Stör und Elde

Nimmt man an, daß noch 5000 fl. mehr aufgewandt sind für die Schleusen an der neuen Elde, für die Aufräumung der Stör und Elde und manche kleine nicht verzeichnete Ausgaben, so kommt man auf eine Gesammtsumme von 60 000 fl. oder 90 000 Mk. Für diese 90 000 Mk., die etwa das Sechsfache von der gleichnamigen Summe in heutigem Gelde werth sind, 1) ist eine Wasserstraße von Dömitz nach Wismar fast fertig gestellt worden, die den Verkehr von Schiffen mit 12 Last oder 480 Ctr. Tragfähigkeit und mit einem Tiefgang von anscheinend 1 1/2 bis 2 Ellen oder 0,9 bis 1,2 m ermöglichte. Der Wallensteinische Sekretär Martin Böckel spricht freilich 1629 in einem Bericht über den Kanal davon, daß „hiebevor“ also im 16. Jahrhundert, Schiffe von 20 Last auf der Wismar-Dömitzer Wasserstraße gefahren seien. Aber einerseits findet sich in den Schifffahrtsakten dafür kein Beleg und andererseits kann man auch aus Böckels Worten herauslesen, daß er die Tragfähigkeit der Schiffe auf dem alten Kanal genau gar nicht hat angeben, sondern nur allgemein kleine Schiffe von 20 Last den größeren von 50-60 Last hat gegenüberstellen wollen.

Bei der Zerstörung des Kanals half bald Menschenhand nach. Aus dem Jahre 1611 wissen wir, daß Christoph v. Preen auf Moidentin mit den auf seiner Feldmark gelagerten, für den Schleusenbau bestimmten Quadersteinen einen schwungvollen Handel nach Wismar betrieb, und daß er den in die Moidentiner Schleuse bereits verarbeiteten Steinen das gleiche Schicksal zugedacht hatte. 2)


Die Folgezeit hat nun bis auf unsere Tage eine lange Reihe von Projekten hervorgebracht, den Kanal von Neuem in Angriff zu nehmen. Wenn es auch nicht erforderlich ist, sie an dieser Stelle eingehend zu behandeln, so dürfen Sie doch zu einem vollständigen Bilde der Schicksale des Grabens nicht ganz fehlen.

Die Projekte beginnen schon in den 90 er Jahren des 16. Jahrhunderts mit den Unterhandlungen, die damals zwischen Herzog Ulrich und den Generalstaaten von Holland gepflogen wurden. Nach einem Briefe Wismars an den Rath zu Hamburg vom 12. Juni 1599 drangen die Generalstaaten mehrfach auf Vollendung der Schifffahrt, erboten sich auch, sie auf eigene Kosten zu Ende zu führen. Doch ließen die Kämpfe gegen Spanien, die Holland um diese Zeit ganz in Anspruch nahmen, das Vorhaben nicht zur Ausführung kommen. Die Unterhandlungen mit Holland waren die letzten Versuche des Herzogs Ulrich, die Schifffahrt in Gang zu bringen. Am 14. März 1603 starb er hochbetagt zu Güstrow.

Seine Großneffen, die Herzöge Adolf Friedrich I. und Johann Albrecht II., theilten sich in dem Fahrenholzer Vertrage vom 9. Juli 1611 die ererbten Lande. Sie verglichen sich darin über die neue Schwerinsche Schifffahrt dergestalt, daß diese für den Fall ihrer Erbauung, ebenso wie die Ströme, die durch beider Fürsten Aemter flössen, gemeinsamer Besitz bleiben sollte. 3) Diese Kommunion hoben Sie jedoch in dem Erbvertrage vom 3. März 1621 schon wieder auf, indem sie sich dahin einigten, daß jeder in seinen Städten und Aemtern die Schifffahrtsstraßen, darunter auch die Viechelsche Fahrt, allein besitzen und nach seinem Gefallen ohne des Andern Einrede herzurichten berechtigt sein solle. 4)

1619 hegte Wismar den Plan, den schwedischen Handel von Lübeck ab und auf sich zu ziehen und durch den Wismar-Dömitzer Kanal in die Elbe zu leiten. Auf Betreiben seines thätigen Syndikus Dr. Martin Tanke kamen im November des Jahres Gesandte Hamburgs und Wismars in Ratzeburg zusammen und nahmen eine Reihe von Resolutionen an, die sich auf die künftige Niederlage in Wismar, die Abgaben und den Verkehr daselbst und auf den Graben bezogen. Als Vorbedingung sah man jedoch die Vollendung des Grabens zwischen Viecheln und Wismar an. Bei Waaren wie Kupfer, Eisen, Osmund (in Schweden gegrabener roher Eisenstein), worauf der Schwedische Handel hauptsächlich beruhe, werde der Wagentransport zu kostspielig, bei werthvollen Waaren, wie Gewürzen, sei beim Umladen in die Wagen die Gefahr des Unterschleifs zu groß. Man setzte sich mit dem Herzog Adolf Friedrich I. wegen des Kanalbaues in Verbindung, hatte aber, aus was für Gründen ist unbekannt, keinen Erfolg. 5)

1622 holte Herzog Adolf Friedrich seine junge Gemahlin Anna Marie von Ostfriesland heim und verbrachte zunächst mehrere Tage mit ihr in Zurückgezogenheit auf dem neu erbauten Schlosse zu Poel. Bevor Sie dann in Schwerin einzogen, zeigte der Herzog seiner Gemahlin die neue Schifffahrt und die Schleusen zwischen Viecheln und Wismar. 6) Es müssen damals also wohl noch sehenswerthe Reste der alten Herrlichkeit vorhanden gewesen sein.

Wenige Jahre später, am 27. Juli 1628, schlug Albrecht von Wallenstein seine Residenz in Güstrow auf, nachdem die Stände ihm gezwungen die Pfandhuldigung geleistet hatten. Es ist bekannt, welch rege Thätigkeit Wallenstein auf allen Gebieten landesväterlicher Fürsorge während der kurzen Zeit seiner Regierung entfaltet hat, wie er ein frisches Leben in die Staatsverwaltung und die Rechtspflege gebracht und manche heilsame Einrichtungen für seine Unterthanen geschaffen hat. 7) Auch in der Vollendung des Ostsee-Elbe-Kanals zwischen Wismar und Dömitz erkannte er alsbald ein vorzügliches Mittel, seine Lande zu erschließen und deren Wohlstand zu heben. Nachdem er persönlich aus einer Reise von Wismar nach Schwerin Anfangs Dezember 1628 die Trümmer der Viechelschen Fahrt in Augenschein genommen hatte, ließ er sich bereits am 12. Dezember von seinem Küchenmeister Friedrich Thesand zu Neustadt auf Grund einer Besichtigung einen Bericht über den Zustand der Schleusen zwischen Neustadt und Dömitz und die Beschaffenheit der neuen Elde erstatten. Da erfuhr er denn, daß die neue Elde an vielen Stellen aufgeräumt und eine Elle tiefer gegraben werden müsse, und daß auch die Schleusen eine Ausbesserung sehr nöthig hätten. Diese könnten zur Zeit wegen der Anlage der Grundbalken nur von Schiffen von 5/4 - 1 1/2 Ellen Tiefgang passirt werden. Dieser ersten Besichtigung folgten noch zwei weitere. Am 8. Jan. 1629 fuhren die Hamburger Schleusen- und Baumeister Bartholomäus Grönefeld, Peter Lükes und Adrian Vossenthal in Begleitung des herzoglichen Kanzleisekretärs Martin Böckel von der Fähre aus die Stör und Elde hinab, mußten aber bei Neustadt anhalten, weil die dortige Schleuse zerbrochen war. Sie fanden, man müsse die Fährschleuse auf die Breite der übrigen Schleusen, nämlich 26 Fuß, bringen. Die Flüsse seien bis Neustadt mit ca. 150 Fuß überall breit genug, die Tiefe stellten sie durchweg auf 5-6 Schuh fest, nur bei Plate, Banzkow und Hohewisch, wo sie nur 2-3 Fuß Tiefe ausmaßen, müsse der Sand ausgebracht werden. Ihr Urtheil über die Möglichkeit und Rentabilität der ganzen Schifffahrt ging dahin, daß eine brauchbare Wasserstraße nur dann entstehen werde, wenn man sie für größere Schiffe von 50-60 Last, wie die Hamburger Elbschiffe seien, und nicht für kleine Schiffe von 20 Last, wie früher wohl darauf gefahren seien, einrichte. Auch müsse man an beiden Flußufern Dämme aufschütten, um die Schiffe mit Pferden oder Leuten bequem flußaufwärts ziehen zu können. Man wende gegen die Möglichkeit der Wasserstraße ein, daß das Wasser des Schweriner Sees wegen seiner hohen Lage über der Ostsee bald erschöpft sein werde. Dieser Gefahr könne man aber durch gut schließende Schleusen begegnen. Auf der Viechelschen Fahrt wären wohl zwölf Schleusen nöthig. Da jede ca. 12 000 Rthlr. zu bauen koste, würden die Schleusenbauten auf dieser Strecke 144 000 Rtldr. ausmachen. Die Kosten der ganzen Wasserstraße von Wismar bis Dömitz schätzten sie auf 500 000 Rthlr. einschließlich der Ziegelsteine, doch ausschließlich des Holzes und der Bretter. Die Schiffer würden künftig in 14 Tagen von Hamburg nach Wismar gelangen, während sie jetzt mit kleineren Schiffen 6 Wochen und mehr Zeit gebrauchten. 8)




1) Der Tagelohn eines ungelernten Arbeiters stellt zu alten Zeiten den Betrag dar, den eine Familie zum Lebensunterhalt unbedingt nöthig hat, hat also stets annähernd den gleichen Kaufwerth. Zur Zeit des Kanalbaues erhielt ein Gräberknecht 5 ßl., heute ein ungelernter Arbeiter im Durchschnitt 2 Mk. oder 32 ßl. Ein Schilling des 16. Jahrhunderts hatte also etwa den sechsfachen Wert eines heutigen Schillings.
2) Geh. und Haupt-Archiv, Acta feud. Moidentin.
3) Klüver, Beschreibung des Herzogthums Mecklenburg, Hamburg 1739, III, 2. Stück, S. 29.
4) Klüver, III, 2. Stück, S. 62.
5) Wism. Rathsarchiv, Tit. X, N. 1, Vol. 1.
6) Wigger, die Festung Poel, im Jahrb. 48, S. 26.
7) Vergl. Jahrb. 35, S. 80 ff., und Jahrb. 36, S. 1 ff.
8) Bericht des Martin Böckel, abgedruckt bei Pötker, Neue Sammlung Mecklb. Schriften und Urkunden, IV. Stück, Wismar und Leipzig 1746, (S. 30-33.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Elbe-Ostsee-Kanal zwischen Dömitz und Wismar