Der Fischfang an den Küsten von Neufundland.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 14. 1875
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Fischfang, Stockfisch, Kabeljau, Dorsch, Schellfisch, Jigger, Weichflosser, Fischmarkt, Fischereiflotten, Fischer, Fischerboote, Seeleute, Grundleinen, Angelhaken, Salz, Kiefernzweige,
Die Zahl derjenigen Fische, welche die für den menschlichen Haushalt wichtigste Ernte des Meeres bilden, beschränkt sich auf verhältnismäßig wenige Familien, und unter diesen steht die Familie der Weichfische oder Gadiden in einer der vordersten Reihen. Die Ordnung der Weichfische oder Weichflosser umfasst nur wenige Familien und Arten, z. B. den Stockfisch oder Kabeljau, den Schellfisch, Dorsch u. s. w., welche die Meere in den höheren Breiten der nördlichen Erdhälfte bewohnen, überall massenhaft und zugweise Vorkommen und daher für die Fischerei von ungeheurer Bedeutung sind. Diese verschiedenen Fischarten aus der Ordnung der Weichflosser versorgen das ganze Jahr hindurch die Fischmärkte mit den beliebtesten, wohlschmeckendsten und nahrhaftesten Fischen, welche für Millionen Menschen den Hauptunterhalt bilden und um deren willen Tausende von Schiffen zum Fang ausgerüstet werden und Hunderttausenden von Männern und Weibern Beschäftigung und Verdienst gewähren.

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Die Weichflosser waren ehedem auch in unseren nordeuropäischen Meeren häufig, aber die Kabeljau-Ernte in der Nordsee und an den britischen Küsten ist neuerdings tatsächlich geringer und unergiebiger geworden. Die europäischen Fischer bedienen sich zum Fang des Kabeljaus, Schellfisches und Dorsches langer Leinen, woran eine Menge Angelhaken befestigt und mit Muscheln, Weichtieren und kleinen Fischen (namentlich mit dem Kaplin oder Zwergdorsch) beködert sind, und schleppen hinter ihrem Boot ein Scharrnetz her. Vor 50 Jahren zog man an einer derartigen Grundleine mit 800 Angelhaken durchschnittlich 750 Fische, worunter Exemplare bis zu 5 Fuß Länge; heutzutage zieht man an 4.000 Haken im Mittel kaum noch 100 Stücke. An den Küsten der Färöer und Shetlands-Inseln, sowie an der Nordostküste von England sind die Stockfische allgemein seltener geworden, und selbst der im Jahre 1860 neu entdeckte höchst ergiebige Fundort Rockall, eine nackte, nur 20 Fuß über den Meeresspiegel ragende und von einer ausgedehnten Sandbank umgebene Klippe zwischen den Hebriden und Island, wo man eine unberechenbare Menge der schönsten und größten Stockfische und darunter viele von Zentnerschwere fing, ist neuerdings minder ergiebig geworden.

Die reichste Ausbeute für den Stockfischfang liefert heutzutage die große Bank bei Neufundland an der amerikanischen Westküste, welche seit Beginn des 16. Jahrhunderts bekannt und um ihrer kolossalen Erträgnisse willen schon seit jener Zeit von europäischen Schiffen viel besucht und häufig der Gegenstand blutiger Kämpfe gewesen ist. Die Briten und die Amerikaner beuten heutzutage den dortigen Stockfischfang vorzugsweise aus, die Ersteren zuweilen mit 1.500 Schiffen und 12—14.000 Fischern; die Amerikaner mit 2.000 Schiffen und über 20.000 Seeleuten; die Franzosen, denen seit den kanadischen Kriegen nur noch die Inseln Miquelon und St. Pierre verblieben sind, haben dort auch jährlich im Durchschnitt 200 Schiffe mit etwa 3.000 Seeleuten auf dem Stockfischfange, und der Gesamtertrag der dortigen Fischereien beläuft sich auf viele Millionen Thaler jährlich. Die sogenannte „große Bank" im Osten von Neufundland ist eine felsige Untiefe von etwa 120 deutschen Meilen [eine deutsche Meile = 7,5 km] in der Länge und 40 deutsche Meilen in der Breite, welche sich in einiger Entfernung von der Küste hindehnt und ostwärts dann jählings nach der Tiefsee abstürzt. Ans dieser Bank, die durchschnittlich eine Tiefe von 10 —18 Klaftern hat, erscheinen die Stockfische im April und Mai und bleiben daselbst bis zum Anfang des Oktobers, und so lange dauert denn auch der Fang von Seiten der mit dem Frühjahr eintreffenden Fischerflotten; mit dem Oktober ziehen sich dann die Stockfische wieder in tieferes Wasser zurück und werden nur noch vereinzelt gefangen.

Der Fang geschieht mit den sogenannten Grundleinen, welche bald beködert, bald nur mit den sogenannten Jiggers versehen sind. Die Grundleine ist ein Seil von etwa 200 Ellen [Rostocker Elle = 0,5754 Meter] Länge, woran eine Menge kurzer Leinen mit den Angelhaken oder den Jiggers angebunden sind; sie wird durch Gewichte in die Tiefe versenkt und einige leere Tonnen an langen Leinen bezeichnen den Ort, wo die Grundleine liegt, die man von Zeit zu Zeit in die Höhe windet und von den erbeuteten Fischen befreit. Im Frühjahr bei Beginn des Fangs beißen die Stockfische nicht gerne aus Köder an und man bedient sich daher nur der Jiggers. Ein Jigger ist ein in Form eines kleinen Fisches gegossenes Stück Blei, welchem an der Stelle des Kopfes zwei nach außen gekehrte Angelhaken neben einander eingegossen sind, wie auf Skizze 2 unseres Holzschnitts zu sehen ist; man befestigt den Jigger an eine gewöhnliche Fischleine und lässt diese so tief hinab, als zu solcher Jahreszeit erfahrungsmäßig die Fische stehen; durch fortwährendes Zucken an der Leine erhält man den Jigger in einem hüpfenden Zustand; die Fische tummeln sich, von dem glitzernden Gegenstand ungezogen, um denselben herum und verfangen sich an einem der beiden Angelhaken, wie auf unserem Bilde zu sehen ist. Diese Fangart ist weit ergiebiger, als sie auf den ersten Blick erscheint, denn häufig fangen zwei Männer in einem Boot auf diese Weill per Tag 21 Zentner frische Fische, welche 7 Zentner trockene Stockfische geben. Der mittlere Ertrag per Mann die ganze Fangzeit hindurch ist ungefähr 3 Zentner frische Fische per Tag. Ist das Book gefüllt oder gegen Abend kehren die Fischerboote wieder nach der Küste zurück und liefern ihren Fang in den hölzernen Schuppen an den Anländen ab, wo die gefangenen Fische mit einer Art Mistgabel aus den Booten in die Tennenräume jener Schuppen geworfen werden, wie solches auf Skizze 4 unseres Holzschnittes zu sehen ist. Nun beginnt hier die Arbeit der Aufbereitung: ein Mann schneidet zunächst den Fischen die Köpfe ab, ein anderer schlitzt die Fische auf und entfernt die Lebern oder Eingeweide, aus welchen der bekannte Lebertran ausgeschmolzen wird. Der gespaltene und flach gedrückte Fisch wird dann auf Haufen geworfen, von einer kundigen Person eingesalzen und hernach auf Gerüsten, welche mit Kiefernzweigen überdacht sind, zum Trocknen aufgelegt, was gewöhnlich innerhalb drei Tagen geschieht. Vom Einsalzen hängt die Güte des Stockfisches als Kaufmannsware ab; zu wenig gesalzen verdirbt der Stockfisch leicht, zu stark gesalzen gilt er als „salzverbrannt“ und fällt im Wert. Unsere erste Skizze zeigt ein kleines Geschwader von Fischerbooten zu Anfang der Fangzeit auf der „Bank“ seewärts von der Küste; in unserer zweiten Skizze sehen wir den gefangenen Kabeljau, der sich anfangs mächtig sträubt, dann aber in sein Schicksal ergibt; auf der dritten Skizze geben wir die Ansicht einige Fischerwohnungen am Strande nebst den Landungsschuppen und Trockengerüsten, und die vierte Skizze veranschaulicht das Innere eines Landungsschuppens mit den darin umgehenden Arbeiten der Zubereitung der gefangenen Fische.

Der Fischfang an den Küsten von Neufundland

Der Fischfang an den Küsten von Neufundland

Der Fischfang an den Küsten von Neufundland - Fischerboote in See vor der Küste

Der Fischfang an den Küsten von Neufundland - Fischerboote in See vor der Küste

Der Fischfang an den Küsten von Neufundland - Ein Stockfisch (Kabeljau) mit dem Jigger gefangen

Der Fischfang an den Küsten von Neufundland - Ein Stockfisch (Kabeljau) mit dem Jigger gefangen

Der Fischfang an den Küsten von Neufundland - Fischerwohnungen nebst Landungsschuppen

Der Fischfang an den Küsten von Neufundland - Fischerwohnungen nebst Landungsschuppen

Der Fischfang an den Küsten von Neufundland - Im Innern eines Zubereitungs-Hauses

Der Fischfang an den Küsten von Neufundland - Im Innern eines Zubereitungs-Hauses