch solcher Gefahr auszusetzen, und - ich bin doch verloren. Entkäme ich auch hier in den Wald, was hülfe es mir - ich müßte in der Wildnis verderben oder an bewohnte Stellen gehen, und überall gelten diese furchtbaren Gesetze, die mich verdammen. Liefert mich aus - mir bleibt doch keine andere Wahl, als zu sterben.“

„Vielleicht doch noch“, sagte da eine ernste und ruhige Stimme, und als sich alle erstaunt danach umsahen, trat Jack aus dem Dunkel des Raumes vor, wohin er sich bei des Händlers Ankunft zurückgezogen hatte. „Willst du dich mir anvertrauen, Mädchen?“

„Dir, Jack?“ sagte der Yankee. „Was fällt dir ein, Bursche! Das Boot ist für die Handlungen der Leute darauf verantwortlich, und ob ich sie hier versteckt hielte oder ein anderer, bliebe sich gleich.“

„Das weiß ich“, sagte der Bootsmann ruhig. „Ich weiß auch, daß Ihr sie nicht retten könntet, selbst wenn Ihr wolltet, und in der ersten Angst um das arme Kind hatte es mir nur so den Kopf verwirrt, daß ich selber gar nicht daran dachte. Auch mit dem Kanu allein kann die Arme nicht entfliehen. So gut sie mit dem Ruder umzugehen weiß, so sind ihr die Glieder durch die Mißhandlung gelähmt, und sie würde bald ermüden. Ich habe mir die Sache aber überlegt und - werde sie begleiten.“

„Unsinn“, brummte der Yankee, „und glaubst du, daß du mit dem Kanu dem von vier Riemen geführten Boot entgehen könntest? In einer halben Stunde hätten sie dich eingeholt, und was dann? Fang du hier mit den Sklavenhaltern etwas an! Durch unser Arbeiten im Norden gegen die Sklaverei sind sie überdies gereizt und wütend gemacht, und fielest du der richtigen Bande in die Hände, hängten sie dich an den nächsten Baum, allen Gerichten und Sheriffs der Welt zum Trotz.“

„Wenn sie mich lebendig fangen, ja“, lachte der junge Bootsmann ingrimmig vor sich hin, „aber wer ist denn im Boot? Der eine weiße Halunke mit vier Negern - was ist das?“

„Mehr, als du denkst, mein Bursche“, sagte der Alte, „der Aufseher hat sich wahrlich niemanden zum Rudern mitgenommen, auf den er sich nicht fest verlassen kann. - Und wohin willst du hier? - Rechts liegt Louisiana, links Mississippi - eins ein Sklavenstaat so gut wie der andere; einer die Gesetze desselben mit peinlicher Ängstlichkeit und Schärfe aufrechthaltend wie der andere. Erreichtest du aber selbst glücklich einen freien Staat, so wärst du selbst dort nicht geschätzt, denn unsere freien Staaten liefern ebenfalls entsprungene Neger aus.“

„Ich weiß das alles“, sagte Jack ruhig, „ich habe mir auch alles überlegt, und mein Plan steht fest. Euch selber kann keine Strafe mehr treffen, wenn man das Mädchen nicht bei Euch findet. Ob sie an Bord gewesen oder nicht, kann Euch niemand beweisen, und nur um einer Unbequemlichkeit zu entgehen, wollt Ihr doch die Unglückliche nicht wieder dem fürchterlichen Elend anheimgeben? - Aber wolltet Ihr es auch“, setzte der junge Mann mit wilder Leidenschaft rasch und heftig hinzu, „verweigert Ihr mir selber Eure Einwilligung, so schwöre ich Euch, daß ich Euch und allen zum Trotz das Mädchen dennoch von hier mit fortnehme oder mit ihr untergehe. Mein Blut komme dann über Euch, und Ihr möget sehen, wie Ihr meinem Vater, der Euer Jugendfreund ist, wieder unter die Augen tretet.“

„Führt der Junge ein Maulwerk am Kopf“, sagte der Alte, wirklich erstaunt zu seinem Bootsmann aufsehend, „und sonst hat er den Tag keine zehn Worte gesprochen - und mir willst du desertieren?“

„Ihr braucht mich jetzt nicht mehr“, sagte Jack, dem sich bei der Frage eine Zentnerlast von der Seele wälzte; er wußte, Poleridge hatte eingewilligt. „Der Strom ist hier breit und tief, und die Gefahren liegen hinter uns. Gebt mir den Lohn, den ich bei Euch verdient - ich verlange nicht mehr - und für das übrige laßt mich sorgen.“

„Und das Mädchen?“ sagte der Alte mit einem forschenden Blick.

In atemloser Spannung hatte die Unglückliche der neu für sie auftauchenden Hoffnung, so schwach die immer sein mochte, gelauscht. Kannte sie doch alle die Gefahren, die noch in ihrem Weg lagen, viel besser als der junge Mann, dessen edles Herz, dessen kecker Jugendmut ihnen trotzig entgegensah.

„Willst du mir dein Schicksal anvertrauen“, sagte da Jack, ging auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen, „willst du mir folgen, Mädchen, und glauben, daß ich es treu und ehrlich mit dir meine?“

Tiefes Rot färbte bei diesen Worten die eben noch so bleichen Züge der Jungfrau - zitternd erhob sie sich, legte ihre Hand in die des jungen Mannes und sagte mit lautem, tiefbewegtem Ton:

„Ich will Euch folgen, wie ich meinem Bruder folgen würde, und möge Gott Euch lohnen, was Ihr einem armen, verlassenen Wesen tut.“

„Dann auch mit Gott!“ jubelte Jack. „Und wenn da oben noch ein solches Wesen thront, dann wird, dann muß es uns schützen, daß wir nicht untergehen. - Und nun fort - die Nacht ist noch lang, und mir ist jetzt so froh und leicht ums Herz, daß ich meine Lust hinaus in die Welt schreien möchte.“

„Das wäre sehr zweckmäßig“, sagte der Alte trocken, „Mr. Hoof würde sich wenigstens gleich erkundigen, was wir wünschen. Aber meinetwegen, wenn du denn einmal blind und toll in dein Unglück hineinrennen willst, habe ich kein Recht und keine Macht, dich zu halten. Wir sind freie Bürger, und jeder von uns kann tun und lassen, was er will. Allerdings würden sie mir auf die Jacke kommen, wenn du hier unbemerkt entkommen solltest, das fürcht ich aber kaum, denn das Boot wird uns so weit aus den Augen lassen, daß ihnen ein Kanu entgehen könnte. Trotzdem will ich alles tun, was in meinen Kräften steht, dir fortzuhelfen, und wär es auch nur deshalb, diesen Mr. Hoof mit langer Nase abziehen zu sehen. Mach dich soweit zurecht - ich werde indessen einmal an Deck gehen und zuschauen, wie es da oben aussieht. Du brauchst auch nichts zu übereilen, denn du hast noch ziemlich die ganze Nacht vor dir.“ Poleridge drehte sich um und wollte die Kajüte verlassen, als ihm seine Frau in den Weg trat und seine Hände faßte. Große Tränen liefen ihr dabei an den Wangen nieder.

„Schon gut, Alte“, sagte der Mann, sie langsam, freundlich beiseite schiebend, „ich weiß, daß ich einen dummen Streich mache. Wenn es der Tollkopf da aber nun einmal gar nicht anders haben will, mag er auch dafür die Folgen tragen. Leid ich durch seine Schuld Schaden an meinem Boot, so muß es mir sein Vater daheim ersetzen, soviel ist sicher.“ Er verließ im nächsten Augenblick die Kajüte, und Jack stand im ersten Moment unschlüssig da und wußte nicht, wo er beginnen sollte. Mrs. Poleridge aber, das Muster einer praktischen Frau, schob ihn dem Eingang zu und sagte rasch:

„Jetzt fort mit Euch, Jack! Bringt das Kanu in Ordnung und macht Euch zum Auslaufen fertig, sobald mein Alter die Zeit für passend hält; ich will indessen das arme Ding hier verbinden und gegen die kalte Nachtluft schützen. Auch Proviant werd ich Euch einpacken, weil Ihr ja unterwegs etwas brauchen werdet - und wenn ich dabei eine Sünde tue und gegen die Gesetze handle, so mag es mir Gott verzeihen. Gott kann aber auch solche Gesetze nicht gegeben haben, und böse Menschen mißhandeln unter deren Schutz nur andere Geschöpfe desselben Gottes - denen beizustehen, kann keine Sünde sein. - Und nun hab guten Mut, mein Kind“, wandte sie sich dem Mädchen zu, als der junge Mann die kleine Kajüte verlassen hatte. „Jack ist ein so braves, ehrliches Herz, wie nur einer im weiten Land - keiner von jenem rauhen, nichtsnutzigen Bootsgesindel, sondern der Sohn wackerer Eltern, den wir alle liebgewonnen haben. Das Herz hat er aber auf dem rechten Fleck, und wenn einer in allen Staaten, so ist er imstande, das, was er hier begonnen, auch durchzuführen.“

Noch während sie sprach, hatte sie die Schultern des Mädchens entblößt, und die Tränen liefen der Frau wieder rasch über die Wangen nieder, als sie die furchtbaren Zeichen sah, die des Henkers Peitsche dieser zarten Haut eingegraben. Aber sie reinigte mit leiser und doch geschäftiger Hand die Wunden, legte einen frischen Verband auf und sorgte dann dafür, daß die Arme etwas überzuziehen hatte, um die frischen Wunden nicht zu erkälten. Wieder und wieder schüttelte sie aber dabei den Kopf und konnte nicht aufhören, sich zu wundern, daß ein so weißes Mädchen den Negern zugezählt und so mißhandelt werden könne. Jack war aber indessen auch nicht müßig gewesen und hatte so geräuschlos wie möglich mit einem seiner Kameraden das vorhin versenkte Kanu erst an der Seite aufgehoben und dadurch halb auslaufen lassen und dann vom Wasser freigeschöpft. Ohne Geräusch war das freilich nicht möglich gewesen, das Boot jedoch, das sich jetzt vor ihnen hielt, war zu weit voraus, um ihr Treiben hier gewahren zu können, und bald lag das kleine Fahrzeug wieder leicht und sicher auf dem Wasser.

Das Flatboot näherte sich jetzt einer der im Mississippi häufig liegenden Inseln, und da es sich bei dem hohen Wasserstand ziemlich gleich blieb, an welcher Seite sie hinfuhren, beschloß der alte Poleridge, die Schattenseite zu wählen. Der Mond stand schon ziemlich tief, und unter dem Schutz der Bäume konnte es dem Kanu doch am Ende gelingen, glücklich zu entkommen. Seine Leute hatte er indessen mit der beabsichtigten Flucht des Kameraden bekannt gemacht, und Bill schwur, daß ihm nichts auf der Welt größeres Vergnügen machen würde, als mitzugehen. Das Kanu war aber dazu zu klein, und der Alte fragte ihn auch, ob er glaube, daß er sein Flatboot allein den Strom hinabbringen könne?

„Es ist genug“, brummte er, „daß ich den Tollkopf von einem Burschen laufenlassen und ihr anderen könnt Gott auf euren Knien danken, daß ihr nicht mit von der Partie zu sein braucht. Sollte mich gar nicht wundern, wenn wir nächster Tage in New Orleans lesen, daß sie einen Abolitionisten mit einer entsprungenen Niggerin gefangen und zum abschreckenden Beispiel für andere aufgehängt haben. - Und nun fort, Jack, oder steh wenigstens bei deinem Boot und sieh zu, daß dein Passagier fertig ist, und ihr anderen - haltet reinen Mund. - Von euch hat niemand etwas gesehen, verstanden?“

„Müßt uns für verdammte Holzköpfe halten, daß Ihr das auch noch erwähnt!“ brummte Bill. „ Good luck, alter Junge und halt dich tapfer - einer gegen fünf ist noch gar nicht so schrecklich arg, und du bist gerade der Rechte, ihnen heimzuleuchten.“

Jack reichte allen seinen Kameraden der Reihe nach die Hand, und sie alle hatten, wenn auch mit den furchtbarsten Flüchen oft untermischt, ein derbes, aber herzliches Wort für ihn. Die ganze Sache entsprach auch viel zu sehr ihrem wilden, abenteuerlichen Leben, um nicht aller ihrer Sympathien gewiß zu sein. Der Alte war indessen in die Kajüte gegangen, konnte aber hier einen lauten Ausruf des Staunens nicht unterdrücken, als ihm seine Frau das indes angezogene Mädchen entgegenführte. Mit einem von ihren dunklen Kleidern angetan, eins der amerikanischen Bonnets auf, das das Gesicht wenn auch nicht verdeckte, doch beschattete, kannte er die entlaufene Sklavin kaum wieder.

„Na, das muß wahr sein“, sagte er ganz verblüfft, „wer dich in dem Aufzug sieht, mein Kind, und mit dem Gesicht und dann auch nur eine Ahnung hat, daß du Negerblut in den Adern trägst - und verwünscht wenig muß es außerdem sein -, kann mehr als Brot essen und hat ein schärferes Auge als der alte Poleridge. Wenn dich der Junge erst einmal glücklich aus der Nachbarschaft hier bringt, nachher kann wahrhaftig noch alles gutgehen. - Aber wo ist Jack? - Blitzbengel der, wenn ich in seinen Jahren wäre, ich weiß nicht, was ich selber täte, aber derlei Gesindel, mit nichts im Vermögen, als was sie in der Westentasche mit forttragen können, sitzt auch immer locker wie ein geladenes und gestochenes Gewehr; der geringste Druck, und sie gehen los. Na, Junge, da hast du deine Madame“, wandte er sich dann zu dem eben eintretenden Jack, „eine etwas jüngere Ausgabe der Mrs. Betsy Poleridge, und nun mach, daß du fortkommst. Da vor uns liegt die Insel - hast du deine Decke?“

„Alles in Ordnung, Sir.“

„So und hier ist auch dein Geld, das du bei mir guthast - es sind ein paar Dollar mehr, denn ich habe den Monat für voll gerechnet - werd es von deinem Alten schon wiederbekommen, wenn sie dich hängen sollten. - Schon gut - deine Büchse ist doch in Ordnung?“

„In bester, und Kugeln hab ich auch genug, auch noch ein Stück Blei in der Tasche, frische zu gießen, wenn sie nicht ausreichen sollten.“

„Und dein Pulverhorn?“

„Gefüllt...“

„Na, dann mit Gott, und nun leb wohl und halte dich tapfer - ich muß hinauf an Deck.“

Er drückte dem jungen Burschen derb die Hand und wollte dann die Kajüte verlassen, blieb wieder stehen, besann sich einen Augenblick; drehte sich wieder um und reichte auch dem Mädchen die Hand. Es war nur ein Nigger, und das Vorurteil konnte er nicht so leicht besiegen, das selbst in den Herzen der nördlichen Amerikaner wurzelt. Aber sie sah so ganz genau wie eine Weiße aus, und der blutige Rücken der Armen fiel ihm auch wieder ein, daß er die Hand des Mädchens nahm und fast herzlich schüttelte.

„Leb wohl“, sagte er dabei, „ob du recht getan, weiß ich nicht - ich selber mache einen dummen Streich - aber wir wollen das Ende abwarten.“ Und ohne sich wieder umzusehen, stieg er langsam nach oben.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Flatbootmann