Der Erdschlipf in Whitby

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1871
Autor: O. M., Erscheinungsjahr: 1871

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Erdrutsch, Bergsturz, Naturkatastrophe,
Erdschlipfe oder Erdrutsche nennt man das Abgleiten und Fortrutschen losgerissener Erdschichten oder Felsenmassen, welche meist da Vorkommen, wo sich unter einer Schicht von Dammerde Schiefer- oder Tongrund befindet und der Boden eine starke Neigung hat, oder wo Felsgestein von verschiedener Härte und Dichte in wechselnder Schichtung unter stark geneigten Winkeln übereinanderliegt und wo Regen, Schnee oder Quellwasser eine der Zwischenschichten aufgeweicht und gelockert hat, so dass sie unter dem Druck der schrägen Überlagerung weicht und durch die Wucht ihrer eigenen Schwere niedergleitend, Bäume, Felsen und Gebäude mit sich fortreißt. Wasser spielt dabei immer eine Hauptrolle; oft tragen auch Erdbeben und Erdstöße dazu bei, einen Erdschlipf vorzubereiten. Wo aber vulkanische Tätigkeit nicht ins Spiel kommt, da ist ein Erdschlipf immer etwas höchst Ernstes und Erschreckendes.

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Erdrutsche von größerem Umfang kommen ziemlich häufig an der Meeresküste, sowie an Stellen vor, wo stark geneigte Erdschichten plötzlich gegen ein Tal oder Flussbett auslaufen, und wir haben davon schon einige merkwürdige Beispiele in Deutschland und der Schweiz erlebt — wir führen, abgesehen von der Verschüttung von Goldau durch den Bergsturz des Ruffi von den Felsenstürzen zu Felsberg bei Chur, nur die Erdschlipfe bei Elberfeld im Dezember 1850 und bei Biberegg in der Schweiz 1851usw. an. Noch häufiger sind derartige Erscheinungen an der britischen, namentlich an der Südküste der Insel Wight, wo zwischen den Felsenschichten oft eine Schicht blauen Tonmergels eingelagert ist, welche leicht vom Wasser aufgeweicht wird und dann unter starken Neigungswinkeln des geschichteten Gesteins ins Rutschen kommt. Dies geschah auch bei Whitby, wie unsere beiden Holzschnitte auf S. 565 darstellen. Auf die starken Regen um Mitte Dezembers v. J. folgte starker Frost; das Gefrieren des durch die blaue Mergelschicht sickernden Tagwassers und der darin verlaufenden Adern: von Quellwasser lockerte durch seine ausdehnende Gewalt diese schlüpfrige Schichte noch mehr und in der Nacht auf den 21. Dezember verkündete ein Krachen der Wände und Decken den Bewohnern der unter der Felsenklippe liegenden Häuser die nahende Gefahr. Die Bestürzung lief von Haus zu Haus und alle beeilten sich, ihre bewegliche Habe in Sicherheit zu bringen. Bald zeigte sich, dass der Streifen Land, auf welchem die Häuser erbaut, am Boden geborsten war und nach dem Hafen hinunter zu rutschen begann. Ein Teil des Kirchhofs und das darüberliegende Feld waren auf eine Breite von 3—4 Ruthen ebenfalls in Bewegung geraten und die dahinter liegenden Häuser rutschten nach, zerbarsten teilweise und zerdrückten oder zerbrachen Alles, was darin war. Die ganze Masse setzte sich jetzt in stärkere Bewegung, welche am 22. Dezember noch den ganzen Tag fortdauerte, so dass am 23. verschiedene Häuser um 20 Fuß tiefer standen als zuvor, mehrere ganz, andere teilweise in Trümmer gelegt wurden, mehrere in die See stürzten und einige andere ganz schief dahingen, als ob sie einstürzen wollten. Etwa ein Dutzend solcher Häuser mussten seither abgetragen werden, weil sie nicht mehr bewohnbar waren. Vor 83 Jahren hatte in Whitby ein ähnlicher Erdschlipf von noch ernsteren Folgen stattgefunden. O. M.

Der Erdschlipf in Whithby

Der Erdschlipf in Whithby

Der Erdschlipf in Whithby 2

Der Erdschlipf in Whithby 2