Der Abschied

Das Wetter war noch eben so schön geblieben, als es auf unserer Reise nach Hamburg und Lübeck gewesen, und dennoch kamen mir die letzten zwei Tage in Ludwigslust trübe und dunkel vor. Dieses lag aber nicht an dem Himmel, denn der war klar und hell, sondern an meinem Auge, welches trübe war und das Herz war es auch. Ich gedachte an Das, was während der drei Jahre in Ludwigslust an mir und für mich geschehen war und wie wenig, ja wie gar nichts ich dagegen getan. Es bedurfte der feurigen Kohlen nicht, welche meine hochsinnige Herrschaft in ihrer weit über die Grenzen des Gewöhnlichen gehenden Güte durch Gaben, die ich nie verdient hatte, auf mein Haupt sammelte, um mir den inneren Vorwurf, den ich im Herzen fühlte, recht glühend heiß zu machen. Der Naturtrieb in mir, welcher mich hinwegzog, war auf einige Zeit gleichwie entschlafen; während er schwieg, hörte ich nur, so oft ich mit mir allein war, die Stimme des Rufers in meinem Inneren, die mich an meine Schuld gegen Gott und Menschen mahnte. Hast du nicht, so hieß es in mir, der Taufe, des leicht an dir vorübergehenden Ungewitters (m. v. S. 186) nur entlaufen wollen, als du von deinem hiesigen Posten so hinwegstrebtest? Kann und wird diese nicht anderwärts noch stärker über dich kommen, als du sie hier erfahren? Was kannst du antworten auf die Anforderung: tue Rechnung von deinem Haushalten? Welche Last des Undankes für so viele hier empfangene Wohltaten nimmst du mit dir hinweg; wie kalt und roh hast du dich losgerissen von dem gastlichen Herde, wo man dich mit nachsichtsvoller Liebe aufgenommen und gepflegt hat, und mit immer neuen und größeren Wohltaten fest halten wollte.

Ich konnte dem Wächter in meinem Inneren auf Tausend nicht Eines antworten; wie ein Geschlagener und Träumender ging ich umher, um noch die Freunde zu sehen und zu segnen und dankbaren Abschied zu nehmen von Freunden und Bekannten. Was ich da gesprochen, das weiß ich nicht mehr, es mag aber wohl aus bewegtem Herzen gekommen sein. Hätte ich jemals daran zweifeln können, so würde ich jetzt es erkannt haben, wie sogar liebevoll und gut die teuren Kinder des Herrn Erbgroßherzogs gegen mich gesinnt waren, und wie vor Allen der Prinz Albrecht recht an mir hing. Doch es gab da eine Mutterliebe und weise mütterliche Obhut, in deren Hände man die Sorgen des Abschiedes nicht zu legen brauchte, denn sie lagen besser, lauterer und treuer darin, als man selber sie empfunden. — Was soll man von einem solchen Abschiede sagen, welcher die erhebenden Kräfte eines Grußes beim Wiedersehen in der seligen Ewigkeit in sich trägt. Das ist ein Vorgeschmack der Lust der Ernte mitten unter der Last und Mühe der Aussaat. Ja, die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen, kommen mit Freuden und bringen ihre Garben. Friede sei über Israel.


Mein teurer, lieber Erbgroßherzog, welcher weicher von Herzen war, als die Welt es wusste, schien das Abschiednehmen von mir ganz vermeiden zu wollen, es war seine Absicht, früh am Morgen des letzten Tages meines Dortseins von Ludwigslust zu verreisen. Als ich dieses noch am Abende vorher erfuhr, da konnte ich dem Drange nicht widerstehen, ihn noch einmal zu sehen, noch einmal ihm für all' seine Güte und Liebe zu danken. Und wie trat doch selbst in dieser letzten Stunde neben dem Danke ein Schein des Undankes an mir hervor, als der gütige Fürst, noch einmal in wahrhaft herzlicher Weise bedauernd, dass ich sein Haus verlassen wolle, mir beim Abschied die Hand reichte und mich zu dem Versprechen aufforderte, dass ich, wenn er einmal zur Regierung käme, wieder zu ihm zurückkehren wolle. Es ist mir noch jetzt ein Schmerz und wird mir dieses fortwährend ein solcher bleiben, dass ich mich unvermögend fühlte, dieses Versprechen zu geben. Ich schied schwer von dem teuren Fürsten.

Ich erwähne der übrigen letzten Besuche bei den Freunden nicht. Mehrere von ihnen, wie Caroline von Bose, wie die Frau Lenthe, wie der gütige, treugesinnte Hofmarschall von Oertzen, sind bald nachher zu ihrer Ruhe eingegangen und noch vor ihnen hat der edle Erbgroßherzog Friedrich Ludwig seinen so oft mühselig dunklen Erdenlauf beendigt; Minister von Plessen war wieder nach Frankfurt zurückgekehrt, wo ich ihn im Herbste des nächsten Jahres zum letzten Male im Leben sah. Gesegnet sei mir dein Andenken, du Stätte meiner Heimsuchungen und Tröstungen. Gesegnet, du liebes, teures Land, über welches in den Jahren und Jahrhunderten der äußeren wie inneren Kämpfe so viele Wetter gegangen sind. Die Feinde deines geistigen wie leiblichen Wohles haben dich oft gedrängt, aber sie haben dich nicht übermocht. Und wenn ich das bedenke, was ich zu meiner Zeit mit meinen Augen gesehen, mit meinen Ohren gehört habe, und das Werk bettachte, welches jetzt in deiner Mitte begonnen hat, dann freue ich mich als ein alter Mitbürger mit deinen Treuen im Lande und rühme mit ihnen: der Herr hat Großes an uns getan, des sind wir fröhlich. Denn deine Lehrer, die dich Gerechtigkeit lehren (Joel 2, V. 23) werden mit vielem Segen geschmückt, deine Fürsten haben fürstliche Gedanken. Ja, wir wünschen dir Glück, es müsse wohl gehen Denen, die dich lieben!