Der Engländer in Darmstadt

Autor: Schorn, Johann Karl Ludwig von Dr. (1793-1842) deutscher Kunsthistoriker, Redakteur und Publizist, Erscheinungsjahr: 1836
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Darmstadt, Heidelberg, Reisen in Deutschland, Landessitten
Aus: Morgenblatt für gebildete Stände. Sonnabend, den 30. Januar 1836
Es ist eine wahre Schande für die Engländer, dass sie, unsere Stammgenossen, deutsche Sitten und Gebräuche häufig nicht viel besser auffassen, als die leichtfertigen Franzosen. Der Marquis und der Froschesser haben längst aufgehört, in den Augen der Engländer Typen der französischen Nationalität zu sein; aber dulness und stupidity sind nur noch zu häufig die Lieblingsausdrücke der Touristen, wenn sie sich über deutsche Anstände auslassen, und von unseren „republikanischen“ Burschen wissen sie Geschichten zu erzählen, dass man meint, es sei von den Fuchsindianern die Rede. Eines der abgeschmacktesten Bücher in dieser Beziehung ist das vor uns liegende: My Note Book, by J. Macgregor, Esq. Wir geben daraus zur Belustigung eine kleine Probe.

Wir fuhren über die ehrwürdige steinerne Mainbrücke in das schmutzige Judennest Sachsenhausen. Gruppen österreichischer Soldaten, gleich Riesenkindern in Flanellwindeln und schwarzen Strümpfen, lehnten faul am Brückengeländer oder in den Fenstern einer gewaltigen Kaserne, dereinst des Palastes deutscher Ritterschaft. Wir betraten bald das Gebiet des Großherzogs von Hessen-Darmstadt, der, ein guter, behaglicher Regent, den Ertrag seiner Zölle an das politische Oberhaupt von Norddeutschland verpachtet hat, und preußische, nicht hessische Zollbeamte erhoben die Gebühren. Diese und die Polizei waren gegen mich ziemlich artig, nicht so gegen Joseph, den französischen Bedienten; der arme Bursche hat, seit er den Fuß auf deutschen Boden gesetzt, kaum einen freundlichen Blick bekommen, und zwar nur, weil er ein Franzose ist, und er konnte sich, besonders in Preußen, gehörig überzeugen, wie sehr sein Land, und was ihm angehört, in Deutschland verabscheut ist. In Darmstadt erfuhr ich, vor vier Uhr des andern Morgen gehe keine Post nach Heidelberg. Ich hatte somit sieben Stunden bei schönem Sonnenschein in dieser neu aussehenden, steifen, langweiligen Stadt zuzubringen. Die grasbewachsenen Straßen sind gerade, die Häuser zierlich, weiß, ziemlich gleich groß, und der neue Palast, wo der junge Großherzog und seine schöne Herzogin wohnen, gleicht einer großen, respektablen Kaserne. Die kleinen deutschen Hauptstädte sind sprichwörtlich langweilig und dumm, und in Darmstadt sagte man mir in einem kleinen Buchladen, wo ich eine agronomische Karte des Herzogtums kaufte, die Leute seien steif, schweigsam, und wenn sie den Mund auftun, so drehe sich das Gespräch immer und ewig darum, was ihre Herrn und Götter, der alte und der junge Herzog und die junge Herzogin, gesagt und getan, gekauft und getragen.

Der Aufenthalt an solch tödlich langweiligem Ort wäre verdrießlich gewesen ohne einen sehr guten Gasthof, die Traube auf dem großen Platz; dieser nahm mich nach einem angenehmen, aber ermüdenden Gang durch die Umgegend bis hinaus an den Saum des mythologischen Odenwalds wieder auf; ich hatte unterwegs auch in zwei, drei Bauerhäuser geblickt und mich nach der Lebensweise der Bewohner erkundigt. — Ich wollte ein Fuhrwerk mieten, das mich in einem Zuge nach Heidelberg schaffte. Der Kellner brachte vier oder fünf Männer, und diese versprachen, mich in einer ihrer Kaleschen nach Heidelberg zu bringen, wenn ich irgendwo unterwegs übernachten wollte. Ich berechnete, dass mich dies länger aufhalten würde, als wenn ich auf den Eilwagen wartete. Die einfältigen, langsamen, aber ehrlichen Bursche konnten nicht begreifen, warum ich auf ein paar Stunden Zeit so viel Wert legte, und schienen so darauf versessen, mich fortzuschaffen, dass sie drei, vier Stunden stehen blieben und mir Plane vormachten; immer hieß es aber, es gehe nicht an, wenn ich nicht wenigstens unterwegs vier Stunden liegen bleiben wolle, und dies sei doch gewiss kein Abhaltungsgrund, denn die Fahrt gehe so nur desto leichter vor sich. Der wahre Umstand war, dass sie sich unterwegs keine frischen Pferde verschaffen konnten; derselbe Gaul, mit dem ich aus Darmstadt fuhr, hätte mich bis Heidelberg ziehen müssen, und dies ist viel zu weit, als dass ein deutsches Pferd den Weg zurücklegen könnte, ohne dazwischen ein paar Stunden zu fressen und zu ruhen. Die Leute müssen mich für nicht viel weniger denn einen Gotteslästerer angesehen haben, als ich ihnen sagte: „Ich beklage mich nicht über eure Forderung, und euer Großherzog könnte mich vielleicht zwingen, mich von euch fortschaffen zu lassen; fiele aber er und alle Großherzoge und Großherzoginnen, welche je in Hessen regierten, vor mir auf die Knie und bäten mich, zu fahren, wie ihr es verlangt, und so viel Zeit dazu zu brauchen, ich täte es nicht, wenn es mir nicht behagte; glaubt also sicher, dass ich hier bleiben will, bis der Eilwagen abgeht.“ Dies wirkte; sie waren sichtbar verletzt, denn sie meinten, ihr Monarch müsse in jedem Winkel der Erde so gut bekannt und so hoch geachtet sein, als in seinem petit-grand Herzogtum. Man überließ es mir fortan, zu reisen, wie ich wollte, und ich erwähne diesen Fall, dergleichen mir auf meinen Reisen in Deutschland viele vorgekommen, als einen Beweis, um wie viel weniger man in diesem Lande die Zeit achtet, als in Ländern, wie England, die Vereinigten Staaten und selbst Frankreich; auch lässt sich wohl behaupten, dass in diesen kleinen Staaten die allgemeinen Begriffe vom regierenden Fürsten überall dieselben sind.

Nach sechsstündiger Fahrt befand ich mich auf der heiligen Brücke von Heidelberg, mit seiner erhabenen, malerischen Szenerie am klaren Neckar, mit seinen unvergleichlichen Schlosstrümmern und dem fröhlichen Gesang dir republikanischen Burschen.

Nicht selten trifft man in Deutschland, bald in Wäldern herumschlendernd, einander mal an den Wirtstischen, einen Trupp junger Leute mit tüchtigen Schrammen im Gesicht. Diese Helden haben ihren Mut, mit Schwertern erprobt, und sie sagen, „nach ihrem Brauche gelte es für unehrenhaft, nachzugeben, bis ein Hieb von bestimmter Länge und Tiefe das Gesicht zerrissen habe, meist auf der Wange zwischen Aug und Ohr.“ Vier auf diese Weise gezeichnete Personen saßen uns voriges Jahr in Ehrenbreitstein bei Tisch gegenüber.

Darmstadt, Ludwigs-Platz und Bismarckdenkmal

Darmstadt, Ludwigs-Platz und Bismarckdenkmal

Heidelberg, Alte Brücke und Schloss

Heidelberg, Alte Brücke und Schloss