Wallmodens Abberufung aus Mecklenburg

26. Wenn Fürst Eckmühl seinen ganzen Plan in Rechnung auf eine übergroße Ängstlichkeit des Kronprinzen gebildet gehabt hatte, wie wir vorhin ihm unterstellen zu müssen glaubten, so lief der Erfolg dieser seiner Erwartung ganz entgegengesetzt aus. Denn statt sich für Stralsund und Pommern zu beunruhigen und dem General Wallmoden zu succurriren, sandte der Kronprinz demselben vielmehr unvermutet die Ordre zu, mit den unter seinem unmittelbaren Kommando befindlichen Truppen unverzüglich auf Brandenburg an der Havel zu marschieren und in Mecklenburg nur die Corps von Tettenborn und Vegesack gegen den Marschall Davoust stehen zu lassen.

Der Zusammenhang der Umstände, in deren Überblick die Erklärung dieser von dem Oberbefehlshaber der Nordarmee zur Verstärkung seiner rechten Flanke angeordnete Maßregel leicht sich darbietet, war folgender.


Die von Napoleon gegen Berlin bestimmte Armee unter dem Marschall Oudinot, die sich, wie man aus der vorgesagt erbeuteten Depesche bereits wusste, bei Barut (der damaligen kgl. sächsischen Grenzstadt gegen die Mark Brandenburg) gesammelt hatte, war am 21. August in die Gegend von Trebbin vorgedrungen; sie hatte die hier in vorderster Linie vor der Front des Kronprinzen getroffenen Verteidigungsanstalten an der Nute bewältigt und die preußische Brigade von Tümen zurückgedrängt, hatte am 22. noch mehr Boden gewonnen, und lagerte am Abende dieses Tages nur mehr einen Marsch von der preußischen Hauptstadt, freilich von diesem Ziele kühnster Gedanken noch durch eine Truppenmauer von etwa 100.000 Mann getrennt.

Unter den Einleitungen zu der für den 23. bevorstehenden Schlacht hatte der Kronprinz den von der Blockade von Magdeburg abgezogenen und vorläufig bei Brandenburg als Sicherungsposten stehen gebliebenen General von Hirschfeldt eben nach Saarmund (7 1/2 Meilen weit, die durch einen Gewaltmarsch mit Zuhilfenahme von Fuhrwerken wirklich zurückgelegt wurden) an seinen rechten Flügel herangerufen, als ihm, wie es scheint, am Schlachttage selbst, eine bedenkliche Meldung zuging. Der bei der Festung verbliebene General von Puttlitz nämlich hatte sich vergeblich angestrengt, den aus Magdeburg hervorgebrochenen General Girard wieder hineinzutreiben; er hatte sich zuletzt selbst genötigt gesehen, fechtend demselben Feld zu geben, und sich am 21. August (in der Richtung auf Ziesar oder Brandenburg, also) auf der Berliner Straße zurückgezogen.

Gegen diese, offenbar der Bestimmung Oudinots zur Seite stehende, im entscheidenden Momente die Flanke der Nordarmee bedrohende Bewegung des Generals Girard, deren materielle Stärke sich natürlich auch nicht sofort ermessen ließ, wurde Wallmoden herbeigerufen.

27. Der Befehl des Kronprinzen kam, wie es scheint, den 25. bei Wallmoden an, und der General traf augenblicklich seine Anordnungen. Jetzt galt es erst recht, das ins Werk zu richten, wovor Napoleon seinen Marschall hatte warnen wollen: ihn zu maskieren, den Weggang Wallmodens zu verbergen, durch kühnes Beginnen die Täuschung größerer Zahl zu erregen, den Feind dadurch unsicher zu machen, um ihn, wenn möglich, auf dem Fleck festzuhalten, wo er sich befand.

Diese Aufgabe fiel nunmehr der Abteilung Tettenborn zu. Während daher dieser General sich mit der Masse seiner kosakischen und der Lützowschen Reiterei von Warsow weg nach Fahrbinde, nördlich von Wöbbelin, vor die Front des Feindes begab, musste der Major von Lützow mit einer Reiterpartei von beiden Truppen, klein, wie die Umstände sie einzig erlaubten, von Warsow zu einem Streifzuge im Rücken der Armee von Schwerin aufmachen, der ihn am Spätabende des 25. nach Gottesgabe, in noch dunkelnder Frühe des 26. an die Gadebuscher Straße führte, wo es den Vormittag bei Rosenberg zu einem Gefechte kam, bei welchem Teodor Körner seinen Tod fand; *) unterdessen an eben diesem Morgen das gesamte Lützowsche Fußvolk von Kraak nach Wöbbelin geschoben worden war, wo es den Platz der abgegangenen Truppen Wallmodens hatte einnehmen müssen.

*) In der Schrift „Das Grab bei Wöbbelin“ ist dieses Gefecht mit Benutzung aller Überlieferungen ausführlich dargestellt S. 123 ff.

Wallmoden selbst befand sich am 26. August schon zu Grabow. Hier lief aber noch an demselben Tage die frohe Siegesmeldung von dem Ereignis ein, das am 23. südlich von Berlin dazwischen getreten war.

Der Marschall Oudinot nämlich hatte am 23., dem Tage der Besetzung Schwerins durch die Franzosen, in drei parallelen Colonnen vorgehen zu können gemeint.

Die rechte derselben unter General Bertrand, bei welcher sich die württembergischen Truppen befanden, war schon am Morgen des Tages auf das preußische Corps Tauentzien bei Blankenfelde gestoßen, drei Meilen von Berlin, und hatte sich am Nachmittage mit Verlust zum Rückzüge genötigt gesehen. Die mittlere Kolonne unter General Neynier, aus zwei Divisionen Sachsen und einer Division Franzosen bestehend, hatte in den Abendstunden von sechs bis acht Uhr eine vollständige Niederlage erlitten durch die Preußen unter Bülow bei Großbeeren, zwei Meilen von Berlin. Durch diesen Ausgang war auch die linke französische Marschkolonne unter Oudinots persönlichem Befehle gezwungen worden, in der Nacht den Rückzug anzutreten. Sie hatte ihre Richtung gegen Ruhlsdorf gehabt, wo die Schweden standen; doch war es dort den ganzen Tag kaum zu etwas mehr als Plänkelei und Kanonieren gekommen.

Infolge dieser Wendung bei der Nordarmee durfte Wallmoden bereits am 27. mit der Umkehr nach Wöbbelin beginnen. Die ganze Kriegslage hier hatte damit ein anderes Aussehen bekommen: Wallmoden konnte sich rückwärts, auf der Seite nach Berlin, für gesichert halten; der vor ihm befindliche Feind war schon um seinen Preis betrogen; und keine Unternehmung desselben konnte noch eine dauernd gefährliche Folge haben.

28. In dem Überschlage über die zu Tage getretene Kombination Napoleons hatte der Kronprinz durch die Tat gezeigt, welches von den beiden Hilfsmitteln zur Unterstützung von Oudinots Frontalangriff ihm wirkliche Besorgnis einflößte; und so halte er die ihm zur Verfügung stehende Waffenmacht da verwenden wollen, wo es sich um die höchste Entscheidung handelte, und wo sie folgeweise am nützlichsten werden konnte. Dem geschärften Blicke eines Fürsten, der die Eigenschaften des Staatsmanns und des Feldherrn in sich vereinigte, konnten die politischen und militärischen Gründe nicht entgehen, unter deren Zwange der Marschall Davoust stand. Man bekommt dadurch mit der Beweiskraft, wie eine Tat sie immer nur zu gewähren vermag, die Gewissheit, dass der Kronprinz, für den Marschall zeugend — ein interessantes Schauspiel — mit demselben in einerlei Ansicht zusammengetroffen war, das heißt, dass er seinerseits ihn ebenfalls außer Stande hielt, sich über Mecklenburg hinaus zu begeben, weil der Entschluss hiezu in Abhängigkeit von Bedingungen sei, die erst dadurch herbeigeführt werden könnten, wenn bei Berlin die Würfel für Oudinot fielen.

Und dies war der ersprießlichste Dienst, den die Intuition seines überlegenen Talentes der allgemeinen Sache leisten konnte, dass er aus dem Ensemble der Verhältnisse und der Charaktere das Inoffensive der Rolle Eckmühls erkannte, so lange sich bei Berlin noch nichts Günstiges für dessen Partei ereignet hatte, und dass er andererseits die große Bedeutung ahnte, die sich in den Berechnungen Napoleons an das Gelingen seines Anschlages gegen das Nordheer knüpfte. Wie richtig Karl Johann in diesem Stücke Napoleon beurteilt habe, das erhellt unmittelbar aus den Schlussworten der kaiserlichen Depesche vom 13. August an Oudinot: „Der Kaiser selbst hat mit der großen Armee keinen andern Zweck, als Ihre Operation zu beschützen und die österreichische und russische Armee (damit meint er die im Sprachgebrauche der Verbündeten sogenannte böhmische und schlesische Armee) im Zaume zu halten.“ Die Operation gegen Berlin war — man mag zur Erklärung denken, was man wolle — damals die einzige große Offensive, welche Napoleon vorhatte. Um so mehr hing also für die Alliierten davon ab, dass sie misslang, und um so löblicher war es von Seiten des Kronprinzen, dass er das Seinige tun wollte, um das Gelingen zu verhüten.

29. Wenn es mit dieser vorstehenden Darstellung seine Richtigkeit hat, dann ist es erlaubt, ein Befremden über die Anschauungen zu äußern, die sich in den mehrerwähnten Schriften von diesen Sachen kundgegeben haben.

Der Major Beitzke sieht in der Abberufung Wallmodens, die in diesem Falle hier allerdings durch eine spezielle Ordre des Kronprinzen geschah, das Äußerste, wodurch sich der böswillige Vorbedacht desselben am deutlichsten herausstellte. „Um das Maß der Zerstreuung der Kräfte aber voll zu machen, so wird von ihm versichert, erhielt Wallmoden vom Kronprinzen den Befehl, am 25. August (?) sich (dem Zusammenhange zufolge, von Hagenow, denn Beitzke weiß, wie schon gesagt, von Wöbbelin als einem Wallmodenschen Stadium zwischen Hagenow und Grabow nichts) über Grabow der Elbe und der Priegnitz zu nähern, um, wie es in dem schwedischen Befehle heißt, die weiteren Operationen des Marschalls, Prinzen von Eckmühl zu beobachten.“ — Aus Mangel der Einsicht, dass die Wegbescheidung Wallmodens mit der augenblicklichen Lage bei Berlin in dem engsten Zusammenhange stand, ein Mangel, dem übrigens schon die Schrift über Wallmoden hätte abhelfen können, wird hier dem Kronprinzen die Ungereimtheit zugetraut, den General Wallmoden zur Beobachtung seines Gegners in einen so beträchtlich weiteren Abstand von demselben gerufen zu haben.

Es wird an dem Major Beitzke sein, die Existenz eines kronprinzlichen Befehles mit dieser Motivierung urkundlich zu erweisen. Wäre ein solches Dokument im Wallmodenschen Hauptquartier vorhanden gewesen, so würden Wallmoden selbst und die für ihn geschrieben, schwerlich unterlassen haben, dasselbe in extenso mitzuteilen, als schlagenden Beweis ihrer Berechtigung, sich von dem Kronprinzen des Übelsten zu versehen. Beitzke hat die primären Schriften über die niederelbischen Vorgänge, auf die der Historiker allerdings zurückgehen muss, nicht eingesehen, sondern er hat nur aus zweiter, dritter Hand entnommen; und so mag er in einem seiner Hilfsmittel ein daselbst durch Flüchtigkeit verschuldetes Missverständnis einer Stelle angetroffen haben, die sich in dem schon 1814 zu Leipzig erschienenen „Feldzug des Kronprinzen von Schweden“ S. 171 nachlesen lässt. Da der ungenannte Autor dieser Schrift entschiedenst schwedischer Parteigänger war, so mag, was derselbe erstens als sein, des Erzählers, persönliches Referat und zweitens als eine augenscheinlich noch nicht zur Klarheit durchgebildete Vorstellung von dem Ineinandergreifen der Begebnisse beibringt, nach und nach als „schwedischer“ Bericht, dann in veränderter Beziehung, und endlich als schwedischer „Befehl“ aufgefasst sein.

Der andere, der anonyme Geschichtsschreiber des Wallmodenschen Corps besaß von der Kausalität in diesen Kriegshandlungen ein zu gutes Verständnis, um aus der Maßregel des Kronprinzen, wie außerordentlich sie war, eine Beschwerde gegen denselben zu machen. Allein indem er sich in der Methode seiner Arbeit (einer bloßen Skizze, die nirgends erläuternde Erzählung ist) einer Freiheit bedient, der gemäß er in der Anordnung der Materien, namentlich bei der hier einschlagenden Partie S. 24 ff. das Prinzip der chronologischen Ordnung fahren lässt und sich fortwährende Eingriffe in die Kontinuität der Ereignisse gestattet, wovor kein zeitlich sich entwickelndes Bild derselben aufkommen kann, bringt er die Entbietung Wallmodens nach Brandenburg an einem Orte und mit einer Datierungsweise vor, die wohl er selbst, nicht aber ohne Weiteres der Leser richtig zu verstehen vermag. „Es trat, sagt er, sogar der Fall ein, dass am 26. August (?) durch den Kronprinzen von Schweden, der zwischen beiden Schlachten von Großbeeren und Dennewitz Besorgnisse wegen seines rechten Flügels hegte, das Corps des Generals Wallmoden den Befehl erhielt, mit dem größten Teile nach Altbrandenburg zu marschieren und indessen den Marschall Davoust zu maskieren; es ließ daher der General Wallmoden den General Tettenborn mit etwa 4.000 Mann in der Stellung bei Wöbbelin und marschierte mit dem Rest am 26. nach Grabow... Auch dieses gewagte Stück hatte keine Folgen“ (nämlich von Seiten des Marschalls Davoust).

Durch diese Worte verrückt der Schriftsteller den Gesichtspunkt für die Beurteilung. Denn „zwischen den beiden Schlachten“ heißt so viel als: nach dem Siege von Großbeeren; und damit fiele die Ordre des Kronprinzen in eine Zeit, wo mit Beseitigung der Gefahr die Rechtfertigung schon aufgehört hatte. Wenn so, wie hier, mit der zeitlichen Folge auch die ursächliche schwankend wird, dann ist die Manier, den geschichtlichen Stoff zu gruppieren, niemals zu billigen.

Die Abberufung Wallmodens aus Mecklenburg ist ein Faktum, welches für sich allein schon dein Historiographen dieses Generals den Argwohn hätte verbieten sollen, dass eine Schlappe desselben von der Hand Davousts dem Kronprinzen nicht unangenehm gewesen sein würde. Denn nichts ist einleuchtender, als dass, wenn ich Jemanden einer Gefahr entziehe, ich nicht will, dass er darin umkomme. Die Verdächtigung dieses Schriftstellers, wie wir sie vorhin [1] aus seinem eigenen Munde vernahmen, dass der Kronprinz den Vorwand gern gebraucht hätte, um davonzugehen und sich an die Dänen zu machen, kann nicht energischer niedergeschlagen werden. Überdies, würden die preußischen und die russischen Generale seiner Treulosigkeit gefolgt sein? Und hätt' er's denn etwa mit den Dänen allein zu tun bekommen? Welchen Täuschungen musste der Kronprinz sich hingeben, um dem kombinierten Feinde gegenüber (der, abgesehen von den Stützpunkten in Hamburg und Harburg, in Glückstadt und Rendsburg, und von den weiter zurück auf den Inseln noch befindlichen dänischen Truppen, numerisch schon durch seine Feldmacht der gesammten schwedischen Armee in Deutschland überlegen war) um also einen Erfolg für Norwegen zu hoffen, bevor ihm nicht durch ein Ereignis wie das über Leipzig der Weg geebnet war!

Der anonyme Autor rechnet ein wenig zu sehr auf die Gedankenlosigkeit seines Publikums; und so glaubt er, neben seiner ersten, vorwiegenden Tendenz, den Leser gegen die Gesinnung des Kronprinzen einzunehmen, auch die andere verfolgen zu können, nämlich den Marschall Davoust in einem unvorteilhaften Lichte erscheinen zu lassen. Für dessen gesamtes feldherrliches Verhalten vermag er keine andere Erklärung aufzufinden, als „Ängstlichkeit, Untätigkeit, Unentschlossenheit,“ — nicht bedenkend, dass in demselben Maße, wie das richtig wäre, auch der Ruhm Wallmodens, vor einem solchen Gegner das Feld behauptet und dadurch dem Kronprinzen einen Strich durch den verräterischen Kalkül gemacht zu haben, eine Abminderung erleiden würde. In der obigen Stelle soll es dem Fürsten Eckmühl zum Vorwurfe dienen, dass er von der Abwesenheit Wallmodens nichts gewahr geworden sei und nicht die, so knapp gemessene, Zwischenzeit benutzt habe, um über die Schwäche Tettenborns herzustürzen. — Hierbei ist der umfangreichere Standpunkt des nachherigen Betrachters, der Alles schon in der Uebersicht eines Augenblickes als bekannte Tatsachen vor sich hat, nicht von dem notwendig viel enger begrenzten Standpunkte des Handelnden unterschieden; und es ist auch vergessen, dass es Pflicht des Historikers ist, den letzteren Standpunkt sich selbst und den Lesern stets zu vergegenwärtigen. Auch hat es dem Verfasser nur durch die Entbindung von der historischen Regel, das Geschehene in der natürlichen Reihenfolge vorzuführen, möglich werden können, nicht unmittelbar darauf bemerklich machen zu müssen, dass gerade in dem Momente, als Wallmoden von Wöbbelin fortging, des Marschalls volle Aufmerksamkeit, zum Glück für die Unsern, nach der entgegengesetzten Seite gewendet war.