Der Daseinskampf vorweltlicher Wirbeltiere

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: Dr. Alexander Sokolowsky, Hamburg, Erscheinungsjahr: 1926

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Tierwelt, Urzeit, Vorwelt, Erdvergangenheit, Natur, Lebewesen, Geschöpfe, Reptilien, Räuber, Panzerplatten, Schutzorgane, Riesenwuchs, Pflanzenfresser, Panzerechsen,
Verglichen mit der Tierwelt der Gegenwart, erscheint uns die der Vorwelt weit roher und weniger kompliziert entwickelt. Handelt es sich doch im Allgemeinen bei diesen einer längst entschwundenen Erdvergangenheit zugehörenden Geschöpfen um die Uranfänge von Tiergeschlechtern, die im Laufe der erdgeschichtlichen Vorgänge erloschen sind, oder aber um solche, die sich bis heute in allerdings hochgradiger Differenzierung und Verfeinerung in ihrem Artcharakter erhalten haben. Dem robusteren und gröberen Körperbau der vorweltlichen Tiere entsprach auch eine primitivere, vereinfachtere Lebensweise, denn es ist nicht denkbar, dass diese sich im Allgemeinen durch gigantischen Wuchs und durch extrem-massige Körperbildung auszeichnenden Geschöpfe ein solch verfeinertes Leben geführt haben sollen wie die heutigen. Da es sich aber bei den letzteren um die Ausläufer eines langen Entwicklungsganges handelt, so können wir ihre heutige körperliche Erscheinung sowie ihre Lebensgewohnheiten erst dann voll verstehen, wenn wir ihren Stammbaum möglichst weit zurückverfolgen und uns ihre Eigenart als etwas Gewordenes klarzumachen suchen.

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Dem oberflächlich in die Welt hineinschauenden Menschen erscheint die Natur als eine unermesslich große Landschaft, in der die Lebewesen mehr oder minder friedfertig beisammen wohnen. Wer aber mit Forscheraugen in die Werfstätte der Natur hineinschaut und ihr innerstes Wesen zu ergründen sucht, der erkennt bald, dass das friedfertige Idyll nur ein scheinbares ist, denn in Wirklichkeit findet innerhalb des Getriebes der Natur ein Vernichtungskampf der Wesen untereinander statt, der mit großer Energie und unbeschreiblicher Raffiniertheit ausgefochten wird. Das ist nicht nur heute so, sondern die Forschung lehrt, dass schon seit den frühesten Tagen der organischen Schöpfung ein solches Ringen einsetze, bei dem es sich aber nicht um eine Vernichtung der Geschöpfe handelte, sondern nur um einen Ausgleich, ein ewiges Entstehen und Vergehen, dessen Ziel es ist, die Existenz der Lebewelt in höchster Lebensenergie zu erhalten.

Die Natur hat es dabei weniger auf die Erhaltung des Einzelindividuums abgesehen. Dieses muss untergehen und „seines Daseins Kreise vollenden“, die Fort-, Um- und Weiterbildung erfolgt durch die Art. Die Tiergeschlechter sind es also, die sich erhalten und weiterentwickeln oder aber, wenn sie nicht mehr in den Rahmen der sich ebenfalls abändernden Umweltpassen, dem Untergang geweiht sind. Sie erhalten sich nur so lange, als ihre körperlichen und seelischen Eigenschaften im Einklang mit den Forderungen der Außenwelt stehen. Diese lebenserhaltende Übereinstimmung erzielen die Lebewesen auf dem Wege der Anpassung.

Jedes Wesen strebt danach, sich das Leben zu erhalten. Je besser ausgerüstet mit körperlichen und seelischen Eigenschaften das Geschöpf in den Lebenskampf tritt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, den Kampf um das Dasein zu bestehen und die Konkurrenz der Mitbewerber auszuschlagen. Die Natur hat ihm auf den Lebensweg den Schutz der Anpassung als Mitgift gegeben. Zweierlei Attribute sind es, die den Geschöpfen im Lebenskampfe zugutekommen: auf der einen Seite sind es Angriffswaffen, die dessen Besitzer befähigen, mit eigener Initiative in den Kampf um das Dasein einzugreifen, auf der anderen dagegen solche Vorrichtungen, die der Abwehr feindlicher Angriffe und schädigender Einflüsse dienen. Bei den Tieren der Vorwelt hat die Forschung zahlreiche Merkmale dieser Art nachgewiesen.

Schon bei den ältesten Fischen, deren Überreste im oberen Silur gefunden werden, lassen sich Schutzvorrichtungen nachweisen, durch die diese Tiere befähigt waren, den Angriffen überlegener Gegner standzuhalten. Bei den niedrigstorganisierten Gattungen dieser Fische treten zuerst zahlreiche, dichtstehende Hautzähne als Schutzorgane auf, aber schon zu derselben Zeit lassen sich solche nachweisen, bei denen diese Einzelzähne zu größeren Schienenschuppen und Platten vereinigt sind und auf diese Weise ein Panzergerüst bilden.

Die größte Bedeutung erhielt die Schutzpanzerung in der Klasse der Reptilien. Während sich bei den fleischfressenden Geschöpfen oft die furchtbarsten Gebisse entwickelten, um ihre Beutetiere damit zu überwältigen, zeigen die pflanzenfressenden zum Schutz gegen die Angriffe dieser gefährlichen Räuber die verschiedenartigsten Panzerbildungen. Je mehr sich nun diese Schutzorgane ausbildeten, umso stärker musste sich dementsprechend das Gebiss der Räuber entwickeln, mit dem die festen Panzer brechen konnten. Auch bestehen Wechselverhältnisse zwischen Größe und Kraft bei beiden Gruppen. Die Geschöpfe der Vorwelt erwiesen sich im Allgemeinen, verglichen mit denen der Gegenwart, als viel roher und gewaltiger organisiert, während die letzteren eine verfeinerte, differenziertere Organisation erkennen lassen. Der Riesenwuchs war bei den Pflanzenfressern vielfach vertreten, er erforderte dieselben Wachstumserscheinungen bei den Räubern.

Bei den meisten Reptilien war und ist noch heute ein aus Hornschildern bestehender Hautpanzer vorhanden, der bei verschiedenen Formen von einer knöchernen Grundlage gestützt wird. Es sei nur an den Knochenpanzer der Krokodile und Schildkröten erinnert. Solche Schutzvorrichtungen fanden sich in der Vorwelt zum Beispiel auch bei den gewaltigen Dinosauriern.

Im oberen Jura Nordamerikas finden sich die fossilen Vertreter der Stegosaurier, Panzerechsen, die durch den Besitz von mächtigen, dreieckigen Panzerplatten ausgezeichnet waren, die längs der Rückenlinie in zwei Reihen standen. Ihr Schwanz war noch mit spitzen Stacheln ausgerüstet und konnte furchtbare Schläge austeilen.

Eine ganz eigenartige Panzerung zeigen die Formen der Gattung Triceratops, einer Familie der Ceratopiden, deren Überreste in der oberen Kreide Nordamerikas gefunden werden. Es waren mächtige Pflanzenfresser, deren Schädel mit Stacheln ausgerüstet und deren Nacken durch eine dicke Knochenplatte geschirmt war. In ihrer gesamten Erscheinung erinnerten sie an die Nashörner.

Eine ganz sonderbare Rückenschutzvorrichtung besaß die im oberen Perm in Texas gefundene Rückenkammechse (Naosaurus). Dieses stumpfsinnige Ungetüm mit kleinem Hirnschädel und langem Schwanz trug auf dem Rücken einen hohen Knochenkamm von stark verlängerten und mit queren Auswüchsen versehenen Dornfortsätzen.

Die Ausbildung der Angriffs- und Verteidigungswaffen war bei den verschiedenen Tieren in der Vorwelt sehr mannigfaltig. Zahlreiche Reptilien hatten furchtbare Gebisse. Es sei nur an die Ichthyosaurier erinnert, diese gefräßigen Scheusale, die nicht einmal ihre eigene Brut schonten, sondern, wie fossile Überreste bekunden, junge Exemplare ihrer eigenen Art verschlangen. Zähne als Waffen lassen sich bis zu den Säugetieren hinauf in hoher Entwicklung verfolgen. Bei einzelnen Huftieren bilden sich die Eckzähne zu Hauern um, die als wirksame Verteidigungswaffen dienen. Solche Hauer besitzen die Wildschweine noch heute, auch die Flusspferde haben solche Zähne als Waffen. Unter den heute lebenden Säugern sind das Walross und der Narwal durch große Zähne ausgezeichnet. Es handelt sich aber hierbei nicht nur um Angriffsbeziehungsweise Verteidigungswaffen, sondern diese Zähne werden auch vielfach als Werkzeuge bei der Nahrungsbeschaffung benützt. Das Wildschwein durchpflügt damit den Waldboden nach Wurzeln, das Walross den Meeresboden, um nach Muscheln zu suchen. Beiden dienen die Zähne aber ebenfalls als Waffen. So wird es auch in der Vorwelt gewesen sein. Auch hier handelte es sich bei der Zahnbildung vielfach um deren Verwendung als Werkzeuge und Waffen. Oft übernehmen die Schneidezähne diese Funktion. Das ist namentlich bei den Elefanten der Fall, deren Stammbaum die verschiedenartigste Zahnentfaltung erkennen lässt. Vom Möritherium bis zum Mastodon und Mammut hinauf finden sich die verschiedensten Formen der Schneidezahnausbildung, indem zunächst beide Kiefer Stoßzähne trugen, später aber, wie noch heute bei unseren Elefanten, nur der Oberkiefer mit solchen bewehrt ist. Wir wissen, dass der afrikanische Elefant seine Stoßzähne zum Zersplittern der Baumrinde und zum Brechen der Baumäste, die ihm als Äsung dienen, benützt.

Bei den eigentlichen Raubtieren haben sich die Eckzähne als Fangzähne entwickelt. Die höchste Ausbildung zeigt dieser Zahnentwicklungsgang in der Vorwelt bei den Säbeltigern, unter denen der furchtbare Smilodon durch säbelartig verlängerte Eckzähne ausgezeichnet ist. Er schlug diese Fangzähne in den Nacken seiner Opfer, wobei es ihm durch die Wirkung des zweibäuchigen Unterkiefermuskels ermöglicht war, den Unterkiefer nach hinten vom Oberkiefer abzuziehen. Auch unsere heutigen Großkatzen, Löwe, Tiger, Leopard, Puma, besitzen noch starke Eckzähne, welche Fänge sie in den Nacken oder in die Kehle ihrer Opfer schlagen, um die Gefäße des Halses zu zerbeißen. Selbst bis in den Stammbaum des Menschen hinauf finden sich die Eckzähne stark entwickelt. Es sei nur an die furchtbaren Eckzähne der Paviane, des Mandrils sowie der Menschenaffen, namentlich des männlichen Gorillas, erinnert.

Gefährliche Waffen besitzen die Raubtiere in ihren einziehbaren Krallen. Sie benützen sie bei der Überwältigung ihrer Beutetiere, wobei sie durch Schläge mit der krallenbewehrten Pranke diese zu Boden strecken. Der pflanzenfressende Dinosaurus Iguanodon der Vorwelt besaß in seinen stilettartig geformten, spitzigen Daumen eine gefährliche Verteidigungswaffe. Außerdem konnte er mit seinem langen, muskelstarken Schwanz furchtbare Hiebe austeilen. Ein Gleiches können heutigentags noch die Krokodile sowie die langschwänzigen Warneidechsen. Der Schwanz diente auch den stark gepanzerten Glyptodonten aus dem Pampaslöß Argentiniens als Waffe zur Verteidigung. Bei einzelnen Arten war er keulenförmig gebildet.

In außerordentlicher Mannigfaltigkeit treten bei den Tieren der Vorwelt, wie auch bei den heute lebenden Geschöpfen, die Angriffswaffen des Kopfes aus, sei es, dass es sich dabei um Knochen- oder Hornbildungen handelt. Auf Nase, Stirn und Scheitel fanden sich bei Huftieren, Nagetieren und Reptilien Höcker, Knochenzapfen, Geweihe oder Hörner. Auch heute noch zeigen die Hirsche, Rinder, Schafe, Ziegen, Nashörner sowie unter den Reptilien Schlangen und manche Eidechsen (Chamäleonten) solche Bildungen. In der Vorwelt handelte es sich häufig um eine geradezu groteske Ausbildung solcher Fang- oder Schutzwaffen. Furchtbare Knochenzapfen besaß zum Beispiel das ägyptische Arsinotherium. Die Geweihbildung erreicht ihre massigste Ausbildung bei dem Elch der Gegenwart und dem Riesenhirsch der Vorwelt. Hornbildungen finden sich in größter Mannigfaltigkeit bei den Hohlhörnern der Gegenwart, in extremer Entfaltung bei den Steinböcken, Wildschafen und unter den Rindern bei den Büffeln. Als Angriffswaffen dienen auch die Hörner der Nashörner, die in der Vorwelt wie in der Gegenwart teilweise eine mächtige Ausbildung erreichen. So lassen sich zwischen den Tiergeschlechtern der vergangenen Erdepochen und der gegenwärtigen Schöpfungsperiode in Bezug auf das Vorhandensein und die Entfaltung von Angriffs- und Verteidigungswaffen die mannigfaltigsten Beziehungen und Übergänge nachweisen, Einrichtungen und Merkmale, die alle dazu dienen, den Tieren im Kampfe ums Dasein nützlich zu sein.

Das Riesenfaultier, das in Patagonien noch leben soll

Der Triceratops, ein gewaltiges, mit drei Hörnern und einem Halskragen ausgestattetes Ungetüm

Kampf zwischen einem Brontosaurus (Donnerdrachen) und einem Ceratosaurus (Horndrachen)

Fledermausähnliche Pterodaktylen (Flugdrachen)

Kämpfende Dryptosaurier (Aus „Scientific American“)

Ein Ceratosaurus beim Mahl

Ein mit großen Panzerplatten bedeckter und mit gewaltigen Stacheln versehener Stegosaurus (Panzerdrache) beobachtet zwei im Wasser schwimmende Schlangensaurier

Urzeit, Das Riesenfaultier, das in Patagonien noch leben soll

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Urzeit, Der Triceratops, ein gewaltiges mit drei Hörnern und einem Halskragen ausgestattetes Ungetüm

Urzeit, Der Triceratops, ein gewaltiges mit drei Hörnern und einem Halskragen ausgestattetes Ungetüm

Urzeit, Ein Ceratosaurus beim Mahl

Urzeit, Ein Ceratosaurus beim Mahl

Urzeit, Ein mit großen Panzerplatten bedekcter und mit gewaltigen Stacheln versehener Stegosaurus (Panzerdrache) beobachtet zwei im Wasser schwimmende Schlangensaurier

Urzeit, Ein mit großen Panzerplatten bedekcter und mit gewaltigen Stacheln versehener Stegosaurus (Panzerdrache) beobachtet zwei im Wasser schwimmende Schlangensaurier

Urzeit, Fledermausähnliche Pterodaktylen (Flugdrachen)

Urzeit, Fledermausähnliche Pterodaktylen (Flugdrachen)

Urzeit, Kämpfende Dryptosaurier

Urzeit, Kämpfende Dryptosaurier

Urzeit, Kampf zwischen einem Brontosaurus (Donnerdrachen) und einem Ceratosaurus (Horndrachen)

Urzeit, Kampf zwischen einem Brontosaurus (Donnerdrachen) und einem Ceratosaurus (Horndrachen)