Die Alligatoren

Es war ein wundervoller Morgen. Die Sonne brannte allerdings ein wenig heiß, doch bot das kleine Orangendickicht, das bis zum Fahrweg niederlief, erfrischenden Schatten, und der wunderbare Duft der Blüten erfüllte die Luft, während daneben die reifen Früchte in dem dunkelglänzenden Laub ordentlich funkelten und zum Genuß einluden. Jack pflückte sich hier vor allen Dingen ein halbes Dutzend, legte sich damit unter einen der Bäume und sog mit außergewöhnlichem Behagen den Saft derselben ein. Oben in den Städten am Ohio hatte er allerdings schon Apfelsinen zu Hunderten gegessen, es kam ihm aber so vor, als ob ihm noch nie eine so gut geschmeckt wie die, die er sich hier selber von den prachtvollen Bäumen abschlagen konnte. Das wurde er aber bald müde und sehnte sich jetzt danach, auch den Wald dieser Gegend kennenzulernen.

Für den wirklichen Jäger hat nämlich nichts einen so wunderbaren Reiz, als zum erstenmal einen fremden Wald zu betreten, in dem man doch noch dazu erwarten darf, fremdes Wild zu finden. Freilich hatte er schon weiter oben am Strom gehört, daß es mit den Hirschen da unten sehr spärlich bestellt sei und es der Mühe nicht verlohne, im Sumpf nach ihnen zu jagen. Dafür gab es hier genug Alligatoren und doch wohl auch manches andere Getier, das zu sehen ihn freute. Jedenfalls wollte er sich den Sumpf einmal in der Nähe betrachten, denn Zeit hatte er genug.


Ein schmaler, an beiden Seiten durch Fenzen begrenzter Fahrweg führte unfern davon gerade darauf zu, und Jack, der den Dackel erst über die Fenz heben mußte, schlenderte, mit dem kleinen Hund an seiner Seite, langsam darauf hin. Mrs. Poleridge hatte ganz recht gehabt: Jack war wirklich zum erstenmal in ‚Südamerika‘ und alles hier eigentlich eine andere Welt für ihn. Das wunderliche, von den Bäumen in langen Festons niederhängende graue Moos, den sogenannten ‚Spanischen Bart‘, hatte er allerdings schon weiter oben am Strom gesehen; ebenso die sonderbar gestalteten, schlanken Zypressen mit ihren pyramidenähnlichen Wurzeln. Aber schon die weiten, schattenlosen Baumwollfelder, in denen hier und da kleine Negertrupps verschiedenartig beschäftigt arbeiteten, waren ihm in dieser Ausdehnung neu, und die ungeheuren, von allen Baumstümpfen freien, trefflich urbar gemachten Felder interessierten ihn sehr.

„Das ist freilich keine Kunst“, brummte er vor sich hin, indem er den Blick nach rechts und links hinüberschweifen ließ, „wenn wir ein paar hundert arme schwarze Teufel bei uns so wollten arbeiten lassen, ohne ihnen einen Cent Lohn zu zahlen, könnten wir auch solche Maisfelder haben. Ich wollte aber einmal sehen, wie das Land hier ausschauen sollte, wenn die weißen Faulenzer es selbst bearbeiten müßten. Verdammt will ich sein, wenn ich glaube, daß sie einen einzigen Ballen Baumwolle auf den Markt brächten! Und was für Boden haben sie hier - lauter Prachtland, wo der Pflug nur so durchläuft - und düngen dazu mit Schweiß und Blut - da soll’s wohl wachsen! Kann mir aber nicht denken, daß ein Mensch Freude daran haben soll, solch ein Feld aufkeimen und reifen zu sehen - ich wenigstens möchte meine Hände nicht damit besudeln.“

Die Sonne brannte auf den schattenlosen Pfad fast sengend nieder, und der junge Bursche schritt schärfer aus, um den schützenden Waldesschatten bald zu erreichen. Für so gering er die Entfernung aber am Anfang gehalten, so weit dehnte sie sich aus, da er sie nach Schritten messen mußte, und er war eine reichliche halbe Stunde marschiert, ehe er die letzte Fenzecke gewann.

Hier hatte er erst noch einen nicht mehr breiten Wiesenplan mit kleinen, einzeln zerstreuten Büschen vor sich, dem sich rechts ein teichähnlicher, mit Wasser gefüllter Sumpf anschloß, während den Hintergrund der düstere, dichtverwachsene Wald bildete. Die Büsche lebten ordentlich von kleinen Singvögeln, besonders von den sogenannten Mockingbirds, die nachts ihren lieblichen Gesang hören lassen und die hier überall ihre Nester hatten. Er hielt sich aber doch nicht lange zwischen ihnen auf, sondern ging, so rasch er konnte, auf die nächste Waldecke zu, deren äußerste Bäume bis dicht an das Wasser liefen, um sich dort erst einmal vor allen Dingen auszuruhen und wieder abzukühlen. War doch selbst sein Büchsenlauf in der brennenden Sonne so heiß geworden, daß er nicht einmal mehr die Hand darauf leiden konnte.

Auch der Dackel schien entsetzlich müde geworden zu sein und lechzte nach Wasser. Der kleine Hund mit seinen kurzen Beinchen war an Bord allerdings ein ruhigeres Leben gewöhnt und mochte jetzt auch wohl schon bereuen, mit seinem langbeinigen Freund eine solch entsetzliche lange Tour unternommen zu haben. Er blieb wenigstens sehr häufig stehen und sah zurück, als wenn er es sich eben nur überlege, ob er nicht selbst jetzt noch wieder umkehren solle. Der Weg zurück, und noch dazu allein, mochte ihm aber auch langweilig vorkommen; überdies sah er vor sich den Wald, witterte auch vielleicht das Wasser dort und folgte zuletzt immer wieder seinem selbstgewählten Herrn und Begleiter.

Jack hatte sich am Fuß einer riesigen Zypresse lang ausgestreckt, und der Dackel nahm indessen dicht neben ihm ein Bad, das ihm außerordentlich zu behagen schien. Dabei zog er aber fortwährend die Luft ein, die von dem Sumpf herüberwehte, und als er wieder an Land gekommen war, lief er noch immer am Ufer auf und ab und windete nach dem Wasser hinüber, von wo aus ihm jedenfalls irgendein Stück Wild in der Nase stak. Der Hund war ganz vortrefflich auf der Jagd, besonders auf einer Fährte, und zeigte etwas Derartiges nicht umsonst an. Jack blickte auch aufmerksam ringsumher, besonders gegen den schwachen Luftzug an, ob er dort in der Gegend irgend etwas Lebendiges erkennen könne; es war aber nichts zu sehen, selbst nicht einmal ein Alligator, von denen es doch Massen in diesen Sümpfen geben sollte. Nur etwa zwei- oder dreihundert Schritt entfernt, bemerkte er auf dem Wasser an mehreren Stellen einen hohen kegelförmigen Gegenstand von fast rosenroter Farbe, aus dem er nicht recht klug werden konnte. Waren es die Blätter irgendeiner Wasserpflanze, die da so wunderlich breit emporstanden? Wieder sah er sich dabei nach Alligatoren um, konnte aber keinen einzigen erkennen, als es plötzlich einen lauten Schlag aufs Wasser tat. Jack fuhr rasch danach um, und der Dackel, der die Augen gerade auf jene Stelle geheftet, bellte laut. Fast in demselben Augenblick sprang aber auch der junge Bootsmann von seinem Lager auf, denn wie mit einem Zauberschlag wimmelte der ganze Sumpf von Alligatoren. Die rosenroten Kegel, die er für Blätter gehalten, kamen klappend aufs Wasser nieder, und Hunderte von dunklen schmalen Stellen, von denen er am Anfang geglaubt, daß es aufragendes Erdreich oder faules angebranntes Holz sei, gewannen plötzlich Leben und Bewegung und glitten geräuschlos, aber rasch vorbei.

Dem Dackel war diese Veränderung auf dem Wasser aber ebenfalls nicht entgangen. Kaum sah er, wie sich darin alles regte und bewegte, als er laut kläffend dagegen anschlug, und Jack konnte im Augenblick bemerken, daß die braunen langen Ungetüme dem Bellen des Hundes sehr viel Aufmerksamkeit schenkten.

„Da kommt ihr mir gerade recht, meine braven Burschen“, lachte er leise vor sich hin, indem er vorsichtig seine Büchse aufgriff und spannte, „und was für eine Gesellschaft! Wohin man sieht, kommen die Bestien ja angezogen, na wartet, euch will ich empfangen, daß euch die Jacke jucken soll!“

Der Sumpf dehnte sich hier, wie schon gesagt, am Rand sämtlicher Felder hin, die sich in ihrer vollen Breite auf dem zunächst dem Strom liegenden Land befanden. Weiter hinein in den Wald schien sich das Wasser aber noch mehr auszudehnen, und um die Verbindung mit dem dahinterliegenden Land herzustellen, war ein flacher und ziemlich schmaler Damm hindurchgebaut. An diesem herunter kamen jetzt besonders drei oder vier alte, lange Burschen geschwommen, hielten aber, als sie den Hund nicht mehr hörten, und ruderten dann langsam querüber, einigen einzeln im Sumpf stehenden Zypressen zu. Andere kreuzten auch wieder von drüben herüber, und einer von ihnen stieg sogar auf den Damm hinauf und blieb dort in der Sonne, den Oberkörper auf dem Trockenen, den langen, gezahnten Schwanz noch im Wasser hängend, liegen.

Ein paar dicht am Damm wachsende Büsche gestatteten Jack, sich hinter ihnen zu decken und vielleicht bis in bequeme Schußnähe an den Alligator heranzukommen. Soviel hatte er dabei im Norden von der Panzerhaut der Tiere gehört, durch die eine Kugel gar nicht schlagen könnte, daß er nahe genug zu kommen wünschte, um einen der Burschen mit der Kugel ins Auge zu treffen, und auf dreißig bis vierzig Schritt wußte er, daß er seines Ziels gewiß war. Leise winkte er deshalb dem Hund, hinter ihm zu bleiben. Der Dackel wußte auch recht gut, was das zu bedeuten hatte, und schlich dann rasch und vorsichtig der im Auge behaltenen Stelle zu.

Der Alligator, soweit er ihn jetzt hinter den Büschen sehen konnte, blieb vollkommen ruhig liegen und schien die Gefahr, in der er sich befand, entweder nicht zu ahnen oder auch vielleicht nicht zu achten. Gar nicht weit vom Damm ab hatten andere gelegen, die jetzt, als sie den Mann darauf hingehen sahen, von ihm fortschwammen. Ein paar hatten ihn sogar auf kaum zwanzig Schritt herangelassen, und er hätte sie recht gut auf die von ihm abgedrehten Köpfe schießen können. Da er aber fürchtete, daß die Kugeln dort abprallen möchten, ließ er sie ruhig fort, um sein Glück an dem auf trockenem Land liegenden zu versuchen, und war auch an diesen schon in recht bequeme Schußnähe gekommen.

So gespannt hielt er indessen seine ganze Aufmerksamkeit auf die erhoffte Beute, daß er auf gar nichts anderes um sich her geachtet hatte. Jetzt aber, wie er die Büchse hob, sein Ziel zu treffen, sah er in der Richtung über den Lauf hin sich etwas Helles bewegen und erkannte in demselben Augenblick auch ein junges Mädchen in einem weißen Kleid, die den schmalen Gang entlang und gerade auf den Alligator zukam. Sie konnte überhaupt kaum noch vierzig Schritt von diesem entfernt sein und ihn gar nicht bemerkt haben, sahen doch die Bestien auch wirklich nur aus wie ein Stück altes, trockenes Holz, wenn sie so still und regungslos in der Sonne lagen. Jack wollte jetzt schießen, aber er fürchtete, die Kugel könne auf der panzerartigen Haut abprallen und das Mädchen treffen, und ein eigenes Gefühl der Angst überschlich ihn, als er sah, wie dieses, vertrauensvoll näherkommend, einer furchtbaren Gefahr mit raschen Schritten entgegenging. Unschlüssig zögerte er, aber es war keine Zeit mehr zu verlieren.

Das junge Mädchen hatte ein kleines, langhaariges braunes Hündchen auf dem Arm, das sie liebkosend streichelte, und sah dabei nicht weiter auf ihren Pfad, als eben nötig war, den Damm zu halten. Kaum noch zehn Schritt konnte sie von der Bestie entfernt sein, und sprang er jetzt vor und rief sie an, und floh sie, so war ja nichts wahrscheinlicher, als daß der heimtückisch lauernde Alligator sie verfolgen würde. Dann aber war es nicht mehr möglich, ihr Hilfe zu bringen, und sich deshalb auf seine gute Büchse verlassend, hob er den Lauf, zielte, um die Kugel womöglich unter das Ohr und von hinten in das Hirn zu bringen, und drückte ab.

Mit dem Schuß schnellte sich das kolossale Tier über den Damm weg in das Wasser; das junge Mädchen aber, das dicht vor ihren Füßen in diesem Augenblick zum erstenmal das Ungeheuer entdeckte, durch dieses wie den Schuß erschreckt, ließ den kleinen Hund fallen und sprang eben noch in Zeit zurück, dem nach ihr hinüberschlagenden Schwanz der Bestie zu entgehen - ein Schritt nur weiter vor, und sie wäre davon erreicht worden. So traf sie allerdings der Schlag nicht, aber der arme kleine Hund wurde davon mit in das Wasser gerissen, und während er laut aufschrie, drehte sich der zu Tode verwundete Alligator noch einmal nach ihm um, packte ihn in seinem riesigen Rachen und verschwand damit in der über ihm zusammenschlagenden Flut. Jack aber, der sich verwünscht wenig um den Hund kümmerte, stieß einen lauten Freudenschrei aus und sprang auf die Fremde zu, die an allen Gliedern zitternd und keiner Bewegung fähig auf dem Damm stand.

Es war ein junges, bildschönes Mädchen von kaum siebzehn Jahren, mit vollen dunklen Haaren, aber blauen Augen, mit zartem, jetzt fast marmorbleichen Teint. So einfach aber auch ihre Kleidung sein mochte, so zart und edel war die ganze Gestalt, die nur leise erbebte, als der Arm des jungen Mannes sie umfaßte und stützte.

„Haben Sie keine Furcht weiter, Miß“, rief Jack, sein gutmütig-ehrliches Gesicht mit voller Röte übergossen, „ich denke, die Bestie hat genug, und der Appetit wird ihr wohl vergangen sein. Meine Kugel ist hineingefahren; sehen Sie nur, wie der Blutstreifen, den sie in der Flucht gezogen, dort schillernd auf dem Wasser liegt. Sie müssen das Untier gar nicht vor sich gesehen haben; die verwünschten Dinger gleichen auch wahrhaftig einem alten Baumstamm auf ein Haar!“

„Ich - ich danke Ihnen“, flüsterte das junge Mädchen, während das Blut, das vorher ihre Wangen verlassen, in einer wahren Flut zurückschoß und ihr Antlitz und Nacken fast dunkel färbte. „Ich hatte es wirklich nicht gesehen - aber - guter Gott, mein Joly, mein armer Joly ist verloren - oh, ich armes unglückliches Mädchen, wie wird es mir jetzt gehen!“

„Das arme kleine Ding hat der Satan allerdings mit über Bord genommen“, sagte der Bootsmann etwas verlegen, denn es kam ihm sonderbar vor, daß die junge Dame, wo sie eben erst kaum selber dem Tode entgangen, so über den Verlust eines Hundes klagen konnte. „Das läßt sich aber nicht ändern, und ich danke Gott, daß das Ganze noch so abgelaufen ist. Sie haben sich recht erschreckt, nicht wahr?“

„Oh, mein Gott, ja - ich hätte ja sonst den Hund nicht fallen lassen“, seufzte das Mädchen und machte sich dabei leicht von dem sie noch immer stützenden Arm des jungen Mannes frei. „Sollte es - sollte es denn gar nicht möglich sein, das arme Tier zu retten?“

„Retten? Schwerlich“, sagte Jack, dem diese Sorge, die sich nur mit dem toten Hund beschäftigte, eben nicht besonders gefiel. „Wenn ihn der Braunbuckel nicht noch als letzten Bissen verschluckt hat, sind ihm doch wenigstens alle Knochen im Leib zerbrochen, und er liegt jetzt irgendwo da unten auf dem Grund vom Sumpf, als Bissen für einen von der Verwandtschaft.“

Die junge Fremde barg das Antlitz einen Augenblick in beiden Händen, und als sie sich wieder aufrichtete, sah Jack, daß ihr die hellen Tränen an den Wangen niederliefen.

„Herr du mein Gott“, sagte der junge Bursche gutmütig, „ich habe gar nicht geglaubt, daß Sie sich den Verlust des kleinen Tieres so zu Herzen nehmen würden! Wenn der Dackel da mir gehörte, wollt ich ihn gern Ihnen dafür lassen, und wär es auch nur, daß Sie wieder ein fröhliches Gesicht machten. Der aber gehört dem Baas, und der gäbe ihn nicht um viel Geld her.“

„Verloren, verloren!“ stöhnte die junge Fremde vor sich hin, senkte den Kopf und wollte langsam den Damm hin an Jack vorübergehen.

„Und darf ich Sie nicht begleiten“, sagte dieser, „hier schwimmen noch eine ganze Menge von den Bestien herum, und ich weiß nicht, ob...“

„Ich danke Ihnen“, sagte aber das Mädchen abwehrend, „ich danke Ihnen recht von Herzen - auch - auch für die Güte, die Sie mir bewiesen, aber - ich muß allein gehen - ich darf wirklich nicht“, setzte sie rasch und wie bittend hinzu, als Jack eine Bewegung machte, als ob er sein Gesuch erneuern wolle, „leben Sie wohl!“ Und mit flüchtigen Schritten eilte sie jetzt, als ob sie fürchte, daß ihr der Fremde dennoch folgen würde, den schmalen Damm entlang, floh über den kleinen Wiesenplan und entschwand bald hinter den einzelnen Büschen den Blicken des Nachschauenden.

Jack wandte wirklich kein Auge von der schlanken Gestalt, so lange er einen Schimmer des hellen Kleids durch die Büsche erkennen konnte; dann aber stieß er kopfschüttelnd den Kolben seiner langen Büchse auf den Boden und murmelte dabei leise vor sich hin: „Das ist ein wunderliches Ding; jammert um den kleinen braunen Köter, als ob ihr ein Kind ins Wasser gefallen wäre, und scheint die Gefahr, in der sie selbst geschwebt, auch nicht so viel zu achten. Entweder müssen hier überall solch vertrackte Alligatoren im Weg herumliegen und die Leute in einem fort darüber fallen, oder die Hunde sind verdammt teuer. Na, meinetwegen, ich habe nichts dagegen; aber bildhübsch war das Mädchen. In meinem Leben habe ich solche tief dunkelblauen Augen nicht gesehen, und so schlank gewachsen wie nur eine von den Zypressen hier - aber wer mag sie sein? Eine Tochter vom Pflanzer? Sollte die aber allein und zu Fuß hier im Sumpf herumlaufen? Dazu ging sie mir auch nicht vornehm genug gekleidet, denn die Fräulein hierzulande stecken ja einen Staat auf, daß einem armen Teufel ganz angst und bange dabei zumute wird. Hm, vielleicht so eine Art von Gesellschafterin aus New Orleans - sprach das Englische auch so ein bißchen kurz abgekniffen, als ob sie’s nicht alle Tage brauchte und es ein wenig schwer in den Angeln ginge. Nun, mir kann’s recht sein, und jetzt - na ja, da hab ich über das Blitzding richtig vergessen, meine Büchse wieder zu laden - hm, hm, hm, war aber doch das schönste Mädchen, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe, und selbst Roleys Betsy in Greentown könnte sich nicht neben der sehen lassen.“

Immer noch langsam dabei mit dem Kopf schüttelnd, zog er den Ladestock aus seiner Büchse, nahm dann den Krätzer aus der Kugeltasche, schraubte ihn an den Stock und wischte das Gewehr erst sorgfältig aus. Der amerikanische Jäger tut das fast nach jedem Schuß, besonders, wenn er nicht gleich wieder auf den Brand geladen hat. Dann schüttete er Pulver ein, setzte die Kugel auf, sah nach der Pfanne und schaute sich nun erst wieder, als er sein Gewehr ordentlich instand wußte, nach dem vorher angeschossenen Alligator um. War es ihm doch schon ein paarmal so gewesen, als ob er sein Schnauben irgendwo auf dem Wasser gehört hätte.

Die übrigen Alligatoren hatten sich allerdings nach dem Schuß, und wie sie die Menschen auf dem Damm erkannten, in etwas größere Entfernung zurückgezogen, denn sie sind feige und werden nie selber einen Angriff wagen. Gar nicht weit entfernt aber und gerade an einer Stelle, wo drei Zypressen von Moos überhangen eine prachtvolle Gruppe bildeten, während der abgebrochene Stamm einer vierten zwischen sie hineingeschlagen war und zum großen Teil aus dem Wasser herausragte, konnte er den dunklen Körper eines der Tiere erkennen, der sich dort an der Oberfläche herüber- und hinüberwand.

„Aha, mein alter Bursche“, lachte der junge Mann stillvergnügt vor sich hin, „hab ich dich erwischt? Hast Kopfschmerzen bekommen, he? Oder macht dir der kleine Hund vielleicht Magendrücken? Na warte, dich kann ich hoffentlich kurieren! Möchte dich überdies gern einmal in der Nähe sehen.“

Er suchte jetzt auf dem Damm hin etwas besser an den Verwundeten hinanzukommen, der indessen gerade jetzt den Kopf hinter den umgestürzten Stamm gebracht. Während sich der angeschossene Alligator aber die größte Mühe gab, aus der etwas unbequemen Lage wieder herauszukommen, blieb Jack mit der Büchse im Anschlag stehen, um einen günstigen Moment für einen zweiten Schuß abzuwarten. Das Wasser schien hier nicht sehr tief, er scheute sich aber doch auch hineinzuwaten, wo er vorher so viele der tückischen Bestien hatte umherschwimmen und untertauchen sehen, und hoffte seine Beute noch bequemer zu bekommen.

Durch die Ruhe draußen waren die übrigen Alligatoren aber auch indessen wieder sicher geworden, und hier und da sah er aufs neue die rosenroten Kegel emporsteigen, die er jetzt ganz erstaunt als die riesigen Oberkiefer der unbehilflichen Bestien erkannte - und was für Zähne die Burschen in dem weit aufgerissenen Rachen führten! Sein Alligator lag aber jetzt ganz still und regungslos, und zwar mit dem Leib zum Teil auf den Baumstamm hingeschoben. Krankgeschossen war er jedenfalls, vielleicht gar schon verendet, und sollte er ihn jetzt da drüben im Stich lassen? Das ging unmöglich an. Er wäre ja kein Jäger gewesen.

Da, wo er stand, konnte er vom Damm aus recht gut den Grund unter dem klaren Wasser erkennen. Es mochte dort etwa drei Fuß tief sein, und wenn er auch weiter drin vielleicht etwas tiefere Stellen fand, war es bis zu den Zypressen ja doch auch kaum hundert Schritt weit, und dort hob sich das Land schon wieder zu einer kleinen Insel empor. Rasch entschlossen, hieb er sich deshalb mit seinem breiten Jagdmesser eine etwa sechs oder sieben Fuß lange Stange ab, an deren unterem Ende er einen vorragenden Ast als Haken stehenließ, und stieg dann, die Büchse schußfertig auf der rechten Schulter, den Stock in der Linken, in das lauwarme Sumpfwasser hinein.

Am Anfang schritt er allerdings außerordentlich vorsichtig darin hin und blickte mißtrauisch bald nach rechts, bald nach links hinunter, ob er nicht einen der trägen Gesellen neben sich erkennen könne. Da aber das Wasser nicht tiefer wurde und nur höchstens von drei bis vier Fuß wechselte, verlor sich diese Ängstlichkeit auch bald. So hatte er etwa den halben Weg zwischen Damm und Baum zurückgelegt, als er plötzlich etwas hinter sich im Wasser plätschern hörte. Erschreckt fuhr er herum, sah aber gleich, daß es niemand weiter als der Dackel war, der nicht hatte allein an Land zurückbleiben wollen und jetzt hinter ihm dreingeschwommen kam.

„Na ja, du hast gerade noch gefehlt“, brummte Jack zwischen den Zähnen durch, „und wenn dich auch ein Alligator fräße, dürfte ich unserer Alten gar nicht wieder an Bord kommen - zurück Kleiner - mach, daß du wieder an Land kommst, und wenn du klug bist, tust du das Maul nicht auf!“

Er streckte dabei den Arm, in dem er die Stange hielt nach dem Land zu aus. Ob aber der Dackel glaubte, daß er ihn mit dem Stock schlagen wolle, oder ob er keine Lust hatte, allein auf dem Damm sitzen zu bleiben, kurz, er schwamm in einem Bogen um den jungen Bootsmann hin und kam ihm nicht zu nahe. Jack suchte ihn jetzt an sich zu locken, um ihn wenigstens auf den Arm zu nehmen; aber auch das litt er nicht oder fürchtete auch vielleicht, daß er zurückgebracht werden sollte, und als Jack jetzt versuchte, ihn mit dem Haken zu erreichen, drehte er sich sogar um und schwamm gerade in den Sumpf hinaus.

„Du bist ein Racker!“ „ brummte Jack mit einem derben Fluch.“ „Aber meinetwegen, wenn du dir ein Vergnügen daraus machst, habe ich auch nichts dagegen. Soviel sage ich dir aber gleich, ich weine nicht, wenn dir etwas Menschliches begegnet, darauf kannst du dich verlassen.“

Und damit wandte er sich von dem Hund ab und schritt wieder, so rasch er konnte, den drei Zypressen zu. Der Dackel hatte aber nur darauf gewartet. Sowie er sah, daß sich der Mann nicht weiter um ihn kümmerte, machte er wieder kehrt und schwamm jetzt ruhig hinter ihm drein, bis Jack bald darauf wieder seichteres Wasser erreichte und gleich darauf das trockene Stück Land unter den Bäumen betrat. Da sich der Dackel übrigens doch noch nicht ganz in seine Nähe getraute, schwamm er erst einmal auf den schräg aus dem Wasser ragenden Baumstamm zu und suchte an dem hinaufzuklettern. Dort lag ihm freilich der angeschossene Alligator im Weg, und wie er ihn nur berührte, schlug der wieder mit dem riesigen Schwanz aus und glitt ein paar Schritte nach vorn.

Der Dackel bekam dadurch natürlich einen Heidenschreck und schrie laut auf, erwischte aber noch glücklich den Stamm, von dem er heruntergerutscht war, lief dort so hoch hinauf, wie er kommen konnte, und bellte nun aus Leibeskräften nach dem sich unter ihm in den letzten Todeszuckungen windenden Alligator nieder.

Jack lachte laut auf, als er die wunderlichen Kapriolen sah, die der Hund machte. Kaum schallte aber das scharfe Bellen über die Bai hinüber, als die Bestien von allen Seiten wieder wie vorher rasch herbeigeschwommen kamen, und als der Dackel nichtsdestoweniger seine freche Herausforderung fortsetzte, sah er sich kaum fünf Minuten später von wenigstens zwanzig Alligatoren umgeben, die alle mit den kleinen tückischen Augen gierig nach ihm hinaufblinzelten und um den Stamm herumschwammen, mit dem sie für jetzt noch nichts anzufangen wußten.

„Das ist recht“, sagte Jack, dem es bei der Masse dieser gewaltigen Tiere doch anfing unbehaglich zu werden, während er sich schon die Zypressen ansah, ob er nicht im Fall der Not an einem oder dem anderen der glatten Stämme hinaufklettern könne. „Jetzt lädt sich der Dackel auch noch Gesellschaft ein und wird die Herren wohl mit seinem eigenen dürren Leichnam traktieren wollen. Und ich sitze jetzt hier im Belagerungszustand, auf zehn Fuß bei zwölf Fuß festem Boden, und kann da am Ende die ganze Nacht sitzen, ehe es den verdammten Bestien einfällt, wieder fortzugehen. Hunde haben heute Glück, das muß wahr sein, und ich denke, der Dackel da oben fängt an einzusehen, daß er eine Dummheit gemacht hat.“

Es schien wirklich fast so. Ob der Dackel nun bemerkt hatte, daß, je mehr er bellte, desto mehr Alligatoren herbeigeschwommen kamen, deren nähere Bekanntschaft er doch wahrscheinlich nicht machen wollte, er schwieg plötzlich still, sah sich vorsichtig nach rechts und links unten um und legte sich endlich oben auf dem Stamm ganz ruhig auf den Bauch, den Kopf dabei fest an das Holz gedrückt, um so wenig Raum als möglich einzunehmen. Die Vorsicht kam aber zu spät, denn die Gesellschaft da unten wußte einmal, daß der Dackel oben sei, und wünschte nun auch, ihn herunterzuhaben. Da sie übrigens bald fanden, daß sie das durch umherschwimmen nicht erreichen konnten, fielen sie auf einen anderen Plan, der auch erfolgreich zu werden versprach.

Der eine Alligator, und wie es schien, einer der stärksten, ein Bursche von wenigstens 13 bis 14 Fuß Länge, hob sich mit den scharfbeklauten Vorderbeinen an dem Stamm empor, und während er sich unten mit dem Schwanz gegen den Grund stemmte, schob er den langen beschuppten Leib mehr und mehr außer Wasser und nach oben. Er rückte dabei dem Hund auch bedenklich näher, der ängstlich knurrend und die Zähne fletschend nach ihm hinüberschaute; einer der anderen kam ihm aber diesmal noch zu Hilfe. Neidisch, daß ihm der Kamerad den Bissen vor der Nase wegschnappen sollte, und ziemlich ebenso stark wie dieser, warf er sich gegen ihn an und stieß ihn dadurch von dem Stamm herunter - eine Hilfe, die dem armen Dackel bald verderblich geworden wäre. Der Stamm fing nämlich durch das plötzlich abgeschüttelte Gewicht an zu schwanken, und der Dackel mußte erschreckt alle vier Beinchen ausspreizen, um seinen etwas sehr unsicheren Sitz auf dem runden, glatten Holz da oben zu wahren. Er hielt sich aber trotzdem und hatte Gelegenheit zu sehen, wie der, der ihm eben zu Hilfe gekommen war, von dem anderen bestraft wurde,

Der große Alligator hatte den Angriff nämlich entsetzlich übelgenommen und fuhr in wilder Wut über den Angreifer her. Der wollte sich seinerseits auch nicht werfen lassen, und die beiden mächtigen Tiere peitschten im nächsten Augenblick das Wasser dermaßen mit den Schwänzen und klappten die gierigen Rachen zusammen, daß der Schaum hoch in die Luft und selbst bis zu der Stelle hinspritzte, auf der Jack noch immer unschlüssig stand.

Ein schwächerer Alligator wollte indessen die Zeit ganz schlau benutzen, in der sich die stärksten Kameraden um die Beute schlugen, griff, wie es der erste getan, den Stamm an und schnellte sich daran hinauf. Er mußte aber ebenso rasch machen, daß er wieder hinunterkam, ohne seinen Zweck erreicht zu haben, denn der alte Bursche war nicht so leichtsinnig gewesen, während des Kampfes die Beute außer Augen zu lassen. Wie ein Ungewitter, den Schaum hinter sich ausschlagend, fuhr er wieder herbei, richtete sich zum zweitenmal aus dem Wasser und schien ordentlich herausfordernd zurück nach unten zu sehen, ob noch einmal jemand es wagen wolle, das, was er für sich in Beschlag genommen, ihm streitig zu machen.

Jack stand indes kaum zwanzig Schritt von dem allen entfernt zwischen den drei Bäumen und wußte noch immer nicht recht, was er tun solle, dem Hund zu Hilfe kommen oder ihn seinem Schicksal überlassen. Im letzten Fall hatte er starke Hoffnung, daß die Bestien ihm wieder Raum geben würden, sobald sie den Dackel abgefertigt, und der war doch eigentlich an der ganzen albernen Geschichte selber schuld. Das arme kleine Tier dauerte ihn aber auch wieder. Außerdem zeigte der alte Bursche von Alligator sein Schulterblatt in diesem Augenblick auch gar so verführerisch her. Daß die Kugeln einschlugen, hatte er an dem ersten Schuß ebenfalls gesehen, und ohne sich lange zu besinnen, zielte er dem aufgerichteten Alligator gerade hinter die Schulter aufs Blatt und drückte ab. Wollten sie ihm nachher zu Leibe, so würde er sich seiner Haut schon auch noch wehren.

Der Alligator blieb allerdings nach dem Schuß noch unbeweglich stehen, augenblicklich aber konnte Jack sein Kugelloch gerade, an der rechten Stelle erkennen, aus dem das helle Blut vorströmte. Plötzlich ließ der Getroffene die linke Tatze los, senkte den Kopf ein wenig zur Seite und schlug dann mit schwerem Fall aufs Wasser nieder.

Wieder mußte der Dackel balancieren und hatte die Freude, fast unmittelbar darauf einen anderen aufklettern zu sehen, der sich wenig oder gar nichts aus dem Schuß gemacht hatte. In hastiger Eile trieb aber auch Jack eine frische Ladung in den Büchsenlauf hinunter, und ehe der neue Feind den armen kleinen Hund erreichen konnte, knallte auch das treue Rohr schon wieder und machte ihn unschädlich.

Das war den übrigen Alligatoren doch ein wenig zu viel Lärm in unmittelbarer Nähe. Sie ließen ihre Toten auf dem Schlachtfeld liegen und zogen sich in etwas größere Entfernung, aber immer noch nicht außer Schußweite zurück.

Der Dackel hätte jetzt allerdings prächtige Gelegenheit gehabt, von dem gefährlichen Stamm hinunter und zu seinem Herrn zu flüchten, aber er traute da unten dem Frieden noch nicht recht. Die Alligatoren, wenn auch tödlich getroffen, wanden sich doch noch im Wasser umher, das sie mit ihrem Blut färbten; Jack lockte ihn ein paarmal, aber er kam nicht, und der junge Mann rief lachend:

„O ja, erst hat er da oben das große Maul gehabt und räsoniert, als ob er sie alle fressen wolle, und jetzt ist er auf einmal nicht zu Hause. Pfui, Dackel, schäme dich! Aber die anderen Gesellen, denk ich, jagen wir doch erst noch ein wenig weiter in den Sumpf hinein, und dann will ich sehen, ob ich dich selber da herunterholen kann, mein Bursche.“

Damit hatte er sein Gewehr wieder geladen und schoß noch ein paar Kugeln hintereinander nach den jetzt kaum an der Oberfläche sichtbaren Köpfen der Tiere. Das Wasser blendete ihn aber, er konnte nicht ordentlich darauf zielen; der Teil, nach dem er zielen mußte, ragte auch kaum anderthalb Zoll aus dem Wasser, und er überschoß sie alle. Nichtsdestoweniger erreichte er damit seinen Zweck, denn die Alligatoren zogen sich weiter und weiter aus seiner Nähe fort, und Jack ging jetzt ernstlich daran, den eben nicht so ganz sicheren Fleck zu verlassen. Wenn sie ihm der Hund noch einmal herbeilockte, hätte es ihnen ebensogut einfallen können, ihn selber anzugreifen, und die Bäume waren viel zu glatt und dick, als daß er imstande gewesen wäre, daran hinaufzuklettern. Nachdem er also seine Büchse wieder geladen, schulterte er sie und suchte dann vor allen Dingen den Dackel von dem Baum herunterzubekommen. Der ließ sich aber diesmal gar nicht lange bitten, und wie der Mann nur an den Stamm trat, kam das arme kleine, geängstigte Tier leise winselnd niedergekrochen und ließ sich willig und geduldig von ihm auf den Arm nehmen.

„Aha!“ lachte Jack. „Haben wir was gemerkt? Na, ich denke, mein Bursche, du wirst künftig wohl das Maul halten, wenn du nicht unter deinesgleichen bist. Und jetzt wollen wir alle beide machen, daß wir wieder aus diesem verdammten Sumpf kommen, aus dem ich mir nur das Andenken da mitnehmen werde.“

Damit nahm er den Dackel in den linken Arm, mit dem er die Büchse hielt, schlug eine kurze Schnur um den ihm nächsten Alligator und zog den schweren, aber vom Wasser halb getragenen Körper mit sich fort, dem Land zu. Von den übrigen Alligatoren hatte er dabei nichts mehr zu fürchten. Von den Schüssen erschreckt, kamen sie nicht mehr näher, und er landete bald darauf seine Beute am gegenüberliegenden Damm, von wo aus er etwas mehr Mühe hatte, den tüchtigen Burschen bis unter die nächsten Bäume in den Schatten zu ziehen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Flatbootmann