Der nächtliche Besuch

Es war finstere Nacht geworden. Nur die Sterne blitzten von dem dunklen Firmament herab, aber sie konnten sich nicht einmal im trüben Strom widerspiegeln, auf dem sich der Nebel nach dem Sonnenuntergang nur noch mehr und mehr verdichtet hatte. Unser Flatboot selbst lag so dicht unter der etwa sechs Fuß höheren Uferbank, daß man es selbst vom Damm aus kaum erkennen konnte, während dieser es allen denen, die auf der Straße ab- oder aufwärts gingen, vollständig verdeckte.

Die Leute waren etwa eine Stunde am Ufer gewesen, hatten sich dort, unbekümmert, ob es erlaubt oder verboten sein könne, Orangen, Feigen und Granatäpfel gepflückt und kehrten erst mit einbrechender Nacht an Bord zurück, Der ‚Alte‘ hatte sein Boot aber, seit er seinen kurzen Spaziergang beendet, nicht wieder verlassen.


So verging die Zeit. Drüben aus dem Negerdorf herüber war dann und wann die schwermütige Melodie irgendeines Liedes zu ihnen gedrungen, dem sich, allerdings vereinzelt, auch eine geistliche Hymne beimischte. Die Flatbootleute hatten sich indessen schon in ihre Kojen und unter ihre Moskitonetze zurückgezogen. Die Insekten wurden nach Dunkelwerden und bei der fast gänzlichen Windstille so arg an Deck, daß man es kaum dort oben aushalten konnte. Der alte Poleridge saß nichtsdestoweniger unverdrossen mit dem Dackel neben sich vorn im Bug des Bootes, qualmte aus seinem kurzen Pfeifenstummel vor sich hin und nahm diesen nur zeitweilig aus dem Mund, um nach einem geglaubten Geräusch am Ufer hinzuhorchen. Es war fast, als ob er jemanden erwarte.

Eine reichliche Stunde mochte er so allein gesessen haben, und eben stopfte er sich zum viertenmal die Tonpfeife mit dem feingeschnittenen schweren Tabak, als von der gerade über ihm befindlichen Uferbank Erde herunterbröckelte; der Dackel knurrte leise.

Der Händler drehte allerdings rasch den Kopf nach dem Geräusch, rührte aber sonst kein Glied und blieb, wie er bisher gesessen, vorn auf Deck, bis er hörte, daß eine ziemlich schwere Gestalt die Uferbank herunterglitt und auf die Planke trat, die von dem Boot aus an Land geschoben war.

„Hallo“, rief da der Alte. „Wer kommt da?“

„ Pst!“ „ unterbrach ihn aber der warnende Ton des Kommenden, wer das auch immer war, und der Händler lächelte leise vor sich hin, schwieg aber doch und wartete geduldig, bis sein später Besuch in der Dunkelheit das Deck glücklich erreicht hatte.“

„Und wer ist das?“ sagte Poleridge jetzt, aber mit unterdrückter Stimme, während er seinen stärker knurrenden Hund beschwichtigte und vergebens in der Dunkelheit das schwarze Gesicht zu erkennen suchte. Der Neger ließ sich aber hier oben auf keine Erörterungen ein.

Selbst in der Nacht hielt er sich auf dem offenen Deck und so dicht am Ufer nicht für sicher. Hinter dem etwa neun Fuß hohen Damm und auf dem Rasen konnte auch leicht ein Horcher vollkommen geräuschlos und gedeckt anschleichen, und dem mochte sich der Bursche wahrscheinlich nicht aussetzen.

„Kommt hinunter“, flüsterte er und glitt dann, mit einem scheuen Blick nach dem Land zurück, und mit der Konstruktion dieser Art Boot vollkommen gut vertraut, ohne weiteres die paar Stufen nieder, die in die kleine ‚Kajüte‘ führten.

Der Händler blieb noch eine Weile an Deck, ohne seine Stellung zu verändern, und wie er so ziemlich tief auf seinem Boot saß, bildete der hohe Damm für ihn den Horizont, auf dem hin er jede Erhöhung gegen den helleren Himmel leicht erkennen konnte. Erst als sich nichts weiter dort erkennen ließ, stand er langsam auf, sah sich noch einmal um und sagte dann zu dem aufmerksam neben ihm sitzenden kleinen Hund:

„Paß auf, mein kleiner Bursche, paß hübsch auf!“ und folgte dann dem Neger in das Innere des Bootes. Unten angekommen, kümmerte er sich aber gar nicht um seinen späten Gast, nahm vor allen Dingen aus einem kleinen Seitenfach Schwefelhölzer, entzündete eine Lampe, die auf dem Tisch stand, und sah sich dann erst nach dem Neger um, der mit dem Strohhut zwischen beiden breiten Fäusten an der Tür lehnte. Noch immer konnte er ihn aber nicht erkennen, bis er das ziemlich hell strahlende Licht mit der Hand so weit bedeckte, daß es ihm nicht mehr die Augen blendete, während der Schein voll auf den Schwarzen fiel.

„Aha, Salomo“, nickte er da grüßend zu dem Sklaven hinüber. „Noch so spät, mein Bursche? Nun, wie ist’s die Zeit gegangen?“

„Danke, Massa, danke“, sagte der Mann. „Schlecht genug, wie man’s so nimmt, konnte nicht früher kommen; Massa Hoof überall zwischen den Hütten umhergeschlichen.“

„Massa Hoof? Wer ist Massa Hoof?“

„Der Overseer - wahrer Teufel von einem Menschen. Paßt jedesmal so auf, wenn hier ein Boot anlegt, daß armer Nigger ja nie ein Vergnügen haben soll. Es gibt doch recht schlechte Buckras auf der Welt, Massa Poleridge.“

„Hm, ja, mein Bursche - könntest recht haben“, sagte der Alte, „und euer Mr. Hoof, wie du ihn nanntest, sieht mir gerade nicht so aus, als ob er zu den besseren gehörte. Aber was bringst du?“

„Heut abend nichts“, flüsterte der Neger vorsichtig. „Doch kann niemand von der Uferbank herunterkommen?“

„Hab keine Angst“, sagte der Händler, „mein kleiner Hund liegt oben an Deck, und sowie sich nur etwas Fremdes regt, macht er Lärm.“

„Gut - heut abend bring ich nichts“, wiederholte der Schwarze, jetzt vollkommen beruhigt. „Aber gegen Morgen kommen meine beiden Jungen und noch drei oder vier andere mit Vorrat. Massa Poleridge hat doch den versprochenen Whisky mitgebracht?“

„Mehr, als ihr verbrauchen könnt, Salomo“, lachte der Händler, „da drinnen liegen einige dreißig Fässer echten Monongahelas; habt ihr da genug?“

Der Schwarze zeigte eine Reihe blendendweißer Zähne.

„Sehr gut, Massa“, nickte er vergnügt vor sich hin, „sehr viel gut - Salomo und Sambo werden Krüge und Fäßchen bringen.“

„Fäßchen? Hallo, mein Schatz, du glaubst wohl, daß ich euch den Whisky nur so einlaufen lasse? Er ist wenigstens um fünfzig Cents die Gallone teurer im Norden geworden, und wenn ihr nicht etwas Ordentliches dafür geben könnt, behalt ich ihn lieber an Bord.“

„Ordentliches?“ wiederholte Salomo erstaunt. „Massa weiß, wir bringen Hühner, Eier, Pecan-Nüsse, süße Kartoffeln.“

„Ja, ich weiß, ich weiß - aber ich will besonders Ferkel haben“, sagte der Händler. „Futter für die hab ich genug an Bord und kann sie am besten wieder weiter unterhalb verkaufen.“

„Ferkel quietschen so“, sagte Salomo ängstlich.

„Quietschen? Den Henker auch!“ lachte der Händler. „Ihr werdet mit ihnen umzugehen wissen, daß sie nicht mehr Spektakel machen, als nötig ist.“

„Ja, da hat sich’s wohl - mit ihnen umgehen“, brummte Salomo. „Ferkel ist ein schrecklich unabhängig Tier und quietscht, wenn Lust hat, ob man’s beim Ohr oder beim Schwanz nimmt, und Massa Hoof ist wie der Böse bei der Hand, wenn er Ferkel quietschen hört.“

„Aber wo schläft Massa Hoof?“

„Gut Stück von hier, gerade vor den Niggerhütten in kleinem Häuschen mit Veranda“, schmunzelte Salomo.

„Nun siehst du, mein Bursche“, sagte der Händler, „das habe ich mir etwa gedacht und bin deshalb so weit hier oben angelaufen, wo ihr mit allem, was ihr mir bringen wollt, durch das Orangendickicht kommen könnt. Also vergiß die Ferkel nicht! Vor Tag werde ich munter sein und euch geben, was ihr haben wollt. Habt ihr kein Bargeld?“

„Bargeld? Ja, Massa, aber nicht viel; Sip hat Bargeld und Lucy - Lucy viel - schlaues Mädchen, die Lucy, aber bös - viel bös - kommt einmal nicht in Himmel, wenn sie stirbt.“

„Das kann uns einerlei sein, mein Junge“, sagte der Händler, „aber schick mir die Mädchen, die Geld haben, morgen mittag herunter und sag ihnen, ich hätte prachtvolle Tücher und Bänder und eine Menge anderer hübscher Sachen mitgebracht. Vielleicht können sie auch morgen abend nach Feierabend kommen.“

„Nach Feierabend geht nicht“, sagte Salomo, bedenklich den Kopf schüttelnd. „Massa Hoof läßt niemand nach Feierabend heraus, besonders keins der Mädchen. - Mittag geht eher, müssen aber geschwind machen; ist nur eine Stunde Rastezeit. Jetzt muß ich aber auch wieder fort. - Hm - ist der Whisky diesmal recht gut, Massa?“

„Sollst ihn kosten, alter Bursche“, lachte der Händler, „und wirst mir das andere dann wohl ordentlich besorgen?“

„Gewiß, Massa, gewiß“, rief der Neger mit einem vergnügten Grinsen, während der Yankee eine neben ihm stehende Kruke aufgriff, einen Blechbecher von dem Gesims nahm und ihn halb mit gelbem Branntwein füllte.

Der Neger machte, schon im Vorgefühl des erwarteten und so lange entbehrten Genusses, eine etwas ungeschickte, aber nicht weniger gutgemeinte Verbeugung mit einem halben Kratzfuß, ergriff dann das Blechmaß, das ihm der Händler hinschob, und wollte es eben an die Lippen heben, als oben der Hund anschlug. Erschreckt setzte er es wieder hin und sah den Weißen an, der ebenfalls aufmerksam nach oben horchte. Der Hund war in diesem Augenblick still, und Poleridge sagte:

„Trink nur erst einmal deinen Whisky aus, nachher wollen wir sehen, was mein Dackel hat.“

„Wenn das Massa Hoof wäre“, flüsterte der Neger bestürzt, „er brächte armen Nigger um, wenn er ihn hier nachts auf fremdem Boot träfe.“ Wieder horchte er nach oben, dann aber, um wenigstens das Gebotene erst einmal in Sicherheit zu bringen, nahm er den Becher auf, kostete den Inhalt erst und schüttete ihn dann in einem langen Zug die durstige Kehle hinab.

Dem Händler lag indessen selber daran, daß nicht schon jetzt ein Neger heimlich an seinem Bord gesehen wurde. Hatte er erst seinen Handel mit den Burschen gemacht und aus ihnen herausbekommen, was eben zu bekommen war, ei, dann mochte auch seinetwegen der Aufseher erfahren, daß er ihnen verbotenen Branntwein verkauft. Wenn man ihn nicht dabei ertappte, konnte ihm niemand etwas anhaben, und ehe die Sache gerichtlich gemacht wurde, warf er eben seine Taue los und schwamm wieder den Strom hinunter. Mit ein paar Worten ermahnte er deshalb Salomo, sich hier unten ganz ruhig zu verhalten, bis er oben selber einmal nachgesehen hätte, und trat dann vorn in sein Boot hinein, wo er, wenn er sich aufrichtete, mit dem halben Leib über das Verdeck hinausschaute. Ganz an Deck mochte er nicht gehen, denn unten stand Salomo neben der Whiskykruke, und allein wollte er die beiden doch nicht miteinander lassen.

Der Hund hatte sich indessen keineswegs beruhigt, und wenn er auch nicht mehr bellte, knurrte er doch noch leise und verdrießlich vor sich hin. Es war jedenfalls am Ufer nicht alles, wie es sein sollte. Poleridge riet auch dem Neger, als der dem Hund ein paar ermunternde Worte gesagt und wieder in seine Kajüte zurückgekehrt war, lieber noch ein wenig zu warten, ehe er an Land ging. Dieser behauptete aber, zurückzumüssen, damit die Sachen noch vor Tag an Bord kämen, denn dann könne man sich fest darauf verlassen, daß ‚Massa Hoof‘ ihnen nicht im Weg wäre.

„Wenn er jetzt auch draußen steckt“, lachte der Neger dabei vor sich hin, „schadet nichts. Salomo ebenso klug wie Buckra. Kann da oben lange stehen, bis er Nigger findet.“

„Was willst du tun, Salomo?“ fragte der Händler erstaunt, als der Neger ohne weiteres zu dem Tisch ging und die Lampe ausblies. „Was, zum Henker, ist jetzt los?“

„Will an Land, Massa“, kicherte aber der Neger, „good bye! Vor Tag ist Salomo wieder unten.“

Und damit glitt er wie eine Schlange aus der Kajüte, hob sich, ohne seinen Oberkörper über dem Verdeck zu zeigen, vorsichtig auf den vorderen und niederen Rand des Bootes, das dort, wie alle diese Fahrzeuge, eine Art von Ausbau bildete, und war im nächsten Augenblick im Wasser. So geräuschlos verschwand er aber darin, daß selbst der neben ihm stehende Yankee nicht das geringste plätschernde Geräusch hören konnte, und ob er sich auch überbog und ihm nachschaute, es ließ sich nichts weiter von dem Schwarzen erkennen. Unter Wasser war er den Strom hinabgeschwommen. War übrigens wirklich jemand an der Uferbank gewesen, so ließ er sich an dem Abend nicht wieder sehen, und Poleridge suchte jetzt selber sein Lager, um zur rechten Zeit am nächsten Morgen bei der Hand zu sein.

Diese Art von Handel kannte er schon und hatte deshalb auch sein Boot so gelegt, daß er - nicht zu weit von dem Negerdorf - durch das benachbarte Dickicht den Schwarzen die beste Gelegenheit gab, unbemerkt zu ihm an Bord zu kommen, und die wurde denn auch von ihnen gehörig genutzt. Alles mögliche brachten sie gegen Morgen angeschleppt, was sie entweder für solch einen Fall aufgespart oder in der Eile und Nachbarschaft hatten stehlen können. Entdeckung brauchten sie dabei, wenn sie nicht auf frischer Tat ertappt wurden, auch gar nicht zu fürchten, denn alles, was gegen sie hätte zeugen können, nahm der Weiße ja in seinem Boot mit fort.

Um drei Uhr morgens war dafür die beste Zeit. Um vier Uhr weckte schon wieder die erste Negerglocke, und wenn sich dann der Aufseher auch noch nicht gleich um sie kümmerte, war doch stets die Gefahr, daß sie von einem der sogenannten ‚Negertreiber‘ oder Unteraufseher - fast immer ebenfalls Neger - entdeckt und verraten wurden. Nachsicht hatten sie aber von einem solchen nicht zu hoffen, und so erbarmungslos jener ‚Massa Hoof‘ auch sein mochte, an kalter Grausamkeit wurde er fast noch von seinen Helfershelfern überboten.

Den Verkauf besorgte übrigens Poleridge mit seiner Frau ganz allein, denn zwei Augen waren jedenfalls nötig, auf die sonst fast zu geschickten Hände der Neger aufzupassen, Mrs. Betsy Poleridge schien aber gerade die rechte Persönlichkeit für ein derartiges Geschäft, und es wäre keinem der schwarzen Burschen zu raten gewesen, auch nur eine unrechte Bewegung nach einem etwa dortliegenden Gegenstand zu machen. Dabei mußte sie in dem Dämmerlicht, das in dem niederen Raum herrschte, wahre Eulenaugen haben, denn füllte sie selber irgendein Gefäß, so verschüttete sie nie auch nur einen Tropfen und hatte doch die Augen dabei ganz woanders. Auch magere Hühner oder Enten durfte ihr keiner bringen, wenn er nicht den Preis auf die Hälfte heruntergedrückt haben wollte, und trotzdem sprach sie nie ein lautes Wort. Der ganze Handel wurde in einem halben Flüstern abgemacht, und die Leute, die im anderen Teil des Boots schliefen, hätten wohl die Stimmen hören, aber doch nicht verstehen können, was dort vorging. Übrigens kümmerten sie sich auch gar nicht darum. Daß der Alte heimlichen Handel mit den Negern trieb und sich vortrefflich dabei stand, wußten sie. Sie selber hatten aber ebenfalls, solange das Boot an irgendeiner Plantage liegenblieb, Feiertage, und das beste dabei - der Alte war nicht geizig mit dem Whisky. Weshalb sollten sie sich also in Sachen mischen, die sie gar nichts angingen?

Die Neger hatten sich diesmal aber vor einer Überraschung gesichert und nicht etwa Posten um das Boot her, sondern gleich vor die Wohnung ihres Aufsehers gestellt, bei dem seine beiden Negertreiber schliefen. Sowie sich jemand dort regte, warnte sie das verabredete Zeichen, und sie konnten dann immer das Orangendickicht erreichen, ehe einer ihrer Wächter imstande gewesen wäre, selbst mit dem schnellsten Pferd hier herauf zu galoppieren.

Wie mißtrauisch der Overseer aber auch das Boot betrachtete, und wie begründeten Verdacht er haben mochte, daß es, trotz der Versicherung vom Gegenteil des Kapitäns, doch Whisky enthalte, soviel setzte er auf die Furcht, die seine ihm untergebenen Sklaven vor ihm hatten. Gestern abend war ihnen noch einmal bei strenger Strafe verboten worden, an Bord zu gehen, wenn sie nicht dahin geschickt würden, und er glaubte zu wissen, daß keiner der Burschen es wage, seinem Befehl zu trotzen. Morgens schliefen sie überdies wie die Dachse.

Darin hatte er sich jedoch geirrt, denn wenn die Burschen aufstehen wollten, konnten sie es recht gut. Jetzt galt es überdies, sich für längere Zeit einen Vorrat von Whisky und Tabak anzulegen, denn es kam nicht häufig vor, daß ihretwegen Boote hier landeten und sich der Gefahr aussetzten, gestraft zu werden. Alle möglichen Gefäße schleppten sie dazu herbei: Krüge und Fäßchen, Kalebassen, Blechtöpfe und was sie nur eben in der Eile hatten auftreiben können. Wie die Bienen schwärmten sie von dem Boot ab und zu, bis Salomo, einer der Tätigsten unter ihnen, das Zeichen zum Aufbruch gab. Eben tauchte der Morgenstern drüben aus dem Wald auf, und es blieb ihnen nur noch Zeit, ihre Hütten wieder zu erreichen und was sie eingehandelt in Sicherheit zu bringen, ehe einer der Negertreiber aufstand und die verhaßte Morgenglocke läutete. Eine Stunde später, dann mußten alle zur Arbeit ausrücken.

Mr. Poleridge und seine Frau hatten in der Zeit aber ebenfalls alle Hände voll zu tun, um die eingehandelte lebendige Fracht in Sicherheit und so unterzubringen, daß sie nicht im Weg war. Wieder einmal im Strom, nahm der Yankee das Geflügel allerdings an Deck; jetzt aber durfte er das noch nicht tun und den Overseer unnötigerweise aufmerksam machen. Unten im Raum, wo überdies schon Fässer, Säcke und Kisten genug standen, mußte deshalb eine Stelle für sie hergerichtet werden. Als die Leute dann morgens aufstanden, war schon alles in Ordnung und sogar das Frühstück für sie hergerichtet. Nach diesem hatten sie aber, wie ihnen der Alte sagte, freie Hand, am Ufer herumzulaufen, soviel sie wollten, da er den heutigen Tag noch hier liegenbleiben wolle.

Das ließen sich die Leute denn auch nicht zweimal sagen und schlenderten bald, des langen Bootlebens müde, erst am Ufer hin und dann die erste Quergasse hinauf, die durch die Fenzen in einem rechten Winkel abführte, um den dahinterliegenden Wald oder eigentlich Sumpf zu betreten. Dort wollten sie ein paar Kugeln nach Alligatoren verschießen, denn ihre Büchsen haben derartige Burschen fast immer mit an Bord, und Jäger sind doch die meisten von ihnen.

Nur Jack, der Illinois-Mann, war noch zurückgeblieben, um seine Garderobe etwas instand zu setzen. Dazu wählte er sich vorn im Vorbau seinen Platz, um den schon recht warm niederfallenden Sonnenstrahlen nicht zu sehr ausgesetzt zu sein. Allerdings hatte sich diese Stelle eigentlich der Händler selber oder vielmehr Madame vorbehalten. Jack aber, ein guter, ehrlicher und gefälliger Bursche, war gerade deren Liebling und durfte manches tun, was sie den anderen eben nicht gestattet hätte. Er vor allen hackte ihr das Holz zur Feuerung klar, besserte den Herd aus, wenn irgend etwas daran beschädigt worden, und hatte außerdem das meiste Glück auf der Jagd. Selten ging er, wo sie irgendwo am Ufer anlegten, in den Wald, ohne einen wilden Truthahn oder gar einen Hirsch, wenigstens doch ein fettes Opossum mit an Bord zu bringen, und außerdem widersprach er ihr und ihrem Mann nie - eine Eigenschaft, die sie ganz besonders an ihm zu schätzen wußte.

Jack saß deshalb ganz behaglich unten im Boot, während der Händler oben an Deck mit einem ‚Besuch‘ auf und ab ging. Der Aufseher der Plantage war nämlich an Bord gekommen, um mit dem Eigentümer eine ‚Geschäftssache‘ zu besprechen und einen Handel über Baumwollballen abzuschließen, von denen gerade niemand etwas zu wissen brauchte, als eben die beiden. Im Verlauf der Unterredung stellte sich denn auch heraus, daß der würdige Overseer in einem kleinen Blockhaus, etwa zwei Meilen unterhalb, einen ganz hübschen Vorrat von ‚eigenen Erzeugnissen‘, wie er es nannte, in Wirklichkeit aber nichts weiter als seinem Prinzipal gestohlenes Gut, aufgehäuft hatte und dafür jetzt von dem Händler den größtmöglichen Preis herauszubekommen suchte.

Beide wußten allerdings, daß der eine Flatbootmann an Bord sei, würden sich aber kaum vor ihm geniert haben. Derartige Bootsleute kümmern sich nie um das, was ihr Kapitän an Land treibt und was den Handel des Boots selber betrifft. Macht dasselbe gute Geschäfte, desto besser für sie, denn desto freigebiger ist nachher ihr ‚Alter‘ mit dem ‚Stoff‘, wie sie den Whisky gewöhnlich nennen. Außerdem bekommen sie ihre Fahrt monatsweise bezahlt; die müßigen Tage, die sie sich arbeitslos an Land herumtreiben und ihrem Vergnügen nachgehen können, zählen daher ebensogut wie die anderen und sind für sie reiner Gewinn.

Jack war nun allerdings eifrig mit seiner Arbeit beschäftigt und kümmerte sich auch nicht besonders viel um das über ihm geführte Gespräch. Er konnte aber auch nicht vermeiden, den größten Teil desselben mitanzuhören, und schüttelte nur manchmal still vor sich hin den Kopf, daß eine solche Masse betrügerisches Gesindel auf der Welt herumlief.

„Hier möcht ich auch Pflanzer sein“, murmelte er leise vor sich hin, „das Kleine stehlen die Neger und das Große die Aufseher selber, und was übrigbleibt, mag der Herr durchbringen. Hol der Henker die diebischen Schufte mit ihrem Menschenfleischhandel! Da lob ich mir die nördlichen Staaten unseres wirklich freien, glücklichen Landes. Hier in dem blutigen Süden muß man entweder ein Hund oder ein Seelenverkäufer sein, und zu beidem hätt ich keine besondere Lust.“

„Zu was hättet Ihr keine Lust, Jack?“ sagte Mrs. Poleridge, die die letzten Worte gehört hatte und jetzt zu ihm trat.

„Die Jacke hier wieder zu flicken, wenn sie jetzt noch einmal reißen sollte“, meinte Jack trocken, indem er aufstand und das gerade beendete Kleidungsstück wieder ein wenig in Fasson schüttelte. Die ‚Alte‘ brauchte gerade nicht zu wissen, was er von dem Handel dachte und daß er überhaupt darauf geachtet hatte.

„Und wollt Ihr nicht an Land gehen, Jack?“

„Ei gewiß, Ma’m“, lachte der junge Bursche, „konnte mich nur nicht in der zerlumpten Takelage vor den Leuten da drüben sehen lassen. Hätte mich ja wahrhaftig vor den Niggern schämen müssen, die doch alle wenigstens ganze Jacken auf ihrem Rücken tragen. Nicht wahr, sie müssen die Kittel immer erst ausziehen, wenn sie gepeitscht werden?“

„Pst, Jack“, sagte die Frau und hob warnend den Finger, „seid an Land entsetzlich vorsichtig mit solchen Bemerkungen, denn hier in den sklavenhaltenden Staaten darf ein Nordländer nur den Mund über so etwas auftun, und sie fallen gleich mit dem Geschrei ‚Abolitionist‘ über ihn her. Ich habe das einmal in New Orleans mitangesehen und möchte lieber einen Schwarm hungriger Wölfe hinter mir haben, als die Weißen in Louisiana, wenn sie auf einen Abolitionisten Jagd machen.“

„Hm, kann ich mir etwa denken! Aber wir sind doch noch in Amerika, und ein Weißer und Bürger der Vereinigten Staaten wird doch da hoffentlich reden dürfen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.“

„Über alles, was Ihr wollt“, sagte die Frau rasch, „nur, um Gottes willen, über nichts, was die Sklaverei betrifft. In den letzten Jahren ist die Erbitterung hier gegen den Norden nur immer mehr und mehr gestiegen, und die Leute hier unten fürchten auch wohl nicht mit Unrecht, daß die Schwarzen durch das viele Reden am Ende gar gegen sie aufgehetzt werden könnten. Hier und da will man sogar schon Verschwörungen unter den Negern entdeckt haben, und wie wir im vorigen Jahr hier unten waren, hängten sie drüben am anderen Ufer einmal an einem Nachmittag sieben Stück auf. Auch einen Weißen faßten sie dabei, der nur in einem Wirtshaus ganz beiläufig geäußert hatte, es sei das eine schändliche Grausamkeit, und die Schwarzen wären so gut Menschen wie wir; aber, lieber Himmel, wie setzten sie dem armen Teufel zu! Erst schleppten sie ihn hinaus und schlugen ihn, daß er aus keinem Auge mehr sehen konnte, und dann zogen sie ihn aus, strichen ihn über und über voll Teer und rollten ihn dann in einem Federbett herum. In diesem Zustand mußte der arme Mensch in den Wald flüchten, denn nachher wollten sie ihn sogar noch aufhängen.“

„Aber das war kein Amerikaner!“ sagte Jack, dem das Blut schon in Zorn und Unmut in die Schläfe stieg.

„Kein Amerikaner?“ sagte die Frau. „Gewiß so gut auf Onkel Sams Grund und Boden geboren wie Ihr und ich, noch dazu, wenn ich nicht irre, aus demselben Staat, aus dem Ihr seid, aus Illinois. Ja, ja, Jack, Ihr kennt die Südländer noch nicht, denn soviel ich weiß, kommt Ihr zum erstenmal hier nach Südamerika herunter. Da nehmt Euch denn in der Hinsicht besonders in acht. Kümmert Euch um nichts, was Ihr seht, Ihr könnt’s doch nicht ändern, und redet besonders mit keinem Nigger über Sklaverei. Ich mein es gut mit Euch, Ihr dürft es mir glauben - nur eine gleichgültige Frage darüber an einen der Burschen kann Euch, wenn es zu den Ohren eines Weißen käme, in die schlimmsten Händel verwickeln.“

„Wunderliches Land das!“ brummte Jack verdrießlich vor sich hin. „Soviel weiß ich aber, ich möchte nicht drin leben und will froh sein, wenn ich erst wieder kalten Boden unter mir habe. Doch meinetwegen, wenn sich die Schwarzen hier geduldig prügeln lassen und sind sieben zu einem, so geschieht’s ihnen eben recht und sie verdienen’s nicht besser. Mit der Zeit, denk ich, werden sie aber schon klüger werden, und in der Zeit möchte ich dann hier verdammt viel lieber in einer schwarzen als in einer weißen Haut stecken.“

Mit den Worten schob er die Arme in den ausgebesserten Rock hinein, drückte sich den alten, etwas arg mitgenommenen Strohhut in die Stirn, hängte die Kugeltasche um, nahm seine Büchse auf die Schulter und schlenderte langsam an Land, um den heutigen Tag in aller Ruhe und nach bester Bequemlichkeit, wie es eben gehen wollte, zu verbringen. Der Dackel, der Jack besonders ins Herz geschlossen hatte, wackelte, in Ermangelung besserer oder anderer Beschäftigung, hinter ihm drein.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Flatbootmann