Der Flachbau, ein deutsches Wohnungsideal. Mit sechs Bildern

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1922
Autor: Eduard Pommer, Erscheinungsjahr: 1922

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wohnungsbau, Hausbau, Wohnungsnot, Förderung, Bauzuschüsse, Mieter, Vermieter, Miete, Lebensbedingungen, Bauvorschriften, Wohnungswesen, Baupolizei, Baumaterial, Baupreise, Einfamilienhaus, Mehrfamilienhaus, Baugrund,
Zur Zeit der unüberwindlich scheinenden Baunöte, die vor allem durch den Kohlenmangel und das Fehlen der hauptsächlichsten Baumaterialien bedingt waren, brachten wir in unserem „Buch für Alle“*) eine illustrierte Abhandlung über den in Vergessenheit geratenen Erdstampfbau. Zahlreiche Zuschriften und Anfragen aus unserem Leserkreise, die auch aus Amerika einliefen, bewiesen, dass diese Anregungen im rechten Augenblick erfolgten. Inzwischen hat man die „natürliche Bauweise“ überall, wo die Bedingungen dafür gegeben sind, ausgenommen, und es ist nicht mehr nötig, für diese leichtfertig als „Ersatzbauweise“ bezeichnete Technik einzutreten.

*) Jahrgang 1920, Heft 16, Seite 315 ff.: Zur Lösung der Wohnungsnot. Mit 7 Bildern.

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Die Wohnungsnot ist im Reiche noch keinesfalls behoben, denn in ganz Deutschland fehlen uns zurzeit etwa dreiviertel Millionen Wohnungen, eine Zahl, die eher zu niedrig als zu hoch gegriffen ist. Wenn auch da und dort viel geschehen ist, diesem höchst betrüblichen sozialen Übelstand abzuhelfen, so sind doch die dringlichsten Aufgaben noch immer nicht gelöst. Trotz des gesetzlichen Mieterschutzes werden Mietsteigerungen auf die Dauer nur unvollkommen zu verhindern sein. Ein Mietsteuergesetz und ein Reichs Mietgesetz über die Regelung der Mietzinsbildung befinden sich in Vorbereitung. Nach dem Mietsteuergesetz ist die Erhebung eines jährlichen Aufschlages von mindestens zehn Prozent auf die Miete vorgesehen. Die Länder und die Gemeinden sollen davon je fünf Prozent zur Verzinsung und Tilgung der 1921 und 1922 von Staat und Gemeinden geleisteten Baukostenzuschüsse erhalten. Ohne Zahlen anzugeben, darf behauptet werden, dass auf diese Weise die für eine erhöhte Bautätigkeit nötigen Summen nicht beschafft werden können. Es muss betont werden, dass mit dem augenblicklich zu erlangenden normalen Realkredit nicht einmal der siebte Teil der Baukosten gedeckt zu werden vermag! Aus Furcht vor etwa eintretenden Preissenkungen und weiterer Geldentwertung dürfte die private Unternehmertätigkeit im Ballwesen noch für längere Zeit darniederliegen. Sollte nun trotz dieser Sachlage in absehbarer Zeit wieder mehr geballt werden, so müsste wegen der hohen Kosten eine allgemeine stärkere Mietsteigerung eintreten. Eine Bereicherung der Bauunternehmer und Hausbesitzer über ein billiges Maß hinaus muss zu verhindern gesucht werden, denn unser verarmtes, hart ringendes Volk kann ihnen die Feldschränke nicht füllen. Es wird sich zeigen, in welcher Weise durch ein Reichsmietgesetz erträgliche Zustände geschaffen werden können.

Nun fragt es sich, wie gebaut werden soll. Für Privatunternehmer, die früher Mietkasernen errichteten, ist die heutige Lage ungünstig, denn derartige Anlagen sind durch die Lohn- und Baustoffteuerung nahezu zu einem Millionenobjekt geworden. Bei dieser Art von Unternehmen sind heute in jeder Hinsicht größere Schwierigkeiten zu überwinden als in der Vorkriegszeit; das hauptsächlichste Anreizmittel zum Bauen, die Gewinnaussichten am Bodengeschäft, kommt dabei nicht in Frage. Durch eine falsche, durchaus zu verurteilende Boden- und Verkehrspolitik ist um unsere Großstädte ein Ring geschaffen worden, der nicht mehr zum Bauen benützt werden soll, denn wir brauchen keine weiteren Mietkasernen und Massenquartiere. Da auf diesem der Terrainspekulation verfallenen teueren Boden auf lange Zeit Hochbauten nicht errichtet werden können und sollen und Flachbauanlagen ganz unmöglich sind, bleibt nichts Anderes übrig, als diesen Ring zu durchbrechen und zu übergehen. Wenn dies geschieht, muss auch für die Verkehrsfrage eine Lösung gesucht und gefunden werden. Außerhalb dieses Ringes ist zu billigen Preisen neues Gelände zu erschließen, und die Grundstücke müssen der Spekulation dauernd entzogen werden. Dazu bietet das neue Enteignungsgesetz Handhaben. Im Sinne dieses Gesetzes vorzugehen, ist Pflicht der Städte und Gemeinden. Hier gilt es, Versäumtes entschlossen nachzuholen und nicht zu zaudern. So ergibt sich zunächst als bedeutsamste Aufgabe die Umsiedelung eines Teiles der städtischen Bevölkerung auf das Land.

Um nur zwei Fälle zu nennen: in Nürnberg fehlen noch viertausend, in Stuttgart die doppelte Zahl an Wohnungen. Diese Städte sind hier gewählt worden, weil für die Frage des jeweilig erschließbaren Baugrundes ausgesprochene Gegensätze bestehen. Nürnberg liegt flach und bietet Ausdehnungsmöglichkeiten, das Stuttgarter Gelände erschwert die Anlage von Siedelungen im Flachbau. Dieser Punkt musste erwähnt werden, weil man sich dort, wo das Gelände ähnlich wie in Stuttgart beschaffen ist, zögernd oder ablehnend gegen den Flachbau verhält. So hat man erklärt, dass, wenn inan sich in Stuttgart zur Lösung der Wohnungsnöte für den Flachbau entschließen würde, dazu eine Fläche nötig sei, die dem Stadtweichbild der neunziger Jahre gleichkäme. Angesichts dieser Geländebeschaffenheit ist beachtenswert, dass Professor Paul Schmitthenner von der Stuttgarter Technischen Hochschule entschieden für den Flachbau und die völlige Änderung unserer verkehrten Bau- und Wohnsitten eingetreten ist. Er verglich die Baukosten eines zwei stöckigen Miethauses (Kleinhaus), des dreistöckigen Miethauses (Mittel Haus), des fünfstöckigen Mietshauses (Hochhaus) und des eingebauten Einfamilienhauses (Reihenhaus) miteinander. Nach Berechnungen kam er zu dem Ergebnis, dass ein fünfgeschossiges Mietshaus die größten Baukosten erfordert. Bei zweckmäßiger Grundrissgestaltung und gleichem umbauten Rau m erhält das Einfamilienhaus eine noch um zehn Prozent größere Wohnfläche als das Miethaus. Beim Errichten eines Einfamilienhauses ist eine weitere Kostenverringerung zu erzielen. Dabei verdient beachtet zu werden, dass die Grundstückpreise seit der Vorkriegszeit verhältnismäßig unwesentlich höher wurden, die Baukosten aber bedeutend gestiegen sind. Rechnet man mit dem hohen Bodenpreis von zweihundert Mark für das Quadratmeter, so ergeben sich nach Professor Schmitthenners Angaben bei fünfzigprozentiger Überbauung des reinen Baulandes für das zwei- und dreigeschossige Miethaus geringere Summen für Grunderwerbung und Baukosten als für das fünfgeschossige Miethaus. Im letzteren Falle fordert eben der Massivbau um fünfzig Prozent mehr Backsteine und damit den gleichen Prozentsatz mehr Material zum Brennen der Steine als das Einfamilienhaus. Aus diesen Vergleichen gelangt Schmitthenner zu dem Schluss: Bauzuschüsse sollten nur für den Flachbau gegeben werden.

Der „Schwäbische Siedlungsverein E. V.“ hat einen „Leitfaden aus seiner praktischen Tätigkeit in den Baujahren 1918 bis 1921“ herausgegeben. In dieser beachtenswerten Schrift wird vom Flachbau gleichfalls behauptet: Er gewährt die rationellste Raum- und Flächenausnutzung.

Der als Praktiker erfahrene Baurat Karl Siebold, der sich als technischer Bauleiter des „Deutschen Vereins Arbeiterheim“ in Bethel bei Bielefeld in der Durchführung der verschiedensten Bauweisen Verdienste erworben hat, tritt in einer seiner Schriften *) entschieden für die Flachbauweise ein, die nach ihm künftig für alle Ansiedlungen zwangsweise eingeführt werden sollte, indem man nur für derartige Siedelungen Zuschüsse in Aussicht stellt. Er fordert dafür erleichterte bar: polizeiliche Bestimmungen, die trotz mancher Besserungen gegen die Vorkriegszeit noch immer nicht in genügendem Matze erteilt werden.

*) Karl Siebold, Die Abschaffung der Baupolizei für den Wohnungsbau. Ein Beitrag zur Umschulung der Baupolizei. Bethel bei Bielefeld 1919.

Die Nöte der Zeit zwingen dazu, endlich mit dem falschen Prunk des Einfamilienhauses als „Villa“ und des berüchtigten Stadtbildes, das man zu erreichen sich bemühte, samt allem üblen Drum und Dran ein Ende zu machen. Städtische und ländliche Bauweisen sind im tiefsten Sinne Gegensätze. Die sinnlose Übertragung der ersteren auf das Land hat im höchsten Grade verderblich gewirkt. Damit muss entschieden gebrochen werden. Als oberste leitende Gesichtspunkte müssen Wohnlichkeit und Wirtschaftlichkeit gelten. Es muss ausdrücklich betont werden, dass die baupolizeilichen Vorschriften Ursache waren und noch sind zur zwecklosen Verschleuderung volkswirtschaftlicher Werte an Material, Arbeitskraft, Zeit und Geld. In früheren gesunden Zeiten bestanden auf dem Lande keinerlei polizeiliche Vorschriften für den Wohnungsbau, erst in den Brutstätten raffgieriger Großstadtspekulation erwiesen sie sich als Zaum und Zügel nötig. Das Übergreifen der für den Städtebau gültigen Forderungen in die ländlichen Bauweisen stiftete unermesslichen Schaden. Siebold verweist auf alte, einfach gebaute Schifferhäuser in Norderney, in denen mehrere Generationen groß geworden sind, und gibt dazu folgende Erläuterungen. Er ließ von einem dieser im Jahre 1766 erbauten Häuser Kostenanschläge nach dortigen Vorkriegspreisen machen, wobei sich die Summe von rund 3.363 Mark ergab. Nach damaligen Baupolizeibestimmungen wären 6.244 Mark nötig gewesen, und nach den erleichterten neuen Bestimmungen 5.276 Mark. Daraus ergibt sich, dass man nach den früheren Vorschriften gezwungen war, um fast 86 Prozent teurer zu bauen und nach den neueren auch noch um fünfzig Prozent! Außer sieben schönen Räumen, alle zur ebenen Erde gelegen, enthielt dieses Haus im Anschluss daran einen nicht kleinen Stall und einen großen begehbaren Bodenraum. Es enthielt Raum für zwei Familien.

In einem anderen Falle aus der Vorkriegszeit berechnete Siebold unter Berücksichtigung baupolizeilicher Bestimmungen die Bausumme eines Hauses auf 6.000 Mark, in ländlicher Flachbauweise auf 4.700 Mark. Nach den vereinfachten, damals durch Dispens erlangten, jetzt aber allgemein gültigen Vorschriften stellte sich der Preis auf 4.000 Mark, also eine weitere Ersparnis von 700 Mark. Im Ganzen wurden durch die ländliche Flachbauweise unter Benützung des gegebenen Dispenses 2.000 Mark erspart. Rechnet man nun, dass vielleicht im Jahre 150.000 Kleinwohnungen durchschnittlich erbaut wurden, so bedeutet die Anwendung der ländlichen Flachbauweise und der vereinfachten baupolizeilichen Bestimmungen eine jährliche Ersparnis am Volksvermögen von 300 Millionen Mark; in den letzten zwanzig Jahren einschließlich Zinsen mindestens acht Milliarden. An dieses allerdings überzeugende Ergebnis knüpft Siebold die Forderung, die ländliche Flachbauweise mit erleichterten baupolizeilichen Bestimmungen künftig für alle Ansiedelungen zwangsweise einzuführen und nur für derartige Siedelungen Zuschüsse zu geben. Ein Ziel, dessen Erreichung aufs innigste zu wünschen ist!

Die weiteren Ausführungen Karl Siebolds über Erschließung baureifen Geländes und die Durchführung der Anlagen von Siedelungen liest man am besten in seiner Schrift nach. Die Abhandlung Siebolds ist besonders wertvoll, weil sich darin auch für das Elend unserer baupolizeilichen Einengungen weitere treffliche Belege finden. Trotz des neuen Erlasses vom 26. März 1917 sind die dankenswerten Milderungen noch nicht weitgehend genug. Nach persönlicher Mitteilung ist es noch heute trotz aller neuen Vorschriften und Erleichterungen nicht möglich, derartige Häuser, wie sie in Norderney stehen, zur Aufbewahrung von Geräten, wie Karren und Leitern, zu bauen, während dort darin schon drei Menschengeschlechter gesund groß geworden sind! Angesichts solcher Tatsachen ist es dringend nötig, die Schäden, welche die Baupolizei hervorgerufen hat, aufzudecken und zu beschneiden und letztere endlich zu positiver Arbeit umzuschulen.

Mit dem unbedingt notwendigen Aufgeben der aus den Städten fälschlicherweise aufs Land verpflanzten Bestimmungen, wodurch doch nur Zerrbilder städtischer Anlagen entstanden sind, muss ein weiterer, entscheidender Schritt zur Gesundung des Bauwesens erfolgen. Die teure Kanalisation ist unnötig, die Fäkalien sind wichtig als Düngemittel für die Gärten. Die Straßen sind schmal zu bauen, mit einseitigem Bürgersteig in höchstens vier bis sechs Meter Breite. Bei Wohnwegen bedarf es dieser Matze nicht. Wichtig ist die Anlage eines bei städtischen oder halbstädtischen Siedelungen jeweils entsprechend großen Nutzgartens. Wir müssen durchaus umlernen, ehe es zu spät ist, um aus dem Elend unserer großstädtischen Wohnweise herauszukommen. Die baupolizeilichen Vorschriften müssen anders gehandhabt werden; Forderungen, die in der Großstadt entstanden sind, werden, auf die ländliche Siedlungsweise des Flachbaues ausgedehnt, sinnlos. Für alle Bestrebungen zur Verbilligung des Bauwesens muss freie Bahn geschaffen werden.

Die Baupolizei, die eigentlich ein Schutz für uns sein sollte, ist eine schwere, unnütze Last. Siebold fordert: Platz zum Leben und als „deutsches Wohnungsideal“ das Einfamilienhaus mit einem Nutzgarten, groß genug, um durch eigene Arbeit aus den Erträgnissen mindestens den Bauplatz verzinsen zu können. Alle diesem Zwecke entgegenstehenden Hindernisse auf dem Gebiet des Bodenrechts, der Finanzwirtschaft und der Baupolizei müssen beseitigt werden.

Für die Wohlfahrt unseres Volkes, das sich aus aller Not wieder emporraffen soll und wird, muss alles getan werden, ihm gesunde Lebensbedingungen im Wohnungswesen m schaffen.

Seemannshaus auf Norderney, erbaut im Jahre 1766.
Siedlungsverein Nürtingen: Sechsfaches Reihenhaus, Gartenseite mit Stallanbauten.
Siedlungsverein Reutlingen: Doppelhaus, Gartenseite.
Siedlungsverein Groß-Stuttgart: Heimstättenanlage Kanonenweg.
Reihenhäuser des Siedlungsvereins Reutlingen.
Siedlungsverein Wasseralfingen: Doppelhaus.

Bau, Seemannshaus auf Norderney, erbaut 1766

Bau, Seemannshaus auf Norderney, erbaut 1766

Bau, Reihenhäuser des Siedlungsvereins Reutlingen

Bau, Reihenhäuser des Siedlungsvereins Reutlingen

Bau, Siedlungsverein Groß-Stuttgart, Heimstättenanlage Kanonenweg

Bau, Siedlungsverein Groß-Stuttgart, Heimstättenanlage Kanonenweg

Bau, Siedlungsverein Nutingen, Sechsfaches Reihenhaus, Gartenseite mit Stallanbauten

Bau, Siedlungsverein Nutingen, Sechsfaches Reihenhaus, Gartenseite mit Stallanbauten

Bau, Siedlungsverein Reutlingen, Doppelhaus, Gartenseite

Bau, Siedlungsverein Reutlingen, Doppelhaus, Gartenseite

Bau, Siedlungsverein Wasseralfingen, Doppelhaus

Bau, Siedlungsverein Wasseralfingen, Doppelhaus