Die Exekution

Daß die Alligatoren eßbar seien, hatte Jack schon an Bord von dem alten Poleridge gehört, der ihm versicherte, es gäbe nichts Delikateres auf der Welt. Als er die große Bestie mit ihrem warmen Moschusgeruch aber vor sich liegen sah, verging ihm der Appetit danach, und er beschloß, sich nur ein Stück von der Rückenhaut zu einer Satteldecke mit an Bord zu nehmen. Auf der gegerbten Haut, von der die Schuppen natürlich abgestoßen werden müssen, bleibt doch die Zeichnung derselben in Narben zurück, was sich bei Sattelüberzügen ganz hübsch ausnimmt. Während er damit beschäftigt war, hatte er seine Kleider abgestreift, ausgewrungen und in die Sonne zum Trocknen gelegt, zog sich dann wieder an, rollte das Stück Haut zusammen, hängte es sich mit einer kurzen Schnur um, schulterte seine Büchse und trat mit dem Dackel den Rückweg an.

Am Anfang schien er allerdings noch unschlüssig, wohin er sich wenden solle; der Wunsch aber, das junge Mädchen vielleicht doch noch zufällig einmal wiederzusehen und zu erfahren, wer sie eigentlich sei, bewog ihn endlich, dieselbe Richtung einzuschlagen, der sie gefolgt war. Er tat das, konnte aber dorthin keinen gebahnten Weg erkennen, und an der Fenz hingehend, kam er bald zu einem schmalen Sumpfstreifen, den sie nicht imstande gewesen wäre, zu passieren. In dem weichen Boden ringsum ließen sich auch ihre Fußstapfen nirgends erkennen.


„Die muß, hol’s der Teufel, über die Fenz geklettert sein!“ brummte er leise vor sich hin und sah dabei die ziemlich hohe Einfassung des weiten Baumwollfeldes kopfschüttelnd an. Das aber ließ sich bald herausbekommen, und Jack war Jäger genug, einer Spur zu folgen. Er ging also wieder zu der Stelle zurück, wo sie von dem Damm aus schräg über die Wiese gegangen war, und hatte dort bald die kleinen zierlichen Fußstapfen im Gras aufgefunden. Diesen jetzt vorsichtig und langsam folgend, brachten sie ihn richtig bis zur Fenz, und im Feld drin, auf dem weichen Boden, ließen sich die Spuren des Mädchens ganz deutlich erkennen.

„Alle Wetter“, lachte Jack leise vor sich hin, „wenn die jungen Damen hier in Louisiana so vortrefflich zu Fuß sind, möchte ich sie einmal im Sattel sehen. Pst!“ rief er plötzlich und blieb stehen. „Da war das doch am Ende eine von den Reiterinnen gestern abend - aber was die hier allein im Sumpf zu suchen hat, möcht ich wirklich wissen. Nun, das muß ich wenigstens herausbekommen, und wenn ich den kleinen, niedlichen Fährten nachgehe, find ich sie auch vielleicht da drüben wieder.“

Rasch war er dabei über die Fenz hinüber, wobei er den Dackel wieder auf den Arm nehmen mußte, und schritt dann leicht den hier im weichen Boden deutlich erkennbaren Fährten nach, bis ihn diese zu einem anderen, quer durch die Felder laufenden Weg führten. Hier mußte er noch einmal über die Fenz, sah dann aber auch, daß ihn der Weg gerade auf die Plantage zuführte, deren Außengebäude er nach etwa einer Viertelstunde erreichte.

Zuerst kam er an eine große Baumwoll-Reinigungsmaschine, auf der die Baumwolle von den Kernen gesäubert wurde. Haushohe Berge von Kernen lagen hier zusammen aufgeschichtet und kündeten den reichen Ertrag der Felder. Dann standen eine Menge kleiner, niederer Hütten ziemlich unordentlich dort herum, deren Zweck Jack nicht kannte, und zuletzt kam er an einigen Ställen vorüber, neben denen eine Anzahl von Negerhütten standen, zu dem eigentlichen Negerdorf, das in regelmäßigen Straßen und mit vollkommen gleichgebauten, numerierten Hütten ausgelegt war. Die kleinen weiß und sauber angestrichenen Häuser sahen nett und reinlich aus, und außen herum verrieten eine Anzahl abgeteilter Gärtchen, daß sich die Neger dort auch für sich selber beschäftigen durften. Vor mehreren Hütten saßen alte oder kranke Männer und Frauen, und um sie her spielten kleine nackte Kinder in der Sonne, haschten sich und lachten und jubelten dabei.

„Hm“, brummte Jack, der sehr gern mit sich selber sprach, leise vor sich hin, „das hier sieht eigentlich gar nicht so übel aus, und wenn ich auch eben nicht mit ihnen tauschen möchte - habe ich mir diese Negerdörfer doch eigentlich viel schlimmer gedacht. Guten Tag, Alter!“ nickte er dabei freundlich einem der alten Leute zu, der mit schneeweißen Haaren nicht etwa im Schatten des Hauses, nein, an der brennenden Sonnenseite kauerte und dabei einen Haufen lärmender kleiner Burschen zu überwachen schien. „Wie geht’s? Hast dir einen warmen Platz da ausgesucht.“

Der Alte sah ihn etwas erstaunt an, erwiderte aber kein Wort, machte eine demütige Verbeugung mit dem Oberkörper und schaute dann wieder still vor sich hin, während die Kleinen bei dem plötzlichen Erscheinen des fremden weißen Mannes, erschreckt auseinanderstoben und hinter oder in die verschiedenen Häuser fuhren.

„Hallo“, lachte der Bootsmann, erstaunt den kleinen Burschen nachschauend, „gebissen hätt ich euch nun gerade nicht. Wie die Kerle springen können! Der Alte ist aber zu faul, das Maul aufzutun, und brät sich hier in der Sonne noch den letzten Tropfen Fett aus, den er auf den mageren Rippen sitzen hat.“

Hier und da blieb er noch ein paarmal stehen, wo er solche einzelne Gruppen versammelt sah. Sein Erscheinen hatte überall denselben Erfolg, und er gab es zuletzt auf und schritt, ohne sich weiter um die Schwärme von kleinen schwarzen Gestalten zu kümmern, langsam zwischen ihnen hin. Da er sich jetzt dem Herrenhaus näherte, wurde seine Aufmerksamkeit auch mehr dorthin gelenkt, denn unwillkürlich suchten seine Augen wieder die schlanke, weißgekleidete Gestalt des jungen Mädchens, die er jedenfalls irgendwo auf der Veranda zu erblicken hoffte. Er war ziemlich fest entschlossen, den Platz nicht eher wieder zu verlassen, bis er sie wirklich noch einmal gesehen hätte, und mit weiter keiner bestimmten Beschäftigung für den heutigen Tag, blieb ihm Zeit genug dazu. Einmal mußte sie ja hier wieder irgendwo zum Vorschein kommen!

In der Nähe des Hauses glitten ein paar Neger scheu und rasch an ihm vorüber, aber er achtete nicht besonders auf sie. Andere sah er in einer niedrigen Einfriedung, die den Garten zu umschließen schien, versammelt, und hier mußte jedenfalls irgend etwas Außergewöhnliches vorgehen, denn er hörte auch ein paar ärgerliche Stimmen und bittende Laute einer Frauenstimme dazwischen. Jack kannte dabei die Gebräuche des Südens nicht: daß es Pflanzer dort nicht gern sehen, wenn sich Fremde in ihren eingefaßten Grundstücken herumtreiben, und daß es sogar streng verboten ist, mit den Negern zu verkehren. Im Norden geht jeder, wohin es ihm gerade gefällt; und so schlenderte denn auch Jack, ziemlich unbekümmert darum, ob das jemandem recht war oder nicht, langsam dorthin zu, wo er die lauten Stimmen hörte und wo ihn bald Staunen und Überraschung an die Stelle fesselten.

Er hatte sich jetzt dem eigentlichen Hauptgebäude der Plantage, dem Herrenhaus, genähert, das mit seiner luftigen, blumengeschmückten Veranda unendlich freundlich aus dem dunklen Laub der Orangen, Granaten und den tausend Blüten der Tulpen und Chinabäume hervorschaute. Oben auf der Veranda erkannte sein rasch und forschend dort hinaufgeworfener Blick auch gleich zwei hellgekleidete Frauengestalten, die eine ein junges, blühendes Mädchen von kaum sechzehn Jahren, die andere, augenscheinlich ihre Schwester, aber vielleicht sechs Jahre älter als sie. Das junge Mädchen aus dem Sumpf war nicht zwischen ihnen, er konnte sie auch nirgendwo oben an einem der Fenster entdecken.

„Oh, schlagt mich nicht!“ bat da eine leise, klagende Stimme, gar nicht weit von ihm entfernt aus der Gruppe heraus, die im Garten stand, und die er bis jetzt noch gar nicht beachtet hatte, und ein erschrecktes „Alle Teufel!“ entfuhr fast unwillkürlich den Lippen des Bootsmannes, als er das schöne Mädchen aus dem Sumpf dort mit tränenden Augen und gebundenen Händen, unter den rohen Fäusten von ein paar Negern sah. Die scheu in der Nähe stehenden Schwarzen schauten sich allerdings rasch und erstaunt nach ihm um, aber er sah und hörte in diesem Augenblick nichts weiter als die zitternde Gestalt der Maid, und das Blut schoß ihm dermaßen aus dem Herzen hinauf ins Angesicht, daß es ihm vor den Augen flimmerte, während die Rechte fast krampfhaft die auf der Schulter liegende Büchse umklammerte.

„Schlagt mich nicht, ich bin ja unschuldig!“ bat da das Mädchen noch einmal. „Der Alligator lag dicht vor mir ich hatte ihn nicht gesehen, und wie er, von der Kugel eines fremden Mannes getroffen, nach mir hieb, ließ ich in Angst und Schreck den armen kleinen Hund los.“

„So will ich dich künftig lehren, die Augen offenzuhalten!“ rief die ältere der beiden Damen von der Veranda nieder. „Macht die Sache ab, Mr. Hoof, wenn ich bitten darf, die Sonne fängt an mich zu genieren.“

„Oh, Miß Eugenie, bitten Sie für mich!“ flehte die Unglückliche, die gebundenen Hände zu dem jüngeren der beiden Mädchen aufhebend.

„Nein, du häßliche Sally“, rief aber diese mit fast noch kindischem Trotz, „weil du so schlecht auf meinen armen kleinen Joly achtgegeben, verdienst du auch Strafe. Ich möchte mir die Augen aus dem Kopf weinen, daß den einer von den garstigen Alligatoren gefressen hat - das arme, arme kleine Tier!“

Mr. Hoof, der Aufseher, stand, wie Jack jetzt sah - und das Ganze kam ihm immer noch wie ein toller, wahnsinniger Traum vor -, dicht neben dem Mädchen und hielt seine Negerpeitsche in der rechten Hand. Mit der linken faßte er jetzt die Schulter der Unglücklichen und wollte zu einem Schlag ausholen.

„Halt!“ schrie da der junge Bootsmann und sprang in Angst und Wut mit einem Satz über das Geländer, das ihn von dem Garten trennte. „Halt! Wollt Ihr ein weißes Mädchen hier eines verdammten Hundes wegen peitschen?“

Der Aufseher hielt allerdings ein, aber nur, um sich erstaunt und ärgerlich nach dem umzusehen, der es hier wagte, sich in seine Autorität zu mischen.

„Was will der fremde Mann hier in unserem Garten?“ rief da die ältere Dame von der Veranda zornig nieder. „Mr. Hoof, ersuchen Sie ihn, daß er augenblicklich den Platz verläßt.“

„Soll auch geschehen, Miß“, rief der Bootsmann trotzig zurück, „sobald ich nur erst einmal erfahren habe, wer Euch ein Recht in Louisiana gibt, ein weißes Mädchen zu peitschen. Verdammt will ich sein, wenn ich...“

„Seid so gut und spart Eure Redensarten, mein Bursche“, unterbrach ihn aber mit einem verächtlichen Blick der Aufseher. „Es fällt hier niemandem ein, ein weißes Mädchen zu peitschen, die Dirne hier stammt von Niggerblut, und Ihr seid so gut und macht, daß Ihr fortkommt, denn zu Eurem eigenen Besten will ich hoffen, daß Ihr nicht mit zu den Abolitionisten gehört.“

„Von Negerblut?“ rief Jack, der wirklich halb betäubt war von der neuen Nachricht. „Und eine Haut wie frischgefallener Schnee?“

„Wünscht Ihr sonst noch was?“ sagte der Aufseher mit spöttischer Höflichkeit.

„Warum geht er nicht?“ rief von oben die ältere Dame nieder, während das junge unglückliche Mädchen mit todbleichen Wangen unter dem Griff des rohen Aufsehers zitterte.

„Und wenn auch zum Teufel noch einmal!“ rief da der junge Mann, als er den angstvoll bittenden Blick der Unglücklichen auf sich geheftet sah. „Allerdings will ich noch etwas, du verdammtes Schielauge du, und wären die Damen nicht hier, wollt ich dir Faust zu Faust beweisen, daß du ein nichtsnutziger, diebischer Halunke bist. Jetzt aber habe ich keine Zeit dazu, kann aber bezeugen, daß das arme Mädchen da unschuldig ist.“

„Wir brauchen Eure Beweise nicht, Sir“, sagte aber hochmütig die Schöne oben auf der Veranda. „Seid so gut und verlaßt den Garten und mischt Euch nicht in Sachen, die Eures Amts nicht sind. Hat sie den Hund etwa nicht verloren?“

„Allerdings“, rief der Bootsmann, „aber ich war dabei, wie es geschah. Der Alligator lag in ihrem Weg - sie trat fast auf ihn, und meine Kugel traf ihn hinten in den Kopf. Wie er aber mit dem Schwanz zurückschlug, fehlte kein Zoll daran, daß er sie mit sich hinab ins Wasser nahm. Er muß sie fast gestreift haben, und daß sie den kleinen Köter da fallen ließ, ist natürlich. Sie hätten ein Kind fallen lassen, wenn Sie es dort im Arm gehalten.“

„Welche Roheit!“ rief die Dame empört. „Fort mit Euch, oder meine Leute sollen Euch lehren, was hier Sitte in Louisiana ist. Wenn er nicht gutwillig geht, Mr. Hoof, schicken Sie augenblicklich nach dem Sheriff.“

Jack stand wie vor den Kopf geschlagen - das Mädchen von Negern abstammend, und jetzt, nicht einmal eines Vergehens wegen, um eines Unglücksfalles nur, an dem er selber vielleicht die Schuld trug, in der Gewalt ihrer Henker. Wie mit eisernen Fingern hielt er den Lauf seiner Büchse umspannt. Was aber konnte er hier, nicht allein gegen die Menge, der hätte er vielleicht getrotzt, nein, auch gegen das Gesetz ausrichten? Dem Herrn stand das volle Recht, die volle Gewalt über seine Sklavinnen zu, und Erbarmen? War von den Henkern Erbarmen zu hoffen? Die Negertreiber, von einer Anzahl Sklaven unterstützt, kamen jetzt ebenfalls auf den Wink des Aufsehers herbei, und Jack gedachte der Warnung der Mrs. Poleridge: sich um Gottes willen in nichts einzumischen, was die Gesetze und Einrichtungen der Sklaverei betraf. Er war auch klug genug, einzusehen, daß er hier weder mit Gewalt noch Überredung etwas ausrichten könne, warf deshalb noch einen verächtlichen Blick über die ganze Szene und stieg dann langsam wieder über die Fenz zurück, an der auswendig ein schmaler Weg vorbeilief. Dort aber blieb er stehen, fest entschlossen, das Ende dieses Treibens abzuwarten.

„Bitte, Sir, Ihr habt da nichts weiter zu suchen“, rief ihm aber auch hier der Aufseher zu, „verlaßt die Pflanzung, oder man wird Euch Beine machen!“

„Du wohl, du gelbhäutiger Schuft?“ knirschte aber der junge Mann zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch. „Hier steh’ ich auf einem Fahrweg, außerhalb deiner Fenz, und komm jetzt heraus zu mir und wag es, mir ins Gesicht zu sagen, daß ich von hier fortgehen muß. Wenn ihr euch schämt, vor einem weißen Mann das Mädchen zu peitschen, gut, dann geht woanders hin, womöglich in ein dunkles Zimmer, oder wartet die Nacht ab; von dieser Stelle aber weich ich und wank ich nicht.“

Der Aufseher warf ihm einen boshaft-tückischen Blick zu, die Dame vom Balkon aber rief gereizt:

„Laßt den Hoosier da stehen, wenn ihm das Freude macht, und geht an Eure Arbeit. Soll ich es Euch zum viertenmal befehlen?“

Jack sah zu ihr auf - das sonst wirklich schöne, regelmäßige Gesicht war von böser Leidenschaft entstellt, und ihm kam es vor, als ob sie eher einem Teufel als einem Weibe gliche.

Der junge Fremde, der gestern abend mit den beiden Damen ausgeritten war, trat jetzt heraus auf die Veranda er hatte bis dahin in der offenen Tür gestanden. Er neigte sich auch zu den beiden Schwestern und schien angelegentlich mit ihnen zu flüstern; beide aber machten abwehrende Bewegungen, und die ältere winkte gebieterisch mit der Hand. Der Aufseher hatte sein Opfer wieder gefaßt, und Jack sah, wie er dem unglücklichen Mädchen etwas ins Ohr flüsterte; aber mit Abscheu wandte sich dieses von ihm ab und rief: „Tue dein Schlimmstes!“

„Gut, mein Täubchen“, lachte der Schuft, „das kann dir werden.“ Und im nächsten Augenblick traf seine Peitsche die zitternde zarte Gestalt, daß ein blutiger Streifen in dem weißen dünnen Stoff die Spur der schweren Peitsche gleich darauf verriet.

Jack fühlte, wie ihm das Herzblut zu Eis erstarrte, und es zuckte ihm in den Gliedern, die Büchse in die Höhe zu reißen und den Henker, wie vorhin den Alligator, niederzuschießen. Er fühlte, daß dies die größte Bestie sei. Aber nicht allein, daß er dann den Gesetzen des Landes verfallen gewesen wäre, in dem er sich nun einmal befand, er hätte auch dem armen Mädchen doch nicht helfen können. Ein anderer hätte dessen Stelle eingenommen - es war ja nur eine Negerin, die man peitschte. Aber die Blicke wandte er von dem furchtbaren Schauspiel ab und sah jetzt, wie die beiden jungen Damen dort oben, denen kleine Negermädchen mit großen Pfauenfederfächern Kühlung zuwehten, lächelnd auf der Brüstung lehnten und der Bestrafung der ‚Schuldigen‘ zuschauten. Der Älteren Auge schweifte dabei einmal zufällig nach dem Bootsmann hinunter, als sie aber dessen Blick voll Haß und Verachtung traf, wandte sie sich stolz wieder ab und ihrem Besuch von New Orleans zu, an den sie einige Worte richtete. Aber auch dieser schien mit seinen Gedanken abwesend. Er gab ihr keine Antwort, und als sie sich erstaunt und beleidigt nach ihm umdrehte, machte er den Damen eine stumme, höfliche Verbeugung und verließ die Veranda.

Das Mädchen klemmte die feine Unterlippe zwischen die Perlenzähne, während unten Schlag nach Schlag auf den Rücken der Unglücklichen fiel. Da plötzlich, wie mit einem raschen Entschluß, hob sie den Arm und rief:

„Genug - bindet sie los, Mr. Hoof, ich hoffe, sie wird sich die Lektion merken und künftig aufmerksamer sein.“ Und ohne den Blick wieder hinunterzuwerfen, trat sie, von ihrer Schwester gefolgt, ebenfalls in das Haus zurück.

Das Mädchen hatte die Schläge wie ein Held ertragen. ihr Körper zitterte, aber ihr leichenbleiches Antlitz verriet mit keinem Zucken den Schmerz, der ihre Glieder durchwühlte. Nun erst, als der Aufseher die Hand von ihrer Schulter nahm und auf den Befehl der Herrin die Peitsche sinken ließ, schwankte sie, tat ein paar Schritte vorwärts und brach dann ohnmächtig zusammen.

Mr. Hoof winkte ein paar Frauen, die bis jetzt in dem Garten gearbeitet hatten, sie auf ihr Bett zu tragen, riß eine Handvoll Blätter von dem nächsten Busch, mit denen er seine Peitsche abtrocknete, und schritt gleichgültig, als ob er die gewöhnlichste Arbeit verrichtet hätte, seiner eigenen kleinen Wohnung zu.

Jack schwindelte der Kopf, daß er sich an der Fenz halten mußte; niemand kümmerte sich aber weiter um ihn, und wie in einem Traum schwankte er den schmalen Pfad hinab, an dem Haus vorüber und dem offenen Strom wieder zu. Hinter ihm läutete die Mittagsglocke, die Arbeiter vom Feld zu ihrer kurzen Rast hereinrufend, ihm aber klang der Ton wie das Grabgeläute eines schönen Traums, und er kam auch erst wieder zu sich, als ihm die kühle, über den Mississippi ziehende Luft entgegenwehte. Nur mechanisch wanderte er aber am Ufer fort, bis er sein Boot erreichte. Stumm und ohne ein Wort zu sagen, legte er dort seine Büchse auf ihren alten Platz, auf zwei über seiner Schlafstelle eingeschlagene Pflöcke, hing die Kugeltasche daneben, warf sein Messer auf das Bett - die Alligatorhaut hatte er an dem Gartenzaun vergessen - und legte sich dann lautlos an Deck, um in den Strom hinauszustarren.

Die Leute waren alle an Land, nur der ‚Alte‘ saß vorn im Boot und hatte sein Gewehr auseinandergeschraubt, um es ordentlich zu reinigen; war auch so mit der Arbeit beschäftigt, gar nicht auf den Mann weiter zu achten. Mrs. Poleridge dagegen fiel das stille Wesen des jungen, sonst so lebensfrohen Burschen auf. Sie hob erst den Kopf über Deck, und als sie ihn dort so still vor sich hinbrütend liegen sah, stieg sie ebenfalls hinauf und trat zu ihm. Aber er hörte sie gar nicht und regte und rührte kein Glied.
„Jack!“ sagte die Frau da endlich, die neben ihm stehengeblieben war. „Jack! Was ist denn vorgefallen?“ Jack hob langsam den Kopf und sah sie an, und erschreckt rief sie aus: „Herr, du mein Gott, was fehlt Euch? Ihr habt ja ein ganz kreideweißes Gesicht. Seid Ihr krank, oder habt Ihr den Gottseibeiuns irgendwo gesehen?“

„Ja“, sagte Jack leise, „den hab ich allerdings gesehen - wenn nicht gar noch etwas Schlimmeres.“

„Was habt Ihr nur? Was ist denn geschehen?“ rief die Frau wirklich besorgt.

„Nichts - gar nichts“, sagte aber Jack leise und sank wieder in seine frühere Stellung zurück, „ich bin nur an Land gewesen und habe mir ein Stück von unserem freien, schönen Amerika betrachtet - weiter gar nichts - ich gebe Euch mein Wort.“

„Aber es muß Euch da etwas ganz Absonderliches begegnet sein“, sagte die Frau, die sich nicht so leicht wollte abfertigen lassen. „Ihr seid so sonderbar - ich weiß gar nicht - darf ich’s nicht wissen?“

„Und was hilft’s?“ sagte der junge Mann. „Wir beide können’s doch eben nicht ändern - wie es nun einmal ist.“

„Also ist doch etwas vorgefallen? Ich habe es Euch angesehen.“

„Nichts Besonderes wahrscheinlich, hier in Louisiana“, sagte Jack, „ich habe nur zugesehen, wie sie ein weißes Mädchen peitschten, daß ihr das Blut den zarten Rücken hinunterlief, weil ihr ein Alligator einen jungen Hund gefressen hatte.“

„Ein weißes Mädchen?“ rief die Frau erschreckt und ungläubig aus.

„Sie war wenigstens so weiß wie Ihr oder irgendeine andere Frau in Illinois, die Leute aber sagten, daß sie Negerblut in den Adern hätte.“

„Das wird ein Quadroon gewesen sein“, nickte die Frau, „die sehen manchmal allerdings ganz weiß aus, gehören aber doch noch immer mit zu den Negern. Ja, lieber Gott, das dürft Ihr Euch hier nicht zu Herzen nehmen! Ich bin nur froh, daß Ihr nicht hineingeredet habt. Das können sie gar nicht leiden, und man macht die Sache gewöhnlich nur noch schlimmer.“

„Schlimmer?“ sagte Jack eintönig und sah dann wieder still vor sich hin in den rasch vorbeifließenden Strom. Die Frau schüttelte langsam den Kopf. Sie hätte gern noch mehr von Jack erfahren; der schien aber nicht besonders aufgelegt, sich auf ein weiteres Gespräch einzulassen, und da auch jetzt von der Plantage eine Anzahl Neger herbeikamen, den in dieser Zeit erlaubten Handel an Bord zu beginnen, mußte sie wieder hinunter in ihr Boot, um dem Mann im Verkauf beizustehen und das Geld einzukassieren. Am Tag wurde fast nur für Geld oder solche Sachen gehandelt, die sich die Neger in ihren kleinen Gärtchen selber gezogen hatten.

Jack hörte sie kommen, rührte sich aber nicht, bis ihn das Lachen und Schwatzen unten im Boot aus seinen Träumen weckte. Waren das die Neger, aus deren Mitte vor wenigen Minuten erst eine die Peitsche des Treibers gefühlt? Waren das die Sklaven, deren Nacken das Joch beugte und wundscheuerte? Das war ein Singen, Lachen, Schreien und Jubeln, wie er es nie gehört, und kopfschüttelnd, auf den Ellbogen gelehnt, horchte er eine Weile dem wilden, ausgelassenen Lärm.

Einzelne kamen noch immer herbei, während andere schon mit gekauftem Gut an Deck stiegen und dort in toller Fröhlichkeit umhersprangen. Hier probierte ein junges, hübsches, rabenschwarzes Mädchen ein neues Tuch, dort hängte sich eine andere ein paar buntschillernde, aber wertlose Ohrringe ein, während ihr ein junger Neger einen kleinen, mit rotem und vergoldetem Papier beklebten Nürnberger Spiegel vorhielt. Einer der Schwarzen hatte sich Tabak gekauft und ließ einen der Kameraden zur Probe ein Stück abbeißen, schrie aber laut auf, als dieser mit dem prachtvollen Gebiß eine zu große Ecke erwischt hatte und nun trotz allem Reißen und Zerren des Eigentümers nicht wieder loslassen wollte. Bunter, grellroter und gelber Kattun kam ebenfalls zum Vorschein, und seidene Bänder selbst und wohlriechende Wasser und Seifen wurden vorgeholt: lauter Dinge, um wenigstens am Sonntag in diesen fremden Genüssen zu schwelgen. Selbst die Negerburschen verschmähten den Staat nicht, um am freien Tag durch irgendeinen Tand den Nebenbuhler in den Augen der Geliebten auszustechen. Der schlaue Yankee kannte dabei ihren Geschmack vortrefflich, und bunte Westen und Hemden, bronzene Uhrketten und unechte Ringe vergaß er nie auf solche Reisen mitzunehmen.

Der alte Salomo war ebenfalls zwischen der Schar, hütete sich aber wohl, ein einziges Wort, was nicht eben ihren jetzigen Kauf betraf, mit dem Händler zu wechseln. Einer der Negertreiber überwachte den ganzen Verkehr, und dessen Verdacht durfte er, um Gottes willen, nicht erwecken. Er kaufte sich deshalb ein Stück Tabak und ein kleines Taschenmesser und ging wieder langsam an Land zurück.

Einer der jungen Burschen hatte sich ebenfalls ein Messer gekauft, aber mit einem Korkzieher daran, und oben an Deck betrachteten es seine Kameraden. Der Negertreiher, ein feister Mulatte mit einem Gebiß, dessen sich ein Hai nicht hätte zu schämen brauchen, stand nicht weit davon und sah es.

„Zeig mir einmal dein Messer, mein Bursche“, sagte er und trat zu der Gruppe.

„Hier, Massa“, erwiderte der Käufer und reichte es ihm. Taschenmesser zu tragen, war ihnen nicht verboten.

„Hm, sehr hübsch! Aber wozu hast du den Korkzieher daran - wozu brauchst du den, mein Herzblatt?“

„Brauch ich den?“ lachte der Bursche etwas verlegen. „Oh, zu gar nichts - war einmal dran und kann ihn nicht abmachen.“

„So? Kannst ihn nicht abmachen? Nun, vielleicht kann ich’s“, sagte der Mann, öffnete den Korkzieher, hielt ihn aufs Deck, trat mit dem Fuß dagegen, daß er abbrach, und gab dem etwas verdutzten Jungen das Messer wieder.

„So, mein Herz“, sagte er dabei, „ich hab es dir ein bißchen bequemer gemacht. Jetzt hast du nicht so schwer daran zu schleppen.“

Die anderen lachten laut auf, und der arme Teufel schob sein verstümmeltes Messer etwas beschämt in die Tasche zurück.

„Jetzt ist’s aber genug!“ rief da der Treiber, nach einer riesigen silbernen Taschenuhr sehend, die eine Kette trug, an der man einen Alligator hätte halten können.

„Die Zeit ist um. An Land, ihr da unten, an Land! Wenn die Glocke drüben läutet und ich erwische noch einen einzigen an Bord hier, so kann er sich freuen. Habt ihr’s gehört?“

„Ja, Massa, ja“, schrien die Neger und eilten mit flüchtigen Sätzen, dem Befehl Folge zu leisten. Sie wußten, der Bursche spaßte nicht, und es zuckte ihm ordentlich in der Hand, wenn er die lange, schwere Peitsche eine Weile müßig getragen hatte. Der Handel war dadurch kurz abgebrochen, und Mrs. Poleridge hatte sogar nicht geringe Mühe, ein paar der vergeßlichsten Burschen daran zu hindern, daß sie selbst ohne Bezahlung das Boot verlassen wollten. Ein armer Teufel wurde solcherart länger als die übrigen aufgehalten, denn er hatte sich ein rotseidenes Halstuch gekauft und bekam das Geld darauf, was er zuviel bezahlt, nicht schnell genug von dem ‚Alten‘ wieder heraus. Mit Zittern und Zagen stand er, die Hand ausgestreckt, vor ihm; Jonathan Poleridge aber, den der Bursche vorher durch sein langes Feilschen und Spektakeln geärgert, dachte ihm eine kleine Lektion zu und suchte und suchte so lange in seinem Geld herum, bis richtig die Arbeitsglocke wieder läutete.

„O Golly, Golly! „ schrie der arme Teufel und sprang in peinlichster Ungeduld von einem Bein aufs andere. „Arme Nigger geht’s schlecht, geht’s schlecht, o Massa Poleridge schnell, Massa Poleridge schnell!“

„Na, du bist ja jetzt auf einmal in schrecklicher Eile“, sagte der Händler, ohne eine Miene dabei zu verziehen, „und vorher hattest du das größte Maul von allen - na hier, Schneeball, ist dein Geld; und nun mach, daß du an Land kommst, und glückliche Reise.“

„O Golly, Golly!“ schrie der Schwarze, war mit einem Satz an Deck und flog mehr, als er lief, an dem neben der Planke stehenden Negertreiber vorbei. Dieser aber hatte die willkommene Beute unten schon gewittert und war fertig, und wie der Bursche an ihm vorbeisetzte, zog er ihm mit aller Kraft einen Hieb über die Lenden. Mit beiden Händen fuhr der Getroffene zurück nach dem leidenden Teil, sah sich aber gar nicht um und setzte unter dem lauten Lachen der Kameraden die Flucht nach der Plantage fort. Der Treiber war heute in guter Laune und der Hieb, wenn er auch eine dicke Schwiele zog, doch eigentlich mehr ein freundlicher Scherz gewesen - er hätte den Burschen sonst nicht mit dem einen Schlag davongelassen.

Am Land war es indessen wieder ruhig geworden. Die Neger benutzten die kurze Zeit, die ihnen bis zur zweiten Glocke blieb, um hastig ein paar Bissen zu essen, um dann wieder zu ihrer Arbeit bereit zu sein, und Weiße ließen sich in der Mittagssonne nicht gern im Freien blicken. Mr. Poleridge war indessen unten in seinem Boot beschäftigt, die durcheinandergeworfenen Gegenstände wieder aufzuräumen, und Jack lag noch immer auf seinem alten Platz an Deck, nicht einmal die heißen Sonnenstrahlen achtend, die auf ihn niederbrannten.

An der Levée kam langsam ein Reiter, hielt, als er das Orangenwäldchen erreichte, sein Pferd an, stieg ab, warf den Zügel über einen durch die Fenz ragenden Zweig und kam über den Damm herüber an Bord des Boots. Als Jack die Schritte auf den Brettern hörte, drehte er den Kopf danach um, sprang aber, wie von einer Natter gestochen, in die Höhe, als er den Aufseher, Mr. Hoof, in dem Kommenden erkannte.

„Ist der Kapitän unten?“ fragte der Aufseher, das Erstaunen des Bootsmanns nicht weiter beachtend. Dieser antwortete ihm aber nicht, sondern sah ihn nur mit glühenden Blicken bitteren Hasses starr und stumm an, und der Negerpeitscher, dem das unbehaglich wurde, sagte lächelnd:

„Ah - unser alter Bekannter vom Land drüben! Lieber Freund, Ihr scheint mir hier noch fremd zu Land und unsere Sitten und Gesetze nicht genau zu kennen. Wenn Ihr von jemand, der es gut mit Euch meint, einen Rat annehmen wollt, so mischt Euch nicht wieder in solche Niggerhändel. Es kommt für einen Fremden nichts dabei heraus als Unannehmlichkeit, und Ihr versteht auch nicht und könnt nicht verstehen, wie man hier mit dem Niggergesindel umgehen muß, daß es uns nicht über den Kopf wächst und die Sicherheit aller gefährdet.“

„Und Ihr habt wirklich die Unverschämtheit“, sagte da Jack, der sich von seinem Erstaunen noch immer nicht erholen konnte, „einem ehrlichen weißen Mann ins Auge zu sehen und ihm von Sitten und Gesetzen zu sprechen?“

„Unverschämtheit? lieber Freund, ich verbitte...“

„Freund? Der Teufel ist Euer Freund!“ schrie aber Jack, bei dem der Zorn die Oberhand gewann. „Und wenn es mir je in den Knochen gezuckt, einen feigen, nichtswürdigen Halunken zu Boden zu schlagen, so ist es in diesem Augenblick.“

„Ich möchte Euch doch raten, Euren Übermut ein wenig zu zügeln“, sagte der Aufseher, der allerdings totenbleich geworden war, aber trotzdem seine volle Ruhe bewahrte. Nur die rechte Hand, an der die Negerpeitsche hing, fuhr langsam unter die Weste, dort eine jedenfalls verborgene Pistole zu fassen und zu halten. Er dachte gar nicht daran, sich mit dem rauhen Burschen in einen Faustkampf einzulassen.

„Wohl weil Ihr den Puffer in der Tasche tragt?“ entgegnete ihm aber mit verächtlichem Lächeln der Bootsmann, der die Bewegung vollkommen gut verstand. „Glaubt Ihr, das Ding würde mich schrecken? Da Ihr aber so rasch mit gutem Rat bei der Hand seid, so will ich Euch auch den meinigen nicht versagen, und der ist: daß Ihr Euch mir aus der Nähe haltet, oder beim ewigen Gott, ehe ich diesen Boden verlasse, vergesse ich mich und besudle meine Hände mit Eurem elenden, nichtswürdigen Blut!“

„Hallo!“ sagte Poleridge, der in diesem Augenblick den Kopf aus seiner Kajüte steckte und, als er sich aufrichtete, auch mit der Hälfte seines langen Leibes über Deck emporragte. „Was ist nun los und wer ist tot?“

„Sir - Ihr seid mein Zeuge“, rief da der Aufseher, der seine Wut kaum noch zu bändigen wußte und nur bis jetzt von der Furcht vor seinem Gegner im Zaum gehalten wurde. „Ihr seid mein Zeuge, daß ich hier von einem Eurer Leute auf das schändlichste behandelt werde. Meine Stellung erlaubt mir nicht, ihm anders darauf zu antworten, aber das Gericht mag entscheiden, ob ein Bürger von Louisiana, hier in unserem eigenen Staat, von einem Abolitionisten solches zu ertragen braucht.“

„Jack, bist du denn ganz des Teufels?“ rief Poleridge erstaunt aus.

„Das Gericht?“ rief aber dieser, den Einwurf des Bootsherrn gar nicht beachtend, mit höhnischem Lachen. „Und du, Bube, wagst mit dem Gericht zu drohen. Diebischer Halunke, der seinen Herrn massenhaft bestiehlt - nach oben kriecht und schwänzelt und an den unglücklichen Schwarzen dann seine bestialische Wut ausläßt? Geh, Kanaille, aber dein Blockhaus wollen wir dir dann auch durchstöbern und sehen, ob die Ballen Baumwolle alle eingetragen sind, die du dort versteckt hast. Wenn du aber nicht jetzt den Augenblick dies Deck verläßt, so schwör ich dir zu, daß ich nicht länger für mich einstehe.“

Die Fäuste geballt, die Augen Feuer sprühend, trat er dem bestürzt Zurückweichenden ein paar Schritte näher. Poleridge hielt es jetzt aber ebenfalls an der Zeit, dazwischenzutreten, denn ihm lag wenig daran, die Behörden auf sein Boot aufmerksam zu machen oder gar Händel mit den Leuten an Land zu bekommen.

„Jack“, rief er drohend, „laß mir den Mann zufrieden! Zum Henker noch einmal, ich möchte nur wissen, was in den Burschen auf einmal gefahren ist! Kannst du nicht Frieden halten?“

Der Aufseher suchte aber auch seinerseits, dem Gereizten so rasch als möglich aus dem Weg zu kommen. Daß der Bursche von seinem Handel mit dem Bootsführer wußte, war ihm auch nicht recht und beunruhigte ihn mehr als alles andere. So den Augenblick benutzend, wo Poleridge zwischen ihn und seinen Angreifer trat, verließ er rasch das Boot und hielt noch einmal auf dem Damm, als ob er irgend etwas zurückrufen wollte. Aber auch das gab er auf, trat zu seinem Pferd, warf den Zügel ab und über den Nacken des Tieres, sprang in den Sattel und galoppierte im nächsten Augenblick die Straße hinab, der Plantage zu.

„Na ja, jetzt haben wir die Geschichte“, sagte Poleridge, dem Davonsprengenden kopfschüttelnd nachschauend, „da geht er hin, und was hast du dich denn eigentlich in unseren Handel gemischt, he?“ drehte er sich dann plötzlich wieder gegen seinen Bootsmann um. „Was geht dich das an, wenn ich ein vorteilhaftes Geschäft mit derartigen Herren machen kann? Glaubt ihr, ich kann euch eure teuren Löhne von dem zahlen, was ich an Mais und Whisky in New Orleans verdiene? Jetzt werd ich alle Hände voll zu tun haben, das wieder gutzumachen, was der Hitzkopf da mit seinem großen Maul verdorben. Was hast du eigentlich mit dem Burschen gehabt?“

„Ich?“ sagte Jack finster. „Gar nichts - aber wenn er mir noch einmal in den Weg läuft, so will ich verdammt sein, wenn ich ihm nicht den tückischen Schädel zerschlage und den rechten Arm aus dem Gelenk drehe.“

„Wenn du das erste tust, kannst du dir das zweite ersparen“, sagte der Alte trocken. „Hast du übrigens so große Lust, des Sheriffs Bekanntschaft hier zu machen, so wär es mir sehr lieb, du wartest damit, bis du von meinem Boot bist, nachher, weißt du, kannst du eben tun, was dich gerade freut.“

Jack schwieg und sah finster vor sich nieder; der Alte aber schob die Hände in die Taschen und ging, leise vor sich hinpfeifend, eine Weile an Deck auf und nieder. Nur manchmal warf er einen flüchtigen wie unschlüssigen Blick nach der Plantage hinunter, drehte sich dann plötzlich scharf auf dem Absatz herum und verließ das Boot, die Richtung nach der Pflanzung einschlagend. So verging der Tag; Mrs. Poleridge wollte noch ein paarmal ein Gespräch mit Jack anknüpfen. So freundlich und gefällig der junge Bursche aber auch sonst immer gewesen war, so düster und schweigsam und doch auch wieder ganz ineinandergebrochen schien er heute. Die Frau sah, daß ihm etwas am Herzen nage, und ums Leben gern hätte sie gewußt, was das sei, aber es war eben nichts aus ihm herauszubekommen.

Gegen Abend kam der Alte wieder zurück, er sah aber verdrießlich aus. Die übrigen Leute hatten sich größtenteils ebenfalls eingefunden und lachten und erzählten von dem, was sie heute erlebt und gesehen. Jack schützte Kopfweh vor, ging hinunter in seine Koje und legte sich zu Bett. Das Abendbrot war verzehrt, und die Leute krochen teils unter ihre Moskitonetze, teils schlenderten sie noch in der Nähe des Boots am Ufer auf und ab. Der Alte lag ebenfalls in seiner Koje und schlief, aber nur, um später wieder munter zu sein, wenn seine nächtlichen Kunden an Bord kommen würden. Da schüttelte ihn plötzlich jemand an der Schulter, und als er erstaunt die Augen aufschlug, stand Salomo neben ihm. So leise und geräuschlos war der Schwarze an Bord gekommen, daß ihn weder die am Ufer Stehenden gesehen, noch der kleine, übrigens von dem heutigen Marsch sehr ermüdete Hund gewittert hatte,

„Hallo, Salomo?“ sagte der Händler sich rasch aufrichtend. „Schon so spät? Ich muß schrecklich lange geschlafen haben.“

„Nein, Massa“, flüsterte aber der Neger ängstlich, „noch nicht spät. Können aber heute nicht kommen - und morgen auch nicht!“

„Ha!“ sagte der Yankee, jetzt erst völlig munter geworden. „Was ist nun wieder im Wind? Haben sie etwas gemerkt?“

„Ja, Massa“, nickte der Schwarze traurig mit dem Kopf, „Massa Hoof hat überall herumgespürt und große Kruke mit Whisky gefunden. Unglück ist los auf Plantage, und schwarze Mann bekommt viel Schläge, aber keinen Whisky mehr.“

„Hm - verwünscht“, brummte der Alte zwischen den Zähnen hindurch, und seine eisernen Züge zogen sich drohend zusammen, „da ist niemand daran schuld als der tollköpfige Jack! Was dem Burschen nur heute kann in die Krone gefahren sein?“

„Und an Bord wollen sie auch kommen“, sagte Salomo.

„An Bord?“ rief der Händler und drehte sich rasch nach ihm um. „Wer will an Bord kommen?“

„Der Konstabler“, sagte der Neger, einen scheuen Blick über die Schulter werfend, „sie konnten ihn nur nicht gleich finden. Es hieß, daß er an den Atchafalaya geritten wäre, aber jeden Augenblick zurückkommen müßte, und da - da bin ich, so rasch ich konnte, hergekommen, Massa Poleridge davor zu warnen. Wenn sie die Schweine und Gänse an Bord finden...“

„Möcht es euch schlecht gehen, he?“ sagte der Händler, und eine Art von Lächeln zuckte ihm über das harte Gesicht.

„Massa Hoof kennt alle Zeichen von Schweinen im ganzen Gebiet“, sagte der Schwarze schüchtern.

„Du hast recht, mein Bursche“, rief da der Händler, mit beiden Füßen zugleich aus seiner Koje springend, „das wollen wir doch lieber nicht abwarten. Betsy - o Betsy - schläfst du?“

„Nein, was gibt’s?“ sagte die Frau.

„Füll dem Burschen da einmal eine Flasche Whisky - oder neben dem Faß müssen noch ein paar volle liegen. Und dann mach, daß du wieder an Land kommst, Salomo, denn ich denke, wir wollen in einer Viertelstunde flott sein. Nachher kann sich dein Konstabler und Massa Hoof den Platz besehen, wo wir gelegen haben.“

„Das ist das beste“, sagte der alte Neger vergnügt, dem sich damit ein Stein von der Brust wälzte, denn was ihnen bevorstand, wenn das Boot untersucht und manches dann gefunden wurde, was nur durch die Hände der Neger seinen Weg dorthin gefunden haben konnte, wußte er recht gut.

Der alte Poleridge hielt sich aber nicht mit weiteren Worten auf. Mit ein paar Schritten war er an Deck, schob die beiden Zeigefinger zwischen die Lippen und stieß damit einen scharfen, gellenden Pfiff aus, der weit hinausschallte. Salomo glitt indessen mit seiner Flasche rasch an Land zurück.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Flatbootmann